Urteil des OLG Celle vom 17.05.2011

OLG Celle: vollstreckung der strafe, trunkenheit, verkündung, strafbefehl, sperrfrist, verkehr, rechtskraft, revisionsgrund, einverständnis, wissentlich

Gericht:
OLG Celle, 02. Strafsenat
Typ, AZ:
Beschluss, 32 Ss 47/11
Datum:
17.05.2011
Sachgebiet:
Normen:
StPO § 230 Abs 1, StPO § 231, STPO § 232, StPO § 338 Nr 5 StPO
Leitsatz:
1. Ein eigenmächtiges Sich-Entfernen des Angeklagten liegt nicht vor, wenn das Gericht dem
Angeklagten im Anschluss an eine Unterbrechung der Hauptverhandlung mitteilt, er brauche zu dem
Fortsetzungstermin nicht zu erscheinen.
2. Bleibt der Angeklagte aufgrund dieser Mitteilung im Fortsetzungstermin, in dem das Urteil
verkündet wird, aus, darf nicht ohne den Angeklagten verhandelt werden. Wird dennoch das Urteil
verkündet, greift der absolute Revisionsgrund nach § 338 Nr. 5 StPO ein.
Volltext:
Oberlandesgericht Celle
32 Ss 47/11
2560 Js 12763/10 StA Stade
B e s c h l u s s
In der Strafsache
gegen R. H.
geboren am xxxxxxxxxxxxx 1965 in L.
wohnhaft A. W., H.
Verteidiger: Rechtsanwalt G., K.
wegen Trunkenheit im Verkehr u.a.
hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft durch den
Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht xxxxxxxxx, den Richter am Oberlandesgericht xxxxxxxxx und den
Richter am Oberlandesgericht xxxxxxxxxxxxxxxx am 17. Mai 2011 einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Langen vom 3. Januar 2011 mit den
Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
Revisionsverfahrens, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Langen zurückverwiesen.
G r ü n d e:
I.
1. Der Angeklagte ist durch das angefochtene Urteil des Amtsgerichts Langen wegen (fahrlässiger) Trunkenheit im
Verkehr in Tateinheit mit Fahren ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt worden. Die
Vollstreckung der Strafe ist zur Bewährung ausgesetzt worden. Darüber hinaus hat das Amtsgericht die
Verwaltungsbehörde angewiesen, dem Angeklagten vor Ablauf von 2 Jahren nach Rechtskraft des Urteils keine neue
Fahrerlaubnis zu erteilen.
2. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts führte der Angeklagte in der Tatnacht einen Lkw im öffentlichen
Straßenverkehr im Zustand der absoluten Fahruntüchtigkeit. Die Untersuchung einer Blutprobe des Angeklagten, die
diesem kurz nach dem Fahrtende entnommen worden war, ergab eine BAK von 1,47 g Promille.
3. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit der Sprungrevision (§ 335 StPO), mit der er sowohl eine
Verfahrensrüge als auch die – näher ausgeführte – Sachrüge erhebt. Er macht eine Verletzung von § 230 i.V.m. §
338 Nr. 5 StPO und § 232 StPO geltend und führt dazu aus, der Tatrichter habe in der Hauptverhandlung am 23.
Dezember 2010 einen Beschluss verkündet, mit dem die Hauptverhandlung unterbrochen und ein Termin zur
Verkündung einer Entscheidung auf den 3. Januar 2011 anberaumt worden sei. Auf Nachfrage der Verteidigerin, wie
die Anberaumung eines Verkündungstermins zu verstehen sei, habe der Vorsitzende geantwortet, der Angeklagte
brauche nicht zu erscheinen, das gelte auch für die Verteidigerin. An dem Hauptverhandlungstermin am 3. Januar
2011, in dem das Urteil verkündet worden sei, seien der Angeklagte und seine Verteidigerin nicht anwesend
gewesen. Die Revision sieht in der Verkündung des Urteils in Abwesenheit des Angeklagten einen zum absoluten
Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO führenden Verstoß gegen § 230 StPO. Die Voraussetzungen für eine
Verhandlung in Abwesenheit des Angeklagten nach § 231 Abs. 2 StPO hätten nicht vorgelegen. Es fehle an der
dafür erforderlichen Eigenmächtigkeit der Abwesenheit, weil das Gericht dem Angeklagten das Erscheinen
freigestellt habe. Auch die übrigen gesetzlichen Gründe für eine Verhandlung in Abwesenheit des Angeklagten lägen
nicht vor.
II.
Die Revision des Angeklagten hat – zumindest vorläufig – Erfolg.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat ausgeführt:
„Das Rechtsmittel hat bereits mit der Verfahrensrüge nach § 338 Nr. 5 StPO in Verbindung mit §§ 230 Abs. 1, 231
Abs. 2 StPO Erfolg. Des Eingehens auf die zugleich erhobene Sachrüge bedarf es daher nicht.
