Urteil des OLG Celle vom 19.12.2008

OLG Celle: pflichtverteidiger, vertreter, vertretung, die post, innenverhältnis, vollmacht, mandat, verfügung, verhinderung, einzelrichter

Gericht:
OLG Celle, 02. Strafsenat
Typ, AZ:
Beschluss, 2 Ws 365/08
Datum:
19.12.2008
Sachgebiet:
Normen:
StPO § 142, RVG § 5
Leitsatz:
Die Beiordnung eines Rechtsanwaltes als Vertreter des Pflichtverteidigers ist zulässig.
Die Pflichtverteidigergebühren entstehen im Fall der Vertretung aber insgesamt
nur einmal.
Volltext:
Oberlandesgericht Celle
2 Ws 365/08
18/07 LG V.
103 Js 11061/07 StA V.
B e s c h l u s s
In der Strafsache
gegen M. B. ,
geboren am 21. Mai 1970 in P./S.,
wohnhaft L., A.G.,
wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge
u. a.
hier: Festsetzung von Pflichtverteidigergebühren
Antragsteller und Beschwerdeführer: Rechtsanwalt M., V.,
hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die befristete Beschwerde des Antragstellers gegen den
Beschluss des Einzelrichters der 1. großen Strafkammer des Landgerichts V. vom 1. Oktober 2008 durch den
Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht #######, den Richter am Oberlandesgericht ####### und den Richter
am Oberlandesgericht ####### am 19. Dezember 2008 beschlossen:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
G r ü n d e :
I.
Dem Angeklagten war durch Verfügung des Vorsitzenden der Strafkammer vom 3. April 2007 Rechtsanwalt Dr. M.
als Pflichtverteidiger beigeordnet worden. Zu den Hauptverhandlungstagen am 12. und 20. September 2007 war
Rechtsanwalt Dr. M. verhindert. Für ihn erschien der Antragsteller, den der Vorsitzende jeweils „für den heutigen
Hauptverhandlungstag“ bzw. „für den heutigen Hauptverhandlungstermin“ als Pflichtverteidiger beiordnete.
Rechtsanwalt Dr. M. hatte unter dem 27. September 2007 die Festsetzung seiner Pflichtverteidigergebühren
beantragt und dabei eine Grundgebühr gemäß Nrn. 4101, 4100 VVRVG, zwei Verfahrensgebühren gemäß Nr. 4104 f.
VVRVG bzw. 4112 f. VVRVG, eine Terminsgebühr gemäß Nrn. 4112, 4114 f. VVRVG für den von ihm
wahrgenommenen Hauptverhandlungstermin am 21. August 2007, die Post und Dokumentenpauschalen sowie
Mehrwertsteuer geltend gemacht. Der Gesamtbetrag von 949,68 EUR war antragsgemäß festgesetzt worden.
Unter dem 1. Oktober 2007 beantragte auch der Antragsteller die Festsetzung von Pflichtverteidigergebühren. Er
machte ebenfalls die Grundgebühr gemäß Nrn. 4101, 4100 VVRVG in Höhe von 162,00 EUR sowie eine
Verfahrensgebühr gemäß Nr. 4112 f. VVRVG in Höhe von 151,00 EUR geltend und daneben zwei Terminsgebühren
gemäß Nrn. 4112, 4114 f. VVRVG in Höhe von 526,00 EUR, die Postpauschale von 20 EUR und 19 %
Umsatzsteuer.
Die Kostenbeamtin fragte nach Eingang dieses Antrags beim Vorsitzenden der Strafkammer an, ob der Antragsteller
lediglich für die jeweiligen Hauptverhandlungstermine beigeordnet oder ob er als weiterer Pflichtverteidiger neben
Rechtsanwalt Dr. M. bestellt worden sei. Der Vorsitzende vermerkte in den Akten, dass - wie beantragt - die
Beiordnung lediglich für die jeweiligen Sitzungstage erfolgt sei.
Die Kostenbeamtin setzte darauf mit Verfügung vom 25. Januar 2008 die Pflichtverteidigergebühren für den
Antragsteller auf 649,74 EUR inklusive Postpauschale und Mehrwertsteuer fest. Die Grund und die Verfahrensgebühr
setzte sie mit der Begründung ab, diese Gebühren stünden einem „nur für den jeweiligen Hauptverhandlungstermin in
Vertretung beigeordneten Anwalt“ nicht zu.
