Urteil des OLG Celle vom 28.05.2009

OLG Celle: ersuchende behörde, firma, internet, ausschreibung, erlass, haftbefehl, spanien, offenkundig, anzahlung, schriftstück

Gericht:
OLG Celle, 01. Strafsenat
Typ, AZ:
Beschluss, 1 ARs 21/09
Datum:
28.05.2009
Sachgebiet:
Normen:
IRG § 83 a Abs 2
Leitsatz:
Die Grenze der Möglichkeit im Sinne von § 83 a Abs. 2 IRG, die im Ersuchen fehlenden Angaben
nachzureichen, ist dann überschritten, wenn die wesentlichen Bestandteile der Ausschreibung sich
gleich einem Mosaik erst mühsam aus einem Konvolut von Mitteilungen erschließen oder wenn die
schließlich vorgelegten Unterlagen nicht von der ersuchenden Behörde stammen und sich offenkundig
zu dem Auslieferungsersuchen nicht verhalten bzw. verhalten sollen.
Volltext:
Oberlandesgericht Celle
1 ARs 21/09 (Ausl)
31 Ausl A 156/08 GenStA Celle
B e s c h l u s s
In dem Auslieferungsverfahren
gegen den deutschen Staatsangehörigen
M. P. E.,
geboren am 12. November 1942 in B.,
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle auf den Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Celle durch den
Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht #######, den Richter am Oberlandesgericht ####### und den Richter
am Oberlandesgericht ####### am 28. Mai 2009 beschlossen:
Der Antrag auf Erlass eines Auslieferungshaftbefehls wird abgelehnt.
G r ü n d e :
1. Die spanischen Justizbehörden betreiben vermittels einer Ausschreibung im SIS die Auslieferung des Verfolgten
zum Zwecke der Strafverfolgung.
a) Das Ersuchen stützt sich auf einen Haftbefehl des Untersuchungsgerichts 32 in B. (J. I. 32 B.) vom 30. Juli 2008
(Az.: N 2422/07B), in welchem das dem Verfolgten zur Last gelegte Verhalten nach dem dem Ersuchen beigefügten
Begleitschreiben (Bl. 5 d.A.) in deutscher Übersetzung abschließend wie folgt beschrieben wird:
„Tatbegehung über das Internet, wobei Genannter hochwertige Fahrzeuge anbot. Nach Einzahlung bedeutender
Geldbeträge als Zahlung und Anzahlung stellten die Käufer (in ganz Spanien) fest, dass sich Obengenannter (der als
Leiter der Firma A. G. A. S.L. auftrat) abgesetzt hatte.“
Näheres zu Tatmodalitäten, Tatzeiten, Tatorten, Anzahl und Namen der Geschädigten oder zur Schadenshöhe wird
nicht mitgeteilt. In einer ergänzenden Mitteilung über S. S. vom 17. Dezember 2008 (Bl. 15 d.A.) teilt das
Untersuchungsgericht 32 B. auf Anfrage der deutschen Behörden mit, dass das fortwährende Betrugsdelikt im
Januar 2007 begann und im März desselben Jahres endete, wobei der Zeitraum aufgrund der Tatbegehung in ganz
Spanien um ein bzw. zwei Monate abweichen könne. Wiederum auf erneute Anfrage seitens der deutschen
Behörden ging am 5. Januar 2009 eine weitere Mitteilung von IP M. ein (Bl. 23 d.A.), wonach das
Untersuchungsgericht 32 in B. gegen den Verfolgten ermittele und ein modus operandi mitgeteilt wird, der den Ablauf
der betrügerischen Geschäfte dem Grunde nach näher darlegt (Inserate im Internet, telefonische Kontaktaufnahme,
Anzahlung von 800, Euro als Garantie, Verpflichtung zur Zahlung von 50 % des Kaufpreises vor Übergabe. die
Gesamtzahl der Geschädigten könne sich auf rund 60 belaufen und es werde geschätzt, dass diese auf das Konto
der Firma ca. 1 Million Euro eingezahlt haben dürften). Der Verfolgte E. wird als alleiniger Verwalter und
Verantwortlicher der Firma A. G. A. S.L. bezeichnet, und als deren Geschäftsführer und Verantwortlicher ein H. S.
