Urteil des OLG Dresden vom 13.03.2017

OLG Dresden: erstreckung der frist, pauschal, nachlass, fristverlängerung, verbindlichkeit, unternehmen, erlöschen, rügeobliegenheit, vergabeverfahren, ausschluss

Oberlandesgericht Dresden
Az.: WVerg 19/02
Leitsätze:
1. Die Erklärung eines Bieters, mit der er einem Ersuchen
der
Vergabestelle
um
Zustimmung
zur
zeitlichen
Erstreckung der Zuschlags- und Bindefrist nur unter sein
Angebot ändernden Vorbehalten nachkommt, führt mit Ablauf
der zur Verlängerung anstehenden Frist zum Erlöschen des
ursprünglichen
Angebots.
Das
nach
Maßgabe
der
Änderungsvorbehalte abgewandelte Angebot ist ebenso wie
nachträgliche vorbehaltlose Einwilligungen in weitere
Verschiebungen der Bindefrist nach § 25 Nr. 1 Abs. 1 a
VOB/A von der Wertung zwingend ausgeschlossen.
2. Die Vergabekammer kann Vergabeverstöße, auf die der
Antragsteller selbst sich nicht berufen hatte, ungeachtet
der ihr mit § 114 Abs. 1 S. 2 GwB eingeräumten Befugnisse
zur Begründung ihrer Entscheidung nicht heranziehen, wenn
der Antragsteller gem. § 107 Abs. 3 GwB mit der
Geltendmachung dieser Verstöße präkludiert wäre oder die
aus ihnen ggf. abzuleitende Rechtsverletzung nicht in
subjektive Rechte des Antragstellers eingreifen würde.
2
³ ³
³ ³
³ ³
³ ³
Oberlandesgericht
³ ³
³ ³
Dresden
³ ³
³ ³
Aktenzeichen: WVerg 0019/02 Verkündet am 08.11.2002
1/SVK/084-02 1. Vergabekammer Die Urkundsbeamtin
Freistaat Sachsen
Ruczynski
Justizsekretärin
Beschluss
des Vergabesenats
In dem Vergabenachprüfungsverfahren
,
vertr. d. d. GF,
,
Antragstellerin und Beschwerdegegnerin
Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte
,
,
gegen
,
vertr. d. d. Oberbürgermeister,
,
Antragsgegnerin, Auftraggeberin und Beschwerdeführerin
Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte
,
,
weiter beteiligt:
1.
,
vertr. d. d. Vorstand,
,
3
- Beigeladene zu 1 -
Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte ,
,
2.
Bietergemeinschaft, bestehend aus den Unternehmen
a)
,
b)
,
vertr. d. d.
vertr. d. d. GF
- Beigeladene zu 2 und Beschwerdeführerin -
Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte
,
hat der Vergabesenat des Oberlandesgerichts Dresden aufgrund
der mündlichen Verhandlung vom 08.11.2002 durch
Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Bastius,
Richter am Oberlandesgericht Piel und
Richterin am Landgericht Wetzel
beschlossen:
1.
Die sofortigen Beschwerden der Beigeladenen zu 2) vom
11.10.2002 und der Antragsgegnerin vom 14.10.2002 gegen
den Beschluss der ersten Vergabekammer des Freistaates
Sachsen
vom
01.10.2002
- 1/SVK/84-02 -
werden
zurückgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten
der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren tragen die
Beigeladene zu 2) und die Antragsgegnerin je zur
Hälfte. Im Übrigen tragen die Verfahrensbeteiligten
ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
4
3.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf
131.000,00 Euro festgesetzt.
G r ü n d e :
I.
Gegenstand
des
Nachprüfungsverfahrens
sind
von
der
Antragsgegnerin
im
offenen
Verfahren
nach
VOB/A
ausgeschriebene
Tiefbaumaßnahmen
am
Straßenbauvorhaben
. Im Submissionstermin wies das
Angebot der Beigeladenen zu 1) mit 1 615 722,70 EUR netto
rechnerisch den niedrigsten Preis auf. Das Hauptangebot der
Beigeladenen zu 2), einer damals noch aus drei beteiligten
Unternehmen bestehenden Bietergemeinschaft, lautete auf
2 259 019,77 EUR,
räumte
aber
darüber
hinaus
einen
pauschalen Nachlass von 265 000,00 EUR netto ein, so dass
sich
danach
ein
rechnerischer
Angebotspreis
von
1 994 019,77 EUR ergab. Nächstplatzierte Bieterin war die
Antragstellerin mit einem Angebot von 2 143 507,45 EUR. Mit
ihrem
Vergabevermerk
vom
18.04.2002
brachte
die
Antragsgegnerin ihre Absicht zum Ausdruck, das Angebot der
Beigeladenen zu 1) wegen - vermeintlicher - Änderungen der
Bieterin an den Verdingungsunterlagen von der Wertung
auszuschließen und stattdessen das Angebot der Beigeladenen
zu 2) unter Berücksichtigung des offerierten Preisnachlasses
anzunehmen. Daraufhin stellte die Vergabekammer in einem
ersten
das
in
Rede
stehende
Vorhaben
betreffenden
Nachprüfungsverfahren
(1/SVK/049-02)
auf
Antrag
der
Beigeladenen zu 1) fest, der geplante Wertungsausschluss
verletze diese in ihren Rechten; der Antragsgegnerin wurde
mit dem bestandskräftig gewordenen Beschluss aufgegeben, das
Angebot wieder in die insgesamt zu wiederholende Wertung
einzubeziehen.
