Urteil des OLG Celle vom 20.02.2003
OLG Celle: schmerzensgeld, tatsachenfeststellung, erwachsener, geschwindigkeit, unfall, beleuchtungseinrichtung, fahrrad, kollision, zustandekommen, rente
Gericht:
OLG Celle, 14. Zivilsenat
Typ, AZ:
Urteil, 14 U 122/02
Datum:
20.02.2003
Sachgebiet:
Normen:
BGB § 823, BGB § 254, BGB § 847
Leitsatz:
1. Zur Haftungsverteilung bei einem Zusammenstoß zwischen 2 Radfahrern (ein Erwachsener und ein
Jugendlicher), die beide im Dunkeln ohne Licht fahren.
2. Schmerzensgeld von insgesamt 250.000 DM sowie monatlich Rente von 250 € bei
Querschnittslähmung unterhalb C 7 und weiteren damit verbundenen Folgen.
Volltext:
Oberlandesgericht Celle
Im Namen des Volkes
Urteil
14 U 122/02
8 O 193/01 Landgericht Lüneburg
Verkündet am
20. Februar 2003
#######,
Justizobersekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
In dem Rechtsstreit
#######,
Kläger, Berufungsbeklagter und Berufungskläger,
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte #######,
gegen
#######,
Beklagter, Berufungskläger und Berufungsbeklagter,
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte #######,
hat der 14. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung
vom 28. Januar 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht #######
sowie die Richter am Oberlandesgericht ####### und ####### für Recht erkannt:
Die Berufungen des Klägers und des Beklagten gegen das am 12. April 2002 verkündete
Urteil des Einzelrichters der 8. Zivilkammer
des Landgerichts Lüneburg werden zurückgewiesen.
Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger 45 % und der Beklagte
55 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können die Vollstreckung
der jeweiligen Gegenseite durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren
Betrages abwenden, wenn nicht die jeweilige Gegenseite vor der Vollstreckung
Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Wert der Beschwer übersteigt für beide Parteien 20.000 €.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 67.064,59 € festgesetzt.
Gründe (§ 540 ZPO):
I.
Der Kläger begehrt vom Beklagten Schmerzensgeld sowie Feststellung aus Anlass
eines Verkehrsunfalls, der sich am 12. August 2000 zwischen 00:30 Uhr und 01:00 Uhr
in #######, ####### Straße, ereignet hat. Das Landgericht, auf dessen Urteil
zur näheren Sachdarstellung Bezug genommen wird, hat den Beklagten zur Zahlung
eines weiteren kapitalisierten Schmerzensgeldbetrages in Höhe von 25.564,59 €
sowie einer monatlichen Schmerzensgeldrente von 250 € verurteilt (200.000 DM
hat die Privathaftpflichtversicherung des Beklagten vorprozessual bereits auf
Schmerzensgeldansprüche gezahlt). Dabei ist das Landgericht davon ausgegangen,
dass den Beklagten eine Verschuldensquote von 2/3 treffe. Auf dieser Grundlage
hat es zudem Feststellung ausgesprochen. Wegen weitergehend geltend gemachter
Ansprüche hat es die Klage abgewiesen.
Hiergegen richten sich die Berufungen beider Parteien.
Der Kläger vertritt die Auffassung, das Zustandekommen des Unfalles sei dem
Beklagten so weit überwiegend anzulasten, dass dies eine Quotierung von 3/4
zu dessen Lasten rechtfertige, weshalb die vom Landgericht zugesprochenen Schmerzensgeldbeträge
nicht ausreichend seien und weitergehende Feststellung auszusprechen sei.
Der Beklagte ist weiterhin der Auffassung, beide Parteien treffe ein gleich
gelagerter Verursachungsbeitrag. Darüber hinaus sei die vom Landgericht zuerkannte
Schmerzensgeldsumme schon angesichts des vom Landgericht angenommenen Mitverschuldens
von (nur) 1/3 des Klägers zu hoch angesetzt.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes, insbesondere wegen der
Berufungsanträge, wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze
nebst Anlagen sowie auf den Inhalt der beigezogenen Strafakten 216 Js 1665/00
Staatsanwaltschaft Lüneburg verwiesen.
II.
Beide Berufungen erweisen sich als unbegründet. Zutreffend ist das Landgericht
davon ausgegangen, dass den Beklagten an dem Zustandekommen des Verkehrsunfalles
ein Verschulden trifft, welches das Mitverschulden des Klägers überwiegt und
eine Haftungsquote von 2/3 zu Lasten des Beklagten, jedoch nicht mehr, rechtfertigt.
