Urteil des OLG Dresden vom 05.11.2002

OLG Dresden: aufenthalt im ausland, geschäftsführer, staatsangehörigkeit, entziehen, niederlassungsrecht, internet, telefon, effektivität, rechtspflege, abgrenzung

Oberlandesgericht Dresden
2. Zivilsenat
2 U 1433/02
Leitsatz:
An die Bestellung eines Nicht-EU-Ausländers zum Geschäfts-
führer einer GmbH sind keine über § 6 Abs. 2 GmbHG hinausge-
henden persönlichen Anforderungen zu knüpfen. Der Wirksam-
keit seiner Bestellung steht insbesondere nicht entgegen,
dass er infolge seiner Staatsangehörigkeit seinen gesetzli-
chen Pflichten als Geschäftsführer nicht ohne Weiteres nach-
kommen kann.
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Oberlandesgericht
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Dresden
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Aktenzeichen: 2 U 1433/02
3 KfH O 71/01 LG Görlitz
Verkündet am 05.11.2002
Die Urkundsbeamtin:
Mxxxxxxxxxx
Justizsekretärin
IM
VERSÄUMNISURTEIL
In dem Rechtsstreit
I
GmbH,
xxxxxxxxxstraße xx,
xxxxx Dxxxxxx
Klägerin / Berufungsbeklagte
Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt Jxxx Sxxxxxxx
in Kanzlei
Sxxxx & Sxxxxxxx,
xxxxxxxxxxstraße xx,
xxxxx Dxxxxxx
gegen
S
vertr.d.d. Lxxx Verwaltungsgesellschaft mbH,
vertr.d.d. Geschäftsführer Hxxx Jxxxxx, J.-Gxxxx Bxxxx u.
Axxxxxx Sxxxxxxxx,
xxxxxxxxxx Straße xx,
xxxxx Lxxxx
Beklagte / Berufungsklägerin
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwalt Pxxxx Wxxxxx
in Kanzlei
Dxxxxx und Pxxxx Wxxxxx,
xxxxxxstraße xx,
xxxxx Bxxxxxx
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wegen Forderung aus Kooperationsvertrag
hat der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden auf die
mündliche Verhandlung vom 05.11.2002 durch
Vizepräsident des Oberlandesgerichts Hxxxxxxxx,
Richterin am Landgericht Kxxxx und
Richterin am Landgericht Exxxxx
für Recht erkannt:
1.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der Kam-
mer für Handelssachen des Landgerichts Görlitz vom
05.07.2002 - 3 KfHO 71/01 - im Kostenpunkt aufgehoben,
im Übrigen abgeändert und insgesamt wie folgt neu ge-
fasst:
Die Klage wird abgewiesen.
2.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin aufer-
legt.
3.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
- Streitwert der Berufung:
EUR 43.973,66 -
Gründe:
Die Berufung der Beklagten, über welche angesichts der Säum-
nis der prozessordnungsgemäß geladenen Klägerin und der Zu-
lässigkeit der von dieser erhobenen Klage auf der Grundlage
des Tatsachenvortrages der Beklagten zu entscheiden war, ist
begründet, so dass der Senat insgesamt durch Versäumnisur-
teil zu erkennen hatte (§ 539 Abs. 2 ZPO).
A.
Die Klägerin ist prozessfähig, da sie mit dem am 18.08.2000
wirksam zum Geschäftsführer bestellten Ixxx Sxxxxxxx über
ein Vertretungsorgan verfügt.
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1.
Der Berufung von Ixxx Sxxxxxxx zum Geschäftsführer
steht nicht entgegen, dass dieser als Bürger der russi-
schen Förderation seinen gewöhnlichen Aufenthalt im
Ausland hat und seiner Geschäftsführertätigkeit nach
dem ihm erteilten Visum längstens drei Monate im Jahr
im Inland nachkommen kann (vgl. § 14 AuslG, § 12 Abs. 1
und Abs. 5 DV AuslG, §§ 9, 1 ArGV, § 5 Abs. 2 Nr. 1
BVG).
a)
Der Wortlaut von § 6 Abs. 2 GmbHG schließt Angehö-
rige von Nicht-EU-Staaten weder von der Ausübung
des Geschäftsführeramtes aus noch fordert er die
jederzeitige Möglichkeit zur Einreise i.S.d. aus-
länderrechtlichen Bestimmungen. Auch kann eine mit
einer Auflage versehene ausländerrechtliche Auf-
enthaltsgenehmigung nicht einem behördlich ange-
ordneten Berufsverbot i.S.v. § 6 Abs. 2 Satz 4
GmbHG gleichgestellt werden (vgl. Wachter, ZIP
1999, 1575 [1579]).
b)
Eine weitergehende Restriktion der in § 6 Abs. 2
GmbHG normierten persönlichen Anforderungen für
das Amt des Geschäftsführers ist nicht veranlasst.
aa) Eine planwidrige Regelungslücke liegt nicht
vor.
