Urteil des OLG Dresden vom 13.03.2017
OLG Dresden: rüge, offenes verfahren, ausschreibung, unternehmen, abgabe, vergabeverfahren, zukunft, zwangsgeld, vertragsschluss, zugang
Oberlandesgericht Dresden
Vergabesenat
WVerg 7/01
Leitsätze
1.
Antragsbefugt im
Vergabenachprüfungsverfahren ist auch ein
Unternehmen, das am Vergabeverfahren tatsächlich nicht beteiligt war,
wenn es nach seinem Vorbringen möglich erscheint, dass der
Vergabeverstoß gerade in seiner Nichtbeteiligung liegt.
2.
Ein vom Antragsteller nicht unterschriebener Nachprüfungsantrag kann bis
zur Entscheidung der Vergabekammer durch Nachholung der Unterschrift
mit Wirkung für die Zukunft zulässig gemacht werden.
3. § 3a Nr. 2a VOL/ rechtfertigt nicht ohne weiteres den Übergang ins
Verhandlungsverfahren ohne vorherige Vergabebekanntmachung, wenn
der Vergabestelle das Scheitern des vorangegangenen Verfahrens
zuzurechnen ist, weil die von ihr zu verantwortenden ursprünglichen
Ausschreibungsbedingungen die Auftragserfüllung praktisch möglich
gemacht haben und (auch) deshalb keine (wirtschaftlichen) Angebote
eingegangen sind.
4. Jedenfalls wird an einem nachfolgenden Verhandlungsverfahren dann
diejenigen Unternehmen zu beteiligen, die die Vergabestelle selbst im
vorangegangenen Verfahren als zur Erfüllung des zu vergebenden Auftrags
geeignet angesehen hat.
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Oberlandesgericht
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Dresden
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Aktenzeichen: WVerg 0007/01
Verkündet am 16.10.2001
1/VK/70-01 Regierungspräsidium
Die Urkundsbeamtin
Leipzig
Justizsekretärin
Beschluss
des Vergabesenats
In dem Vergabenachprüfungsverfahren
Antragstellerin und Beschwerdegegnerin
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte
gegen
Antragsgegnerin und Beschwerdeführerin
Prozessbevollmächtigter:
Rechtsanwalt ,
weitere Beteiligte:
1.
Beigeladene zu 1)
2.
Beigeladene zu 2)
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte
3.
Beigeladene zu 3)
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte
wegen Beschaffung von Entsorgungsfahrzeugen
hat der Vergabesenat des Oberlandesgerichts Dresden aufgrund der mündliche
Verhandlung vom 21.09.2001 durch
Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht
Richter am Oberlandesgericht und
Richter am Landgericht
beschlossen:
1.
Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin vom 20.08.2001 gegen den
Beschluss der 1. Vergabekammer des Freistaates Sachsen vom 02.08.2001
- Az. 1 SVK/70-01 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der
Antragsgegnerin aufgegeben wird, in das Verhandlungsverfahren unter
Beteiligung der Antragstellerin und der Beigeladenen zu 3) erneut
einzutreten und über den zu vergebenden Auftrag unter Berücksichtigung
von deren Angeboten vom 07.06. und 31.05.2001 neu zu entscheiden.
Soweit der angegriffene Beschluss in den Ziffern 2, 3 und 4 seines Tenors
weitergehende Regelungen zu Lasten der Antragsgegnerin enthält, sind
diese gegenstandslos.
2. Der Hilfsantrag der Antragsgegnerin, ihr vorab auf die Angebote der
Beigeladenen zu 1) und 2) den Zuschlag zu gestatten, wird abgelehnt.
3.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich des Verfahrens
betreffend den Hilfsantrag zu Ziff. 2 dieses Beschlusses trägt die
Antragsgegnerin; dazu zählen auch die der Beigeladenen zu 3)
entstandenen außergerichtlichen Kosten. Die übrigen Beigeladenen tragen
ihre im Verfahren vor dem Beschwerdegericht entstandenen
außergerichtlichen Kosten selbst.
4.
Der Wert des Beschwerdegegenstands wird auf bis zu 100.000,00 D M
festgesetzt.