Ausgehend von den äußerst schwer wiegenden und den Kläger sein Leben lang beeinträchtigenden
Verletzungen ist es, auch unter Berücksichtigung des dem Kläger anzulastenden
Mitverschuldens, nicht zu beanstanden, dass das Landgericht ihm über vorprozessual
gezahlte 200.000 DM hinaus ein weiteres Schmerzensgeld von rd. 25.500 € als
Einmalzahlung und 250 € als monatliche Rente zuerkannt hat, wegen darüber hinausgehender
Zahlungsansprüche die Klage jedoch abgewiesen hat.
1. Die vom Landgericht gefundene und seiner Beurteilung zugrunde gelegte Haftungsquote
von 2/3 zu Lasten des Beklagten trifft zu.
Zwar ist, worauf der Beklagte zu Recht hinweist, der beide Parteien primär
treffende Verschuldensvorwurf grundsätzlich gleicher Natur, nämlich dass beide
Parteien trotz Dunkelheit mit unbeleuchteten Fahrrädern unterwegs gewesen sind.
Die Tatsache, dass sich der Kläger eines Fahrrades bedient hat, welches über
eine Beleuchtungseinrichtung nicht verfügte, der Beklagte hingegen aus Bequemlichkeit
von einer Inbetriebnahme des Dynamos abgesehen hat, ist für die Gewichtung
des Verschuldensvorwurfs entgegen der Auffassung des Klägers ohne Einfluss,
zumal der Kläger keineswegs gezwungen gewesen wäre, sich mitten in der Nacht
mit einem Fahrrad ohne Beleuchtungseinrichtung auf den Weg zu begeben, um neue
Zigaretten zu kaufen. Zutreffend ist das Landgericht jedoch davon ausgegangen,
dass der grundsätzlich gleich gelagerte Verschuldensvorwurf den Beklagten deswegen
schwerer trifft, weil der Kläger zum Unfallzeitpunkt mit 17 Jahren und 3 Monaten
noch minderjährig gewesen ist, wohingegen der Beklagte ein mit 46 Jahren unzweifelhaft
voll ausgereifter Erwachsener gewesen ist. Zwar bestehen keine Anhaltspunkte
dafür, dass der Kläger für sein Handeln mangels Einsichtsfähigkeit nicht verantwortlich
gewesen sein könnte (§ 827 Abs. 3 BGB). Jedoch ist bei Jugendlichen gemeinhin
die Neigung zu beobachten, sich eher leichtsinnigem Verhalten hinzugeben, als
bei voll ausgereiften Erwachsenen. Dieser ´jugendliche Leichtsinn´ hat im Übrigen
auch den Gesetzgeber bewogen, zum Schutze des Jugendlichen im gesamten Rechtssystem
Mechanismen zu verankern, um diesen vor den Folgen seines Tuns in gewissem
Rahmen zu schützen (vgl. etwa die Vorschriften über die beschränkte Geschäftsfähigkeit
Minderjähriger, § 106 ff. BGB). Dies rechtfertigt es, Verkehrsverstöße von
Jugendlichen grundsätzlich in einem milderen Licht zu beurteilen als gleichartige
Verstöße voll ausgereifter Erwachsener (vgl. OLG Düsseldorf, VersR 1996, 1120).
Dem schon aus diesem Grunde überwiegenden Verschuldensvorwurf an den Beklagten
kommt hinzu, dass nach der Tatsachenfeststellung durch das Landgericht davon
auszugehen ist, dass der Beklagte mit erheblicher Geschwindigkeit gefahren
ist. Der Beklagte hat seine Fahrgeschwindigkeit gegenüber den Polizeibeamten,
die den Unfall aufgenommenen haben, mit 25 bis 30 km/h angegeben, was das Landgericht
seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat. Eine solche aufgrund der Gefälleneigung
der Straße nachvollziehbare Fahrgeschwindigkeit ist dem Beklagten besonders
deswegen vorzuwerfen, weil diese angesichts der fehlenden Beleuchtung seines
Rades eine besondere Gefahrenquelle dargestellt hat. Selbst wenn der Beklagte
wegen eines Gefälles eine solche Geschwindigkeit ohne großes Zutun erreichen
konnte, ist ihm vorzuwerfen, die Fahrgeschwindigkeit angesichts der Dunkelheit,
in der er ohne Beleuchtung fuhr, nicht durch Bremsen herabgesetzt zu haben.
