Urteil des OLG Celle vom 24.06.1999

OLG Celle: gegen die guten sitten, schutz der gesundheit, produkt, lebensmittel, arzneimittel, ernährung, stoff, verbraucher, gutachter, stadt

Gericht:
OLG Celle, 13. Zivilsenat
Typ, AZ:
Beschluss, 13 U 320/98
Datum:
24.06.1999
Sachgebiet:
Normen:
UWG § 1, AMG § 2, AMG § 16
Leitsatz:
1. Mit dem Vertrieb eines Stoffes ohne die nach dem Arzneimittelgesetz vorgeschriebene Zulassung
verstößt ein Hersteller gegen die guten Sitten im Wettbewerb, weil er hat sich über Vorschriften zum
Schutz der Gesundheit der Bevölkerung hinwegsetzt.
2. Zur Abgrenzung von Lebensmittel, Nahrungsergänzungsmittel und Arzneimittel.
Volltext:
Oberlandesgericht Celle
Beschluss
13 U 320/98
5 O 51/98 LG Stade
Verkündet am
24. Juni 1999
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In dem Rechtsstreit
pp.
XXXXXXX
XXXXXX
gegen
XXXXX
XXXXX
hat der 13. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle unter Mitwirkung der Richter am Oberlandesgericht #####, #####
und ##### aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 8. Juni 1999 beschlossen:
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz und des Berufungsverfahrens zu tragen.
Streitwert: Bis zum 7. Juni 1999: 30.000 DM
ab dem 8. Juni 1999: bis 12.000 DM.
Gründe
I.
Die Klägerinnen sind Hersteller und Vertreiber von Sportler und FitnessErnährungsprodukten.
Die Beklagte warb in der BodybildingZeitschrift „#####“ für
„#####“
„4AminoButtersäure, 100 % PharmaQualität
für 25 Tage 100 g Dose DM 49,90“
Die Kläger haben geltend gemacht, die Beklagte sei nicht berechtigt, das Produkt in den Verkehr zu bringen, weil
(GammaAminobuttersäure) als Arzneimittel zu qualifizieren sei und eine arzneimittelrechtliche Zulassung unstreitig
nicht vorliege. Sie haben beantragt, der Beklagten zu untersagen, das Produkt ohne arzneimittelrechtliche Zulassung
in den Verkehr zu bringen. Das Landgericht hat den Unterlassungsanspruch für gerechtfertigt gehalten. Die Beklagte
hat mit der Berufung ihren Klageabweisungsantrag weiterverfolgt. Zu Beginn der Berufungsverhandlung haben die
Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt und widerstreitende Kostenanträge
gestellt.
II.
Gemäß § 91 a Abs. 1 ZPO ist über die Kosten unter Berücksichtigung des bisherigen Sach und Streitstandes nach
billigem Ermessen zu entscheiden. Dies führt dazu, die Verfahrenskosten der Beklagten aufzuerlegen, weil die
Beklagte in dem Rechtsstreit voraussichtlich unterlegen wäre.
Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch ist bis zum Eintritt des erledigenden Ereignisses der Abgabe einer
strafbewehrten Unterlassungserklärung durch die Beklagten gemäß § 1 UWG i. V. m. §§ 2, 16 AMG begründet
gewesen. Bei dem Produkt „#####“ handelt es sich um ein Arzneimittel im Sinne des Arzneimittelgesetzes. Mit dem
Vertrieb des Stoffes ohne die nach dem Arzneimittelgesetz vorgeschriebene Zulassung hat die Beklagte zugleich
gegen die guten Sitten im Wettbewerb verstoßen, denn sie hat sich über Vorschriften zum Schutz der Gesundheit
der Bevölkerung hinweg gesetzt (vgl. BGH, NJW 1995, 1615, 1616).
1. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 AMG sind Arzneimittel u. a. Stoffe, die dazu bestimmt sind, durch Anwendung am oder im
menschlichen Körper die Beschaffenheit, den Zustand oder die Funktionen des Körpers oder seelische Zustände zu
beeinflussen. Vom Arzneimittelbegriff ausgenommen sind gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 1 AMG Lebensmittel im Sinne des
§ 1 Lebensmittel und Bedarfsgegenständegesetz. Danach sind Lebensmittel Stoffe, die dazu bestimmt sind, in
unverändertem zubereiteten oder verarbeitetem Zustand von Menschen verzehrt zu werden; ausgenommen sind
Stoffe, die überwiegend dazu bestimmt sind, zu anderen Zwecken als zur Ernährung oder zum Genuss verzehrt zu
werden.
