Urteil des OLG Dresden vom 19.03.2001

OLG Dresden: örtliche zuständigkeit, perpetuatio fori, nachlassgericht, erblasser, anknüpfung, rechtssicherheit, erbe, ausführung, gefahr, zivilprozess

Leitsatz
§ 73 Abs. 1 FGG
1.
Bei Zuständigkeitsveränderungen durch Änderung der Gerichtsbezirke
bestimmt sich die örtliche Zuständigkeit des Nachlassgerichtes nach der
Zuständigkeitsregelung im Zeitpunkt des Erbfalles.
2.
Nur diese klare Anknüpfung gewährleistet die erforderliche Rechtssicherheit.
OLG Dresden, 7. Senat, Beschluss vom 19.03.2001, 7 AR 79/01
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Oberlandesgericht
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Dresden
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Aktenzeichen: 7 AR 0079/01
AR 85/01 AG Dresden
Beschluss
des 7. Zivilsenats
vom 19.03.2001
In der Nachlasssache
wegen Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichtes
hat der 7. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden ohne mündliche
Verhandlung durch
Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Werber,
Richter am Oberlandesgericht Dr. Kazele und
Richter am Amtsgericht Alberts
beschlossen:
In der
Nachlasssache
, zuletzt wohnhaft
,
, wird das Amtsgericht Dresden als zuständiges Gericht bestimmt.
G r ü n d e :
I.
Der Erblasser hatte zum Zeitpunkt seines Todes am
31.12.2000 seinen Wohnsitz in , .
Mit dem Gesetz über die Justiz im Freistaat Sachsen vom 24.11.2000 (SächsJG),
in Kraft seit dem 01.01.2001, wurden die Zuständigkeiten der Amtsgerichte
dahingehend neu geschnitten, dass
Ottendorf-Okrilla nunmehr zum
Zuständigkeitsbereich des Amtsgerichtes Kamenz gehört.
Mit Beschluss vom 05.03.2001 erklärte sich das Amtsgericht Dresden für
unzuständig und legte die Sache gemäß § 5 FGG dem Oberlandesgericht
Dresden zur Entscheidung vor.
II.
Die Vorlagevoraussetzungen gemäß § 5 FGG sind gegeben, da eine
Ungewissheit über die örtliche Zuständigkeit der Gerichte gegeben ist und das
Oberlandesgericht Dresden auch für die Landgerichtsbezirke Dresden und
Bautzen das gemeinschaftliche obere Gericht ist im Sinne der genannten
Vorschrift.
Das gemäß § 73 I FGG zuständige Gericht ist nicht das Amtsgericht Kamenz, wie
das Nachlassgericht Dresden meint, sondern das Amtsgericht Dresden, weil der
Wohnsitz des Erblassers im Zeitpunkt des Erbfalles zum Bezirk des Amtsgerichtes
Dresden gehörte.
In Literatur und Rechtsprechung ist anerkannt, dass im Zivilprozess für bereits
anhängige Verfahren sich die Zuständigkeit eines Gerichtes bei Veränderung der
Gerichtsbezirke nicht ändert (vgl. MüKo, ZPO, Lüke, § 261 Rdn. 90; BayObLG,
JW 1926, 2451 f.). Es handelt sich hier um eine Ausprägung des Grundsatzes der
sog. perpetuatio fori, der vor allem mit dem Gedanken der Prozessökonomie
begründet wird (vgl. Zöller-Greger, 22. Aufl., Rdn. 12 zu § 261 ZPO). Dies
entspricht auch der h.M. zu § 73 FGG, wonach ebenfalls eine einmal begründete
Zuständigkeit bis zur Erledigung aller dem Nachlassgericht obliegenden Geschäfte
bestehen bleibt, selbst wenn sich die gesetzlichen Zuständigkeitsregelungen
ändern (vgl. Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 14. Aufl., Rdn. 51 zu § 73 FGG).
Auch § 71 des SächsJG vom 24.11.2000, der auf das Gesetz über die
Zuständigkeit der Gerichte bei Änderungen der Gerichtseinteilung in der im
Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 300/4, veröffentlichten bereinigten
Fassung auch für das FG-Verfahren verweist, spricht für diese Auffassung. Nach
Art. 1 § 1 des Gesetzes über die Zuständigkeit der Gerichte bei Änderungen der
Gerichtseinteilung wird durch die Änderung eines Gerichtsbezirkes die
Zuständigkeit des Gerichtes für die bei ihm anhängigen Sachen nicht berührt.