I.
Die Antragsgegnerin versuchte im Frühjahr 2001 mit einer europaweiten
Ausschreibung nach VOL/A (nicht offenes Verfahren mit Teilnahmewettbewerb),
Müllentsorgungsfahrzeuge zu beschaffen; das Auftragsvolumen lag insgesamt bei
rund 2 Mio. DM. Um die Teilnahme bewarben sich u.a. die Antragstellerin und die
Beigeladenen, welche auf ihre Aufforderung hin die Verdingungsunterlagen von der
Antragsgegnerin zugeschickt erhielten, nachdem diese zuvor eingesandte
Eignungsnachweise der Bewerber geprüft hat. Nach den Vergabebedingungen war
als Zuschlagstermin der 14.05.2001 vorgesehen; die Lieferung der Fahrzeuge sollte
bis zum 01.07.2001 erfolgen. Daraufhin sahen die Antragstellerin und die
Beigeladene zu 3) von der Abgabe eines Angebots ab; schließlich ging bis zum
Submissionstermin nur ein einziges Angebot ein, welches nach den unbestrittenen
Angaben der Antragsgegnerin zudem inhaltlich nicht den
Ausschreibungsbedingungen entsprach. Die Antragsgegnerin hob daraufhin die
Ausschreibung auf und trat unmittelbar danach über ein von ihr beauftragtes
Consultingbüro mit ausgewälten Unternehmen in "freihändige" Verhandlungen ein.
Diese führten am 15. und 19.06.2001 zu Vertragsabschlüssen mit den
Beigeladenen zu 1) und 2), mit denen die Antragsgegnerin jeweils drei
Entsorgungsfahrzeuge erwarb. Im Vorfeld dieser Abschlüsse hatten die
Antragstellerin und die Beigeladene zu 3), die von der Aufhebung der
vorangegangenen Ausschreibung und den nachfolgend aufgenommenen
Verhandlungen der Antragsgegnerin erfahren hatten, ihrerseits (am 07.06.2001
bzw. am 31.05.2001) Kaufangebote abgegeben. Verhandlungen über diese
Angebote hat die Antragsgegnerin nicht geführt; sie hat auch weder die
Antragstellerin noch die Beigeladene zu 3) vorab von den beabsichtigten
Kaufentscheidungen vom 15. und 19.06.2001 informiert.
Die Antragstellerin hat die geschlossenen Verträge wegen Verstoßes gegen § 13
Vergabeverordnung (VgV) für nichtig gehalten und mit Faxschreiben vom
02.07.2001 ein Nachprüfungsverfahren eingeleitet.
Die Vergabekammer hat sich der Sicht der Antragstellerin (und der Beigeladenen
zu 3) mit dem angefochtenen Beschluss angeschlossen und der Antragsgegnerin
aufgegeben, die Verträge rückabzuwickeln und die Beschaffung der Fahrzeuge neu
auszuschreiben (Ziff. 2 des Beschlusstenors); sie hat der Antragsgegnerin überdies
untersagt, im Verhandlungsverfahren einen neuerlichen Zuschlag ohne vorherige
Bekanntmachung zu erteilen (Ziff. 3 des Beschlusstenors) und ihr "im Falle der
Zuwiderhandlung gegen die Festlegungen in Ziff. 2 oder 3" ein Zwangsgeld i.H.v.
50.000,00 DM angedroht.
Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin. Sie meint,
im Verhandlungsverfahren habe sie die freie Wahl, mit wem sie Verhandlungen
aufnehmen wolle; "unerwünschte" Beteiligte würden nicht dadurch zu Bietern, dass
sie unaufgefordert Angebote aufdrängten, auf derartige Beteiligte erstrecke sich
daher auch nicht die Informationsverpflichtung des § 13 VgV. Die Antragstellerin
und die Beigeladene zu 3) hätten nach dem Inhalt ihrer Angebote auch von
vornherein keine Chance auf Erhalt des Auftrags gehabt, so dass sie von ihrem (der
Vergabestelle) Beauftragten zu Recht ausgeschieden worden seien.