Infolge der zwischenzeitlich eingetretenen Verzögerung der
Auftragserteilung hatte die Antragsgegnerin die in der
engeren Wahl verbliebenen Bieter, darunter auch die
5
Beigeladene
zu 1),
mehrfach
um
Zustimmung
zu
einer
Verlängerung der Zuschlags- und Bindefrist gebeten. Zuletzt
hatte die Beigeladene zu 1) mit Schreiben vom 27.06.2002
vorbehaltlos in eine Fristverlängerung bis zum 30.07.2002
eingewilligt. Auf ein erneutes Verlängerungsersuchen der
Antragsgegnerin vom 22.07.2002 antwortete die Beigeladene
zu 1) unter dem 25.07.2002 (auszugsweise) wie folgt:
"Die Einheitspreise unseres Angebots vom 27.03.2002 zu
o.g.
Bauvorhaben
behalten
uneingeschränkt
ihre
Gültigkeit bis zum 30.08.2002.
Für die zusätzlichen Aufwendungen des Auftragnehmers
aufgrund der um fünf Monate verschobenen Bauzeit
(werden im Einzelnen aufgeführt, vgl. Bl. 115 dA zu
WVerg 18/02)
bestätigt der Auftraggeber dem Auftragnehmer einen noch
einzureichenden Nachtrag i.H.v. pauschal 370 000,00 EUR
zzgl. MWSt.
Das vorstehend Genannte zugrunde legend, erklären wir
die uneingeschränkte Verbindlichkeit unseres Angebots."
Hierauf reagierte die Antragsgegnerin bis zum 30.07.2002
nicht;
mit
Schreiben
vom
01.08.2002
erkannte
sie
Mehrvergütungsansprüche
infolge
erheblich
veränderter
Bauzeit als dem Grunde nach berechtigt an, verwies jedoch
auf deren Anmeldung entsprechend VOB/B und lehnte die
Bestätigung einer pauschalen Mehrvergütung ausdrücklich ab.
Damit ließ die Beigeladene zu 1) es bewenden, und ihr
Angebot
wurde
von
der
Antragsgegnerin
in
seiner
ursprünglichen Fassung in der Wertung belassen. Späterer
Fristverlängerung, zuletzt mit Erklärung vom 11.10.2002 für
eine Erstreckung der Frist bis zum 15.12.2002, stimmte die
Beigeladene zu 1) wiederum ohne Einschränkung zu.
Im Zuge der von der Vergabekammer verlangten neuerlichen
Bieterauswahl kam die Antragsgegnerin, nachdem sie die Frage
eines
möglichen
Unterangebots
der
Beigeladenen
zu 1)
eingehend geprüft und entgegen eigenen früheren Zweifeln
verneint hatte, zu dem Schluss, die Beigeladene zu 1) habe
6
das wirtschaftlichste Angebot abgegeben. Gegen diese ihnen
nach § 13 VgV angekündigte Vergabeabsicht haben sowohl die
Antragstellerin
dieses
Verfahrens
als
auch
(im
Parallelverfahren 1/SVK/082-02 = WVerg 18/02) die hier
Beigeladene zu 2) Nachprüfungsanträge anhängig gemacht. Dem
Begehren der Antragstellerin hat die Vergabekammer mit dem
angefochtenen Beschluss stattgegeben und zur Begründung
ausgeführt, das Angebot der Beigeladenen zu 1) sei entgegen
der Auffassung der Antragsgegnerin gem. § 25 Nr. 3 Abs. 1
VOB/A wegen des trotz versuchter Aufklärung verbliebenen
Missverhältnisses
zwischen
Angebotspreis
und
Leistung
auszuschließen gewesen. Überdies führe das Schreiben der
Beigeladenen zu 1) vom 25.07.2002 mit der darin enthaltenen
pauschalen Nachtragsforderung dazu, dass das ursprüngliche
Angebot entfallen und das abgeänderte Angebot nach § 25
Nr. 1 Abs. 1 a VOB/A auszuschließen sei. Da auch das Angebot
der Beigeladenen zu 2), wie aus der vorangegangenen
Entscheidung im Parallelverfahren 1/SVK/082-02 ersichtlich,
nicht oder zumindest nicht unter Einbeziehung des dort
strittigen Pauschalnachlasses gewertet werden dürfe, sei der
Zuschlag auf das Angebot der Antragstellerin - als das
infolgedessen preislich niedrigste - zu erteilen, da weitere
Auswahlkriterien neben dem Angebotspreis eine abweichende
Entscheidung nicht zu rechtfertigen geeignet seien.