Die dagegen gerichtete Erinnerung des Antragstellers wies der Einzelrichter der 1. großen Strafkammer mit dem
angefochtenen Beschluss als unbegründet zurück. Unter Berufung u. a. auf die Entscheidung des 1. Strafsenates
dieses Gerichts vom 25. August 2006 (1 Ws 423/06, Nds.Rpfl. 2006, 375) führte er aus, dass es dem erkennenden
Gericht vor dem Hintergrund der Zulässigkeit einer Vertretung des bestellten Pflichtverteidigers im Falle von dessen
vorübergehender Verhinderung auch möglich sein müsse, den Vertreter nur unter Beschränkung auf den Zeitraum
der Abwesenheit des Pflichtverteidigers beizuordnen. Der Vergütungsanspruch, der dem als Vertreter beigeordneten
Verteidiger in seiner Person entstehe, könne dann nicht höher sein als jener Anspruch, den der verhinderte
Pflichtverteidiger hätte geltend machen können. Insbesondere entstünden die Grundgebühr für die erstmalige
Einarbeitung und die Verfahrensgebühr für das Betreiben des Geschäfts nur einmal. Hier sei der Antragsteller
lediglich als Vertreter des verhinderten Pflichtverteidigers Dr. M. beigeordnet worden, weil die Beiordnung jeweils nur
für einen einzelnen Sitzungstag erfolgt sei und sich aus dem Verfahrensablauf ergebe, dass ein zweiter
Pflichtverteidiger nicht habe bestellt werden sollen. Dabei sei es ohne Bedeutung, wenn aus den
Beiordnungsbeschlüssen vom 12. und vom 20. September 2007 die Beiordnung als Vertreter des weiterhin bestellten
Pflichtverteidigers Dr. M. nicht ausdrücklich hervorgehe.
Gegen diesen Beschluss wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde. Er ist der Auffassung, die Gebühren
eines Pflichtverteidigers stünden ihm vollumfänglich zu. Er sei weder als Vertreter noch lediglich für jeweils einen
Hauptverhandlungstermin beigeordnet worden, sondern uneingeschränkt als (weiterer) Pflichtverteidiger. Dies ergebe
sich bereits aus dem Umfang der von ihm entfalteten Tätigkeiten und aus der Dauer der jeweils wahrgenommenen
Sitzungstermine. Unter dem 31. August 2007 habe der Vorsitzende der Kammer den Angeklagten gebeten, „einen
anderen Pflichtverteidiger vorzuschlagen“, weil bei dem beigeordneten Verteidiger Dr. M. Terminprobleme bestanden.
Darauf habe der Angeklagte um die Beiordnung des Antragstellers ersucht, dem der Vorsitzende mit den
Beiordnungsbeschlüssen gefolgt sei. Zudem habe der Antragsteller nicht nur an den beiden zeitaufwändigen
Hauptverhandlungsterminen teilgenommen, sondern auch maßgeblich am Zustandekommen der
verfahrensbeendenden Absprache mitgewirkt.
Der Einzelrichter hat die Sache wegen grundsätzlicher Bedeutung auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern
übertragen, weil Klärungsbedarf bestand, ob die bisherige Rechtsprechung der hiesigen Strafsenate (Beschluss des
1. Strafsenates a. a. O.. Beschluss des 2. Strafsenates vom 10. Oktober 2006, 2 Ws 241 und 258/06) angesichts
der abweichenden neuen Entscheidungen des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 16. Juli 2008 (3 Ws 281/08, StraFo
2008, 349) und des Oberlandesgerichts München vom 23. Oktober 2008 (4 Ws 140/08, juris) fortgeführt werden soll.
II.
Das zulässige Rechtsmittel bleibt aus den im Ergebnis zutreffenden Erwägungen der angefochtenen Entscheidung
ohne Erfolg.
1. Insbesondere geht die angefochtene Entscheidung zu Recht davon aus, dass der Antragsteller an den beiden
Hauptverhandlungstagen nicht als zweiter Pflichtverteidiger, sondern als Vertreter des verhinderten
Pflichtverteidigers Rechtsanwalt Dr. M. beigeordnet worden ist.