Die oben dargestellten Gedanken müssen im Nachlassverfahren aber auch dann
gelten, wenn der Gerichtszuschnitt nach dem Erbfall, aber vor der Anhängigkeit
eines Erbscheinsverfahrens geändert wird.
Würde man für die Zuständigkeitsfrage nicht auf den Zeitpunkt des Erbfalles,
sondern den der Antragstellung abstellen, ergäbe sich die Gefahr von
Manipulationen (Abwarten mit der Antragstellung bis zur gesetzlichen Änderung
der Bezirke) und vor allem der Parallelverfahren bei verschiedenen Gerichten. Hat
bei mehreren Erben z.B. ein Erbe einen Teilerbschein vor Änderung der
Zuständigkeitsbezirke beantragt, so wäre dieser Teilerbschein von dem bisher
zuständigen Nachlassgericht zu erteilen, der nach Zuständigkeitsänderung
beantragte weitere Teilerbschein aber von dem nunmehr neu zuständigen
Nachlassgericht. Auch bei Vorhandensein von Testamenten, die nicht alle
gleichzeitig abgeliefert werden, würde sich das Problem ergeben, dass ein Teil bei
dem bisher zuständigen Gericht, ein weiterer Teil bei dem neu zuständigen
Gericht abzuliefern und dort zu eröffnen wäre.
Auch die Ausführungen des Nachlassgerichtes Dresden in Kenntnis der
Entscheidung des Senats vom 30.01.2001 in der Sache 7 AR 23/01 überzeugen
den Senat nicht.
Das Gesetz (§ 73 Abs. 1 FGG) unterscheidet nicht zwischen den einzelnen
Angelegenheiten, auf die das Nachlassgericht Dresden abstellen will, sondern
knüpft für "die örtliche Zuständigkeit" an den Wohnsitz des Erblassers an. Der
Gesetzgeber hat offensichtlich eine Änderung der Gerichtsbezirke nicht
vorhergesehen. Die Regelung des § 4 FGG zeigt aber deutlich, dass es zu den
Intentionen des Gesetzgebers gehörte, dass ein einziges Gericht für mehrere
Angelegenheiten denselben Erblasser betreffend zuständig sein sollte.
Richtig ist zwar, dass damit das Amtsgericht Dresden auch für Erbfälle zuständig
bleiben wird, die sich vor dem 01.01.2001 ereignet haben und in denen in
späteren Jahren durch neue Anträge (z.B. Erbscheinsanträge nach eingetretener
Nacherbfolge, Wegfall der Testamentsvollstreckung usw.) wieder Tätigkeiten
entfaltet werden müssen. Dies kann aber in jedem Erbfall eintreten und spricht
gerade dafür, eine eindeutige klare Anknüpfung vorzunehmen, die unabhängig
von späteren Zuständigkeitsänderungen zweifelsfrei sagt, welches Gericht
zuständig ist.
Soweit das Nachlassgericht ältere Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte
zitiert, in denen dies anders gesehen wurde, ist darauf hinzuweisen, dass alle
genannten Entscheidungen außer Praktikabilitätserwägungen keine eigene
Begründung geben, sondern auf die Entscheidung des Kammergerichtes in
KGJ/32 A 6 aus dem Jahre 1906 verweisen. Diese Entscheidung befasst sich aber
vor allem mit dem Spannungsfeld zwischen dem FGG als Reichsgesetz und den
landesgesetzlichen Zuständigkeitsregelungen "der Einzelstaaten" und
argumentiert damit, dass durch landesgesetzliche Abänderungen "auch die
konkrete Wirkung des § 73 FGG eine veränderte werde". Dies ist eine
Argumentation, die dem heutigen Verständnis von Rechtssicherheit, auch unter
Berücksichtigung des Grundsatzes der perpetuatio fori nicht vereinbar ist. Die vom
Nachlassgericht zitierte Entscheidung des BayObLG (Rpfl 2000/135) geht auf die
Problematik nicht näher ein, sondern beschränkt sich auf die Ausführung eines
Zitates aus der Literatur (Jansen K zum FGG). Auch das vom Nachlassgericht
zitierte Oberlandesgericht Colmar (OLGE 21, 49) greift in seiner Entscheidung aus
dem Jahre 1909 lediglich den Zuständigkeitsgesichtspunkt
(Reichsgesetz/Landesgesetzgebung) auf und führt im Übrigen praktische
Erwägungen an. Gerade diese sprechen aber nach Auffassung des Senates
dafür, einen klaren unveränderbaren Anknüpfungspunkt zu geben, wie ihn der
Zeitpunkt der Antragstellung für die jeweils begehrte Maßnahme des
Nachlassgerichtes nicht sein kann.
Werber
Dr. Kazele
Alberts