Die Antragsgegnerin beantragt,
1. den Beschluss der Vergabekammer des Freistaates Sachsen vom
02.08.2001 aufzuheben,
2. die Anträge der Antragstellerin sowie der Beigeladenen zu 3) abzuweisen,
3. hilfsweise ihr zu gestatten, auf die Angebote der Beigeladenen zu 1) und zu
2) den Zuschlag zu erteilen.
Die Antragstellerin und die Beigeladene zu 3) beantragen,
die Beschwerde zurückzuweisen,
und verteidigen in der Sache den angefochtenen Beschluss.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den
vorgetragenen Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und
der dazu überreichten Unterlagen sowie auf die vom Senat zu Informationszwecken
beigezogenen Akten der Vergabekammer und der Antragsgegnerin Bezug
genommen.
II.
Die sofortige Beschwerde ist zulässig, bleibt jedoch im Kern ohne Erfolg. Die
Vergabekammer hat im Ergebnis mit Recht angenommen, dass die von der
Antragsgegnerin am 15. und 19.06.2001 mit den Beigeladenen zu 1) und 2)
geschlossenen Kaufverträge gemäß § 13 Satz 4 VgV nichtig sind. Als Rechtsfolge
des vergaberechtswidrigen Verhaltens der Antragsgegnerin hält der Senat es
allerdings (insoweit hinter dem Beschluss der Vergabekammer zurückbleibend) für
angemessen, der Vergabestelle aufzugeben, in das Verhandlungsverfahren unter
Beteiligung der Antragstellerin und der Beigeladenen zu 3) erneut einzutreten und
über den zu vergebenden Auftrag unter Berücksichtigung von deren Angeboten
vom 07.06. und 31.05.2001 neu zu entscheiden.
Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens ist nicht die ursprüngliche
Ausschreibung, deren wirksame Aufhebung von keinem Beteiligten in Zweifel
gezogen wird, sondern (allein) die nachfolgende "freihändige" Vergabe. Den auf
deren Überprüfung gerichteten Nachprüfungsantrag der Antragstellerin hat die
Vergabekammer zutreffend als zulässig und begründet angesehen; denn die
Antragsgegnerin hätte über den streitbefangenen Auftrag nicht entscheiden dürfen,
ohne (auch) die Angebote der Antragstellerin und der Beigeladenen zu 3) in die
Verhandlungen einbezogen zu haben.
1.a)
Der Antragstellerin fehlt es für ihr Nachprüfungsbegehren entgegen der
Auffassung der Antragsgegnerin nicht etwa an der Antragsbefugnis. Dabei
kommt es nicht darauf an, ob die Antragstellerin tatsächlich Bieterin im
Verhandlungsverfahren geworden ist. Jedenfalls scheint es nach ihrem
Vorbringen möglich (und naheliegend), dass sie als Bieterin hätte behandelt
werden müssen, dass der Vergabeverstoß also gerade darin liegt, dass sie
am Verhandlungsverfahren rechtswidrigerweise nicht beteiligt worden ist
(vgl. BayObLG, Beschluss vom 20.08.2001, Verg. 11/01, S. 6; OLG Koblenz,
Beschluss vom 08.02.2001, 1 Verg. 5/00). Hätte sie beteiligt werden müssen,
so muss es ihr auch möglich sein, diesen Teilhabeanspruch in einem
förmlichen Nachprüfungsverfahren bestätigen zu lassen. Das
Rechtsschutzbedürfnis (als dessen besondere Ausprägung die
Antragsbefugnis anzusehen ist) fehlt ihr auch nicht deshalb, weil sie nach
dem Inhalt des Angebots, mit dem sie hätte beteiligt werden wollen, keine
Chance auf Erteilung des Auftrags gehabt hätte. Denn es liegt - ungeachtet
des Inhalts des zunächst angegebenen Angebots - in der Natur eines
Verhandlungsverfahrens, dass sich das Ergebnis noch zu führender
Verhandlungen grundsätzlich nicht mit der erforderlichen Sicherheit
vorwegnehmen lässt. Jedenfalls trägt eine ohne jede (aus anderen Gründen
ggf. gebotene) Verhandlung getroffene Prognose der Vergabestelle, dass ein
bestimmtes Angebot ohnehin chancenlos bleiben werde, nicht den Schluss
auf eine fehlende Antragsbefugnis des Beteiligten in einem
Nachprüfungsverfahren, in dem gerade das Unterbleiben von Verhandlungen
beanstandet wird, die dem Beteiligten die Möglichkeit zur Anpassung seines
(zunächst) aussichtslosen Angebots eröffnet hätten.
