Urteil des OLG Celle vom 05.02.2002

OLG Celle: unterbrechung des kausalzusammenhangs, drittschuldner, zustellung, interessenkollision, vergleich, vermögenswert, anwaltskosten, haftungsbeschränkung, fehlbetrag, zugang

Gericht:
OLG Celle, 11. Zivilsenat
Typ, AZ:
Urteil, 16 U 161/01
Datum:
05.02.2002
Sachgebiet:
Normen:
ZPO § 183, ZPO § 185, BGB § 839
Leitsatz:
1. Die Aushändigung eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses über Arbeitslohn oder dessen
Abänderungsbeschlusses an den Arbeitnehmer (Schuldner) im Geschäftsbetrieb des Drittschuldners
ist in entsprechender Anwendung von § 185 ZPO keine wirksame Ersatzzustellung.
2. Überprüft der Gerichtsvollzieher anhand des zuzustellenden Beschlussinhalts nicht, ob der
Empfänger in einem offenkundigen Interessenkonflikt mit dem Zustellungsadressaten steht und ob
eine entsprechende Anwendung von § 185 ZPO in Betracht kommt, begeht er schuldhaft eine
Amtspflichtverletzung.
Volltext:
Oberlandesgericht Celle
Im Namen des Volkes
Urteil
16 U 161/01
2 O 235/01 Landgericht Hannover
Verkündet am
5. Februar 2002
#######,
Justizobersekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
In dem Rechtsstreit
#######,
Kläger und Berufungskläger,
Prozessbevollmächtigte:
#######
gegen
#######,
Beklagter und Berufungsbeklagter,
Prozessbevollmächtigte:
#######
hat der 16. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung
vom 24. Januar 2002 durch den Vorsitzenden Richter ####### und die Richterinnen
####### und ####### für Recht erkannt:
Auf die Berufung des Klägers wird das am 21. Juni 2001 verkündete Urteil der
2. Kammer des Landgerichts Hannover aufgehoben und das beklagte Land verurteilt,
an den Kläger 901,92 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 % über dem jeweiligen
Basiszinssatz gem. § 1 DÜG seit dem 18. Dezember 2000 zu zahlen.
Das beklagte Land trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beschwer des beklagten Landes beträgt 901,92 €.
Von der Darstellung eines Tatbestandes wird abgesehen (§§ 543 Abs. 1 ZPO a. F.,
26 Ziff. 5, 7, 8 EGZPO).
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg. Dem Kläger steht gegenüber
dem beklagten Land ein Schadenersatzanspruch wegen Amtspflichtverletzung aus
Art. 34 GG i. V. m. § 839 Abs. 1 S. 1 BGB in der erkannten Höhe zu.
1. Der Gerichtsvollzieher hat mit der Ersatzzustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses
vom 28. Dezember 1999 sowie des Abänderungsbeschlusses vom 28. Januar 2000
an den Schuldner an Stelle des Drittschuldners eine Amtspflicht verletzt:
a) Die Ersatzzustellung i. S. v. § 183 ZPO an ‘Gegner’ des Zustellungsadressaten
ist gem. § 185 ZPO unzulässig. Zwar ist der Schuldner bei einer Zwangsvollstreckung
in Forderungen nicht der prozessuale Gegner des Drittschuldners. Indes ist
nach ganz herrschender Meinung (zum Meinungsstand s. Hinweise in Hamme, NJW
1994, 1035 Fn 2) in Rechtsprechung und Literatur in diesen Fällen eine entsprechende
Anwendung des § 185 ZPO geboten:
Schutzzweck der Norm ist nicht nur - wie das Landgericht meint - der Schutz
des Zustellungsadressaten vor den Folgen eines Zugangs ohne Kenntnis (entsprechend
RG 87, 412 (414); LG Bonn DGVZ 1998, 12; und Roth in Stein-Jonas, ZPO, 21. Aufl.,
Rz 56 zu § 829), sondern auch der Schutz des Zustellers vor der außergewöhnlichen
Gefahr einer Manipulation oder versäumten Weiterleitung durch den Empfänger,
die auch im Falle der Ersatzzustellung an einen Schuldner typischerweise gegeben
ist (BGH NJW 1984, 57; BAG NJW 1981, 1399; OLG Köln JMBl. NRW 2002, 10;
Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann,
ZPO, 60. Aufl Rz 1 zu § 185; Wenzel in Münchener Kommentar, ZPO, 3. Aufl.,
Rz 3 zu § 185; Wieczorek, ZPO-Kommentar, Rz B II c zu § 185; Zöller-Stöber
ZPO, 21. Aufl., § 829 Rz 14). Dafür spricht auch die amtliche Begründung zur
Einführung des § 185 ZPO. Darin heißt es, dass die den damals gültigen Vorschriften
zu Grunde liegende Erwartung, ein dem Empfänger zugestelltes Schriftstück werde
auch demjenigen ausgehändigt, für den es bestimmt sei, in der Praxis nicht
in Erfüllung gehe, wenn der Empfänger Prozessgegner des Adressaten sei. Das
Zustellungsreformgesetz vom 25. Juni 2001 ist von diesem Gedanken nicht abgewichen.