Aus der Gesetzgebungsgeschichte der im Jahr
1980 eingeführten Vorschrift ergibt sich kein
Hinweis auf eine ungewollte Unvollständigkeit
des Wortlauts. Auch die im Jahr 1990 durch
das Betreuungsgesetz erfolgte Ergänzung hat
der Gesetzgeber nicht zum Anlass für eine Än-
derung genommen (vgl. Wachter, a.a.O.).
bb) Der Senat vermag auch in der Systematik des
GmbH-Gesetzes keine hinreichende normative
Verankerung dafür zu erkennen, dass zum Ge-
schäftsführer nicht bestellt werden könne,
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wer in Folge seiner Staatsangehörigkeit sei-
nen gesetzlichen Pflichten nicht ohne Weite-
res werde nachkommen können (so aber: OLG
Zweibrücken GmbHR 2001, 435 [436]; OLG Köln
GmbHR 1999, 182 [183]; OLG Köln NJW-RR 1999,
1637 [1638]; OLG Hamm ZIP 1999, 1919 [1920];
vgl. zu § 76 Abs. 3 AktG: Hüffer, AktG, 5.
Aufl. § 77 Rn. 25).
(1) Gegen eine solche Beschränkung der per-
sönlichen Voraussetzungen spricht bereits,
dass die organschaftliche Vertretungsmacht
bei Kapitalgesellschaften in besonderer Weise
von Aspekten des Verkehrsschutzes geprägt ist
und diese Zielrichtung nachgerade in ihr Ge-
genteil verkehrt würde, wenn die Organstel-
lung einer formal zum Geschäftsführer be-
stellten Person von dessen faktischer Er-
reichbarkeit oder von ausländerrechtlichen
Verhältnissen abhinge. Dies gilt umso mehr,
als diese Umstände für den Rechtsverkehr
schon von den tatsächlichen Gegebenheiten her
in aller Regel nicht erkennbar sind, ge-
schweige denn für Dritte hinreichend verläss-
lich zu bewerten ist, wie die Rechtslage von
den Ausländerbehörden und den Registergerich-
ten mutmaßlich eingeschätzt wird.
Der erforderliche Schutz der betroffenen Ver-
kehrskreise kann insoweit auch nicht über
§ 15 Abs. 3 HGB wirkungsvoll hergestellt wer-
den, da bei einer Einzelfall bezogenen Würdi-
gung die betroffenen Verkehrskreise bis zum
Eintragungszeitpunkt das Risiko trügen, dass
ein nicht im Gebiet der Europäischen Union
ansässiger Ausländer, der durch Gesellschaf-
terbeschluss zum Vertretungsorgan bestellt
wurde, dessen Funktion auch tatsächlich ein-
nimmt (vgl. Wachter, a.a.O.). Welche Unzu-
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träglichkeiten bei einer gegenteiligen Sicht
entstünden, zeigt das vorliegende Eintra-
gungsverfahren, in dem es seit nunmehr über
zwei Jahren zu keiner registergerichtlichen
Entscheidung gekommen ist, exemplarisch.
(2) Der Senat vermag auch nicht zu ersehen,
dass die einem Geschäftsführer nach den GmbH-
Gesetz zugewiesenen Pflichtenstellungen er-
fordern, die in § 6 Abs. 2 GmbHG genannten
persönlichen Anforderungen im Wege richterli-
cher Rechtsfortbildung zu ergänzen.
(2.1) Bei entsprechender Organisation des Ge-
schäftsbetriebes kann ein Geschäftsführer
seine Aufgaben in weiten Bereichen in Staaten
ausüben, die nicht der Europäischen Union an-
gehören, ohne hiermit von vorn herein seine
gesetzlichen Pflichten zu vernachlässigen
(vgl. LG Hildesheim GmbHR 1995, 655; OLG Düs-
seldorf GmbHR 1978, 110 [111]; OLG Frankfurt
NJW 1977, 1595; Baumbach/Hueck GmbHG, 17.
Aufl., § 6 Rn. 9; Wachter, a.a.O., zu § 76
Abs. 3 AktG: Kölner Kommentar/Mertens, AktG,
2. Aufl., § 76, Rn. 101).
(2.1.1) Angesichts der weltweiten kommunika-
tiven Vernetzung lassen sich viele Tätigkei-
ten ohne Zeitverzug per Telefon, e-mail, In-
ternet oder Telefax vom Ausland aus erledi-
gen.
(2.1.2) Darüber hinaus kam eine Vielzahl von
Angelegenheiten an Prokuristen und sonstige
Bedienstete delegiert werden. Die Pflicht des
Geschäftsführers konzentriert sich dann zu-
nehmend auf die Auswahl und Überwachung und
kann grundsätzlich auch vom Ausland aus wahr-
genommen werden, sofern die Bundesrepublik
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Deutschland kein uneingeschränktes Aufent-
halts- und Niederlassungsrecht gewährt.
