Urteil des OLG Celle vom 13.02.2012

OLG Celle: hauptsache, verweigerung, beendigung, scheidungsverfahren, zustellung, klagerücknahme, unrichtigkeit, rechtspflege, unterhalt, datum

Gericht:
OLG Celle, 10. Zivilsenat
Typ, AZ:
Beschluss, 10 UF 4/12
Datum:
13.02.2012
Sachgebiet:
Normen:
ZPO § 269 Abs 1 und 2 i V m FamFG § 113 Abs 1, FamFG § 141
Leitsatz:
Hat die Antragsgegnerin die nach Verhandlung zur Sache über den Scheidungsantrag erforderliche
Zustimmung zu einer vom Antragsteller erklärten Rücknahme des Scheidungsantrages (hier: durch
ausdrückliche Stellung des Antrages auf Aufhebung des Verbundurteils und Zurückverweisung der
Sache im Termin des anhängigen Berufungsverfahrens) verweigert und war das Scheidungsverfahren
deswegen fortzusetzen, ist die Antragsrücknahme wirkungslos geworden. eine spätere
Zustimmungserklärung zu dieser Rücknahmeerklärung ist nicht möglich und führt nicht zur
Beendigung des Scheidungsverfahrens.
Volltext:
10 UF 4/12
626 F 4774/06 Amtsgericht Hannover
Beschluss
In der Familiensache
L. G.,
Antragsteller und Beschwerdeführer,
Verfahrensbevollmächtigter:
Rechtsanwalt Dr. G. S.,
gegen
I. G.,
Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin,
Verfahrensbevollmächtigte:
Anwaltsbüro D. + v. H.,
hat der 10. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Celle durch den Vorsitzenden Richter am
Oberlandesgericht W. und die Richter am Oberlandesgericht G. und H. am 13. Februar 2012 beschlossen:
Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Hannover
vom 5. Dezember 2011 aufgehoben.
Gerichtskosten (KV FamGKG 1910) sind für das Beschwerdeverfahren nicht zu erheben (§ 20 Abs. 1 FamGKG).
über die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens ist im Rahmen der Endentscheidung
in der Hauptsache zu befinden.
Gründe:
I.
Im vorliegenden Verfahren hat der Antragsteller mit am 6. Oktober 2006 beim Amtsgericht eingegangenem
Schriftsatz die Scheidung der am 30. Januar 1990 geschlossenen Ehe der Beteiligten beantragt. Nach der
Sitzungsniederschrift haben im Termin vor dem Amtsgericht am 17. Juli 2009 beide Verfahrensbevollmächtigten
übereinstimmend die Scheidung der Parteien beantragt. Mit Urteil vom 17. Juli 2009 hat das Amtsgericht die Ehe
geschieden, die Folgesache nachehelicher Unterhalt abgetrennt und zum Versorgungsausgleich erkannt.
Gegen dieses Urteil haben beide Eheleute Rechtsmittel eingelegt. während sich der Antragsteller gegen die
Regelung des Versorgungsausgleiches wandte, hat die Antragsgegnerin erstrangig Aufhebung des Urteils und
Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht beantragt und hilfsweise den Zuspruch nachehelichen Unterhalts
sowie eine anderweitige Regelung des Versorgungsausgleichs erstrebt. Im laufenden Berufungsverfahren und nach
einem Hinweis des Senatsvorsitzenden, daß die Berufung der Ehefrau mit ihrem Hauptantrag werde Erfolg haben
müssen, hat der Antragsteller unter dem 4. November 2009 erklärt, seinen Scheidungsantrag zurückzunehmen [Bl. I
187 d.A.].
Nach Hinweis des Berichterstatters auf im amtsgerichtlichen Protokoll der mündlichen Verhandlung festgehaltene
beiderseitige Scheidungsanträge und die sich daraus ergebende Folge, daß die einseitige Antragsrücknahme nicht
zur Beendigung des Verfahrens führen könne, hat der Antragsteller gegen die Richtigkeit dieses Protokolls
hinsichtlich eines Scheidungsantrages der Ehefrau Einwände erhoben. nach einer Stellungnahme des
Verfahrensbevollmächtigten der Ehefrau, der seine eigene Antragstellung bestätigte, hat der Amtsrichter mitgeteilt,
daß eine Protokollberichtigung nicht in Betracht komme. Parallel dazu hat der Verfahrensbevollmächtigte der
Ehefrau schriftsätzlich erklärt, daß es auf eine eigene Antragstellung der Ehefrau ohnehin nicht entscheiden
ankomme, da nach Verhandlung zum jedenfalls gestellten Scheidungsantrag des Ehemannes eine Zustimmung zur
Antragsrücknahme durch die Antragsgegnerin in jedem Fall erforderlich wäre. Diese Zustimmung der
Antragsgegnerin ist sodann nicht erklärt, vielmehr im Termin vor dem Senat ausdrücklich der angekündigte
Hauptantrag (Aufhebung und Zurückverweisung) gestellt worden. Daraufhin hat der Senat mit Urteil vom 24.