b) Mit diesem Inhalt hat die Antragstellerin zumindest mit ihrem an die
Antragsgegnerin gerichteten Schreiben vom 25.06. 2001 auch eine
ordnungsgemäße, insbesondere rechtzeitige Rüge im Sinne des § 107 Abs.
3 GWB erhoben. Ihrem Wortlaut nach bezieht sich diese Rüge zwar in erster
Linie darauf, dass eine freihändige Vergabe überhaupt unzulässig gewesen
sei. So verstanden wäre die Rüge verspätet; denn die Antragstellerin (und
auch die Beigeladene zu 3) haben spätestens bei Abgabe ihrer Angebote
vom 07.06. bzw. 31.05.2001 positiv gewusst, dass die erste Ausschreibung
aufgehoben war und die Antragsgegnerin ihr Beschaffungsvorhaben im
Verhandlungsverfahren fortsetzen wollte; dies haben sie nicht etwa gerügt,
sondern sich mit der Abgabe ihrer Angebote sogar ausdrücklich darauf
eingelassen. Die Rüge der Antragstellerin bringt allerdings - vor dem
Hintergrund ihres Gesamtverhaltens auch für die Antragsgegnerin erkennbar
- zugleich zum Ausdruck, dass sie - die Antragstellerin - sich jedenfalls auch
gegen ihre Nichtbeteiligung im Verhandlungsverfahren wendet. Dass mit ihr
keine Verhandlungen geführt worden seien, konnte die Antragstellerin
allerdings positiv erst erkennen, nachdem sie von den Vertragsschlüssen mit
den Beigeladenen zu 1) und 2) - am 15. bzw. 19.06.2001 - erfahren hatte,
also zehn bzw. sechs Tage vor ihrem Rügeschreiben. Damit sind die
gesetzlichen Anforderungen an eine unverzüglich zu erhebende Rüge
gemäß § 107 Abs. 3 GWB erfüllt.
c) Der Zulässigkeit des Nachprüfungsbegehrens steht auch nicht entgegen,
dass der dieses Verfahren einleitende Antrag ursprünglich nicht
unterschrieben war. Der Antragsgegnerin ist zwar zuzugeben, dass ohne
eine solche Unterschrift der Antragsschriftsatz zunächst kein zulässiges
Nachprüfungsverfahren in Gang setzen kann. Die Unterschrift ist aber, wenn
auch mit Wirkung nur für die Zukunft, bis zur Entscheidung der
Vergabekammer nachholbar und im vorliegenden Fall auch tatsächlich vor
Erlass des angegriffenen Beschlusses nachgeholt worden. Da der
Nachprüfungsantrag selbst (im Gegensatz zu der vorangehenden Rüge nach
§ 107 Abs. 3 GWB) nicht fristgebunden ist, hat die Vergabekammer mithin
über ein zulässige Nachprüfungsbegehren entschieden; auf die von der
Vergabekammer hierzu angestellten Erwägungen nimmt der Senat
zustimmend Bezug. Ob die Vergabekammer stattdessen auch, ohne
Gelegenheit zur Nachholung der Unterschrift zu geben, den Antrag nach
§ 110 Abs. 2 Satz 1 GWB als offensichtlich unzulässig hätte verwerfen
können, mag dahinstehen; tatsächlich ist sie jedenfalls nicht so verfahren.