Maßgeblich ist dabei zunächst die an objektive Merkmale anknüpfende überwiegende Zweckbestimmung der Stoffe.
Die hierfür maßgebliche Verkehrsanschauung wird regelmäßig durch die allgemeine Verwendung seitens der
Verbraucher bestimmt, die wiederum davon abhängt, welche Verwendungsmöglichkeiten der Stoff seiner Art nach
hat. Dabei kann die Vorstellung der Verbraucher auch durch die Auffassungen der pharmazeutischen oder
medizinischen Wissenschaft beeinflusst sein, ebenso auch durch die Verpackungsaufmachung und die dem Mittel
beigefügten oder in der Werbung enthaltenen Angaben (BGH, NJW 1995, 1615; BVerwG, NVwZRR 1995, 625, 626).
Die Beklagte macht unter Bezugnahme auf den Aufsatz von Klein NJW 1998, 791 geltend, dass sog.
Nahrungsergänzungsmittel grundsätzlich den Lebensmitteln zuzuordnen seien. Nahrungsergänzungsmittel seien
auch Stoffe, die „mehr bieten als herkömmliche Lebensmittel“, wie das Produkt „#####“. Dem kann nicht gefolgt
werden. Für die Frage, ob ein Produkt als ein vom Arzneimittelbegriff ausgenommenes Lebensmittel einzustufen ist,
ist, wie ausgeführt, gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 1 AMG die Definition des § 1 LMBG entscheidend. Deshalb handelt es
sich bei Nahrungsergänzungsmitteln jedenfalls dann nicht um Lebensmittel im Sinn von §§ 2 Abs. 3 Nr. 1 AMG, 1
LMBG, wenn die Nahrungsergänzungsmittel nach ihrer überwiegenden Bestimmung zu anderen Zwecken als zur
Ernährung verzehrt werden. Lebensmittel sind Nahrungsergänzungsmittel vielmehr nur dann, wenn ihr Verzehr aus
ernährungsphysiologischen Gründen, insbesondere aufgrund einer Unterversorgung, zur Nahrungsergänzung
erforderlich ist (vgl. OLG Hamburg, LRE Bd. 33, 244, 250; Zipfel/Rathke, § 1 NährwertKennzeichnungsVO, Rn. 13).
2. Nach diesen Grundsätzen – diese Feststellung hat im Verfahren gem. § 91 a ZPO das Gericht selbst zu treffen –
handelt es sich bei dem Produkt der Beklagten „#####“ um ein Arzneimittel.
a) Das Produkt fällt unter den Arzneimittelbegriff im Sinn von § 2 Abs. 1 AMG, weil es dazu bestimmt ist, die
Funktionen des Körpers oder seelische Zustände zu beeinflussen. Wie die Beklagte selbst vorträgt, wirkt der Stoff
als Neurotransmitter im Gehirn und verhindert u. a. Übererregungszustände, wodurch eine höhere Trainingsintensität
und bessere Trainingseffekte möglich sein sollen.
b) Das Produkt ist nicht gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 1 AMG als Lebensmittel vom Arzneimittelbegriff ausgenommen. Es
ist nicht als Lebensmittel einzustufen, weil es nach der Verkehrsanschauung überwiegend dazu bestimmt ist, zu
anderen Zwecken als zur Ernährung oder zum Genuss verzehrt zu werden.
aa) Einen Genusswert besitzt „#####“ unstreitig nicht.
bb) Dass „#####“ auch nicht überwiegend zur Ernährung dient, ergibt sich aus folgenden Umständen:
Das Produkt besteht aus reiner GammaAminobuttersäure, was sowohl in der Werbung der Beklagten als auch auf
der Verpackung angegeben ist. Die Beklagte hat das Produkt in der Zeitschrift „#####“ mit der Angabe
„4AminoButtersäure, 100 % Pharmaqualität“ (Unterstreichung durch den Senat) geworben.
Die Klägerin trägt unter Bezugnahme auf das Buch „Der Steroidersatz“ vor, dass mehrere Studien den
HGHausschüttenden Effekt von GammaAminoButtersäure nachgewiesen hätten. Bei HGH handele es sich um ein
Wachstumshormon. Bei Versuchen hätten sich nach einer regelmäßigen Einnahme über 6 bis 8 Wochen die
Muskelkonturen verbessert, der Körper sei härter geworden und es sei zu einem Anstieg der Körperkraft gekommen.
