Urteil des OLG Dresden vom 03.12.2003
OLG Dresden: Beschluss vom 03.12.2003, ausschreibung, treu und glauben, venire contra factum proprium, ausübung der option, verwertung, konkretisierung, rüge, produktion, anteil
Oberlandesgericht Dresden
Az.: WVerg 15/03
Beschluss vom 03.12.2003
Leitsätze:
1. Ungeachtet der darin eröffneten Spielräume zur Konkreti-
sierung des Auftragsinhalts erlaubt es ein Verhandlungs-
verfahren nach VOL/A nicht, im Ergebnis der mit dem Bie-
ter geführten Gespräche andere Leistungen zu beschaffen
als mit der Ausschreibung angekündigt; die Identität des
Beschaffungsvorhabens, so wie es die Vergabestelle zum
Gegenstand der Ausschreibung gemacht hat, muss gewahrt
bleiben.
2. Von einem einheitlich ausgeschriebenen Auftrag können
auch im Rahmen eines Verhandlungsverfahrens nicht nach
Ablauf der Angebotsfrist Teile der zu erbringenden Leis-
tung dergestalt abgespalten werden, dass ihre Verwirkli-
chung nach Auftragserteilung zusätzlich von der Ausübung
einer an keine inhaltlichen Voraussetzungen gebundenen
einseitigen Option des Auftraggebers abhängt; das gilt
jedenfalls dann, wenn der verbleibende "Festauftrag" ge-
genüber dem ursprünglichen Ausschreibungsinhalt ein ge-
genständlich anderes Vorhaben ("aliud") darstellt.
2
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Oberlandesgericht
³ ³
Dresden
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Aktenzeichen: WVerg 0015/03 Verkündet am 03.12.2003
1 SVK 096-03 II Die Urkundsbeamtin
Regierungspräsidium Leipzig
Reinhardt
Justizobersekretärin
Beschluss
des Vergabesenats
In dem Vergabenachprüfungsverfahren
Antragstellerin und Beschwerdeführerin
Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte
gegen
Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin
Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte
weitere Beteiligte:
- Beigeladene -
Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt
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hat der Vergabesenat des Oberlandesgerichts Dresden aufgrund
der mündlichen Verhandlung vom 03.12.2003 durch
Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Bastius,
Richter am Oberlandesgericht Piel und
Richterin am Landgericht Wetzel
beschlossen:
1. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin vom
30.10.2003 wird der Beschluss der 1. Vergabekammer des
Freistaates Sachsen vom 15.10.2003, 1 SVK 96/03, abgeän-
dert. Der Antragsgegnerin wird untersagt, im Rahmen des
unter der Bezeichnung "2001/S226-155886, Dienstleistungen
in der Abfallentsorgung" unter dem 23.11.2001 europaweit
bekannt gemachten Vergabeverfahrens zur Errichtung einer
nichtthermischen
Restabfallentsorgungsanlage
und
zur
Erbringung von Entsorgungsdienstleistungen mit Hilfe die-
ser Anlage den Auftrag auf ein Angebot der Beigeladenen zu
erteilen, das in einem Bauabschnitt 1 nur die Errichtung
einer mechanischen Restabfallbehandlungsanlage vorsieht
und deren Vervollständigung zu einer vollständigen MBS-
Anlage einer Option der Antragsgegnerin vorbehält.
2. Die Kosten des Nachprüfungsverfahrens in beiden Rechtszü-
gen einschließlich des Verfahrens nach § 118 GWB trägt die
Antragsgegnerin mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten
der Beigeladenen, die diese selbst trägt. Die Hinzuziehung
eines anwaltlichen Bevollmächtigten durch die Antragstel-
lerin im Verfahren vor der Vergabekammer war notwendig.
3. Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf bis
zu 4,5 Mio. EUR festgesetzt.
G r ü n d e :
I.
Die Antragsgegnerin schrieb im November 2001 in einem Ver-
handlungsverfahren nach VOL/A "Dienstleistungen in der Ab-
fallentsorgung" aus. Gegenstand des Auftrags sollte ausweis-
lich
des
Ausschreibungswortlauts
"die
Errichtung
einer
(nicht-thermischen)
Restabfallentsorgungsanlage
und
die
Erbringung von Entsorgungsdienstleistungen mit Hilfe dieser
Anlage" sein. Der Betrieb der schlüsselfertigen Anlage war
zunächst auf eine Dauer von 15 Jahren angelegt und sollte von
einer noch zu gründenden Betriebsführungsgesellschaft gewähr-
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leistet werden, an welcher der Auftragnehmer sich beteiligen
sollte; in diesem Zusammenhang sollte er auch bestimmte Ga-
rantien für die Wirtschaftlichkeit des Anlagenbetriebs und
die Verwertung bzw. Beseitigung der in der Anlage erzeugten
Produkte und verbleibenden Abfälle übernehmen.
Die den Interessenten nach einem Teilnahmewettbewerb im April
2002 zur Verfügung gestellten Verdingungsunterlagen bezeich-
neten die zur Vergabe anstehenden "Hauptleistungen" u. a. wie
folgt:
"Planung, Genehmigung, Lieferung, Montage (Bau), Inbe-
triebnahme u.s.w. einer nicht-thermischen Restabfallbe-
handlungsanlage mit nachfolgender weitestgehender Verwer-
tung am vorhandenen, vorgegebenen Standort " (vgl.