Im Ergebnis ist auch unerheblich, dass im Augenblick der Nachholung der
Unterschrift der "Zuschlag" (Vertragsschluss am 15./19.06.2001) bereits
erteilt war; das zeigt sich schon daran, dass auch ein von Anfang an
unterschriebener Nachprüfungsantrag hieran gemessen "zu spät"
gekommen wäre. Einem solchen Antrag hätte sich jedenfalls nicht
entgegenhalten lassen, wegen eines bereits erfolgten Vertragsschlusses sei
das Nachprüfungsverfahren unzulässig. Denn Gegenstand der
Beanstandung der Antragstellerin ist gerade ihre unterbliebene Beteiligung
am Vergabeverfahren einschließlich der unterbliebenen Unterrichtung nach
§ 13 VgV; dem äußeren Geschehensablauf nach ist der Anwendungsbereich
des § 13 S. 4 VgV mithin eröffnet. Ob die Beanstandung der Antragstellerin
zu Recht geltend gemacht wird oder die Vorgehensweise der Vergabestelle,
die Antragstellerin weder zu beteiligen noch zu informieren,
vergaberechtskonform war, ist eine Frage der Begründetheit des Antrags.
Ein ggf. nach § 13 Satz 4 VgV nichtiger Vertragsschluss steht der
Zulässigkeit eines nachfolgenden Nachprüfungsantrags offensichtlich nicht
entgegen; § 13 VgV will ein solches Verfahren im Gegenteil erst möglich
machen. Es kann daher auch nicht darauf ankommen, ob die
Zulässigkeitsvoraussetzungen dieses Verfahrens im Übrigen von Anfang an
vorlagen oder zu einem späteren Zeitpunkt während des Verfahrens noch -
rechtswirksam für die Zukunft - geschaffen worden sind.
2.
Der Nachprüfungsantrag ist auch begründet, weil die Antragsgegnerin
sowohl die Antragstellerin als auch die Beigeladene zu 3) am
Verhandlungsverfahren über die zu beschaffenden Entsorgungsfahrzeuge
hätte beteiligen müssen. Wären sie vergaberechtskonform beteiligt worden,
hätten sie auch gemäß § 13 VgV über den anderweitig beabsichtigten
Zuschlag informiert werden müssen. Beides ist im vorliegenden Fall nicht
geschehen, so dass die von der Antragsgegnerin tatsächlich geschlossenen
Beschaffungsverträge § 13 Satz 4
VgV
unterfallen. Denn die
Informationsverpflichtung der Vergabestelle liefe leer, wenn sie es in der
Hand hätte, jemanden auszuschließen, der gerade infolge ihres
vergaberechtswidrigen Verhaltens daran gehindert worden ist, überhaupt
eine Bieterstellung zu erlangen. Jedenfalls darf die Vergabestelle - bei
Meidung der Rechtsfolge des § 13 Satz 4 VgV - in einer solchen
Konstellation erst Recht keinen Vertrag mit einem Dritten an dem
vergaberechtswidrig Ausgeschlossenen vorbei schließen.
a) Der Wortlaut des § 13 VgV gibt dem Senat keine Veranlassung
anzunehmen, Verhandlungsverfahren seien generell vom
Anwendungsbereich der Vorschrift ausgenommen. Der Antragsgegnerin ist
zwar darin zuzustimmen, dass es ihr in einem solchen Verfahren
grundsätzlich offensteht, mit wem sie in Vertragsverhandlungen eintritt. Das
gilt uneingeschränkt aber nur, wenn dieses Verhandlungsverfahren selbst
rechtmäßig eingeleitet worden ist; nur für diesen Fall wird ein Beteiligter, mit
dem die Vergabestelle gerade keine Verhandlungen führen will, nicht allein
dadurch zum Bieter, dass er ungefragt ein Angebot "aufdrängt". Hier spricht
aber alles dafür,
dass die Antragsgegnerin das gewählte
Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb überhaupt nicht hätte
durchführen dürfen. Jedenfalls aber - und nur dies ist Gegenstand der den
Zugang zur förmlichen Vergabenachprüfung eröffnenden Rüge gewesen -
war es ihr verwehrt, die Antragstellerin und die Beigeladene zu 3) von diesen
Verhandlungen von vornherein auszuschließen.
