Urteil des OLG Celle vom 13.09.2011

OLG Celle: einverständnis, begriff, offenkundig, terminologie, vergleich, anhörung, vertretung, ausnahme, wiederholung, ausschluss

Gericht:
OLG Celle, 10. Zivilsenat
Typ, AZ:
Beschluss, 10 WF 227/11
Datum:
13.09.2011
Sachgebiet:
Normen:
VV RVG Nr. 3104
Leitsatz:
Hat in einem den Umgang betreffenden Verfahren ein Anhörungs oder Erörterungstermin tatsächlich
nicht stattgefunden, wird die Terminsgebühr im Falle eines schriftlichen Vergleichabschlusses nicht
nach Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG ausgelöst (Bestätigung des Senatsbeschlusses vom 14.
Dezember 2009 - 10 WF 358/09 - FamRZ 2011, 590 f.. entgegen OLG Stuttgart - Beschluss vom 14.
September 2010 - 8 WF 133/10 - FamRZ 2011, 591 f.).
Volltext:
10 WF 227/11
617 F 631/11 Amtsgericht Hannover
Beschluss
In der Familiensache
betreffend den Umgang mit dem beteiligten Kind
N. K. H. L., geb. am ...1997, …,
Verfahrensbeistand:
T. T., …,
Geschäftszeichen: …,
weitere Beteiligte:
1. K. L., …,
Antragsteller und Beschwerdeführer,
Verfahrensbevollmächtigte:
Rechtsanwältin B. S., …,
Geschäftszeichen: …,
2. N. C. F., …,
Antragsgegnerin,
Verfahrensbevollmächtigte:
Rechtsanwältin B. L., …,
Geschäftszeichen: …,
3. Bezirksrevisor bei dem Amtsgericht Hannover, …,
Geschäftszeichen: …
hat der 10. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Celle auf die Beschwerde der
Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers gegen den ihre Erinnerung gegen die amtsgerichtliche
Vergütungsfestsetzung vom 14. Juni 2011 zurückweisenden Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht -
Hannover vom 8. Juli 2011 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht W., den Richter am
Oberlandesgericht G. und die Richterin am Amtsgericht R. am 13. September 2011 beschlossen:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 S. 2 und 3 RVG).
Gründe:
I.
Im vorliegenden Verfahren erstrebte der Antragsteller den gerichtlichen Ausschluss des persönlichen Umgangs des
in seiner Obhut lebenden gemeinsamen Sohnes N. mit der Kindesmutter und Antragsgegnerin. Das Amtsgericht hat
ihm für das Verfahren Verfahrenskostenhilfe (VKH) unter Beiordnung seiner Verfahrensbevollmächtigten bewilligt und
für das Kind gemäß § 158 Abs. 1 FamFG einen Verfahrensbeistand bestellt.
Nachdem dieser mit allen Beteiligten Gespräche geführt und dem Gericht berichtet hatte, bot der Antragsteller
schriftsätzlich den Abschluss einer Elternvereinbarung betreffend die künftige Handhabung des Umgangs an. Die
Antragsgegnerin ließ durch ihre Verfahrensbevollmächtigte ihre Bereitschaft zur Annahme dieses Einigungsangebots
mitteilen. Daraufhin hob das Amtsgericht den bereits anberaumten Kindesanhörungstermin vom 11. Mai 2011 auf.
mit Beschluss vom 23. Mai 2011 stellte es das Zustandekommen der vorgeschlagenen Elternvereinbarung fest und
billigte diese gemäß § 156 Abs. 2 FamFG. Mit Beschluss vom 10. Juni 2011 entschied es über die Kosten des
Verfahrens und setzte den Verfahrenswert fest.
Am 6. Juni 2011 beantragte die beigeordnete Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers die Festsetzung ihrer
Vergütung gegenüber der Landeskasse in Höhe von 810,99 €. dem lag zugrunde die Einstellung einer 1,3 Verfahrens
(Nr. 3100 VV RVG), einer 1,2 Termins (Nr. 3104 VV RVG) sowie einer 1,0 Einigungsgebühr (Nr. 1003 VV RVG)
jeweils mit einem Verfahrenswert von 3.000 €, die Kommunikationspauschale (Nr. 7002 VV RVG) sowie die auf den
sich danach ergebenden Betrag von 681,50 € entfallende Umsatzsteuer (129,49 €).