Jedenfalls ist der Wortlaut nahezu unverändert in § 178 Abs. 2 ZPO n. F. übernommen
worden. Auch die aktuelle Gesetzesnovelle gibt keinen Anlass, von der bisherigen
überwiegenden Rechtsprechung Abstand zu nehmen.
Im Übrigen wird auch von der Gegenauffassung eine Ersatzzustellung an einen
Streitgenossen der Parteien für nicht zulässig erachtet. Die Interessenlage
eines Schuldners im Forderungsvollstreckungsverfahren ist aber nicht wesentlich
unterschiedlich, was § 841 ZPO deutlich macht (BAG a. a. O.). Die abweichende
Ansicht ist außerdem zu einem Zeitpunkt entwickelt worden als es die Heilungsmöglichkeit
des § 187 ZPO noch nicht gab (Wieczorek a. a. O.) und Zustellungsmängel zu
Lasten des Adressaten gingen. Dies ist nicht mehr der Fall. Im Übrigen trifft
das Argument der Gegenseite, eine extensive Anwendung des § 185 ZPO führe zur
Beeinträchtigung von Rechtssicherheit und Rechtsklarheit, die im stark formalisierten
Zustellungsverfahren gewährleistet sein müssten, nicht zu, denn für den Gerichtsvollzieher
ist anhand des zuzustellenden Schriftstücks leicht erkennbar, wer Schuldner
ist und damit als Ersatzzustellungsperson ausscheidet, was gem. § 43 GVGA zu
vermerken ist.
b) Die Amtspflichtverletzung hat der Gerichtsvollzieher auch zu vertreten (§ 276
BGB), weil er bei sorgfältiger Überprüfung von Beschlussinhalt und Ersatzzustellungsempfänger
die Interessenkollision hätte erkennen können und notfalls die Rechtslage hätte
überprüfen müssen, ob ein Fall des § 185 ZPO vorliegt. Bereits ein Blick in
einen der gängigen ZPO-Kommentare hätte ihm hinreichenden Aufschluss darüber
gegeben, dass sowohl der Bundesgerichtshof als auch das Bundesarbeitsgericht
die von ihm beabsichtigte Zustellung wegen der bestehenden Interessenkollision
für unzulässig erachten.
2. Entgegen der Ansicht des beklagten Landes ist dem Kläger durch die Amtspflichtverletzung
auch ein Schaden in Höhe von 901,92 € (1.764 DM) nebst zugesprochener Zinsen
entstanden.
a) Zurechenbar sind dem beklagten Land nur die Vermögensschäden, die infolge
rechtmäßigen Handelns des Drittschuldners entstanden sind. Andernfalls läge
eine Unterbrechung des Kausalzusammenhangs vor bzw. besteht Grund für einen
Anspruchsausschluss gem. § 839 Abs. 1 S. 2 BGB, weil der Drittschuldner sich
dem Kläger gegenüber schadensersatzpflichtig gemacht hätte.