Unterlagen Ordner 7, Teil A, Grundlagen der Ausschreibung,
S. 3 und 5).
Dem schlossen sich weitere, mit "Ausschreibungsgegenstand (Ü-
berblick)" überschriebene Erläuterungen an, denen zufolge
"die im Rahmen der Anlagenlieferung und -errichtung angefrag-
te
eigentliche
Restabfallbehandlung...als
ein
nicht-
thermisches Verfahren mit weitestgehender Verwertung der Ab-
fälle bzw. erzeugten Produkte (Beseitigungsanteil kleiner
20 %) auszuführen" sei (aaO. S. 6). Wörtlich wird sodann dar-
auf hingewiesen, dieses beinhalte "aus Sicht des Auftragge-
bers ausdrücklich die folgenden Anlagen/Verfahren:
- mechanisch-biologische Stabilisierung (MBS) der Restabfälle
mit nachfolgender Beseitigung/Verwertung der erzeugten Pro-
dukte und Reststoffe,
- mechanisch-biologische Behandlung (MBA) der Restabfälle mit
nachfolgender Beseitigung/Verwertung der erzeugten Produkte
und Reststoffe,
- mechanisch-thermische Behandlung (MTA) der Restabfälle mit
nachfolgender Beseitigung/Verwertung der erzeugten Produkte
und Reststoffe sowie
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- gleichwertige Verfahren.
...Die geforderten Eigenschaften und Anforderungen sind vom
Auftragnehmer zwingend einzuhalten."
Für eine weitergehende Konkretisierung dieser Anforderungen
wird auf "Teil C, Funktionale Leistungsbeschreibung, dieser
Verdingungsunterlagen" verwiesen. Dort finden sich (S. 36 f)
ergänzende Ausführungen zur Konzeption der Restabfallbehand-
lung, die wiederum als "in Frage kommende Behandlungskonzep-
te" die vorgenannten Verfahren der mechanisch-biologischen
Stabilisierung, der mechanisch-biologischen Behandlung und
der mechanisch-thermischen Behandlung sowie vergleichbare
Verfahren aufführen. Als "Anforderungen des Auftraggebers an
das angebotene Verfahren" werden u. a. angegeben
"- die Produktion eines möglichst hohen Anteils an Ersatz-
brennstoffen,
- die Produktion eines möglichst hohen Anteils an sonstigen
verwertbaren Stoffen wie Fe-/Ne-Metalle, Inertstoffe o.ä.,
- die Produktion eines möglichst geringen Anteils an zu ent-
sorgenden Stoffen wie Störstoffe, Schwerstoffe, ablagerfähige
Stoffe, Feinstoffe usw."
Der Auftraggeber legte in diesem Zusammenhang (aaO. S. 37 o-
ben) erneut ausdrücklich Wert darauf, dass "die Summe der zu
beseitigenden
Produkte
aus
der
Restabfallbehand-
lung...möglichst minimiert werden" (solle). "Der Anteil soll
möglichst nicht mehr als 20 %, bezogen auf den Anlageninput,
übersteigen." Als zu entsorgende Produkte werden alle Stoff-
fraktionen gewertet, die "entsprechend der AbfAblV auf Depo-
nien abzulagern sind" (oder) "in einer thermischen Restab-
fallbehandlung (MVA) beseitigt werden" (aaO. S. 37).
Hierauf aufbauend wird dem Auftragnehmer im Rahmen des nach-
folgend beschriebenen sog. Leistungsbereichs III (Betriebs-
führung der Restabfallbehandlungsanlage) ausdrücklich aufge-
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geben (aaO. S. 50), innerhalb der künftigen Betriebsführungs-
gesellschaft eigenverantwortlich die gesamte Betriebsführung
der Restabfallbehandlungsanlage zu übernehmen und dabei ins-
besondere zu gewährleisten, "alle aus den Abfällen erzeugten
Produkte (Wertstoffe/Reststoffe) in der angebotenen Qualität
und Menge zu produzieren, wobei der Anteil an zu entsorgenden
Abfällen (thermische Behandlung und Deponierung) möglichst
nicht mehr als 20 % des Anlageninputs betragen sollte".
Zum Ablauf der Angebotsfrist gaben die Antragstellerin (da-
mals noch als GmbH firmierend) und die
Beigeladene Angebote ab; das Hauptangebot der Antragstellerin
war auf die Errichtung einer mechanisch-thermischen Restab-
fallbehandlungsanlage
zu
Investitionskosten
von
rund
22,6 Mio. EUR gerichtet, während die von der Beigeladenen an-
gebotene Anlage ein Verfahren der mechanisch-biologischen
Stabilisierung
vorsah
und
Investitionskosten
von
etwa
29,3 Mio. EUR verursacht hätte. Bei den Gesamtbehandlungskos-
ten (Kapitalkosten auf 15 Jahre, Betriebskosten der errichte-
ten Anlage sowie Kosten bzw. Erlöse aus der Entsorgung, d. h.
der Verwertung oder Beseitigung der "Endprodukte" der Anlage)
pro "Mülleinheit" bei einem durch die Ausschreibung vorgege-
benen Nominaldurchsatz der Anlage von 65000 Mg/a war das An-
gebot der Beigeladenen rechnerisch günstiger als das Hauptan-
gebot der Antragstellerin; beide lagen indes deutlich über
dem in den Verdingungsunterlagen als Orientierungsgröße sei-
tens des Auftraggebers angegebenen Betrag von 87,58 EUR/Mg.
In der Folgezeit fanden mit beiden Bietern Verhandlungen
statt, bei denen die Beigeladene im November 2002 eine sog.