Mit Beschluss vom 14. Juni 2011 setzte die Kostenbeamtin des Amtsgerichts die aus der Landeskasse an die
Verfahrensbevollmächtigte zu zahlende VKHVergütung auf (lediglich) 540,93 € fest. die Terminsgebühr
(einschließlich darauf entfallender Umsatzsteuer) setzte die Kostenbeamtin ab.
Hiergegen richtete sich die umgehend eingelegte Erinnerung der Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers.
Diese vertritt - auch unter Berufung auf eine dahingehende Entscheidung des OLG Stuttgart (Beschluß vom 14.
September 2010 - 8 WF 133/10 - FamRZ 2011, 591 f.) die Auffassung, dass im vorliegenden Fall die Terminsgebühr
gemäß Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG entstanden sei, da in Kindschaftsverfahren die mündliche Erörterung
vorgeschrieben, vorliegend jedoch mit Einverständnis der Beteiligten unterblieben sei. Erörterung in diesem Sinne
sei gleichbedeutend mit mündlicher Verhandlung, so dass auch bei einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren die
Terminsgebühr entstehe.
Die Kostenbeamtin hat der Erinnerung nicht abgeholfen. Der Bezirksrevisor ist in seiner Stellungnahme vom 5. Juli
2011 der Erinnerung entgegengetreten. er hält insbesondere auch unter Hinweis auf den Senatsbeschluss vom 9.
November 2009 - 10 WF 358/09 - FamRZ 2011, 590 f. sowie die Kommentierung bei Gerold/Schmidt19–MüllerRabe,
RVG VV 3104 Rz. 29 - Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG in Kindschaftssachen bereits nicht für einschlägig. Die
Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers ist der Stellungnahme unter Wiederholung und Vertiefung ihres
Vortrages entgegengetreten.
Mit Beschluss vom 8. Juli 2011 hat sich das Amtsgericht der Auffassung des Bezirksrevisors angeschlossen und
die Erinnerung der Verfahrensbevollmächtigten zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluss richtet sich ihre am 18.
Juli 2011 erhobene Beschwerde, die weiterhin Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG für vorliegend einschlägig erachtet.
Der Einzelrichter hat die Sache gemäß §§ 56 Abs. 2 Satz 1 2. Alt, 33 Abs. 8 Satz 1 und 2 RVG dem Senat zur
Entscheidung übertragen.
II.
1. Die Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers ist gem. §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 RVG
analog statthaft. sie ist auch im übrigen zulässig, insbesondere ist sie fristgerecht gemäß §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33
Abs. 3 Satz 3 RVG analog erhoben und übersteigt der Wert des Beschwerdegegenstandes mit 269,90 € den Betrag
von 200 € (§§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 1 RVG analog).
2. Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet.
Gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 3 VV RVG in der hier anzuwendenden, seit dem 1. September 2009 gültigen Fassung
entsteht eine Terminsgebühr für die Vertretung in einem Verhandlungs, Erörterungs oder Beweisaufnahmetermin
oder die Wahrnehmung eines von einem gerichtlich bestellten Sachverständigen anberaumten Termins oder die
Mitwirkung an auf die Vermeidung oder Erledigung des Verfahrens gerichteten Besprechungen auch ohne Beteiligung
des Gerichts, wobei dies nicht für Besprechungen mit dem Auftraggeber gilt. Diese Voraussetzungen sind vorliegend
indes nicht erfüllt.
Tatsächlich hat ein Verhandlungs, Erörterungs oder Beweisaufnahmetermin im vorliegenden Verfahren nicht
stattgefunden. Die Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers kann sich insofern auch nicht erfolgreich auf Nr.
3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG berufen. zutreffend gehen vielmehr Bezirksrevisor wie Amtsgericht davon aus, dass
diese Regelung im hier vorliegenden Fall nicht einschlägig ist.
Gemäß Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG entsteht eine Terminsgebühr zwar auch, wenn in einem Verfahren, für das
mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, im Einverständnis mit den Parteien oder Beteiligten oder gemäß § 307
oder § 495a ZPO ohne mündliche Verhandlung entschieden oder in einem solchen Verfahren ein schriftlicher
Vergleich geschlossen wird. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin liegen aber auch diese Voraussetzungen
nicht vor.