Soweit der Beklagte im Berufungsverfahren geltend macht, bei der Geschwindigkeitsangabe
habe es sich um eine bloße Schätzung gehandelt, ist dies nicht geeignet, Zweifel
an der Richtigkeit der Tatsachenfeststellung durch das Landgericht zu wecken
(§ 529 Abs. 1 Ziffer 1 ZPO). Abgesehen davon, dass ein Verkehrsteilnehmer mit
langjähriger Erfahrung zu ungefähren Schätzungen eigener Fahrtgeschwindigkeit
auf einem Fahrrad im Regelfall in der Lage sein dürfte, ist diese Fahrgeschwindigkeit
ausweislich des Tatbestandes des landgerichtlichen Urteiles in erster Instanz
unstreitig gewesen. Ob, was der Beklagte behauptet, es zu einer Kollision zwischen
beiden Fahrrädern auch bei einer geringeren Fahrtgeschwindigkeit des Beklagten
gekommen wäre, ist dabei nicht entscheidend. Generell ist die von einem schnell
fahrenden Rad ausgehende Gefahr höher als die eines langsamen, weshalb die
hohe Geschwindigkeit des Beklagten angesichts fehlender Beleuchtung seines
Rades einen schwer wiegenderen Verschuldensvorwurf begründet.
Dies rechtfertigt die vom Landgericht gefundene Haftungsquote, auch wenn sich
nicht feststellen lässt, ob die Alkoholisierung des Beklagten von 0,9 g/‰ BAK
(die Alkoholisierung des Klägers selber ist wegen dessen schwerer Verletzungen
nicht untersucht worden) für den Unfall ursächlich gewesen ist.
Entgegen der Auffassung des Klägers kann nach den vom Landgericht nachvollziehbar
festgestellten Tatsachen nicht mit hinreichender Sicherheit davon ausgegangen
werden, dass der Beklagte auf der falschen Fahrbahnseite gefahren ist. Die
von den vernommenen Zeugen geschilderte Lage des Klägers auf der Fahrbahn gibt
nach den Ausführungen des Sachverständigen ####### zwar einen Anhalt, jedoch
keine ausreichend sichere Anknüpfungsgrundlage für die Beurteilung der Frage,
welcher der Unfallbeteiligten die ihm zustehende Fahrbahnhälfte verlassen hat.
Konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit der Tatsachenfeststellung
des Landgerichts sind auch hinsichtlich dieses Punktes nicht aufgezeigt (§ 529
Abs. 1 Ziffer 1 ZPO). Dass nach den Ausführungen des Sachverständigen mehr
dafür spricht, dass sich der Unfall auf der Fahrbahnhälfte des Klägers abgespielt
hat, ist für die richterliche Überzeugungsbildung hinsichtlich eines entsprechenden
Verkehrsverstoßes des Beklagten nicht ausreichend, zumal nach den Ausführungen
des Sachverständigen auch eine Kollision in der Fahrbahnmitte im Bereich des
Wahrscheinlichen liegt.
2. Dem Kläger steht das vom Landgericht zuerkannte weitere Schmerzensgeld in
Form einer zusätzlichen einmaligen Zahlung in Höhe von rd. 25.500 € ebenso
zu wie die Schmerzensgeldrente von 250 € im Monat. Auch angesichts der von
der Haftpflichtversicherung des Beklagten bereits vorprozessual geleisteten
Zahlung von 200.000 DM bewegen sich die vom Landgericht weiter zuerkannten
Beträge mit Blick auf die vom Kläger erlittenen schwersten Verletzungen und
dauerhaften gravierenden Beeinträchtigungen, insbesondere einer Querschnittslähmung
unterhalb des Wirbels C 7, im Rahmen der im Interesse der Gleichbehandlung
aller Geschädigten zu berücksichtigenden Vergleichsrechtsprechung (wobei der
Senat nicht verkennt, dass Schicksalsschläge dieses Gewichts einer vergleichenden
Betrachtung schwer zugänglich sind und es einen angemessenen Ausgleich in Geld
für solche Beeinträchtigungen letztlich nicht geben kann).
Auch unter Berücksichtigung des mit 1/3 zu bewertenden Mitverschuldens des
Klägers erscheint das vom Landgericht zuerkannte Gesamtschmerzensgeld im Rahmen
dieser Vergleichsrechtsprechung angemessen, aber auch ausreichend (vgl. beispielsweise
die bei Hacks/Ring/Böhm, Schmerzensgeldbeträge, 20. Aufl. 2001 zitierten Entscheidungen
unter lfd. Nr. 2667, 2672, 2680, 2685, 2687).
Auf die zwischen den Parteien streitige Frage, ob die vom Kläger mit Schriftsatz
vom 27. Januar 2003 weiter beschriebenen Folgebeschwerden, insbesondere eine
besondere Anfälligkeit seines Immunsystems, vorliegen, kommt es bei der Bemessung
der Schmerzensgeldhöhe angesichts der äußerst gravierenden Ausgangsverletzung
und der damit ohnehin verbundenen schwersten Beeinträchtigungen nicht entscheidend
an.
3. Die Kostenentscheidung folgt §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO. Die weiteren Nebenentscheidungen
beruhen auf §§ 708 Nr. 10, 711, 108 Abs. 1 Satz 2 ZPO;
26 Nr. 8 EGZPO. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 543
Abs. 2 ZPO.
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