"Ausführungsvariante zum Hauptangebot" präsentierte, wonach
die Restabfälle der Antragsgegnerin "am Standort vorbehandelt
werden und eine separierte, der biologischen Behandlung zu-
gängliche Teilfraktion einer nachfolgenden biologischen Be-
handlung in der MBS zugeführt werden soll" (Verhand-
lungsprotokoll vom 01.11.2002, S. 5). Aus der nach entspre-
chender Aufforderung seitens der Antragsgegnerin durch die
Beigeladene hierzu vorgelegten Konkretisierung (Schreiben vom
12.11.2002) ergibt sich, dass das Vorhaben lt. Angebot in
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zwei Bauabschnitte aufgeteilt werden sollte, deren erster ei-
ne mechanische Aufbereitung der angelieferten Abfälle zum In-
halt haben sollte. Erst mit der Errichtung des zweiten Bauab-
schnitts (mit der biologischen Behandlungsstufe) würde nach
der eigenen Einschätzung der Beigeladenen (Schreiben vom
12.11.2002, Seite 2 unten) eine "vollständige MBS-Anlage ver-
gleichbar mit dem bisherigen Hauptangebot" entstehen. Nach
der Konzeption der Beigeladenen wäre die Beauftragung des
zweiten Bauabschnitts für die Auftraggeberseite erst dann
wirtschaftlich,
"wenn
die
Kosten
für
die
Verwer-
tung/Beseitigung des Anlagenoutputs durch den Auftragnehmer
deutlich reduziert werden können" (offenbar unter die bis da-
hin in Rede stehenden Kalkulationen). Der Betrieb einer auf
Bauabschnitt I beschränkten Anlage wäre nach den Berechnungen
der Beigeladenen für die Antragsgegnerin wirtschaftlich mög-
lich und hätte - bei einem Anlagendurchsatz von 65000 Mg/a -
als Ergebnis der mechanischen Aufbereitung u.a. das Entstehen
einer "Schwerfraktion" von rund 43500 Mg/a, d. h. einen An-
teil am Anlagenoutput von etwa 67 % zur Folge, der zur
Weiterbehandlung auf einer Anlage in vorgesehen war.
Bauabschnitt I war dabei mit Investitionskosten von ca.
6,2 Mio. EUR veranschlagt, was bei den kalkulierten Gesamtbe-
handlungskosten pro Mg einerseits zu einer Absenkung des dar-
in enthaltenen Kapitalkostenanteils und des Betriebskostenan-
teils, auf der anderen Seite aber zu einer (per Saldo gerin-
geren) Erhöhung der Kalkulationsposition "Entsorgungskosten
und -erlöse" führen würde.
Die folgenden Verhandlungen der Antragsgegnerin mit der Bei-
geladenen konzentrierten sich schließlich auf das vorstehend
umschriebene "modifizierte Hauptangebot"; mit der Antragstel-
lerin wurden die Gespräche nach Februar 2003 nicht weiterge-
führt, nachdem diese Nachfragen der Auftraggeberseite zu
preislichen Reduzierungen ihrer Offerte abschlägig beantwor-
tet hatte. Mit Schreiben vom 01.07.2003 teilte die Antrags-
gegnerin der Antragstellerin gem. § 13 VgV mit, sie beabsich-
tige den Auftrag an die Beigeladene zu vergeben; das zu die-
sem Zeitpunkt erzielte Verhandlungsergebnis mit der Beigela-
denen sah vor, den Bauabschnitt I "fest" zu beauftragen und
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der Antragsgegnerin für Bauabschnitt II eine bis zum
31.12.2003 befristete, inhaltlich an keine weiteren Voraus-
setzungen gebundene Option für eine Auftragsvergabe an die
Beigeladene einzuräumen.
Mit Schreiben vom 03.07.2003 beanstandete die Antragstellerin
(zur Zurechnung des Rügeschreibens an diese vgl. den Senats-
beschluss vom 11.09.2003, WVerg 7/03) u. a., mit dem in Aus-
sicht genommenen Zuschlag solle an die Beigeladene nicht der
ausgeschriebene Auftrag, sondern - in Gestalt einer veränder-
ten Konfiguration der zu errichtenden Entsorgungsanlage - ein
davon abweichendes Projekt vergeben werden. Das auf diese Rü-
ge in der Folgezeit gestützte Nachprüfungsbegehren hat der
Senat mit dem vorgenannten Beschluss als zulässig erachtet
und das Verfahren an die Vergabekammer (die den Antrag zuvor
als unzulässig verworfen hatte) zur Entscheidung über die
sachliche Berechtigung der Beanstandung zurückverwiesen.
Die Vergabekammer hat das Nachprüfungsbegehren nach erneuter
mündlicher Verhandlung als unbegründet angesehen und sich zur
Begründung darauf berufen, dass das Angebot der Beigeladenen
gem. § 24 Nr. 2 Abs. 2 VOL/A in zulässiger Weise nachverhan-
delt worden sei. Die Beteiligten hätten insbesondere den
Leistungsumfang nicht nachträglich eingeschränkt; da der Auf-
traggeber eine biologische Behandlung des Restabfalls mit der
Ausschreibung nicht zwingend vorgeschrieben habe, sei die
Beigeladene nicht gehindert gewesen, den Leistungsumfang im
ersten Bauabschnitt auf die Errichtung einer mechanischen
Restabfallbehandlungsanlage zu begrenzen. Da auch mit dieser
Anlage einschließlich der im Rahmen des Vergabeverfahrens zum
Abschluss vorgesehenen sonstigen Verträge zur Weiterbehand-
lung, Beseitigung und Verwertung des Restabfalls und der dar-
aus gewonnenen Produkte die Entsorgungssicherheit für den
Auftraggeber insgesamt gewährleistet sei, mithin das Gesamt-
leistungspaket den mit der Ausschreibung angestrebten Erfolg
sicherstelle, komme es auf die Ausübung des Optionsrechts zur
Beauftragung des zweiten Bauabschnitts nicht einmal an, um
die gebotene Identität zwischen Ausschreibungsgegenstand und
Auftragsinhalt einzuhalten; der Reduzierung der Investitions-
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kosten komme bei dieser Gesamtbetrachtung keine eigenständige
Bedeutung zu.
Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte
sofortige Beschwerde der (infolge einer gesellschaftsrechtli-
chen Verschmelzung inzwischen als GmbH fir-
mierenden) Antragstellerin, mit der sie ihren Nachprüfungsan-
trag weiterverfolgt. Sie hält dabei - neben anderen Beanstan-
dungen - die Rüge aufrecht, ein Zuschlag auf das endverhan-
delte "modifizierte Hauptangebot" der Beigeladenen werde vom
Inhalt der Ausschreibung nicht mehr gedeckt, weil damit im
Ergebnis eine andere Anlage in Auftrag gegeben werde.
Die Antragsgegnerin verteidigt demgegenüber den angefochtenen
Beschluss. Sie hält das Nachprüfungsbegehren bereits für un-
zulässig, weil die Antragstellerin auch dann keine Zuschlags-
chance habe, wenn das "modifizierte Hauptangebot" der Beige-
ladenen nicht gewertet werden dürfte; denn die Antragstelle-
rin sei auch gegenüber dem ursprünglichen Hauptangebot der
Beigeladenen wirtschaftlich nicht konkurrenzfähig, da es für
die Wertung insoweit nicht allein auf die Investitionskosten,
sondern auf die Gesamtbehandlungskosten des Restabfalls im
veranschlagten 15-Jahres-Betrieb der fertigen Anlage ankomme.
Jedenfalls sei der Nachprüfungsantrag infolgedessen aber un-
begründet. Als Folge des "modifizierten Hauptangebots" ergebe
sich nämlich, solange Bauabschnitt II nicht verwirklicht sei,
innerhalb des angebotenen Gesamtleistungspakets zur Sicher-
stellung der Restabfallentsorgung nur eine Verschiebung kal-
kulatorischer Kostenanteile mit einer Absenkung der Kapital-
und Betriebskosten und einer Erhöhung der sonstigen Entsor-
gungskosten. Daher liege eine Identitätsabweichung zwischen
dem Inhalt des beabsichtigten Auftrags und dem der Ausschrei-
bung selbst dann nicht vor, wenn die Antragsgegnerin von ih-
rer Option für Abschnitt II keinen Gebrauch mache; davon ab-
gesehen berühre die vorgesehene Aufspaltung des Auftrags über
die gesamte MBS-Anlage in einen festen Teil (Bauabschnitt I)
und einen optionsweise ausgestalteten Teil (Bauabschnitt II),
hinsichtlich dessen der Auftragnehmer aber gebunden sei,
nicht in vergaberechtsrelevanter Weise den Auftragsgegens-
10
tand. Schließlich verhalte sich die Antragstellerin mit die-
ser Beanstandung auch treuwidrig; denn sie habe - was im An-
satz zutrifft - ein ebenfalls auf eine mechanische Restab-
fallaufbereitung beschränktes und hinsichtlich der dabei in
die Anlage einzubringenden Abfallstoffströme sogar hinter dem
Schlussangebot der Beigeladenen noch zurückbleibendes Neben-
angebot 1 abgegeben, dessen Einbeziehung in die Verhandlungen
mit der Antragsgegnerin sie mit einem Rügeschreiben vom
16.10.2002 mit Erfolg durchgesetzt habe (vgl. hierzu Senats-
beschluss vom 11.09.2002, WVerg 7/03). Die Antragstellerin
könne aber ohne Verstoß gegen Treu und Glauben nicht für sich
Verhandlungen über eine gegenüber der Ausschreibung ggf. ver-
änderte Anlagenkonfiguration einfordern und dann beanstanden,
dass die Antragsgegnerin gleichartige Gespräche auch mit der
Beigeladenen führe und dort zu einem wirtschaftlich akzeptab-
len Ergebnis gelange.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands
wird auf die Sachverhaltsdarstellung des angefochtenen Be-
schlusses samt der dort in Bezug genommenen Unterlagen der
Vergabestelle sowie auf den Inhalt der im bisherigen Nachprü-
fungsverfahren gewechselten Schriftsätze der Verfahrensbetei-
ligten verwiesen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
Denn das Nachprüfungsbegehren der Antragstellerin ist im Er-
gebnis gerechtfertigt, weil der beabsichtigte Zuschlag auch
unter Berücksichtigung der in einem Verhandlungsverfahren
ggf. eröffneten Spielräume bei der Konkretisierung des Auf-
tragsinhalts von der hier zugrunde liegenden Ausschreibung
nicht mehr gedeckt ist; eine Erteilung des nunmehr in Rede
stehenden Auftrags, der seinem Inhalt nach unstreitig eben-
falls der Ausschreibungspflicht unterläge, wäre mithin verga-
berechtlich unzulässig. Hierauf kann sich die Antragstellerin
auch berufen.
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1. Der Senat teilt insbesondere nicht die Ansicht der An-
tragsgegnerin, der Antragstellerin fehle für die Rüge, es
solle nicht der ausgeschriebene, sondern letztlich ein an-
derer Auftrag vergeben werden, bereits das Rechtsschutzbe-
dürfnis (§ 107 Abs. 2 GWB), weil sie selbst kein für einen
Zuschlag in Betracht kommendes Angebot abgegeben habe. Das
gilt unabhängig von der Erwägung, ob der Senat hierzu
nicht bereits mit seinem Beschluss vom 11.09.2003 (dort
Umdruck Seite 14) im Sinne der Antragstellerin bestands-
kräftig Stellung genommen hat; denn der Senat sieht unge-
achtet einer möglichen Bindungswirkung auch keine Veran-
lassung, von seiner damaligen Auffassung abzuweichen.
Ausweislich der Beanstandung der Antragstellerin beabsich-
tigt die Antragsgegnerin, der Beigeladenen einen Auftrag
zu erteilen, der seinem Inhalt nach mit dem Gegenstand der
Ausschreibung nicht übereinstimmt, also ein "Aliud" zu
verwirklichen. Dies als zutreffend unterstellt, rügt die
Antragstellerin damit im Ergebnis eine rechtswidrige "de-
facto-Vergabe" dieses "anderen Vorhabens", das hätte aus-
geschrieben werden müssen, aber nicht ausgeschrieben war.