Hiergegen richten sich sofortige Beschwerden sowohl der
Antragsgegnerin als auch der Beigeladenen zu 2). Die
Vergabestelle meint, die Antragstellerin sei mit der Rüge
eines eventuellen Unterangebots der Beigeladenen zu 1)
bereits ausgeschlossen, da sie nach ihrem eigenen Vorbringen
von diesem Problem schon seit Mitte Mai 2002 Kenntnis gehabt
habe, ohne seinerzeit eine entsprechende Beanstandung
vorzubringen; eine solche wäre allerdings auch in der Sache
verfehlt gewesen. Der von der Beigeladenen zu 2) angebotene
Pauschalnachlass sei, entgegen der von der Vergabekammer im
Parallelverfahren
vertretenen
Auffassung,
ebenfalls
zu
werten gewesen. Zumindest verstoße aber der angefochtene
Beschluss
insoweit
gegen
den
Grundsatz
der
Verhältnismäßigkeit, als er die Antragsgegnerin verpflichte,
7
in jedem Fall den Auftrag an die Antragstellerin zu
erteilen. Denn auch unterstellt, sowohl das Angebot der
Beigeladenen zu 1) als auch dasjenige der Beigeladenen zu 2)
dürften im Ergebnis nicht berücksichtigt werden, stehe damit
immer noch nicht fest, dass der Zuschlag ohne weiteres der
Antragstellerin zufalle.
Die Beigeladene zu 2) hält demgegenüber den angefochtenen
Beschluss
für
richtig,
soweit
er
das
Angebot
der
Beigeladenen zu 1) ausschließt, und beschränkt demgemäß
seine Überprüfung durch den Senat auf die von der
Vergabekammer (auf der Grundlage der im Parallelverfahren
vertretenen Auffassung, das Angebot der Bietergemeinschaft
sei
mit
dem
darin
vergaberechtswidrig
enthaltenen
Pauschalnachlass nicht zu werten) tenorierte Verpflichtung
der Antragsgegnerin, den Zuschlag auf das Angebot der
Antragstellerin zu erteilen. Die Beigeladene zu 2) hält in
Übereinstimmung
mit
der
Vergabestelle
den
von
ihr
offerierten Preisabschlag für wertungsfähig und -bedürftig
und jedenfalls die ihr Angebot betreffenden Rügen der
Antragstellerin für verspätet; das habe zur Folge, dass
selbst bei einem Ausscheiden der Beigeladenen zu 1) aus der
Wertung
der
Zuschlag
nicht
auf
das
Angebot
der
Antragstellerin, sondern auf dasjenige der Beigeladenen
zu 2) zu erteilen sei.
II.
Beide Beschwerden sind zulässig, aber unbegründet.
1. Dabei
kann
hinsichtlich
des
Rechtsmittels
der
Antragsgegnerin offen bleiben, ob sie entgegen der
Ansicht
der
Vergabekammer
die
Frage
eines
wirtschaftlichen Unterangebots der Beigeladenen zu 1)
hinreichend aufgeklärt und bei der Bewertung des
Aufklärungsergebnisses zu tragfähigen Schlussfolgerungen
gelangt ist. Denn selbst wenn man dies (und darüber
hinaus die Meinung der Antragsgegnerin, die hierauf
bezogene Rüge der Antragstellerin sei nach Maßgabe des
§ 107 Abs. 3 S. 1 GWB verspätet und daher präkludiert
8
gewesen) zugunsten der Antragsgegnerin unterstellt, hat
die
Vergabekammer
dennoch
im
Ergebnis
zu
Recht
angenommen, dass das Angebot der Beigeladenen zu 1) der
beabsichtigten
Wertung
nicht
zugänglich
war.