Dem ist die Beklagte nicht substantiiert entgegen getreten. Aus dem von ihr vorgelegten Privatgutachten des
Diplomchemikers ##### ergibt sich zu diesem Punkt nichts. Für die Richtigkeit der Behauptung der Klägerin spricht,
dass das Produkt in BodybuilderKreisen angeboten wird.
Die Klägerin macht unter Bezugnahme auf das Buch „Der Steroidersatz“ weiter geltend, die meisten Athleten, die
GammaAminobuttersäure ausprobiert hätten, hätten eine psychische Aufhellung, ein gesteigertes Wohlbefinden und
ein Mehr an körperlicher Energie festgestellt. Das räumt die Beklagte ein (vgl. Berufungsbegründung S. 5 unten f.).
Unstreitig ist auch, dass die Einnahme Müdigkeit verursachen kann. Der Stoff fördert die Schlafqualität. Soweit der
Gutachter ##### ohne nähere Präzisierung ausführt, dass es erst bei „relativ hohen Zufuhren von
GammaAminobuttersäure zu einer beruhigenden Wirkung komme, ist nicht zu erkennen, was der Gutachter unter
„relativ hohen Zufuhren“ versteht. Unstreitig ist jedenfalls, dass das Produkt schon bei den von der Beklagten
empfohlenen Mengen zu einem Beruhigungseffekt für die Muskulatur und die Nerven führen soll (Beklagtenvortrag
Bl. 29 d. A.).
Schließlich hat die Beklagte nicht bestritten, dass GammaAminoButtersäure in der Literatur als blutdrucksenkendes
Mittel beschrieben und jedenfalls als Bestandteil von blutdrucksenkenden Mitteln auch eingesetzt wird (Aufstellung
der antihypertonischen Mittel mit dem Bestandteil GammaAminobuttersäure Bl. 49 d. A.). Ob der Einsatz der
Medikamente auch in der Bundesrepublik Deutschland erfolgt, ist nicht streitentscheidend.
Die vorstehend genannten Umstände sind für das Verkehrsverständnis maßgeblich. Dabei ist zu berücksichtigen,
dass auf der Produktverpackung keine Wirkungsangaben enthalten sind sondern insoweit auf die einschlägige
Fachliteratur verwiesen wird. Der Verpackungshinweis auf die Fachliteratur ist um so mehr von Bedeutung, als es
sich auf dem deutschen Markt neues Produkt handelt, bei dem sich das Verkehrsverständnis erst entwickelt. Zur
„einschlägigen Fachliteratur“ gehört auch das Buch „Der Steroidersatz“, in dem die oben genannten Umstände
beschrieben werden. Ob das Werk wissenschaftliche Qualität besitzt, kann offen bleiben. Jedenfalls aus Sicht der
angesprochenen Verkehrskreise – Bodybuilder und andere Sportler – handelt es sich bei dem in einem Sportverlag
erschienenen Buch um Fachliteratur.
Auch die Dosierungsangaben auf dem Verpackungsaufkleber „pro Tag 3 bis 4 g, 30 Minuten vor der Bettruhe 2,6 g
und morgens auf nüchternen Magen 1,3 g ... Kurmäßig über einen Zeitraum von 8 – 12 Wochen mit einer
nachfolgenden Pause von 4 Wochen'' deuten aus Sicht der Verwender darauf hin, dass es sich um ein Arzneimittel
handelt.
Dieses Ergebnis stimmt mit den Stellungnahmen des chemischen Untersuchungsamts ##### vom 30. April 1998
und des Gesundheitsamts der Stadt ##### vom 17. Juni 1998 überein. Das Chemische Untersuchungsamt #####
hat erklärt, dass GammaAminobuttersäure nach herrschender Verkehrsauffassung nicht zur Ernährung oder zum
Genuss diene. Die Verwendung in Sportlernahrungserzeugnissen diene offensichtlich der Beeinflussung von
Körperfunktionen. Der Stoff werde, wie sich aus der Literatur ergebe, als Arzneimittel eingesetzt. Das
Gesundheitsamt der Stadt ##### hat unter dem 17. Juni 1998 erklärt, GammaAminobuttersäure werde als
Arzneimittel beurteilt. Es werde in der Therapie als Antihypertonikum eingesetzt.
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