Urteil des OLG Celle vom 06.07.2011

OLG Celle: rücknahme, verfügung, beleidigung, ausnahme, strafrecht, stillschweigend, rechtskraft, meinung, verhinderung, anhörung

Gericht:
OLG Celle, 02. Strafsenat
Typ, AZ:
Beschluss, 2 Ws 180/11
Datum:
06.07.2011
Sachgebiet:
Normen:
STPO § 313, STPO § 322 A
Leitsatz:
Eine durch Terminsbestimmung konkludent zum Ausdruck gebrachte Annahme einer Berufung kann
nicht nachträglich durch Beschluss nach § 322a Satz 1 StPO zurückgenommen werden.
Volltext:
Oberlandesgericht Celle
2 Ws 180/11
25 Ns 23/11 Landgericht Lüneburg
4201 Js 12286/09 Staatsanwaltschaft Lüneburg
B e s c h l u s s
In der Strafsache
gegen A. L. A.,
geboren am xxxxxxxxxx 1965 in J.,
wohnhaft zurzeit K.straße, L.,
Verteidigerin: Rechtsanwältin K., W.
wegen Beleidigung
hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle nach Anhörung und auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft auf
die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Lüneburg vom 16. Mai 2011
durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht xxxxxxxxx, die Richterin am Oberlandesgericht xxxxxxxxxx
und den Richter am Oberlandesgericht xxxxxx am 6. Juli 2011 beschlossen:
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten im Beschwerdeverfahren
werden der Landeskasse auferlegt.
Gründe:
I.
Der Angeklagte ist durch Urteil des Amtsgerichts Celle vom 5. Oktober 2010 wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe
von 15 Tagessätzen zu je 10 € verurteilt worden. Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte rechtzeitig Berufung
eingelegt. Die Staatsanwaltschaft hat dem Landgericht die Akte mit dem Antrag übersandt, Termin zu bestimmen.
Der damalige Vorsitzende der 3. Strafkammer des Landgerichts Lüneburg hat daraufhin mit Verfügung vom 16.
Dezember 2010 Termin zur Hauptverhandlung bestimmt auf den 10. Februar 2011. Mit Verfügung vom 8. Februar
2011 hat der damalige Vorsitzende der 3. Strafkammer diesen Hauptverhandlungstermin wegen krankheitsbedingter
Verhinderung einer Zeugin wieder aufgehoben und die Sache dann seinem Dezernatsnachfolger vorgelegt. Der
sodann zuständige Vorsitzende der 5. kleinen Strafkammer wies den Angeklagten zunächst mit Verfügung vom 4.
Mai 2011 darauf hin, dass die Kammer die Voraussetzungen des § 313 StPO zu prüfen haben wird und erließ
sodann am 16. Mai 2011 den angefochtenen Beschluss, wonach die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des
Amtsgerichts Celle nicht angenommen wurde. Gegen diesen Beschluss, der der Verteidigerin formlos am 19. Mai
2011 zugegangen ist, wendet der Angeklagte sich mit seiner sofortigen Beschwerde vom 23. Mai 2011.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben.
II.
Die sofortige Beschwerde ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses.
Zwar sind Beschlüsse, mit denen gemäß § 322a StPO die Nichtannahme der Berufung beschlossen wird, gemäß §
322a Satz 2 StPO grundsätzlich unanfechtbar. Dies gilt jedoch nach allgemeiner Meinung nur dann, wenn
tatsächlich ein Fall des § 322a StPO vorliegt (vgl. dazu Meyer Goßner, StPO, 54. Aufl., § 322a Rdnr. 8.
HKRautenberg, StPO, § 322 a Rdnr. 9). Eine Ausnahme von der grundsätzlichen Unanfechtbarkeit der
Nichtannahme der Berufung wird nach allgemeiner Auffassung insbesondere dann gemacht, wenn mit der
Nichtannahme der Berufung zugleich die Rücknahme eines früheren Annahmebeschlusses verbunden ist. Die
Rücknahme eines solchen Annahmebeschlusses soll nicht mehr möglich sein (vgl. dazu OLG Zweibrücken, NSZ RR
2002, 245. Löwe Rosenberg/Gössel, StPO, § 322a Rdnr. 7. Meyer Goßner, a. a. O., Rdnr. 8. HK Rautenberg, a. a.
O., Rdnr. 9).
Um einen solchen Fall handelt es sich hier. Zunächst ist zu berücksichtigen, dass ebenfalls nach allgemeiner
Auffassung die Annahme der Berufung auch stillschweigend erfolgen kann, nämlich stets dann, wenn ohne
vorherigen ausdrücklichen Annahmebeschluss terminiert wird (vgl. dazu OLG Zweibrücken, a. a. O.. KKPaul, StPO,
6. Aufl., § 322a Rdnr. 2. LRGössel, § 322a Rdnr. 5. Meyer
Goßner, a. a. O., Rdnr. 3. Ries, Anwaltsblatt 93, 51, 56). Dies ist hier geschehen. In dem sich daran anschließenden
Nichtannahmebeschluss lag daher zugleich die unzulässige Rücknahme der bereits zuvor erfolgten Annahme.
Fraglich könnte allerdings sein, ob die oben zitierte Rechtsprechung und Literatur deshalb auf den vorliegenden Fall
nicht anwendbar ist, weil hier die Terminsbestimmung, so der ehemalige Vorsitzende der 3. Strafkammer
ausdrücklich, auf einem Versehen beruhte. Das OLG Zweibrücken hat in der oben zitierten Entscheidung nämlich
ausdrücklich ausgeschlossen, dass dort ein Versehen vorlag. Der Umstand, dass hier ein Versehen der
Terminierung zugrunde lag, rechtfertigt jedoch keine andere Beurteilung. Wie die Generalstaatsanwaltschaft
zutreffend ausführt, ist für die Frage der Abänderbarkeit der Entscheidung auf den Empfängerhorizont abzustellen.
Für den Angeklagten hat sich die Sachlage so dargestellt, dass seine Berufung mit der Terminierung auch
angenommen wurde. Dadurch ist für ihn ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden, der auch, so die
Generalstaatsanwaltschaft zutreffend, besonderen Bestandsschutz genießen muss.
Dies ist vergleichbar mit anderen Konstellationen, in denen gerichtliche Entscheidungen zu einer formellen
Rechtsposition des Angeklagten führen, ohne zugleich in Rechtskraft zu erwachsen, und die ebenfalls nicht ohne
Änderung der Sachlage zurückgenommen werden können. Beispielsweise sei hier der Fall einer
Verteidigerbeiordnung gemäß § 140 Abs. 2 StPO wegen Schwierigkeit der Sach und Rechtslage angeführt. Auch hier
gilt, dass die Bestellung nicht allein deshalb zurückgenommen werden kann, weil der Richter etwa nachträglich seine
Ansicht über die Schwierigkeit der Sach oder Rechtslage geändert hat (vgl. dazu Meyer
Goßner, a. a. O., § 140 Rdnr. 34).
Die Sache ist daher zur erneuten Terminierung an die 5. Strafkammer des Landgerichts Lüneburg zurückzugeben.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 StPO analog.
xxxxxxxxx xxxxxxxxxx Richter am Oberlandesgericht xxxxxx
ist ortsabwesend und deshalb an der
Unterschrift gehindert.
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