Denn
jedenfalls zu dem Zeitpunkt im August 2002, als die
Vergabestelle über den Zuschlag befinden wollte, lag
infolge des Schreibens der Beigeladenen zu 1) vom
25.07.2002 ein zuschlagsfähiges Angebot dieser Bieterin
gar nicht mehr vor. Auf die Frage, ob und ggf. in welchen
Grenzen
§ 25
Nr. 3
Abs. 1
VOB/A
im
Vergabenachprüfungsverfahren bieterschützenden Charakter
entfalte, ob also ein konkurrierender Bieter sich mit dem
Ziel von dessen Wertungsausschluss darauf zu berufen
vermöge, ein Mitbieter habe ein Unterangebot vorgelegt,
kommt es für die Entscheidung über die Beschwerde daher
nicht an.
2. Die Beigeladene zu 1) hat sich nämlich mit ihrem
Schreiben vom 25.07.2002 von ihrem ursprünglichen Angebot
in der Weise gelöst, dass sie im Ergebnis erklärt hat,
sich daran nach dem 30.07.2002 ohne Änderungen nicht mehr
gebunden zu fühlen. Denn sie hat zwar auf die
vorangegangene Bitte der Antragsgegnerin um Zustimmung
zur (wiederholten) Verlängerung der Zuschlags- und
Bindefrist hin einerseits die uneingeschränkte Gültigkeit
der Einheitspreise ihres Angebots vom 27.03.2002 bis zum
30.08.2002 bestätigt; andererseits hat sie im letzten
Satz des vorgenannten Schreibens, dieses zusammenfassend
und abschließend, die "uneingeschränkte Verbindlichkeit
unseres Angebots" nur "das vorstehend Genannte zugrunde
legend" erklärt, d.h. sie hat die Aufrechterhaltung des
Angebots
mit
der
Maßgabe
verknüpft,
dass
die
Antragsgegnerin ihr für zusätzliche Aufwendungen wegen
Bauzeitverzögerung
einen
Nachtrag
i.H.v.
pauschal
370 000,00 EUR netto bestätige. In diesem Verlangen liegt
eine inhaltliche Änderung des ursprünglichen Angebots,
die der Bieterin für den Zeitraum bis zum Ende der im
Augenblick der Erklärung noch laufenden Bindefrist
(30.07.2002) verwehrt war, nicht aber für die Zeit
9
danach. Die Bindung des Bieters an sein Angebot (vgl.
§ 19 Nr. 3 VOB/A) reicht über die von der Vergabestelle
zunächst bestimmte Bindefrist nur hinaus, soweit der
Bieter einer (ggf. wiederholten) zeitlichen Erstreckung
ohne Vorbehalt zugestimmt hat. Eine solche vorbehaltlose
Einwilligung über den 30.07.2002 hinaus enthält das
Schreiben der Beigeladenen zu 1) vom 25.07.2002 mit dem
daraus
ersichtlichen
Änderungsbegehren
indes
gerade
nicht.
Wird aber innerhalb einer offenen Bindefrist weder eine
Sachentscheidung über den Zuschlag getroffen noch eine im
vorgenannten Sinne einschränkungslose Zustimmung des
Bieters zu einer Fristverlängerung vorgelegt, so erlischt
das ursprüngliche - bis dahin nicht angenommene - Angebot
mit Ablauf der Bindefrist (vgl. etwa BayObLG, Beschluss
vom 15.07.2002, Verg 15/02, Umdruck S. 10 und 16 f) und
steht damit für eine spätere Annahme seitens der
Vergabestelle nicht mehr zur Verfügung. Das gilt selbst
dann, wenn der Bieter, wie auch im vorliegenden Fall,
nach Fristablauf bei anderer Gelegenheit erklärt, er
stimme - neuerlichen - Bindefristverlängerungen nunmehr
wieder ohne Vorbehalt zu oder wenn er auf den zunächst
geltend gemachten Vorbehalt verzichtet. Denn dadurch lebt
nicht etwa das untergegangene Ursprungsangebot wieder
auf; der Bieter legt damit vielmehr ein neues Angebot
vor, welches - ebenso wie das mit dem zwischenzeitlichen
Änderungsverlangen (hier vom 25.07.2002) verbundene -
schon deshalb nicht gewertet werden darf, weil es erst
nach Ablauf der Angebotsfrist vorgelegt worden ist (vgl.
§ 25 Nr. 1 Abs. 1 a VOB/A; siehe auch BayObLG aaO.,
Umdruck S. 17).