(2.1.3) Hieran ändert auch nichts, dass ein-
zelne Aufgaben, wie etwa die Verpflichtungen
aus §§ 7 f. GmbHG, §§ 39 ff. GmbHG, § 49
Abs. 1 GmbHG, § 51 a GmbHG, § 57 GmbHG, § 64
GmbHG den Geschäftsführer originär treffen.
Zum einen lassen sich diese Pflichten jeden-
falls im Grundsatz auch außerhalb des Be-
reichs der Europäischen Union gesetzgemäß
wahrnehmen (vgl. etwa § 10 Abs. 1 Satz 1 und
Abs. 2 InsO). Zum anderen stellen sich die
mit einem auswärtigen Aufenthalt des Ge-
schäftsführers insoweit verbundenen Problem-
stellungen im Kern auch bei Geschäftsführern,
die zwar Staatsbürger eines Mitgliedsstaats
der Europäischen Union - einschließlich der
Bundesrepublik Deutschland - sind, aber fak-
tisch ihre Geschäftsführertätigkeit vom Aus-
land aus wahrnehmen oder sich in dieses nach
erfolgten Pflichtverletzungen zurückziehen.
(2.1.4) Entscheidendes gegen die Sicht des
Senats ist ebenso wenig daraus abzuleiten,
dass die Verfolgung gesetzlicher Pflichten
gegenüber ausländischen Geschäftsführern ten-
denziell erschwert sein mag und sich diese
dem Zugriff durch die deutsche Rechtsordnung
leichter
entziehen
können
als
deutsche
Staatsangehörige.
Die Wurzeln für die hiermit verbundenen Risi-
ken liegen allein in der Struktur des Kapi-
talgesellschaftsrechts, sodass sich Rückwir-
kungen von der Effektivität des Rechtshilfe-
rechts auf die Wirksamkeit organschaftlicher
Bestellungsakte von vornherein verbieten. Im
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Übrigen betrifft diese Problematik im Kern
auch Geschäftsführer, die Bürger eines Mit-
gliedsstaates der Europäischen Union sind o-
der als deutsche Staatsbürger außerhalb des
Hoheitsgebiets der Bundesrepublik Deutschland
ansässig sind.
(2.2) Der Senat verkennt dabei nicht, dass es
schon wegen des präventiven Charakters der
straf- und zivilrechtlichen Verantwortlich-
keiten im öffentlichen Interesse liegt, als
Vertretungsorgan
von
Kapitalgesellschaften
nur Personen zuzulassen, die im Falle von
Pflichtverletzungen
mit
einer
effektiven
Rechtsverfolgung durch die bundesdeutsche
Justiz zu rechnen haben. Auch ist dem Senat
bewusst, dass der Globalisierungsprozess mit
Entwicklungen verbunden ist, denen in anderen
Bereichen durch normative Regelungen zur
Transparenz von Zahlungsflüssen entgegenge-
wirkt werden soll und dass insoweit spezifi-
sche Gefahrenlagen aus Ländern drohen, deren
Bürger mit einem Zugriff der deutschen
Rechtspflege nicht ernsthaft zu rechnen ha-
ben.
In Anbetracht gegenläufiger öffentlicher Be-
lange, wie etwa der dargelegten Sicherheit
des Rechtsverkehrs und der Stärkung deutscher
Kapitalgesellschaften in den sich zunehmend
verflechtenden globalen Wirtschaftsbeziehun-
gen ist die Entscheidung dieses Widerstreits
aber dem Gesetzgeber vorzubehalten, der - wie
dargelegt - trotz Evidenz der Problemlage bei
allen Änderungen von § 6 Abs. 2 GmbHG bzw.
§ 76 Abs. 3 AktG davon abgesehen hat, an die
Fähigkeit zur Übernahme einer organschaftli-
chen Vertretung einer deutschen Kapitalge-
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sellschaft weitere persönliche Anforderungen
zu stellen.
2.
Sonstige Zweifel an der Wirksamkeit des Bestellungsak-
tes vom 18.08.2000 sind nach Vorlage der Anlagen K 7
(Bl. 242 dA) und K 10 - K 14 (Bl. 276 ff.dA) von der
Beklagten nicht mehr vorgetragen und auch nicht veran-
lasst.
3.
Da § 15 Abs. 1 HGB nicht im Zusammenhang mit den durch
das Gericht von Amts wegen zu prüfenden Sachurteilsvor-
aussetzungen gilt, ist die Klägerin auch nicht wegen
der unterbliebenen Eintragung des Geschäftsführerwech-
sels so zu behandeln, als ob sie prozessunfähig sei
(vgl. zur Abgrenzung: BGH MDR 1979, 308 [309]).
II.
Auf der Grundlage des Beklagtenvortrages ist die Klage unbe-
gründet, so dass sie durch Versäumnisurteil abzuweisen war.
B.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 97, 708 Nr. 2
ZPO.