Dies folgt zwar nicht ausdrücklich aus dem Wortlaut der Beiordnungsbeschlüsse, nach denen der Antragsteller
jeweils für die beiden einzelnen Hauptverhandlungstage als Pflichtverteidiger beigeordnet wurde, es folgt aber aus
dem Zusammenhang. Der Vorsitzende der Strafkammer hatte es zuvor abgelehnt, dem Angeklagten wegen der
Terminschwierigkeiten des Pflichtverteidigers Dr. M. einen zweiten Pflichtverteidiger beizuordnen und dies dem
Angeklagten mit Schreiben vom 31. August 2007 mitgeteilt. Gleichzeitig bat er vorsorglich um Benennung eines
anderen Pflichtverteidigers. Daraufhin benannte der Angeklagte den Antragsteller, betonte aber ausdrücklich, dass er
„auf jeden Fall mit Rechtsanwalt Dr. M.“ das Verfahren beenden wolle. Der Vorsitzende veranlasste daraufhin
bezüglich der Pflichtverteidigung zunächst nichts mehr, weder entband er Rechtsanwalt Dr. M. noch ordnete er den
Antragsteller als weiteren Pflichtverteidiger bei. Erst als Rechtsanwalt Dr. M. zum zweiten Hauptverhandlungstermin
am 12. September 2007 nicht erschien, erfolgte eine Beiordnung des Antragstellers ausdrücklich nur für diesen Tag,
dasselbe geschah am 20. September 2007. Für beide Tage weist das Hauptverhandlungsprotokoll aus, der
Antragsteller sei „für Rechtsanwalt Dr. M.“ erschienen. Dieser Ablauf belegt, dass der Antragsteller an beiden Tagen
nur in die Vertretung des weiterhin bestellten Pflichtverteidigers Dr. M. eingewiesen werden sollte.
2. Die Beiordnung als sogenannter „Terminsvertreter“ ist verfahrensrechtlich zulässig und hat gebührenrechtlich zur
Folge, dass nur ein Pflichtverteidigermandat abzurechnen ist (ebenso schon die bisherige Auffassung beider
Strafsenate des OLG Celle a. a. O.. KG NStZRR 2005, 327 f. und StraFo 2008, 349. OLG Hamm RVGReport 2007,
71. a. A. OLG Karlsruhe und OLG München a. a. O.).
a) Die Vertretung des Pflichtverteidigers durch einen anderen Verteidiger ist nach weitgehend einhelliger Meinung
zulässig. Der bestellte Verteidiger kann sich bei vorübergehender Verhinderung mit Genehmigung des Vorsitzenden
des erkennenden Gerichts durch einen anderen Rechtsanwalt vertreten lassen (vgl. KG NStZRR 2005, 327, 328 und
StraFo 2008, 349. OLG Hamm, Beschluss vom 3. Oktober 1983, 1 Ws 144/83, juris. OLG Frankfurt NJW 1980,
1703. LRLüderssen/Jahn, StPO 26. Aufl. 2007, Rdnr. 36 zu § 142. MeyerGoßner, StPO, 51. Aufl., Rdnr. 15 zu §
142) und der allgemeine Vertreter des beigeordneten Verteidigers i. S. von § 53 BRAO kann die Pflichtverteidigung
für den beigeordneten Verteidiger führen (BGH NStZ 1992, 248. NStZRR 2002, 12). Diesen Zusammenhang verkennt
das OLG Karlsruhe mit seiner Erwägung (a. a. O.), eine Beiordnung als Vertreter des bereits bestellten
Pflichtverteidigers dergestalt, „dass der Beigeordnete gleichsam als Hilfsperson des eigentlichen Pflichtverteidigers
in dessen Beiordnungsverhältnis mit einbezogen wird“, kenne das Strafverfahrensrecht nicht. Der vom Gericht
beigeordnete Vertreter des Pflichtverteidigers (zur Empfehlung, ihn beizuordnen und ihn nicht ohne Beiordnung
auftreten zu lassen vgl. MeyerGoßner a. a. O. Rdnr. 15 zu § 142) hat vielmehr gegenüber dem Angeklagten, dem
Gericht und den anderen Verfahrensbeteiligten alle strafprozessualen Rechte und Pflichten eines Verteidigers, eine
Einschränkung dieser Rechtsstellung kennt das Strafprozessrecht tatsächlich nicht. Ob im Innenverhältnis eine
Abstimmung mit dem bestellten Pflichtverteidiger und mit dem Angeklagten über die Verteidigungsstrategie erfolgt,
wie sie auch in anderen Vertretungsfällen üblich ist, berührt die strafprozessuale Stellung des Vertreters in keiner
Weise.