3. Der Senat setzt sich mit dieser Auffassung - entgegen dem
Vorbringen der Antragsgegnerin im Verhandlungstermin vom
08.11.2002 -
nicht
etwa
in
Widerspruch
zu
der
Entscheidung des Thüringer OLG vom 28.06.2000 (6 Verg
2/00; vgl. BauR 2000, 1611). Auch dort hatte die
Vergabestelle zwar die Zuschlags- und Bindefrist im
10
Einvernehmen mit dem das spätere Nachprüfungsverfahren
betreibenden Bieter mehrfach - zuletzt ohne Vorbehalt bis
zum 31.01.2000 - verlängert, bis der Bieter schließlich
in einem Gespräch mit der Vergabestelle am 25.01.2000
erklärte, er halte sich an sein Angebot nur in Verbindung
mit einem geltend gemachten und im Einzelnen aufgeführten
Mehraufwand i.H.v. 14 Mio. DM gebunden. In diesem
Ausgangspunkt erschöpft sich indes die Vergleichbarkeit
des beim Oberlandesgericht Jena in Rede stehenden
Sachverhalts mit dem hier zu beurteilenden. Denn dort
hatte die Vergabestelle am 31.01.2000, also dem letzten
Tag der noch ohne Einschränkung verlängerten Zuschlags-
und Bindefrist, das (unveränderte) Angebot, an welches
der Bieter bis zu eben jenem Tage ohne Rücksicht auf
seine erstmals am 25.01.2000 bekundeten Vorbehalte
gebunden war, angenommen. Diese Vorbehalte konnten wegen
der
zuvor
bestehenden
Angebotsbindung
Bedeutung
ausschließlich für die Zeit nach dem 31.01.2000 gewinnen
und hätten (nur) dann, wie im vorliegenden Fall, als
Änderungsangebot zum ursprünglichen Angebot mit Ablauf
der Bindungsfrist dessen Erlöschen herbeigeführt; den
Eintritt dieser Situation hat die beteiligte Thüringer
Vergabestelle indessen, im Gegensatz zur Antragsgegnerin,
durch - gerade noch rechtzeitige - Annahme des bis zum
31.01.2000 unverändert Geltung beanspruchenden "alten"
Angebots verhindert, so dass die dortige Bietererklärung
vom 25.01.2000 letztlich irrelevant geblieben ist.
Im vorliegenden Fall hat die Antragsgegnerin demgegenüber
bis
zum
Ende
der
letztmals
ohne
Einschränkung
verlängerten Frist (30.07.2002) überhaupt keine Erklärung
abgegeben, so dass das Angebot der Beigeladenen zu 1),
welches sie ausweislich ihres Schreibens vom 25.07.2002
mit dem ursprünglichen Inhalt über den 30.07.2002 hinaus
gerade nicht aufrechterhalten wollte, mit Ablauf dieses
Tages erlosch. Es war mithin nach dem 30.07.2002 nichts
mehr
vorhanden,
was
Gegenstand
einer
rechtmäßigen
Zuschlagserklärung der Antragsgegnerin hätte sein können.
Denn sowohl das unter dem 25.07.2002 abgegebene, um die
11
Nachtragsforderung
erweiterte
und
damit
veränderte
Angebot der Beigeladenen zu 1), das Wirkung nur für die
Zeit ab 31.07.2002 entfalten konnte, als auch die noch
danach
bekundeten
weiteren
Einwilligungen
der
Beigeladenen zu 1) in neuerliche Verlängerungen der
Zuschlags- und Bindefrist, die wohl wieder auf das
ursprüngliche Angebot Bezug nahmen, liegen zeitlich nach
dem Submissionstermin und sind schon deshalb, soweit mit
ihnen erneute Angebotserklärungen verbunden waren, gem.
§ 25 Nr. 1 Abs. 1 a VOB/A von einer Wertung zwingend
ausgeschlossen.
4. Dem Untergang des "ersten" Angebots der Beigeladenen zu
1) lässt sich nicht etwa entgegenhalten, diese habe mit
dem Schreiben vom 25.07.2002 nur etwas verlangt, was auch
Gegenstand einer späteren Nachtragsforderung hätte sein
können, und sich damit von ihrem zunächst eingereichten
Angebot gerade nicht losgesagt. Denn diese von der
Antragsgegnerin vorgebrachte Schlussfolgerung hätte nur
nahe gelegen, wenn sich das vorgenannte Schreiben
tatsächlich
auf
einen
Risikohinweis
des
Inhalts
beschränkt hätte, dass die (wiederholte) Verzögerung des
Vorhabens die Gefahr einer späteren Vergütungsanpassung
zu Lasten des Auftraggebers nach Maßgabe von § 2 VOB/B
erhöhe; damit hätte der Bieter nämlich nur auf eine mit
Zuschlagserteilung auf sein Ursprungsangebot ohnehin zu
gewärtigende
Rechtsfolge
aufmerksam
gemacht.