S.. Dieser habe erklärt, er habe erhaltene Anzahlungen dem E., wenn dieser von Zeit zu Zeit nach B. reise, in bar
ausgehändigt. Konkrete Tatzeiten, Tatorte oder Namen der Geschädigten wurden erneut nicht mitgeteilt. Auch ein
konkreter Tatbeitrag des Verfolgten E. wird nicht beschrieben. Auf eine weitere, nunmehr direkte Anfrage der
Generalstaatsanwaltschaft beim Untersuchungsgericht 32 in B. übersendet dieses unter dem Datum des 2. April
2009 (Bl. 76/79 d.A.) ein Anschreiben folgenden Inhalts [in deutscher Übersetzung]:
„Aufgrund der im Beschluss vom heutigen Tage, im oben angegebenen Verfahren getroffenen Verfügungen, sende
ich Ihnen dieses Schreiben, womit ich Sie, in Weiterführung meiner vorherigen Mitteilung vom 26. März, zur
Beantwortung ihrer Faxmitteilung, über die derzeitige Situation, in welcher sich P. E. befindet, in Kenntnis setze:“
Diesem Schreiben beigefügt ist ein Dokument vom 13. November 2008 (Bl. 38/64 d.A.), welches offensichtlich von
einer spanischen Ermittlungsbehörde (F. de la A. N., Staatsanwaltschaft des Strafgerichtshofs) stammt und sich an
das Zentrale Untersuchungsgericht Nr. 5 in M. wendet. Dieses Dokument benennt nach Bezeichnung des
Bevollmächtigten des Unternehmens A. G. A. S.L. als C. H. S. S. und der groben Tatmodalitäten zunächst die
Namen von 43 Geschädigten (offenbar spanischen Staatsangehörigen), hierzu einzelne Tatzeiten (im Zeitraum vom
7.3.2006 bis zum 18.5.2007) sowie nähere Angaben zu einzelnen Fahrzeugen und offenbar den vereinbarten
Kaufpreisen, und befasst sich in der Sache mit der rechtlichen Erörterung der Frage nach der - schließlich verneinten
- Zuständigkeit des Untersuchungsgerichts in M.. Irgendwelche Angaben im Hinblick auf den Verfolgten E. enthält
das Dokument nicht. In einem weiteren Schriftstück des Untersuchungsgerichts 32 B. vom 26. März 2009 (Bl. 60/72
d.A.) wird indessen mitgeteilt, dass die Ermittlungen über die Täterschaft des E. noch nicht abgeschlossen sind,
weshalb die Staatsanwaltschaft „auf die dem Täter anrechenbaren Vergehen“ hinweise.
b) Der Verfolgte ist polizeilich gemeldet und unterhält eine Wohnung in G., wo er polizeilichen Ermittlungen zufolge
zumindest am 22. Mai 2009 von einem Hausbewohner gesehen worden sein soll.
c) Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die förmliche Auslieferungshaft gegen den Verfolgten anzuordnen.
2. Dieser Antrag war abzulehnen. Die Voraussetzungen zum Erlass eines Haftbefehls nach § 15 IRG liegen nicht
vor.
Nach § 83 a Abs. 1 Nr. 5 IRG ist der Erlass einer solchen Haftanordnung nur möglich, wenn der vorgelegte
Europäische Haftbefehl eine Beschreibung der Umstände enthält, unter welchen die Straftat begangen wurde,
einschließlich der Tatzeit, des Tatorts und der Tatbeteiligung der verfolgten Person (ebenso OLG Karlsruhe StV
2007, 139 sowie 376). Hieran fehlt es. Die von den spanischen Behörden übermittelten Unterlagen lassen
insbesondere die konkrete Tatbeteiligung des Verfolgten E. nicht erkennen. Zwar gilt nach § 83 a Abs. 2 eine wie
vorliegend übermittelte Ausschreibung im SIS als Europäischer Haftbefehl und können fehlende Angaben
nachgeliefert werden. die hiernach
übermittelten Dokumente gelten sodann als einheitliches Ersuchen als Grundlage der beantragten Auslieferung
(Senatsbeschlüsse vom 16.2.2005 [1 ARs 1/05, StV 2005, 231] und vom 24.4.2008 [1 ARs 10/08]), sofern sie von
der zuständigen ersuchenden Behörde stammen und sich zu dem Europäischen Haftbefehl verhalten und verhalten
sollen.