Ein Vergleich der Vermögenslage des Klägers im Falle ordnungsgemäßen Verhaltens
des Gerichtsvollziehers und nach der Amtspflichtverletzung ergibt Folgendes:
• Wäre § 185 ZPO beachtet worden und hätte der Gerichtsvollzieher den Beschluss
anderweitig (beispielsweise durch Niederlegung) rechtmäßig zugestellt, wäre
die Wirkung des § 829 Abs. 3 ZPO eingetreten und dem Kläger der Vermögenswert
der monatlichen Beträge von 149,81 € (293 DM) von Februar bis August 2000,
mithin insgesamt von 1.048,66 € (2.051 DM) zugeflossen. Die Forderungen waren
nicht etwa wegen vorrangiger anderer Gläubiger unpfändbar, denn insoweit hat
der Änderungsbeschluss dem Kläger gerade eine Sonderstellung eingeräumt und
die Pfandfreigrenze heraufgesetzt. Ein Arbeitsgerichtsverfahren gegen den Drittschuldner
wäre nicht erforderlich gewesen. Der Kläger hätte mithin einen Vermögenszuwachs
von 1.048,66 € (2.051 DM) gehabt.
• Da aber die Zustellung unwirksam ist, sind die Wirkungen der §§ 829 Abs.
3 und 1 ZPO erst mit Zugang des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses sowie
des Änderungsbeschlusses beim Drittschuldner (§ 287 ZPO) eingetreten. Selbst
wenn der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss dem Drittschuldner bereits im
Februar zugegangen sein sollte - was angesichts des Schreibens des Drittschuldners
vom 26. September 2000 (Bl. 10 der Beiakte des ArbG Hannover) wenig plausibel
ist -, hätte dieser noch keine Wirkung gem. § 829 Abs. 3 und 1 ZPO entfaltet,
weil sich daraus kein pfandfreier Betrag ergab und vorrangige Gläubiger unstreitig
zu befriedigen waren. Vom Änderungsbeschluss hat der Drittschuldner erstmals
am 19. Juli 2000 Kenntnis erhalten, sodass ein Forderungsübergang ab diesem
Zeitpunkt stattgefunden hat und das gerichtliche Verfügungsverbot seitdem gültig
ist. In dessen Kenntnis hat der Drittschuldner dem Kläger zwar die in den Monaten
Juli und August fällig gewordenen Forderungen in Höhe von insgesamt 299,62
€ (586 DM) vorenthalten, ohne sich auf den Erfüllungseinwand gem. § 407 BGB
berufen zu können. Allerdings hat der Kläger insoweit keinen Vermögensnachteil
erlitten, weil der Drittschuldner den Fehlbetrag erstattet hat. Es kann daher
dahinstehen, ob die Haftungsbeschränkung des § 839 Abs. 1 S. 2 BGB hierfür
eingreift.
Kosten in Höhe von 152,88 € (299 DM) sind dem Kläger im Zusammenhang mit dem
Arbeitsgerichtsverfahren entstanden. Der Kläger hat diese Kosten nicht etwa
unter Verletzung seiner Schadensminderungspflicht (§ 254 Abs. 2 BGB) schuldhaft
veranlasst. Die gerichtliche Geltendmachung seiner Ansprüche gegenüber dem
Drittschuldner war aus der Sicht des Klägers erforderlich, weil er keine Kenntnis
von der unzulässigen Zustellung hatte und davon ausgehen durfte, dass der Drittschuldner
gegen das vermeintlich bestehende Veräußerungsverbot verstoßen hat. Eine anteilige
Haftung des Drittschuldners für die Anwaltskosten, die im Zusammenhang mit
den Forderungen für Juli und August entstanden sind, scheidet gem. § 12 a ArbGG
aus.
Der Gesamtschaden beträgt mithin 902,93 € (1.764 DM).
b) Der Zinsschaden ist unter dem Gesichtspunkt des Verzuges begründet (§§ 288
Abs. 1, 284, 285 BGB n. F.).
Der Beklagte ist als Unterliegender kostentragungspflichtig (§ 91 ZPO). Die
Vollstreckbarkeitsentscheidung beruht auf §§ 708 Ziff. 10, 711, 713 ZPO, 543
ZPO n. F. i. V. m. § 26 Ziff. 7, 8 EGZPO.
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