b) Die Antragsgegnerin hat sich zur Rechtfertigung ihres Vergabeverhaltens auf
§ 3 a Nr. 2 a VOL/A berufen. Das Verhandlungsverfahren ohne vorherige
öffentliche Vergabebekanntmachung setzt danach (u.a.) voraus, dass in
einem vorangegangenen offenen oder - wie hier - nicht offenen Verfahren
keine zuschlagsfähigen Angebote eingegangen sind; unter diesen
Voraussetzungen kann sich der Auftraggeber an Unternehmen seiner Wahl
wenden und mit mehreren oder einem einzigen dieser Unternehmen über die
Auftragsvergabe verhandeln (vgl. § 3 a Nr. 1 Abs. 1 Satz 2 VOL/A). Ob diese
"Wahlfreiheit" der Vergabestelle uneingeschränkt besteht, ist allerdings nicht
zweifelsfrei. So wird etwa unter der Prämisse, dass ein vorangegangenes
Vergabeverfahren kein annehmbares Ergebnis gebracht hat und deswegen
abgebrochen worden ist, § 3 a Nr. 2 a VOL/A seinen Wortlaut einschränkend
im Wege europarechtskonformer Interpretation dahin ausgelegt, dass ein
Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb nur zulässig sei, wenn in
dieses Verfahren alle geeigneten Bieter aus dem vorangegangenen
Verfahren einbezogen würden (vgl. Boesen, Vergaberecht, § 101 GWB Rdn.
95 bis 97, insbesondere Rdn. 97 a.E.). Der Senat muss im vorliegenden Fall
nicht entscheiden, ob einer solchen Auslegung in dieser Allgemeinheit
beizupflichten ist. Jedenfalls ist aber der Vergabestelle der Zugang zu dem
"nachrangigen" Verhandlungsverfahren des § 3 a Nr. 2 a VOL/A nur dann
ohne weiteres eröffnet, wenn ihr nicht das Scheitern des vorangegangenen -
und an sich vorrangigen - Verfahrens zuzurechnen ist, weil die von ihr zu
verantwortenden Ausschreibungsbedingungen die Erfüllung des
ausgeschriebenen Auftrags bis an die Grenze der Unmöglichkeit
erschwerten und deshalb keine oder keine wirtschaftlichen Angebote
eingegangen sind.
So liegt der Fall hier. Zwischen dem Zuschlagstermin (14.05.2001) und dem
Einsatzbeginn der zu beschaffenden Entsorgungsfahrzeuge (01.07.2001),
d.h. letztlich dem spätest möglichen Liefertermin lagen nämlich nur rund
sieben Wochen. Die Vergabekammer hat aber - von der Beschwerde
insoweit auch nicht angegriffen - für Neufahrzeuge eine Lieferfrist von nicht
unter zwölf Wochen festgestellt. Mit diesen Vorgaben war der
ausgeschriebene Auftrag nicht erfüllbar. Dem lässt sich entgegen der
Beschwerdebegründung nicht entgegenhalten, für (alternativ
ausgeschriebene) Gebrauchtfahrzeuge seien kürzere Lieferfristen zu
erwarten gewesen. Zum einen ist schon zweifelhaft, ob sich
Ausschreibungsbedingungen mit dem Hinweis darauf "retten lassen", sie
seien jedenfalls in einer von mehreren ausgeschriebenen Alternativen
erfüllbar gewesen; diese Wahl muss grundsätzlich dem (potentiellen) Bieter
offenstehen. Dessen ungeachtet spricht im Ergebnis nichts dafür, dass die
Annahme der Vergabestelle auch nur insoweit zutraf. Denn sie hätte
vorausgesetzt, dass einem möglichen Bieter Gebrauchtfahrzeuge in der
erforderlichen Anzahl (sieben) und mit dem ausgeschriebenen
Anforderungsprofil innerhalb der o.g. Frist zur Disposition gestanden hätten;
einen solchen Bieter hat die Antragsgegnerin aber auch bei dem dann
tatsächlich durchgeführten Beschaffungsverfahren nicht finden können,
sondern hat sich die benötigten Fahrzeuge (sogar mit einer von sieben auf
sechs reduzierten Stückzahl) bei verschiedenen Verkäufern
"zusammengesucht".