Zur Klärung dieser Frage steht unbeschadet des grundsätz-
lichen Streits darüber, ob das Vorliegen eines den Rechts-
weg der §§ 107 ff. GWB eröffnenden konkreten Vergabever-
fahrens nach förmlichen oder nach materiellen Kriterien zu
beurteilen ist (vgl. etwa Reidt/Stickler/Glahs, Vergabe-
recht, 2. Aufl. 2003, § 107 GWB Rn. 13 a m.w.N.), das Ver-
gabekontrollverfahren hier schon deshalb zur Verfügung,
weil der beabsichtigte Auftrag äußerlich als Resultat ei-
ner förmlichen Ausschreibung erteilt werden soll. Die An-
tragsbefugnis eines Bieters, der rügt, der Gegenstand die-
ses Auftrags entspreche ausweislich der zuletzt bekundeten
Vergabeabsicht des Auftraggebers nicht dem der ursprüngli-
chen Ausschreibung, hängt aber nicht davon ab, dass der
Bieter zu dieser (überholten?) Ausschreibung ein konkur-
renzfähiges Angebot abgegeben hat; denn wenn ein dem in-
haltlich entsprechender Auftrag nunmehr ohnehin nicht mehr
erteilt werden soll (was gegen den Willen der Vergabestel-
le auch mit einem Nachprüfungsbegehren regelmäßig nicht
durchgesetzt werden kann), geht es bei der Rüge der Iden-
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titätsabweichung im vorgenannten Sinne allein noch darum,
dass der Bieter darlegt, er hätte ein anderes Angebot ab-
gegeben, wenn das Vorhaben von Anfang an mit dem Gegens-
tand ausgeschrieben worden wäre, wie es jetzt in Auftrag
gegeben werden soll. Eine entsprechende Beteiligungsab-
sicht ist jedenfalls bei Bietern, die auf den zunächst
ausgeschriebenen Auftragsgegenstand geboten haben, mangels
konkreter entgegenstehender Anhaltspunkte, für die hier
nichts ersichtlich ist, ohne weiteres anzunehmen. Aus der
Tatsache, dass die Antragstellerin mit ihrem ursprüngli-
chen Angebot ggf. nicht zum Zuge gekommen wäre, folgt mit-
hin nicht, dass sie deshalb auch nicht befugt wäre, als
potentieller Bieter die beabsichtigte Vergabe eines (nach
ihrem Vorbringen) gegenständlich anderen Vorhabens zu be-
anstanden, das mit diesem Inhalt hätte ausgeschrieben wer-
den müssen, statt dessen jedoch als Ergebnis einer ein "A-
liud" betreffenden Ausschreibung in Auftrag gegeben werden
soll.
Dem lässt sich unter dem Gesichtspunkt der Antragsbefugnis
auch nicht entgegenhalten, die Antragsgegnerin sei nach
wie vor nicht gehindert, den Zuschlag auf das ursprüngli-
che Angebot der Beigeladenen zu erteilen (was die Antrag-
stellerin u. U. tatsächlich chancenlos beließe). Der Ein-
wand trifft theoretisch zwar zu; ein entsprechender Zu-
schlagswille entspricht aber nicht der im Rahmen von § 13
VgV rechtsverbindlich angekündigten und im Verlauf des
Nachprüfungsverfahrens stets bekräftigten derzeitigen tat-
sächlichen Vergabeabsicht der Antragsgegnerin; nur diese,
nicht hypothetische Vergabealternativen sind jedoch Ge-
genstand des vorliegenden Verfahrens und der hierauf be-
schränkten Nachprüfung durch den Senat. Im Übrigen spricht
der Inhalt der Beschwerdeerwiderung selbst eher dagegen,
dass die vorgenannte Alternative für die Antragsgegnerin
praktisch ohne weiteres zu verwirklichen wäre; denn wenn
dort die Unwirtschaftlichkeit der Angebote der Antragstel-
lerin ausdrücklich damit begründet wird, die dort angebo-
tenen Preise pro Mg Restabfall erlaubten der Antragsgegne-
rin bei Meidung der eigenen Insolvenzgefahr nicht die Ein-
13
haltung desjenigen Kostenrahmens, auf den sich die An-
tragsgegnerin ihrerseits gegenüber dem hinter ihr stehen-
den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsverband verpflichtet
habe, so trifft diese Überlegung in gleicher Weise auf das
ursprüngliche Hauptangebot der Beigeladenen zu: Auch die-
ses liegt deutlich (wenn auch nicht so gravierend wie die
Preise der Antragstellerin) über jenem - den Bietern mit
der Ausschreibung als kalkulatorische Orientierungsgröße
vorgegebenen - Kostenrahmen von 87,58 EUR/Mg, was ausweis-
lich der Unterlagen des Verhandlungsverfahrens (vgl.
Schreiben der Beigeladenen vom 12.11.2002) der eigentliche
Anlass für die Entwicklung des "modifizierten Hauptange-
bots" ab November 2002 war. Die bloße rechtliche Möglich-
keit der Antragsgegnerin, das Ausgangsangebot der Beigela-
denen vergaberechtskonform zu werten, stellt daher die An-
tragsbefugnis der Antragstellerin für ein Nachprüfungsver-
fahren nicht in Frage, welches im Kern zutreffend davon
ausgeht, dass die Antragsgegnerin von dieser Möglichkeit
nach dem derzeitigen Sachstand gerade keinen Gebrauch ma-
chen will.