Die
Erklärung der Beigeladenen zu 1) erschöpft sich darin
aber
gerade
nicht,
sondern
will
die
pauschale
Nachtragsforderung zum Gegenstand des mit dem Zuschlag
herbeizuführenden Vertragsschlusses selbst machen, sie
also gerade nicht auf der Basis eines zuvor mit dem
Inhalt des zunächst eingereichten Angebots zustande
gekommenen Vertrags dem Anpassungsverfahren nach § 2
VOB/B unterziehen. Dieses von der Antragsgegnerin daher
auch mit Recht zurückgewiesene Ansinnen schließt es aus,
zugleich anzunehmen, die Beigeladene zu 1) habe sich
gleichwohl an ihrem Ausgangsangebot festhalten lassen
wollen.
12
5. Die
Vergabestelle
war
auch
nicht
gehindert,
den
Ausschluss der Beigeladenen zu 1) auf den vorstehend
erörterten Vergabeverstoß zu stützen und im Anschluss
daran der Antragsgegnerin die Vergabe des Auftrags an die
Antragstellerin aufzugeben.
a) Zwar hatte letztere ihr Nachprüfungsbegehren nicht mit
diesem
Verstoß
begründet;
gleichwohl
hat
die
Vergabekammer ihn unter Berufung auf die ihr nach § 114
Abs. 1 S. 2 GWB zustehenden Kompetenzen verwertet. Das
hält der Senat im Ergebnis für richtig.
Zwar wird man der Befugnis der Vergabekammer, das
Vergabeverfahren über die gestellten Anträge (und die
gerügten
Vergabeverstöße)
hinaus
einer
allgemeinen
Rechtmäßigkeitskontrolle zu unterziehen, im Hinblick auf
die in § 107 Abs. 2 und 3 GBW getroffenen Regelungen
Grenzen ziehen müssen, die indes im vorliegenden Fall
nicht überschritten sind. Denn ungeachtet der Tatsache,
dass
§ 114
Abs. 1
S. 2
GWB
der
Vergabekammer
grundsätzlich die Möglichkeit eröffnet, ihre Entscheidung
auch auf Vergabeverstöße zu stützen, auf die der
Antragsteller sich nicht ausdrücklich berufen hatte,
unterliegt
dies
aus
Sicht
des
Senats
zwei
Einschränkungen:
Zum einen darf es sich nicht um Verstöße handeln, mit
denen der Antragsteller präkludiert wäre, weil er sie
trotz Kenntnis oder Kennenmüssens nach Maßgabe von § 107
Abs. 3
GWB
nicht
rechtzeitig
gerügt
hat.
Die
Rügeobliegenheit liefe leer, wenn die Vergabekammer
zugunsten
des
Antragstellers
Rechtsverletzungen
aufgriffe, die dieser selbst "sehenden Auges" (i.S.d.
vorgenannten Vorschrift) zugelassen und gerade nicht zum
Anlass einer Beanstandung genommen hat. Eine solche
Konstellation liegt hier jedoch nicht vor, weil weder von
einem der Verfahrensbeteiligten vorgetragen noch sonst
ersichtlich ist, dass der Antragstellerin das Schreiben
13
der Beigeladenen zu 1) vom 25.07.2002 überhaupt bekannt
war, bevor der angefochtene Beschluss auf dessen Inhalt
und die daraus folgende Problematik aufmerksam gemacht
hat.
Zum anderen muss der "von Amts wegen" herangezogene
Verstoß subjektive Rechte des Antragstellers verletzen;
eine
allgemeine
Rechtmäßigkeitskontrolle
durch
die
Vergabekammer jenseits möglicher Rechtsverletzungen zum
Nachteil gerade des Antragstellers wäre mit dem Charakter
des auf den Schutz subjektiver Rechte ausgerichteten
Nachprüfungsverfahrens nicht vereinbar (vgl. schon den
Senatsbeschluss
vom
29.05.2001,
Vergaberecht
2001,
S. 311).
Die
Einbeziehung
nicht
wertungsfähiger
Konkurrenzangebote in eine Vergabeentscheidung ist aber
stets geeignet, subjektive Bieterrechte zu verletzen,
sofern das Nachprüfungsverfahren, wie hier, überhaupt
zulässig betrieben wird.
b) Dem letztgenannten Gesichtspunkt steht insbesondere nicht
entgegen, dass die Antragstellerin nach dem Ergebnis der
Submission nur drittplatzierte Bieterin war; denn dies
führt hier nicht etwa dazu, dass der zu vergebende
Auftrag nach dem Ausscheiden der Beigeladenen zu 1) statt
an die Antragstellerin an die Beigeladene zu 2) zu
erteilen
wäre.
Letztere
hat
nämlich,
wie
die
Vergabekammer bereits zuvor im Verfahren 1/SVK/082-02 auf
deren eigenen Nachprüfungsantrag hin festgestellt und der
Senat im Parallelverfahren WVerg 18/02 bestätigt hat,
selbst kein berücksichtigungsfähiges Angebot abgegeben.