Damit steht fest, dass die Antragsgegnerin selbst das ursprüngliche
Ausschreibungsverfahren mit Bedingungen befrachtet hat, die sein Scheitern
nahezu unausweichlich machten. In einer derartigen Konstellation ist es ihr
an sich grundsätzlich verwehrt, sich unter Berufung auf die gescheiterte
Ausschreibung dem Verhandlungsverfahren zuzuwenden. Mindestens aber
ist sie - entsprechend der hier allein wirksam erhobenen Rüge - gehalten, an
der nachfolgenden Verhandlung diejenigen Unternehmen zu beteiligen, die
sie selbst im Rahmen der ersten Ausschreibung nach vorangegangenem
Teilnahmewettbewerb und abgeschlossener Eignungsprüfung mit der
Zusendung der Verdingungsunterlagen zur Abgabe von Angeboten
ausdrücklich aufgefordert hatte. Hier haben die Antragstellerin und die
Beigeladene zu 3) in dem ursprünglichen Verfahren zwar tatsächlich kein
Angebot abgegeben. Das lag aber, wie ausgeführt, jedenfalls auch daran,
dass die seitens der Antragsgegnerin in den Ausschreibungsbedingungen
vorgegebene Lieferfrist der Abgabe eines erfüllbaren Angebots von
vornherein entgegenstand. Im technischen Sinne "geeignete Bieter" des
vorangegangenen Verfahrens (vgl. Boesen a.a.O.), die allein deswegen in
ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb einzubeziehen
gewesen wären, sind sie mithin aus dem nämlichen von der Antragsgegnerin
zu verantwortenden Grund nicht geworden, der zum Scheitern des
vorangegangenen Verfahrens insgesamt geführt hat. In einer solchen
Konstellation ist jedenfalls ein Verhandlungsverfahren ohne ihre Beteiligung
nicht vergaberechtskonform. Tatsächlich sind aber weder mit der
Antragstellerin noch mit der Beigeladenen zu 3) Verhandlungen über ihre
Angebote geführt worden; soweit diese Angebote im Vergabeverfahren
überhaupt zur Kenntnis genommen worden sind, hat sie bereits das von der
Vergabestelle beauftragte Consultingunternehmen von der weiteren
Bearbeitung ausgeschieden (was ihm überdies nicht zustand, weil alle für die
Auftragsvergabe letztlich relevanten Entscheidungen der Vergabestelle
selbst vorbehalten sind).
c) Da die Antragstellerin und die Beigeladene zu 3) am Verhandlungsverfahren
hätten beteiligt werden müssen, sind sie nach dem § 13 VgV zugrunde
liegenden Schutzzweck auch Adressaten der dort
begündeten
Informationsverpflichtung (s.o.). Die Antragsgegnerin hat diese Verpflichtung
unstreitig nicht erfüllt, so dass die von ihr gleichwohl abgeschlossenen
Verträge vom 15. und 19.06.2001 gemäß § 13 Satz 4 VgV nichtig sind; der
Tenor des angegriffenen Beschlusses erweist sich daher in Ziff. 1 als richtig.
Zur Behebung des gerügten und festgestellten Verstoßes ist es allerdings
aus Sicht des Senates nicht erforderlich, dass die zu beschaffenden
Entsorgungsfahrzeuge völlig neu ausgeschrieben werden; ausreichend und
der erhobenen Rüge entsprechend ist vielmehr eine Wiederholung des
Verhandlungsverfahrens unter Einbeziehung der von der Antragstellerin und
der Beigeladenen zu 3) vorgelegten Angebote. Ob dies im Ergebnis zu einer
inhaltlich anderen Vergabeentscheidung oder zu einer Bestätigung der
bisherigen unwirksamen Kaufverträge führen wird, vermag der Senat nach
derzeitigem Sachstand nicht zu beurteilen. Jedenfalls ist es schon aus
diesem Grund nicht angemessen, der Antragsgegnerin im jetzigen Stadium
fristgebunden die zivilrechtliche Rückabwicklung der Verträge vom Juni 2001
aufzugeben (abgesehen davon, dass es grundsätzlich der Vergabestelle
überlassen bleiben mag, welche Konsequenzen sie - neben einer
vergaberechtsgemäßen neuen Auftragsentscheidung - aus einer nichtigen
früheren Beschaffung zieht).