2. Der Senat hält das Nachprüfungsbegehren in diesem Punkt
entgegen der Auffassung der Vergabekammer auch in der Sa-
che für gerechtfertigt. Die von der Antragsgegnerin - nach
dem mit der Beigeladenen erzielten Verhandlungsergebnis -
beabsichtigte Aufspaltung des ausgeschriebenen Auftrags in
einen festen Teil (Bauabschnitt I) und einen nur options-
weise ausgestalteten Teil (Bauabschnitt II) entspricht
nicht dem Vergaberecht; ein ausschreibungskonformer Auf-
trag läge - erst recht - nicht vor, wenn davon auszugehen
wäre, dass die Antragsgegnerin es auf Dauer bei der Er-
richtung einer rein mechanischen Restmüllaufbereitungsan-
lage beließe, also die weitere Müllbehandlung an anderen
Standorten stattfände und auf die Option verzichtet würde.
a) Der Antragsgegnerin ist zwar darin zuzustimmen, dass ein
Verhandlungsverfahren sich von den anderen vergaberechtli-
chen Verfahrensarten wesensmäßig dadurch unterscheidet,
dass sowohl hinsichtlich des ausgeschriebenen Leistungsge-
14
genstands als auch bezüglich der hierauf abgegebenen Ange-
bote Verhandlungen zwischen der Vergabestelle und den Bie-
tern über die engen Grenzen der §§ 24 VOL/A und VOB/A hin-
aus gerade nicht schlechthin verboten, sondern im Gegen-
teil zulässig und erwünscht, im Regelfall zur Konkretisie-
rung des später maßgeblichen Vertragsinhalts sogar notwen-
dig sind. Der Ablauf der Angebotsfrist schreibt den Leis-
tungsinhalt nicht statisch fest; "es beginnt vielmehr ein
dynamischer Prozess, in dem sich durch Verhandlungen so-
wohl auf der Nachfrage - als auch auf der Angebotsseite
Veränderungen ergeben können" (vgl. OLG Celle, Beschl. vom
16.01.2002, Vergaberecht 2002, 299, 301). Ein dem entge-
genstehendes Verhandlungsverbot scheidet im Rahmen eines
Verhandlungsverfahrens schon begrifflich aus; selbstver-
ständlich kann ein aus zulässigen Verhandlungen hervorge-
gangenes verändertes Angebot auch nicht allein deswegen
zurückgewiesen werden, weil es in der verhandlungsbedingt
veränderten Gestalt bei Ablauf der Angebotsfrist noch
nicht vorgelegt war.
Das ändert indes nichts daran, dass auch ein Verhandlungs-
verfahren es nicht erlaubt, im Ergebnis andere Leistungen
zu beschaffen als mit der Ausschreibung angekündigt (so
auch ausdrücklich OLG Celle, aaO.); die Identität des Be-
schaffungsvorhabens, so wie es die Vergabestelle zum Ge-
genstand der Ausschreibung gemacht hat, muss auch im Ver-
handlungsverfahren gewahrt bleiben, weil sonst die Aus-
schreibungsverpflichtung als Ausgangspunkt aller vergabe-
rechtlichen Rechte und Pflichten der Beteiligten letztlich
leer liefe. Gibt die Ausschreibung einer Restabfallentsor-
gungsanlage den Bietern mithin eine bestimmte Anlagenkon-
figuration vor, so wird der Leistungsgegenstand nur dann
nicht unzulässigerweise ausgewechselt, wenn sich die nach-
folgenden Verhandlungen zumindest grundsätzlich im Rahmen
dieses vorgegebenen Konzepts bewegen.
b) Daran fehlt es im vorliegenden Fall. Der Vergabekammer ist
zwar zuzugeben, dass die Ausschreibung der Antragsgegnerin
nicht zwingend die Errichtung einer biologischen Behand-
lungsstufe (oder eben einer vollständigen MBS-Anlage) vor-
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sah; die daran anknüpfende Überlegung des angefochtenen
Beschlusses, infolgedessen sei die Beschränkung des zu er-
teilenden Auftrags auf die Errichtung einer mechanischen
Restabfallbehandlungsanlage (im Zusammenhang mit den übri-
gen ausschreibungskonform abzuschließenden Verträgen des
"Gesamtleistungspakets") als rechtmäßig anzusehen, ist aus
Sicht des Senats jedoch nicht tragfähig.
Der Text der streitbefangenen Ausschreibung umschreibt als
Leistungsgegenstand zunächst zwar nur, was den investiven
Leistungsteil
angeht,
"die
Errichtung
einer
(nicht-
thermischen) Restabfallentsorgungsanlage"; d. h. indessen
nicht, dass der zu erteilende Gesamtauftrag immer schon
dann ausschreibungskonform ist, sobald der Auftragnehmer
irgendetwas baut, was sich mit Restmüll befasst, der im
Anlagenbetrieb nicht verbrannt wird. Denn die Verdingungs-
unterlagen konkretisieren, wenn auch in einer variantenof-
fenen Weise, welche Anlagenkonfigurationen für die An-
tragsgegnerin selbst vor dem Hintergrund der Tatsache "in
Frage kommen", dass der Auftragnehmer nach Fertigstellung
des Anlagenbaus "Entsorgungsdienstleistungen mit Hilfe
dieser Anlage" - so ausdrücklich der Ausschreibungstext -
erbringen soll. Die Leistungsbeschreibung nennt insoweit
ausdrücklich Verfahren der mechanisch-biologischen Stabi-
lisierung (MBS), der mechanisch-biologischen Behandlung
(MBA) und der mechanisch-thermischen Behandlung (MTA) so-
wie gleichwertige Verfahren. Unstreitig ist das, was die
Beigeladene nach Maßgabe von Bauabschnitt I am vorgegebe-
nen Standort errichten soll, weder eine MBS- noch
eine MBA- noch eine MTA-Anlage, sondern eine auf mechani-
sche Restabfallbehandlung beschränkte Anlage ohne weitere
Behandlungsschritte am Anlagenstandort selbst. Damit liegt
aber, bezogen auf Bauabschnitt I, auch keine den oben ex-
plizit bezeichneten Verfahren gleichwertige Anlage vor;
denn diese Gleichwertigkeit ist (so die Verdingungsunter-
lagen ausdrücklich) im Rahmen der "Anlagenlieferung und -
errichtung" zu erzielen, d. h. letztlich mit Hilfe der zu
errichtenden Anlage am vorgegebenen Anlagenstandort. Damit
ist ein Behandlungserfolg, der - nach der mechanischen
Aufbereitung - erst unter Einbeziehung weiterer Behand-
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lungsschritte zu erzielen wäre, die an anderen Standorten
erfolgen müssten, nicht zu vergleichen.
