Urteil des OLG Dresden vom 31.12.1998

OLG Dresden: vergütung, abrechnung, verjährung, erlöschen, vertrauensschutz, unterliegen, gerichtsbarkeit, rechtsnorm, bestandteil, bedürfnis

1.
Für Ansprüche eines Berufsbetreuers auf Vergütung und
Aufwendungsersatz für bis zum 31.12.1998 abgeschlossene
Betreuungssachverhalte gelten die Beschlussfristen der §§ 1835 Abs. 1
Satz 3, 1836 Abs. 2 Satz 4 BGB nicht.
2.
Derartige Ansprüche erlöschen auch nicht mit Ablauf des 31. März 2000;
Art. 159 EGBGB ist auf die vorgenannten Ausschlussfristen nicht
anwendbar.
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Oberlandesgericht
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Dresden
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Aktenzeichen: 15 W 0550/01
16 T 1434/01 LG Leipzig
Beschluss
des 15. Zivilsenats
vom 30.07.2001
In dem Rechtsstreit
Betroffene
Beteiligte:
1.
Betreuerin und Beschwerdeführerin
Verfahrensbevollmächtigte:
Rechtsanwältin ,
2.
Beschwerdegegner
wegen Betreuungsvergütung
hat der 15. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden ohne mündliche
Verhandlung durch
Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ,
Richter am Oberlandesgericht und
Richter am Landgericht
beschlossen:
1. Auf die weitere sofortige Beschwerde der Beteiligten zu 1. vom 06.04.2001
werden der Beschluss des Landgerichts Leipzig vom 15.03.2001 - 16 T
1434/01 - und der Beschluss des Amtsgerichts Leipzig vom 06.02.2001 -
33 XVII 1519/94 - aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung über den Vergütungsantrag der
Beteiligten zu 1. vom 22.12.2000 an das Amtsgericht Leipzig
zurückverwiesen.
2. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
3. Der Wert des Beschwerdegegenstands wird auf 1 440,63 DM festgesetzt.
G r ü n d e :
I.
Die Beteiligte zu 1. rechnete mit einem am 27.12.2000 beim Amtsgericht
eingegangenem Schreiben Vergütung und Aufwendungsersatz, jeweils inklusive
Mehrwertsteuer, in einer Gesamthöhe von 1 440,63 DM für die Betreuung der
Betroffenen im Zeitraum vom 22.07.1998 bis 03.12.1998 ab. Amtsgericht und
Landgericht haben die geltend gemachten Ansprüche für erloschen gehalten; das
Landgericht hat dies mit dem angegriffenen Beschluss auf die Erwägung gestützt,
die Ausschlussfristen der §§ 1835 Abs. 1 S. 3, 1836 Abs. 2 S. 4 BGB hätten in
analoger Anwendung von Art. 169 EGBGB am 01.01.1999 zu laufen begonnen, so
dass die Ausschlusswirkung mit Ablauf des 31.03.2000 eingetreten sei. Mit der
hiergegen gerichteten, vom Landgericht ausdrücklich zugelassenen weiteren
sofortigen Beschwerde erstrebt die Beteiligte zu 1 unverändert die Festsetzung
der abgerechneten Beträge gegen die Staatskasse.
II.
Die weitere Beschwerde ist statthaft (§ 56 g Abs. 5 S. 2 FGG i.V.m. § 69 e S. 1
FGG) und auch sonst in zulässiger Weise eingelegt (vgl. §§ 27, 29 FGG). Sie hat
in der Sache vorläufig Erfolg, weil der Senat die Auffassung des Landgerichts zur
Geltung der o.g. Ausschlussfristen im vorliegenden Fall aus Rechtsgründen (vgl.
§ 27 Abs. 1 FGG i.V.m. § 550 ZPO) nicht zu teilen vermag und dies im Ergebnis
zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht führt.