Für den Senat sind auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die
Antragsgegnerin im Rahmen ihrer durch diesen Beschluss neu gefassten
Verpflichtung zur Fortsetzung des Vergabeverfahrens die ihr daraus künftig
erwachsenden Obliegenheiten nach § 13 VgV missachten werde; er sieht
daher seinerseits keine Veranlassung, vergaberechtskonformes Verhalten
der Antragsgegnerin durch die Androhung eines Zwangsgeldes abzusichern.
Das durch den angefochtenen Beschluss angedrohte Zwangsgeld (dort Ziff.
4) ist demgegenüber schon deshalb aufzuheben, weil der einheitlichen
Androhung mehrere Verpflichtungen der Antragsgegnerin zugrunde liegen,
so dass nicht eindeutig feststeht, welcher Verstoß das angedrohte
Zwangsgeld eigentlich auslösen soll.
3. Der auf vorzeitige Gestattung des Zuschlags gerichtete Hilfsantrag ist
abzulehnen. Dabei kann offenbleiben, ob er in statthafter Weise überhaupt in
der vorliegend formulierten Art, nämlich hilfsweise für den Fall des
Unterliegens mit dem Hauptantrag, gestellt werden konnte. Das ist
zweifelhaft, weil viel dafür spricht, dass der Regelungszweck des § 121
GWB, der eine solche Gestattung im Beschwerdeverfahren allenfalls
rechtfertigen könnte, nicht mehr erfüllbar ist, nachdem die Beschwerde in der
Hauptsache entscheidungsreif ist; zu einem früheren Zeitpunkt dürfte der
Senat über den "Eilantrag" nach Maßgabe des von der Antragsgegnerin
geschaffenen Verhältnisses von Haupt- und Hilfsantrag aber nicht befinden
(weshalb zumindest die Frist des § 121 Abs. 3 Satz 1 GWB ins Leere geht).
Dass sich ein Bedürfnis nach beschleunigter Zuschlagsgestattung erst aus
dem endgültigen Unterliegen der Vergabestelle im
Vergabebeschwerdeverfahren ergibt, wird dem Gesetzgeber bei Schaffung
des § 121 GWB schon nach dessen Wortlaut nicht vor Augen gestanden
haben. Letztlich kann dies jedoch dahinstehen, weil dieselben Gründe, die
zur Zurückweisung der Beschwerde selbst geführt haben, auch eine
hilfsweise Gestattung des Zuschlags ausschließen. Nachteilige Folgen hat
dies bereits deshalb nicht, weil die Antragsgegnerin während der erneuten
Durchführung des Verhandlungsverfahrens an einer vorübergehenden
Weiternutzung der de facto beschafften Entsorgungsfahrzeuge nicht
gehindert, die Müllentsorgung im Interesse der Allgemeinheit daher
sichergestellt ist; jedenfalls hat keiner der Beteiligten auch nur ansatzweise
vorgebracht, dass die Beigeladenen zu 1) und 2) unter Berufung auf die im
Nachprüfungsverfahren festgestellte Nichtigkeit der Verträge vom 15. und
19.06.2001 die von ihnen an die Antragsgegnerin verkauften Fahrzeuge
übergangslos abzuziehen beabsichtigen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus entsprechender Anwendung von § 97 Abs.
1 ZPO. Zu einer Kostenteilung sieht der Senat keine Veranlassung, weil die
Antragsgegnerin mit ihrer Beschwerde im sachlichen Kern vollständig unterlegen
ist; dass der Senat die von der Vergabekammer ausgesprochenen Rechtsfolgen
des festgestellten Vergabeverstoßes modifiziert hat, ändert daran nichts. Die
Antragsgegnerin hat auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 3) zu
tragen, die im Beschwerdeverfahren einen eigenen Antrag gestellt und sich damit
einem Kostenrisiko ausgesetzt hat, das umgekehrt einen entsprechenden
Erstattungsanspruch rechtfertigt (vgl. § 162 Abs. 3 VwGO. Die übrigen
Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten aus den nämlichen
Erwägungen selbst.
Die Festsetzung des Beschwerdewerts beruht auf § 12 a Abs. 2 GKG.