Besonders deutlich wird dies, wenn man das mit der Leis-
tungsbeschreibung formulierte Anlagenziel mit der Leistung
vergleicht, die eine im Bauabschnitt I errichtete und
hierauf beschränkte Anlage erbringen könnte: Nach den Ver-
dingungsunterlagen sollte mit der ausgeschriebenen Anlage
am Anlagenstandort ein unter 20 % des Anlageninputs lie-
gender Beseitigungsanteil erreicht werden, d. h. weniger
als ein Fünftel des angelieferten Restabfalls sollte, da
nicht wieder verwendungsfähig, für eine Deponielagerung
bzw. Verbrennung verbleiben; im Umkehrschluss ergibt sich
daraus, dass der Anlagenoutput im Übrigen jedoch zur Rück-
führung in den Stoffkreislauf - die dann wie die vorge-
nannte Beseitigung durchaus an anderen Standorten statt-
finden konnte - aufbereitet sein sollte. Nach der jetzt in
Rede stehenden Lösung sollen hingegen nach Abschluss der
mechanischen Müllbehandlung in 67 % - d. h. rund
zwei Drittel - des Restmülls, nämlich die gesamte "Schwer-
fraktion" zur biologischen Weiterbehandlung in eine MBS-
Anlage im Raum transportiert und erst dort zu ver-
wertungsgeeigneten Produkten verarbeitet werden. Damit
verfehlt eine auf Bauabschnitt I beschränkte Anlage in
den Kern der ursprünglich dort beabsichtigten
Leistung, nämlich eine Abfallbehandlung über mechanische
Aufbereitung hinaus, vollständig; das hierauf bezogene An-
gebot der Beigeladenen verfolgt mithin eine zwingende An-
forderungen der Ausschreibung nicht erfüllende Anlagenkon-
figuration und ist daher im Ergebnis nicht zuschlagsfähig.
Dass die Müllentsorgung für die Antragsgegnerin auch nach
Maßgabe des Gesamtleistungspakets der Beigeladenen letzt-
lich gesichert wäre, ändert daran nichts: Denn Ausschrei-
bungsinhalt ist nicht eine gleich auf welchem Wege zu er-
reichende Entsorgungssicherheit, sondern die Erzielung
dieses Ergebnisses "mit Hilfe der zu errichtenden Anlage
am vorgegebenen Standort".
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c) Dass auch das Nebenangebot 1 der Antragstellerin selbst,
dessen Einbeziehung in die mit ihr geführten Verhandlungen
die Antragstellerin mit der Vergaberüge vom 16.10.2002 zu-
nächst erfolgreich durchgesetzt hatte, hieran gemessen
u. U. nicht bezuschlagt werden dürfte, mag sein, lässt je-
doch die Tatsache unberührt, dass die gegen die beabsich-
tigte Wertung des Schlussangebots der Beigeladenen gerich-
tete Beanstandung der Antragstellerin in der Sache zutref-
fend und auch nicht nach Treu und Glauben ausgeschlossen
ist. Nebenangebote verfolgen häufig den Zweck auszutesten,
wie weit der Auftraggeber bereit ist, um der Erlangung von
wirtschaftlichen Vorteilen willen Ausführungsvarianten zur
ausgeschriebenen Leistung zu akzeptieren; zuweilen wird
der Bieter damit, bewusst oder unbewusst, an die Grenze
des vergaberechtlich Zulässigen gelangen oder sie über-
schreiten. Daraus generell den Schluss zu ziehen, ein Bie-
ter akzeptiere allein mit einem solchen Verhalten a priori
die Wertbarkeit vergleichbarer, ggf. ähnlich zweifelhafter
Konkurrenzangebote, hält der Senat nicht für sachgerecht.
Die Rechtsordnung erlaubt es grundsätzlich, dass am
Rechtsverkehr Beteiligte ihre Ansichten ändern, und sank-
tioniert nicht jedes widersprüchliche Verhalten ohne wei-
teres, indem sie dagegen den Einwand der Verwirkung oder
des "venire contra factum proprium" zulässt. Rechtsmiss-
bräuchlich wird ein solches Vorgehen eines Bieters erst,
wenn die Vergabestelle aufgrund besonderer Umstände auf
einen entsprechenden Rügeverzicht des Bieters vertrauen
durfte. Eine entsprechende Erwartungshaltung der Antrags-
gegnerin lag hier aber umso ferner, als sie es (in der Er-
kenntnis, dass da, wo keine vollständige Restabfallbehand-
lung stattfinde, "eine gewisse Abweichung von der ausge-
schriebenen und auftraggeberseitig eigentlich gewünschten
Leistung" vorliege, so wörtlich das Schreiben der Auftrag-
geberseite vom 06.11.2002 an die Antragstellerin) in der
Hand gehabt hätte, im Zuge der Verhandlungen mit beiden
Bietern klarzustellen, dass die Antragsgegnerin, aus wel-
chen Gründen auch immer, mechanische Restabfallaufberei-
tungsanlagen mit anschließender Weiterbehandlung des Anla-
genoutputs an anderen Standorten in die Wertung grundsätz-
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lich einbeziehen werde. Dann wäre die Antragstellerin je-
denfalls nach Ablauf der Rügefrist des § 107 Abs. 3 GWB
gehindert gewesen, eine darin ggf. zu erkennende Abwei-
chung vom Ausschreibungsinhalt als Verletzung eigener
Rechte zu beanstanden; von dieser Möglichkeit hat die An-
tragsgegnerin doch keinen Gebrauch gemacht.