Bei
dieser
Sachlage
spricht
alles
dafür,
diese
bestandskräftige
Entscheidung
zum
Nachteil
der
Beigeladenen zu 2) im Rahmen des vorliegenden Verfahrens
ungeachtet
der
Frage
zu
berücksichtigen,
ob
die
Antragstellerin den insoweit das Ergebnis tragenden
Vergabeverstoß ihrerseits gegenüber der Vergabestelle
rechtzeitig
gerügt
hatte.
Der
Gesichtspunkt
des
subjektiven Rechtsschutzes im Vergabenachprüfungsrecht
14
würde überspannt, wenn man ein zulässiges Vorgehen der
Antragstellerin
gegen
die
Beigeladene
zu 1)
davon
abhängig machen würde, dass die zunächst mit ihrem
Angebot besser platzierte Beigeladene zu 2) aufgrund
einer
dagegen
gerichteten
Beanstandung
gerade
der
Antragstellerin - und nicht aus sonstigen, anderweit
festgestellten Gründen - aus der Wertung ausscheidet.
Die gegenteilige Auffassung insbesondere der Beigeladenen
zu 2),
die
der
Antragstellerin
wegen
vermeintlich
fehlender eigener (rechtzeitiger) Rüge die Berufung auf
den
für
die
Entscheidung
im
Parallelverfahren
herangezogenen Vergabeverstoß verwehren will und darauf
gestützt zu dem Schluss gelangt, der Auftrag müsse ihr
(der Beigeladenen zu 2) erteilt werden, ist zudem in sich
brüchig. Denn wenn ihre Prämisse stimmte, hätte die
Antragstellerin das Verfahren gegen die Beigeladene zu 1)
von vornherein ohne Chance auf eine Auftragserteilung
geführt, weil sie selbst bei erfolgreich erstrittenem
Wertungsausschluss
der
Beigeladenen
zu 1)
in
der
Bieterreihenfolge nicht an der Beigeladenen zu 2) hätte
vorbeiziehen können. Dann aber wäre konsequenterweise
schon die Antragsbefugnis der Antragstellerin für dieses
Verfahren zu verneinen gewesen, so dass nicht die
Beigeladene zu 2) von der zu ihren Gunsten reklamierten
Rügepräklusion profitiert hätte, sondern die Beigeladene
zu 1), weil das Nachprüfungsbegehren der Antragstellerin
im Ansatz unzulässig gewesen wäre. Nur so hätten sich
auch
Wertungswidersprüche
zum
Ergebnis
des
Parallelverfahrens vermeiden lassen. Warum aber die
Beigeladene zu 1), deren Nichtberücksichtigung objektiv
geboten ist, einen Vorteil davon haben soll, dass die
Antragstellerin einen anderweitig festgestellten und die
Wertung
des
davon
betroffenen
Angebots
mit
dem
vorgelegten Inhalt ausschließenden Vergabeverstoß der
Beigeladenen zu 2) nicht selbst rechtzeitig gerügt habe,
vermag der Senat nicht zu erkennen; § 107 Abs. 2 GWB
setzt nur voraus, dass der das Nachprüfungsverfahren
betreibende
Bieter
ein
in
der
angesprochenen
15
Vergabesituation
konkret
zuschlagsfähiges
Angebot
abgegeben hat (oder hieran gerade durch den beanstandeten
Verstoß
gehindert
war),
nicht
aber,
dass
diese
Zuschlagschance in jedem Fall und gegenüber jedwedem
konkurrierenden Mitbieter auf eigenen Rügeaktivitäten
beruht.
c) Ungeachtet dieser Ungereimtheiten und Widersprüche geht
der
Senat
überdies
in
Übereinstimmung
mit
der
Vergabekammer davon aus, dass die Antragstellerin mit
ihrem Schreiben vom 16.05.2002 auch das Angebot der
Beigeladenen zu 2) in der Frage des Pauschalnachlasses
rechtzeitig gerügt hat. Dabei hat die Antragstellerin
ausdrücklich eingeräumt, den Nachlass selbst schon
infolge der Verlesung der Angebote im Submissionstermin
vom 27.03.2002 gekannt zu haben. Man mag auch mit der
Antragsgegnerin annehmen, dass die Antragstellerin aus
dem ersten Informationsschreiben nach § 13 VgV vom
22.04.2002 und der daraus ersichtlichen Mitteilung, es
solle das Hauptangebot der Beigeladenen zu 2) gewertet
werden, den Schluss hätte ziehen können, dass damit auch
der
Nachlass
in
die
seinerzeit
beabsichtigte
Wertungsentscheidung eingeflossen war. Das bedeutet indes
nicht ohne Weiteres, dass die Antragstellerin damit auch
positive Kenntnis von einem Vergabeverstoß hatte, wie
§ 107 Abs. 3 S. 1 GWB sie für die hier einschlägige
Fallvariante voraussetzt.