November 2009 das amtsgerichtliche Urteil als unzulässige Teilentscheidung aufgehoben und den Rechtsstreit an
das Amtsgericht zurückverwiesen.
Am 19. Oktober 2009 hat die Ehefrau in der Hauptsache wie im Wege einstweiliger Anordnung die Verpflichtung des
Ehemannes zu Trennungsunterhalt begehrt. das diesbezüglich zunächst gesondert geführte Verfahren auf
einstweilige Anordnung ist vom Amtsgericht zum Scheidungsverfahren verbunden, dort als Sonderheft geführt
worden, und dem Antrag ist mit Beschluß vom 15. Januar 2010 teilweise stattgegeben worden. Am 30. Mai 2011 hat
der Ehemann beantragt, die einstweilige Anordnung zum Trennungsunterhalt ´aufzuheben´, und dazu in der Folgezeit
zur Unrichtigkeit der zugrundeliegenden eidesstattlichen Versicherungen der Ehefrau vorgetragen. das Amtsgericht
hat die Staatsanwaltschaft um Prüfung der geltend gemachten Vorwürfe gebeten, über den Antrag auf Änderung der
einstweiligen Anordnung bislang aber noch nicht entschieden.
Schließlich ist vom Ehemann am 30. September 2011 im Wege eines Stufenantrages auch die Folgesache
Güterrecht - zunächst mit einem Auskunftsantrag - anhängig gemacht worden.
Mit Schriftsatz vom 22. November 2011 hat daraufhin der Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin erklärt,
nunmehr ausdrücklich der Rücknahme des Scheidungsantrages vom 4. November 2009 zuzustimmen.
Das Amtsgericht hat mit Beschluß vom 5. Dezember 2012 festgestellt, daß die Rücknahme des
Scheidungsantrages nunmehr wirksam geworden sei, sowie - auf dahin verstandenen Antrag der Antragsgegnerin -
die Kosten des Verfahrens dem Antragsteller auferlegt.
Gegen diesen, seinem Verfahrensbevollmächtigen am 12. Dezember 2011 zugestellten Beschluß hat der
Antragsteller am 21. Dezember ´Beschwerde, hilfsweise jedes andere zulässige Rechtsmittel´ eingelegt. Er hat dabei
ausgeführt, daß die ´nunmehrige Zustimmung zu der Rücknahme des Scheidungsantrages … in grobem Maße
rechtsmißbräuchlich, wenn nicht - wie in erster Linie geltend gemacht wird - von vornherein unwirksam´ sei, und die
Kostenentscheidung als ´grob fehlerhaft´ angesehen.
II.
Für das vorliegende, vor dem 1. September 2009 eingeleitete und gemäß Art. 111 Abs. 1 FGGReformG (zunächst)
weiterhin nach den vor dem 1. September 2009 maßgeblichen Normen fortzuführende Scheidungsverbundverfahren
sind, da über den im Verbund anhängigen Versorgungsausgleich nicht bis zum 31. August 2010 eine erstinstanzliche
Endentscheidung ergangen war, gemäß Art. 111 Abs. 5 FGGReformG seit dem 1. September 2010 insgesamt die
nach Inkrafttreten des FGGReformG geltenden Vorschriften anzuwenden.
III.
1. Der Rechtsbehelf des Antragstellers ist als sofortige Beschwerde gemäß §§ 113 Abs. 1 FamFG, 269 Abs. 5 ZPO
statthaft und auch im Übrigen zulässig: Insbesondere wäre gegen eine Entscheidung in der Hauptsache die
Beschwerde eröffnet und ist das Rechtsmittel fristgerecht eingelegt.
2. Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. zu Unrecht ist das Amtsgericht davon ausgegangen, daß das
vorliegende Verbundverfahren durch eine Zustimmung der Antragsgegnerin zu einer vom Antragsteller erklärten
Rücknahme des Scheidungsantrages beendet worden sei.