Der Angeklagte stützt die in zulässiger Weise ausgeführte Rüge seiner vorschriftswidrigen Abwesenheit im
Hauptverhandlungstermin vom 03.01.2011 darauf, seine Abwesenheit sei nicht eigenmächtig gewesen, weil ihm der
Vorsitzende im Termin vom 23.12.2010 auf Nachfrage seiner Verteidigerin erklärt habe, dass er zu dem
Verkündungstermin am 03.01.2011 nicht zu erscheinen bräuchte.
Die Fortsetzung der Hauptverhandlung am 03.01.2011 ohne den Angeklagten war rechtsfehlerhaft. Eine
unterbrochene Hauptverhandlung darf nur dann ohne den Angeklagten fortgesetzt werden, wenn dieser ihr
eigenmächtig ferngeblieben ist, also ohne Rechtfertigungs oder Entschuldigungsgründe wissentlich seiner
Anwesenheitspflicht nicht genügt hat (BGHSt 37, 249, 251. 46, 81 ff.).
Eigenmächtiges Handeln liegt unter anderem dann nicht vor, wenn dem Angeklagten in der mündlichen Verhandlung
erklärt wird, bei seinem Nichterscheinen werde ohne ihn verhandelt (vgl. OLG Köln StV 1985, 50. OLG Bremen StV
1992, 558), wenn das Gericht ihm freigestellt hatte, ob er zu Fortsetzungsverhandlung erscheine (vgl. BGH StV
1987, 189. OLG Stuttgart NJW 1970, 343) oder wenn sich aus dem Verhalten des Gerichts ein Einverständnis mit
dem Ausbleiben des Angeklagten entnehmen lässt (vgl. BGH NStZ 1989, 283).
Dabei obliegt es nicht dem Angeklagten, glaubhaft zu machen, dass sein Ausbleiben nicht auf Eigenmächtigkeit
beruht, diese ist ihm vielmehr nachzuweisen (BGHSt 10, 304, 305. 16, 178, 180). Es kommt auch nicht darauf an,
ob das Gericht Grund zur Annahme hatte, der Angeklagte habe den Termin zur Fortsetzung der Hauptverhandlung
vorsätzlich nicht wahrgenommen, sondern allein darauf, ob eine solche Eigenmächtigkeit im Sinne von § 231 Abs. 2
StPO tatsächlich vorlag (BGH StV 1981, 393, 394).
Der Senat hat dabei selbständig, gegebenenfalls im Wege des Freibeweises, zu prüfen, ob die Eigenmächtigkeit
auch noch im Zeitpunkt des Revisionsverfahrens nachgewiesen werden kann, ohne an die Feststellungen des
Tatrichters gebunden zu sein (BGH NStZ 1999, 418. NStZRR 2001, 333).
Ein solcher Nachweis für ein eigenmächtiges Fernbleiben des Angeklagten ist nicht zu führen.
Ausweislich der eingeholten dienstlichen Stellungnahme des Vorsitzenden Richters kann sich dieser an die Inhalte
eines Gesprächs mit der Verteidigerin nicht mehr konkret erinnern. er vermag demzufolge die ihm zugeschriebene
Äußerung nicht auszuschließen (Bl. 137 d.A.).
Da die Verlesung der Urteilsformel nach § 268 StPO einen wesentlichen Teil der Hauptverhandlung darstellt (vgl.
BGHSt 8, 41. 15, 263. 16, 178, 180. BGH NStZ 1989, 284. BGH NStZRR 2001,333.), ist die Verfahrensrüge
begründet.“
Dem schließt sich der Senat an.
III.
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
1. Soweit der neue Tatrichter im Rahmen der Strafzumessung eine Verurteilung des Angeklagten durch das
Amtsgericht Bremerhaven vom 1. Oktober 2009 wegen fahrlässiger Trunkenheit zu dessen Lasten berücksichtigen
möchte, bedarf es entsprechender Feststellungen über die der Verurteilung zugrunde liegende Tat. Das gilt auch im
Hinblick auf die Voraussetzungen für die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe gemäß § 47 Abs. 1 StGB. Sollte
eine solche auf eine spezialpräventive Notwendigkeit gestützt werden, muss der Tatrichter die der Bewertung
zugrunde liegenden tatsächlichen Umstände zuvor festgestellt haben.
2. Wie der Senat dem amtsgerichtlichen Aktenzeichen entnehmen kann, ist gegen den Angeklagten zunächst ein
Strafbefehl erlassen worden. Sollte der Strafbefehl auch bereits eine Sperrfrist von zwei Jahren nach Rechtskraft
vorgesehen haben, wird der neue Tatrichter bei der neuen Bestimmung der Länge einer isolierten Sperrfrist den
mittlerweile seit dem Erlass des Strafbefehls verstrichenen Zeitraum zu bedenken haben.
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