Denn dazu wäre über die Kenntnis der vorbezeichneten
Tatsachen
hinaus
erforderlich
gewesen,
dass
die
Antragstellerin hieraus zumindest in laienhafter Wertung
abgeleitet hätte, dass die Berücksichtigung dieses von
der
Beigeladenen
zu 2)
angebotenen
Nachlasses
vergaberechtlich nicht in Ordnung war. Das hat die
Antragstellerin jedoch gerade in Abrede gestellt, und das
Gegenteil liegt auch nicht so nahe, dass der Senat davon
ausgehen
könnte,
die
Antragstellerin
habe
sich
entsprechenden Schlussfolgerungen böswillig verschlossen.
Letzteres gilt um so mehr, als die Beigeladene zu 2) und
16
die Antragsgegnerin stets betont haben, die - je nach
Inhalt
der
Verdingungsunterlagen
rechtswidrige -
Berücksichtigung von Pauschalnachlässen wie dem hier in
Rede stehenden habe in der Vergangenheit ständiger
Verwaltungspraxis der Antragsgegnerin entsprochen, wovon
auch die Antragstellerin Kenntnis gehabt habe; dann aber
musste sich das Vorliegen eines Vergabeverstoßes in
diesem Zusammenhang der Antragstellerin genauso wenig
aufdrängen wie den übrigen Verfahrensbeteiligten, von
denen die Antragsgegnerin ihre Vorgehensweise bis in das
Vergabebeschwerdeverfahren
hinein
als
ordnungsgemäß
verteidigt hat.
Vor diesem Hintergrund ist der Antragstellerin ihre
Einlassung, sie habe die vergaberechtliche Relevanz des
Pauschalnachlasses erst im Zuge anwaltlicher Beratung
etwa eine Woche vor dem Rügeschreiben vom 16.05.2002
erkannt, nicht zu widerlegen. Der dann bis zur Erhebung
der
Rüge
eingetretene
Zeitablauf
wahrt
unter
Berücksichtigung der Gesamtumstände des Falles die Frist
des § 107 Abs. 3 GWB.
d) Steht mithin fest, dass sowohl die Beigeladene zu 1) als
auch die Beigeladene zu 2) keine wertungsfähigen Angebote
vorgelegt haben, bleibt im jetzigen Verfahrensstadium nur
die Erteilung des Zuschlags an die Antragstellerin als
nunmehr
preislich
erstplatzierte
Bieterin;
der
angefochtene Beschluss spricht dies daher mit Recht aus.
Demgegenüber kann die Vergabestelle nicht (mehr) damit
gehört werden, sie habe noch keine abschließende
Eignungsprüfung der Antragstellerin durchgeführt. Die
Antragsgegnerin hat den Wertungsprozess einschließlich
des
abschließenden
Preisvergleichs
vollständig
durchgeführt und mit dem Ergebnis beendet, dass die
Antragstellerin
auf
dem
dritten
Platz
der
Bieterreihenfolge liege; daran muss die Vergabestelle
sich festhalten lassen. Es mag sein, dass die gebotene
Trennung der einzelnen Wertungsstufen nach § 25 VOB/A
17
nicht zwangsläufig zur Folge haben muss, dass ein auf
einer vorangegangenen Stufe erzieltes Ergebnis nach dem
Eintritt in die nächste Wertungsstufe auch dann stets
unkorrigierbar feststeht, wenn sich nachträglich, aus
welchen Gründen auch immer, seine Fehlerhaftigkeit
herausstellt.
Das
bedeutet
aber
nicht,
dass
ein
Auftraggeber, der das Endresultat seiner Wertung bis zur
Entscheidungsreife des Vergabebeschwerdeverfahrens zu
keinem Zeitpunkt in Frage gestellt hat, sich nunmehr
pauschal darauf berufen könnte, es fehle im Gegensatz zu
diesem
Wertungsergebnis
bezüglich
eines
bestimmten
Bieters
auf
vorangegangenen
Wertungsstufen
an
zureichenden Prüfungen überhaupt. Der Beigeladenen zu 2),
die
selbst
kein
berücksichtigungsfähiges
Angebot
abgegeben hat, sind derartige Erwägungen (etwa zu einem
überhöhten
Nachunternehmeranteil
an
den
von
der
Antragstellerin angebotenen Leistungen) daher erst recht
verschlossen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden
Anwendung von § 97 Abs. 1 ZPO und (hinsichtlich der
außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1) § 162
Abs. 3 VWGO. Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren
ist gem. § 12 a Abs. 2 GKG festgesetzt.
Bastius Piel Wetzel