d) Dem Nachprüfungsbegehren lässt sich auch nicht entgegen-
halten, mit der beabsichtigten Auftragserteilung über zwei
Bauabschnitte werde ungeachtet der Tatsache, dass zu Bau-
abschnitt II nur ein einseitiges und an keinerlei Voraus-
setzungen gebundenes Optionsrecht des Auftraggebers ver-
einbart werden soll, die gesamte ausgeschriebene Anlage,
also einschließlich der biologischen Behandlungsstufe, die
Gegenstand des zweiten Bauabschnitts werden soll, in Auf-
trag gegeben. Denn ob es zur Ausübung der Option kommt,
ist rechtlich völlig offen. Das führt dazu, dass es im Be-
lieben des Auftraggebers stände, ob er für einen Teil des
Ausschreibungsgegenstands
mit
der
Zuschlagserteilung
rechtliche Bindungen für sich herbeiführen will oder
nicht; die Bindungswirkung für den Auftraggeber ist mithin
die gleiche, als wenn nur Bauabschnitt I in Auftrag gege-
ben würde. Damit würde der Ausschreibungsgegenstand aber
gerade verfehlt (s. oben), und daran ändert sich nichts
dadurch, dass der Auftraggeber einen Anspruch gegen die
Beigeladene auf Verwirklichung von Bauabschnitt II erwer-
ben würde, wenn er von seinem Optionsrecht Gebrauch macht.
Denn ob er das tut, steht zu seiner freien Disposition und
würde den Auftraggeber im Ergebnis in unzulässiger Weise
von den Bindungen des vorangegangenen Vergabeverfahrens
freistellen.
Dem steht, entgegen dem Vorbringen der Antragsgegnerin in
der mündlichen Verhandlung, auch nicht entgegen, dass § 26
Nr. 2 a VOL/A eine Teilaufhebung der Ausschreibung grund-
sätzlich ermöglicht, "wenn das wirtschaftlichste Angebot
den ausgeschriebenen Bedarf nicht voll deckt". Denn zum
einen hat die Antragsgegnerin ihre Ausschreibung nicht
teilweise aufgehoben und beabsichtigt dies nach ihrem der-
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zeitigen Erklärungsstand auch nicht. Sie will vielmehr ei-
nen Auftrag erteilen, von dem sie selbst meint, er erfasse
den Ausschreibungsgegenstand vollständig. Dieses Verhalten
lässt es im Lichte des vergaberechtlichen Transparenzge-
bots nicht zu, ein - aus Sicht der Vergabestelle hypothe-
tisches - "Zuschlagsdefizit" hilfsweise zum Gegenstand ei-
ner konkludenten Teilaufhebung zu deklarieren. Abgesehen
davon erlaubt § 26 Nr. 2 a VOL/A eine Teilaufhebung der
Ausschreibung, wenn das wirtschaftlichste Angebot mengen-
mäßig hinter der Ausschreibung zurückbleibt; geregelt wer-
den mithin Fälle einer quantitativen oder kapazitätsmäßi-
gen Abweichung. Hier ist das modifizierte Hauptangebot der
Beigeladenen aber nicht auf ein "Minus" gegenüber der Aus-
schreibung gerichtet, sondern auf die Verwirklichung eines
"anderen Vorhabens" (s. oben), mithin auf eine qualitati-
ve, letztlich sogar identitätsändernde Abweichung. Das ist
kein tauglicher Gegenstand einer Teilaufhebung i.S.d. § 26
Nr. 2 a VOL/A.
Die Antragsgegnerin ist daher vergaberechtlich gehindert,
den Zuschlag auf das Hauptangebot der Beigeladenen in der
endverhandelten modifizierten Fassung zu erteilen. Dabei
legt der Senat Wert auf die Feststellung, dass Gegenstand
des hier zu bescheidenden Nachprüfungsbegehrens allein die
Frage ist, ob die beabsichtigte Auftragsvergabe von der
vorangegangenen
Ausschreibung
vergaberechtlich
gedeckt
ist. Der Senat befindet nicht darüber, welche Restabfall-
entsorgungsanlage für die Antragsgegnerin und den hinter
ihr stehenden öffentlich-rechtlichen Entsorgungsverband
(d. h. letztlich die betroffenen Bürger als Gebühren-
schuldner)
wirtschaftlich
vorteilhaft
und
ökolo-
gisch/abfallrechtlich sinnvoll ist. Insofern mag es wohl
erwogene Gründe für die Antragsgegnerin geben, jetzt ein
anderes als das ursprünglich ausgeschriebene Anlagenkon-
zept zu favorisieren; sie kann jedoch einen diesen ggf.
geänderten Absichten entsprechenden Auftrag nicht ohne
weiteres auf der Grundlage der Ausschreibung vom November
2001 erteilen, sondern ist, solange sie diese Ausschrei-
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bung aufrechterhält, an die darin den Bietern gemachten
Vorgaben auch selbst gebunden.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus einer entsprechenden
Anwendung von § 91 ZPO und (soweit die außergerichtlichen
Kosten der Beigeladenen in Rede stehen, die auf eigene Anträ-
ge in beiden Rechtszügen verzichtet hat) von § 162 Abs. 3
VWGO.
Der festgesetzte Gegenstandswert beruht auf § 12 a Abs. 2
GKG.
Bastius Piel
Wetzel