Dabei kann sogar dahinstehen, ob im vorliegenden Verfahren nicht ohnehin - wie im ausdrücklich nicht berichtigten
Protokoll festgehalten und vom Verfahrensbevollmächtigten der Ehefrau schriftsätzlich bestätigt - auch die Ehefrau
ihrerseits im Termin vom 17. Juli 2009 einen Scheidungsantrag gestellt hat, der bislang jedoch nicht
zurückgenommen ist und zu dessen Rücknahme es auch an einer erforderlichen Zustimmung des Antragstellers
fehlt. Denn es liegt jedenfalls nicht einmal eine wirksame Rücknahme des Scheidungsantrages des Ehemannes vor.
a. Zwar hatte der Antragsteller mit Anwaltsschriftsatz vom 4. November 2009 die Rücknahme seines
Scheidungsantrags erklärt. Da jedoch jedenfalls über den Scheidungsantrag des Antragstellers im Termin vor dem
Amtsgericht am 17. Juli 2009 zur Hauptsache verhandelt worden war, hätte diese Antragsrücknahme gemäß §§ 113
Abs. 1 FamFG, 296 Abs. 1 ZPO einer Zustimmung durch die Antragsgegnerin bedurft.
b. Eine solche Zustimmung, die ebenso wie ihre Verweigerung auch konkludent - insbesondere durch den Inhalt der
nachfolgenden Antragstellung - erklärt werden kann (vgl. Prütting/Gehrlein2–Geisler, ZPO § 269 Rz. 8 f..
MüKoZPO3–BeckerEberhard, § 269 Rz. 29. Stein/Jonas22–Roth, ZPO § 296 Rz. 20. RGZ 108, 135, 137) ist jedoch
weder schriftsätzlich vor noch durch Erklärung in der mündlichen Verhandlung im Berufungstermin vor dem Senat
erklärt noch gemäß § 269 Abs. 2 Satz 4 ZPO ersetzt worden.
aa. Nachdem für den Senat angesichts des im amtsgerichtlichen Termin protokollierten beiderseitigen
Scheidungsantrages der einseitigen Antragsrücknahme keine wesentliche Bedeutung zukam, bestand kein Anlaß,
eine qualifizierte Zustellung des entsprechenden Schriftsatzes im Sinne von § 269 Abs. 2 Sätze 3 und 4 ZPO zu
veranlassen, deren Frist vor dem anberaumten Termin ohnehin nicht abgelaufen wäre. insofern war im Streitfall eine
Fiktion der Zustimmung zur Antragsrücknahme ausgeschlossen.
bb. Vielmehr hat die Antragsgegnerin mit Anwaltsschriftsatz vom 16. November 2009 bereits ausdrücklich darauf
abgestellt, daß es unabhängig davon, ob im amtsgerichtlichen Termin vom 17. Juli 2009 nur durch den Antragsteller
oder beiderseits ein Scheidungsantrag gestellt worden ist, bereits aufgrund der unstreitig erfolgten Verhandlung zur
Sache über den Scheidungsantrag des Antragstellers für die Wirksamkeit einer Antragsrücknahme der Zustimmung
durch die Antragsgegnerin bedürfe. Jedenfalls durch deren ausdrückliche, auf Aufhebung des amtsgerichtlichen
Scheidungsurteils und Zurückverweisung des Verfahrens an das Amtsgericht gerichtete Antragstellung im
anschließenden Berufungstermin vor dem Senat ist eine solche Zustimmung zur Antragsrücknahme gegenüber dem
Gericht endgültig verweigert worden.
cc. Nicht nur bei der Zustimmung zur Antragsrücknahme handelt es sich um eine unwiderrufliche Prozeßhandlung
(vgl. Zöller26Greger, ZPO § 269 Rz. 15), sondern auch bei deren Verweigerung (vgl. MükoZPO aaO Rz. 34 a.E..
Musielak8–Foerste, ZPO, § 269 Rz. 9). daher wird durch die Zustimmungsverweigerung die Klagerücknahme
wirkungslos (vgl. Zöller aaO Rz. 16. Stein/Jonas aaO Rz. 22. BGH, Beschluß vom 20. August 1998 - I ZB 38/98 -
NJW 1998, 3784 f. = MDR 1999, 626). Es kommt daher auch nicht in Betracht, nach erklärter Verweigerung der
Zustimmung zur Antragsrücknahme und demzufolge Fortsetzung des Verfahrens mit einer zu einem späteren
Zeitpunkt nunmehr erklärten Zustimmung an die wirkungslos gewordene Rücknahmeerklärung anzuknüpfen (RGZ
105, 135, 137. MüKoZPO aaO Rz. 34 a.E.).
W. G. H.