a) Die vom Landgericht herangezogenen Ausschlussfristen hat der Gesetzgeber
mit dem am 01.01.1999 in Kraft getretenen
Bertreuungsrechtsänderungsgesetz neu geschaffen. Es entspricht inzwischen
einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Literatur, dass sie nur auf unter
der Geltung des neuen Rechts entfaltete Betreuungstätigkeiten anwendbar
sind, nicht aber auf bis zum Jahresende 1998 abgeschlossene
Lebenssachverhalte (vgl. statt aller Palandt-Diederichsen, 60. Aufl. 2001,
§ 1836 BGB Rn. 12 a. E. m.w.N.). Dies zieht auch das Landgericht nicht in
Zweifel. Überleitungs- oder gar Rückwirkungsvorschriften hat der Gesetzgeber
nicht geschaffen; daraus folgt zunächst, dass die im vorliegenden Fall
abgerechneten Tätigkeiten und die daraus abgeleiteten Erstattungsansprüche
den Ausschlussregelungen der §§ 1835 Abs. 1 S. 3 und 1836 Abs. 2 S. 4
BGB unmittelbar nicht unterworfen sind. Ein solches Ergebnis (mit der
Maßgabe eines Fristbeginns zum 01.01.1999, d.h. dem Geltungsbeginn des
neuen Rechts) lässt sich auch nicht über die Heranziehung des
Rechtsgedankens aus Art. 169 EGBGB begründen. Denn diese Vorschrift ist
auf die hier zu beurteilende Konstellation entgegen der Auffassung des
Landgerichts nicht entsprechend anwendbar.
b) Art. 169 EGBGB trifft in temporaler Hinsicht Regelungen für den Fall des
Inkrafttretens des Bürgerlichen Gesetzbuches (am 01.01.1900) und befasst
sich in der Sache mit Verjährungsproblemen; um beides geht es im
vorliegenden Fall nicht. Wollte man die Vorschrift gleichwohl sinngemäß
heranziehen, so würde dies jedenfalls zu einer mehrstufigen Rechtsanalogie
führen: Es müsste Art. 169 EGBGB - über seinen längst durch Zeitablauf
erledigten unmittelbaren zeitlichen Anwendungsbereich hinaus - ein
allgemeiner Rechtsgedanke für geändertes Verjährungsrecht zu entnehmen
sein, und dieser müsste überdies auf Ausschlussfristen übertragbar sein.
Dieser Konstruktion steht schon entgegen, dass Art. 169 EGBGB bereits im
Fall seiner ursprünglichen originären Anwendung als für Ausschlussfristen
nicht bestimmt angesehen wurde (vgl. RGZ 48, 157, 163 unter Berufung auf
die Entstehungsgeschichte der Vorschrift; RGZ 66, 249, 251; zustimmend
Staudinger-Hönle, 13. Bearb. 1998, Art. 169 EGBGB Rn. 7; MünchKomm-
Grothe, 3. Aufl. 1999, Art. 169 EGBGB Rn. 1). Denn Ausschlussfristen sind
Bestandteile der jeweiligen materiellen Rechtsverhältnisse, auf die sie sich
beziehen, und entbehren daher - zumindest nach der Vorstellung des
Gesetzgebers des EGBGB - im Gegensatz zu Verjährungsfristen eines
einheitlichen Grundgedankens, der sie für eine einheitliche
Übergangsregelung zugänglich machen würde. Daher ist Art. 169 EGBGB -
erst recht - kein allgemeiner Rechtsgedanke für den Ablauf geänderter (in der
streitgegenständlichen Konstellation sogar neu eingeführter) Ausschlussfristen
zu entnehmen (vgl. Staudinger-Hönle, aaO. m.w.N.).
Der Gesetzgeber wäre zwar nicht gehindert, Übergangsvorschriften für die
Verjährung auf Ausschlussfristen für entsprechend anwendbar zu erklären;
eine solche Regelung findet sich etwa in Art. 231 § 6 Abs. 3 EGBGB. Im
Betreuungsrechtsänderungsgesetz hat der Gesetzgeber von einer solchen
Möglichkeit (obwohl sie ihm, wie das vorgenannte Übergangsrecht des
Einigungsvertrags zeigt, durchaus geläufig war) aber keinen Gebrauch
gemacht, sondern auf jegliche Übergangsvorschriften verzichtet. Dies
geschah auch nicht irrtümlich, sondern entgegen anders lautenden
Anregungen im Gesetzgebungsverfahren bewusst und mit der ausdrücklichen
Begründung, dass von dem neuen Recht "selbstverständlich" nur die unter
seiner Geltung entstehenden Ansprüche erfasst würden. Die mit der
Einführung der neuen Ausschlussfristen verbundene gesetzgeberische
Zielsetzung, die der angegriffene Beschluss zutreffend wiedergibt, bezieht sich
mithin (allein) auf künftige Betreuungstätigkeiten und deren Abrechnung. Dies
schließt es aus Sicht des Senats aus anzunehmen, der Gesetzgeber habe
eine Regelung, wie er sie im Rahmen des Art. 231 § 6 EGBGB noch für
geboten gehalten hat, beim
Inkraftsetzen des
Betreuungsrechtsänderungsgesetzes unter Rückgriff auf Art. 169 EGBGB als
entbehrlich angesehen oder verkannt, dass insoweit eine "planwidrige
Regelungslücke" entstehe.