Unter Berücksichtigung dieses Beurteilungsmaßstabs können zwar die ergänzenden Mitteilungen der spanischen
Behörden (des Untersuchungsgerichts 32 B.) vom 17. Dezember 2008 und vom 5. Januar 2009 als Ergänzung des
Ersuchens resp. des Europäischen Haftbefehls des Untersuchungsgerichts 32 B. vom 30. Juli 2008 gewürdigt und
der Entscheidung zugrunde gelegt werden. Dies gilt indessen nicht für die weitere Mitteilung vom 2. April 2009 samt
den beigefügten Unterlagen. Denn die Grenze der Möglichkeit im Sinne von § 83 a Abs. 2 IRG, die im Ersuchen
fehlenden Angaben nachzureichen, ist dann
überschritten, wenn die wesentlichen Bestandteile der Ausschreibung sich gleich einem Mosaik erst mühsam aus
einem Konvolut von Mitteilungen erschließen oder wenn die schließlich vorgelegten Unterlagen nicht von der
ersuchenden Behörde stammen und sich offenkundig zu dem Auslieferungsersuchen nicht verhalten bzw. verhalten
sollen. Das unter dem 2. April 2009 vorgelegte Dokument vom 13. November 2008 stammt zum Einen nicht von der
zuständigen ersuchenden Behörde, sondern von der Staatsanwaltschaft des Strafgerichtshofs, und steht zum
Anderen mit der Auslieferung des Verfolgten E. erkennbar in keinem Zusammenhang. Der Name des Verfolgten E.
wird in dem gesamten Dokument nicht erwähnt, und Gegenstand des Dokuments ist die von der Ermittlungsbehörde
verneinte Zuständigkeit des Zentralen Untersuchungsgerichts in M., und zwar betreffend ein Verfahren gegen den
dort allein benannten C. H. S. S.. Das Dokument vom 13. November 2008 ist demnach nicht geeignet, erforderliche
Angaben im Sinne von § 83 a Abs. 2 IRG nachzuliefern und kann demnach nicht zur Grundlage einer Entscheidung
gemacht werden. Zum Verfolgten E. teilt die ersuchende Behörde in einem weiteren Schriftstück vielmehr nur mit,
dass die Ermittlungen gegen ihn noch nicht abgeschlossen seien.
Hiernach sind keine Unterlagen vorgelegt worden, die eine konkrete Tatbeteiligung des Verfolgten E. erkennen
lassen. Bekannt ist im Grunde bislang lediglich, dass durch die Firma A. G. A. S.I. infolge von Veröffentlichungen im
Internet Anzahlungen für die Lieferung von Kraftfahrzeugen offenbar erschlichen wurden, dass der Verfolgte E.
Verantwortlicher und Bevollmächtigter dieser Firma ist und dass der S. von Konten der Firma Geld abhob und dem
E. in bar übergab. Welchen konkreten Tatbeitrag der Verfolgte E. hierbei geleistet hat, wird nicht ersichtlich. Es wird
etwa nicht mitgeteilt, ob der Verfolgte E. selbst Anzeigen im Internet schaltete, ob er selbst Kaufverträge abschloss
oder Anzahlungen vereinnahmte, ob er als Täter, Mittäter oder Gehilfe als natürliche Person handelte oder ob sich
seine strafrechtliche Verantwortung lediglich aus seiner Stellung als Verantwortlicher der Firma A. G. A. S.I. ergab.
Auch wird nicht mitgeteilt, ob der Verfolgte E. seine möglichen Tatbeiträge (z.B. Internet) zumindest auch von
Deutschland aus erbracht hat, was (auch) im Hinblick auf seine deutsche Staatsangehörigkeit für das
Auslieferungsverfahren nicht ohne Bedeutung sein dürfte. Immerhin soll der S. erklärt haben, der E. reise ab und zu
nach B. und nehme dort Geld im Empfang, halte sich im Übrigen aber in der ‚Provinz‘ H. auf.
3. Auf der Grundlage dieser Angaben ist auch das Anordnen einer vorläufigen Auslieferungshaft nach Maßgabe von
§ 16 IRG nicht möglich. Denn auch der Erlass eines vorläufigen Haftbefehls auf der Grundlage eines Europäischen
Haftbefehls setzt eine ausreichende Konkretisierung des Tatvorwurfs voraus (OLG Koblenz vom 29.3.2007, 1 Ausl -
III - 6/07). Fehlen nicht nur einzelne und ohne Weiteres ergänzungsfähige Eckdaten, sondern vielmehr wesentliche
Bestandteile der Ausschreibung, ist der Erlass einer auch vorläufigen Haftanordnung nicht möglich.
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