b) Unter dem Blickwinkel des Gebührenrechts gilt nichts anderes. Die Vorschrift des § 5 RVG, die die Vertretung von
Rechtsanwälten gebührenrechtlich regelt, nimmt die Vertretung eines Pflichtverteidigers gerade nicht aus dem
Regelungsbereich aus, obschon dem Gesetzgeber bei Einführung des RVG bekannt war, dass die Rechtsprechung
eine Vertretung auch des Pflichtverteidigers bis dato einhellig für zulässig erachtet hatte. Entsprechend geht die
Kommentarliteratur ohne Weiteres davon aus, dass § 5 RVG auch im Falle der Vertretung des Pflichtverteidigers
anwendbar und dass eine solche Vertretung zulässig ist (siehe nur Gerold/SchmidtMadert, RVG, 18. Aufl., Rdnr. 21
zu § 5 m. w. N.. Hartmann, Kostengesetze, 38. Aufl., Rdnr. 2, 5 zu Nr. 4100 VV RVG).
Gebührenrechtlich besteht im Fall der Vertretung lediglich ein einziges Mandat zur (Pflicht)Verteidigung mit der
Folge, dass in diesem Mandat alle Gebühren nur einmal entstehen (vgl. dazu die amtliche Begründung zum
Rechtsanwaltsvergütungsgesetz vom 5. Mai 2004, BTDrs. 15/1971 S. 221. s. a. Hartmann a. a. O., Rdnr. 5 zu Nr.
4100 VVRVG). Für die Abrechnung gelten die in § 5 RVG niedergelegten Grundsätze, für die Tätigkeit des Vertreters
entstehen also grundsätzlich dieselben Gebühren, die auch für den vertretenen Pflichtverteidiger angefallen wären.
3. Danach ist die Beschwerde des Antragstellers insgesamt unbegründet. Er hat neben den von Rechtsanwalt Dr. M.
geltend gemachten Gebühren weder einen Anspruch auf die Grundgebühr noch auf die Verfahrensgebühr eines
Pflichtverteidigers. Er hat auch, wie der angefochtene Beschluss zutreffend ausführt, keinen Anspruch auf die
Postpauschale nach Nr. 7002 VVRVG, die Rechtsanwalt Dr. M. in dem bestehenden Mandatsverhältnis bereits
abgerechnet hat.
4. Im übrigen neigt der Senat unter Hinweis auf § 5 RVG zu der Auffassung, dass ein als Vertreter beigeordneter
Rechtsanwalt in eigener Person gegen die Staatskasse keinen Vergütungsanspruch geltend machen kann. Aus
dieser Vorschrift dürfte in der vorliegenden Konstellation folgen, dass der Vergütungsanspruch dem bestellten und
vertretenen Pflichtverteidiger zusteht (so auch Gerold/SchmidtMadert a. a. O., Rdnr. 21 zu § 5. a. A. KG StraFo
2008, 349 ohne Begründung) mit der Folge, dass im Hinblick auf sämtliche im Verfahren entstandenen Gebühren der
jeweilige Aufwand beider Anwälte für die Wahrnehmung der Verteidigung im Innenverhältnis auszugleichen ist (vgl.
Gerold/SchmidtMadert a. a. O., Rdnr. 2 zu § 5). Dies betrifft dann auch die Grund und die Verfahrensgebühr sowie
die Postpauschale.
Beantragt allerdings der Pflichtverteidiger die Gebühren für die von seinem Vertreter wahrgenommenen Termine nicht
selbst, sondern überlässt diesen Antrag dem Vertreter, so begründet dies mindestens der Anschein einer Vollmacht
für den Vertreter, die durch seine eigene Tätigkeit entstandenen Gebühren selbst geltend zu machen. Eine solche
Vollmacht dürfte in aller Regel dem Ausgleich im Innenverhältnis beider Anwälte geschuldet sein. Mangels
gegenteiliger Anhaltspunkte begründet eine solche Vollmacht auch die Befugnis des Vertreters gegenüber der
Staatskasse, eine Auszahlung an sich selbst zu beantragen.
So liegt der Fall hier. Auf die Frage, ob die Terminsgebühren vom 12. und 20. September 2007 in der Person des
Pflichtverteidigers oder in der Person seines Vertreters, des Antragstellers, entstanden sind, kommt es deshalb
nicht an.
5. Die Gebührenfreiheit des Beschwerdeverfahrens folgt aus § 56 Abs. 2 Satz 2 RVG. Der Ausspruch zur
Auslagenerstattung beruht auf § 56 Abs. 2 Satz 3 RVG.
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