c) Dem Landgericht ist zwar zuzugeben, dass die Gesetzesauslegung des Senats
für eine begrenzte Zeit dazu führen kann, dass bis zum 31.12.1998
entstandene Ansprüche länger gegen die Staatskasse geltend gemacht
werden können als ab dem 01.01.1999 neu entstehende Ansprüche; das ist
aber die logische Folge der Neueinführung von bislang nicht bestehenden
Ausschlussfristen unter bewusstem Verzicht auf Übergangsregelungen (s.o.)
und nötigt nicht zur "Nachbesserung" der gesetzgeberischen Entscheidung im
Wege zweifelhafter
Analogieschlüsse, zumal für eine solche
"Lückenschließung" aus Sicht des Senats auch kein unabweisbares
praktisches Bedürfnis besteht. Denn die nach altem Recht entstandenen
Ansprüche des Berufsbetreuers gegen die Staatskasse unterliegen nach wie
vor der kurzen Verjährung des § 196 Abs. 1 BGB; danach verjähren etwa
Forderungen aus dem Jahre 1998 unter Zugrundelegung der Rechtsprechung
des Bayrischen Obersten Landesgerichts (Beschl. v. 29.06.2000, Az.: 3 ZBR
51/00) zur Fälligwerdung dieser Ansprüche mit Ablauf des 31.12.2001, statt
auf der Basis der §§ 1835 Abs. 1 S. 3, 1836 Abs. 2 S. 4 BGB i.V.m. Art. 169
EGBGB mit dem 31.03.2000 zu erlöschen. Das ist als Konsequenz der
gesetzlichen Regelung hinzunehmen, auch wenn man das vom Landgericht
vertretene Ergebnis für sachgerechter halten wollte.
d) Für Überlegungen zum Vertrauensschutz ist in diesem Zusammenhang kein
Raum. Die Anwendung des Art. 169 EGBGB kann daher nicht mit der
Erwägung gerechtfertigt werden, die (neuen) Ausschlussfristen seien den
Berufsbetreuern allgemein bekannt und auch für die Abrechnung von
"Altansprüchen" hinreichend lang bemessen gewesen. Wären sie - ihre
grundsätzliche Geltung für die vorliegende Konstellation unterstellt -
unangemessen kurz gewesen, hätte der Gedanke, einer Rechtsnorm unter
Zumutbarkeitsaspekten die Gefolgschaft zu verweigern, auch fern gelegen.
Die umgekehrte Schlussfolgerung, die Heranziehung von Art. 169 EGBGB
bewirke keine sachwidrige Verschlechterung der Position der Berufsbetreuer,
ist ebenso wenig entscheidungserheblich; sie ist im Übrigen bei isolierter
Betrachtungsweise in der Sache auch nicht tragfähig. Denn die
Ausschlussfristen der §§ 1835 Abs. 1 S. 3, 1836 Abs. 2 S. 4 BGB mussten
den Berufsbetreuern als Bestandteil des ab 01.01.1999 geltenden neuen
Rechts bekannt sein; dass die Betreuer auch mit deren Anwendung auf
Altansprüche - und sei es nur über Art. 169 EGBGB - zu rechnen gehabt
hätten und deshalb ihre Abrechnungspraxis ggf. darauf hätten einstellen
müssen, ist hingegen nicht ersichtlich.
Die von der Beteiligten zu 1. abgerechneten Beträge können nach alledem
nicht mit der Begründung versagt werden, sie seien mangels rechtzeitiger
Geltendmachung erloschen; da sie im Übrigen noch nicht geprüft sind, ist das
Verfahren an das Amtsgericht - Vormundschaftsgericht - Leipzig zur erneuten
Bescheidung zurückzuverweisen.
Eine Entscheidung über die Gerichtskosten ist nicht veranlasst, da der
Kostenbeamte hierüber aufgrund eigener Kompetenz entscheidet. Der Senat sieht
im Übrigen keine Veranlassung, von dem Grundsatz abzuweichen, dass in
Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit die Verfahrensbeteiligten ihre jeweiligen
Kosten selbst tragen (vgl. § 13 a Abs. 1 FGG).
Der festgesetzte Beschwerdewert entspricht dem Betrag der streitbefangenen
Ansprüche der Beteiligten zu 1.