Zutreffend geht die Beschwerdeführerin zwar davon aus, dass nach § 155 FamFG im vorliegenden Verfahren ein
Termin zur Erörterung mit den Beteiligten gesetzlich vorgeschrieben war, weil es sich um ein Verfahren in einer
Kindschaftssache handelte, die das Umgangsrecht betraf. Ein derart vorgeschriebener Termin zur mündlichen
Erörterung ist jedoch nicht gleichbedeutend mit einem vorgeschriebenen Termin zur mündlichen Verhandlung, auf
den Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG allein abstellt. Schon aus der ausdrücklichen Unterscheidung zwischen
mündlicher Verhandlung, Erörterung und Beweisaufnahme in der Vorbemerkung 3 Abs. 3 VV RVG wird deutlich,
dass das VV RVG den Begriff mündliche Verhandlung nicht etwa als übergeordneten Begriff im gebührenrechtlichen
Sinne für jegliche Gerichtstermine verstehen will, sondern die unterschiedlichen Termine voneinander abgrenzt. Das
bedeutet aber, dass eine Ausweitung der eine Ausnahme regelnden Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG auf andere Kraft
gesetzlicher Regelung durchzuführende Termine nicht zulässig ist (vgl. so bereits Senatsbeschluss vom 14.
Dezember 2009 - 10 WF 358/09 - FamRZ 2011, 590 f. = AGS 2011, 223 f. - zum - die jetzige Rechtslage in hier
maßgeblicher Hinsicht vorwegnehmenden - Übergangsrecht nach § 50e Abs. 2 S. 1 FGG).
Soweit das OLG Stuttgart (Beschluss vom 14. September 2010 - 8 WF 133/10 - FamRZ 2011, 591 f. = NJW 2010,
3524 f. = MDR 2011, 200) insofern die Auffassung vertritt, eine am Wortlaut von Nr. 3104 VV RVG haftende
Auslegung werde dem Sinn und Zweck von § 155 Abs. 2 FamFG nicht gerecht, da gebührenrechtliche Auswirkungen
der Wortwahl nicht ersichtlich bedacht worden seien, kann dem nicht gefolgt werden:
Gegen ein die offenkundig differenzierte Verwendung durch den Gesetzgeber missachtendes, ´Erörterung´ und
´mündliche Verhandlung´ gleichsetzendes Verständnis spricht ganz wesentlich der Umstand, daß Nr. 3104 Abs. 1
Nr. 1 VV RVG anlässlich der Schaffung des FamFG durch Art. 47 Abs. 6 Nr. 19 lit. h FGGRG allein insoweit
geändert worden ist, als er um das Einverständnis der ´Beteiligten´ für das Absehen von einer zwingend
vorgeschriebenen mündlichen Verhandlung erweitert worden ist (BTDrucks. 16/6308 S. 342). Damit ist in Nr. 3104
VV RVG die Terminologie des FamFG aufgenommen worden, wonach auch in Familienverfahren, welche sich bis
zum 31. August 2009 nach der ZPO richteten, - also Familienstreitsachen - nur noch von Verfahrensbeteiligten und
nicht mehr von Parteien gesprochen wird. Demgegenüber hat der Gesetzgeber zugleich in Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV
RVG den zivilprozessualen Begriff ´mündliche Verhandlung´ beibehalten und insofern offenkundig bewusst nicht die
Ausweitung auch auf Fälle der ´Erörterung´ bzw. ´Anhörung´ vorgenommen. Daneben hat der Gesetzgeber das VV
RVG durch Art. 47 Abs. 6 FGGRG in vielfacher Weise an die sich aus dem FamFG ergebenden Umstände sowie
dessen neue Terminologie angepasst, namentlich auch durch die Berücksichtigung von Vereinbarungen über
Gegenstände, über die vertraglich nicht verfügt werden kann, im Rahmen von Kindschaftssachen in Nr. 1000 VV
RVG sowie die Aufnahme von gerichtlich gebilligten Vergleichen in Kindschaftssachen in Nr. 1003 VV RVG.
angesichts dieser zahlreichen Regelungen besteht keinerlei Raum für die Annahme, der Gesetzgeber habe in Nr.
3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG die - stringente - Bedeutung des Begriffes ´mündliche Verhandlung´ verkannt (vgl.
MüllerRabe, in Gerold/ Schmidt, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 18. Aufl. 2008, VV 3104 Rdnr. 25 ff.).
3. Eine Zulassung der weiteren Beschwerde ist im Streitfall ausgeschlossen. Soweit dies der Senat in seinem
Beschluss vom 9. November 2009 (a.a.O.) noch abweichend gesehen hatte, hält er daran nicht fest.
W. G. R.