Urteil des OLG Celle vom 26.04.2002

OLG Celle: ermittlungsverfahren, unterschlagung, unterlassen, voruntersuchung, verjährung, rückgabe, abschaffung, zueignung, verfügung, leasingvertrag

Gericht:
OLG Celle, 02. Strafsenat
Typ, AZ:
Beschluß, 2 Ws 94/02
Datum:
26.04.2002
Sachgebiet:
Normen:
StPO § 172
Leitsatz:
Hat die Staatsanwaltschaft das Verfahren aus Rechtsgründen eingestellt, ohne
überhaupt Ermittlungen aufzunehmen, ist das Oberlandesgericht bei abweichender
Rechtsauffassung berechtigt, die Staatsanwaltschaft zur Aufnahme der Ermittlungen
anzuweisen.
Volltext:
Oberlandesgericht Celle
2 Ws 94/02
6 Zs 480/02 GenStA Celle
B e s c h l u s s
In dem Ermittlungsverfahren
gegen- -#######,
--geboren am #######,
--wohnhaft #######
wegen -Unterschlagung
Antragsteller: #######
#######
Verfahrensbevollmächtigte#######
hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle auf den Antrag auf gerichtliche
Entscheidung gegen den Bescheid des Generalstaatsanwalts in Celle vom
20. März 2002 nach dessen Anhörung durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht
####### die Richterin am Oberlandesgericht ####### und den Richter am Oberlandesgericht
####### am 26. April 2002 beschlossen:
Es wird angeordnet, dass die Staatsanwaltschaft ####### die aufgrund der Rechtsauffassung
des Senats erforderlichen Ermittlungen aufzunehmen hat.
G r ü n d e
I.
Die Antragstellerin hat den Beschuldigten mit Schreiben vom 6. Februar 2002,
bei der Staatsanwaltschaft #######eingegangen am 8. Februar 2002, wegen des
Verdachts der Unterschlagung angezeigt. Nach ihrem Vortrag hat der Beschuldigte
mit Leasingvertrag vom 16. Oktober/3. November 1992 von der Antragstellerin
fünf verschiedene Geräte zum Anschaffungspreis von 22.699 DM zuzüglich Mehrwertsteuer
geleast. Der Leasingvertrag sei - so die Antragstellerin - wegen Zahlungsverzugs
am 8. Oktober 1993 fristlos gekündigt worden. Der Beschuldigte habe die Geräte,
die sich zunächst in seinem Gewerbebetrieb in ####### befunden hätten, trotz
Aufforderung nicht herausgegeben. Später habe die Ehefrau des Beschuldigten
unter dieser Anschrift einen Gewerbebetrieb geführt. Bei einem Telefonat mit
der Rechtsanwältin ####### habe die Ehefrau des Beschuldigten erklärt, die
Geräte seien ‘damals beim Hochwasser abgesoffen’.
Die Staatsanwaltschaft hat das Verfahren mit Verfügung vom 14. Februar 2002
wegen Verjährung eingestellt. Nach dem Kündigungsschreiben seien die Leasinggegenstände
bis spätestens zum 18. Oktober 1993 herauszugeben gewesen. Das strafrechtlich
möglicherweise relevante Unterlassen sei zu diesem Zeitpunkt erfolgt, als die
Gegenstände nicht herausgegeben worden seien. Eine Unterschlagung nach § 246
StGB verjähre gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB in fünf Jahren, folglich sei am
17. Oktober 1998 Verjährung eingetreten.
Die Beschwerde der Antragstellerin hat der Generalstaatsanwalt in Celle verworfen.
Hiergegen richtet sich der Klageerzwingungsantrag der Antragstellerin.
II.
Der Antrag hat Erfolg.
1. Die Rechtsauffassung der Staatsanwaltschaft und der Generalstaatsanwaltschaft,
eine mögliche Unterschlagung sei bereits durch die Nichtherausgabe der geleasten
Gegenstände zum 18. Oktober 1993 erfolgt und daher verjährt, vermag der Senat
nicht zu teilen. In der Benutzung entliehener, gemieteter, geleaster oder sicherungsübereigneter
Sachen über die vertraglich vereinbarte Zeitdauer hinaus ist regelmäßig keine
Zueignung im Sinne des § 246 StGB zu sehen. Ein solches Verhalten lässt nicht
ohne weiteres den Schluss auf einen Zueignungswillen zu, da es auf den ver-
schiedensten anderen Gründen, wie etwa auf Nachlässigkeit, beruhen kann. Erforderlich
ist vielmehr, dass der Zueignungswille durch ein über das bloße Unterlassen
der geschuldeten Rückgabe hinausgehendes Verhalten manifestiert wird, welches
den sicheren Schluss darauf zulässt, dass der Gegenstand unter Ausschluss des
Eigentümers dem eigenen Vermögen einverleibt werden soll (vgl. BGHSt 34, 309,
311 ff; OLG Koblenz StV 1984, 287, 288; OLG Düsseldorf StV 1990, 164; OLG Hamm
wistra 1999, 112; LK-Ruß, StGB, 11. Aufl. § 246 Rdn. 20 m. w. N.). Dass der
Beschuldigte auf die mit Fristsetzung erfolgte Aufforderung der Antragstellerin
zur Rückgabe nicht reagiert hat, reicht als Manifestation des Zueignungswillens
nicht (vgl. BGHSt 34, 309, 312). Mögliche Manifestationen des Zueignungswillens
- Verbergen der Sache, Schweigen auf die Frage nach deren Verbleib, weitere
Nutzung im eigenen Gewerbebetrieb unter Minderung des Wertes der Sachen oder
Übergabe an die Ehefrau zur Benutzung in deren Betrieb - sind bisher nicht
festgestellt beziehungsweise hinsichtlich ihres Zeitpunktes völlig offen. Nicht
auszuschließen ist daher, dass eine Zueignung erst in bisher nicht rechtsverjährter
Zeit erfolgt ist. Dass entsprechende Ermittlungsmaßnahmen zu der Frage, ob
und gegebenenfalls wann Zueignungshandlungen stattgefunden haben, völlig aussichtlos
wären, vermag der Senat nicht festzustellen. Möglicherweise ergeben sich bereits
aus den bisher nur sehr pauschal vorgetragenen Bemühungen der Antragstellerin,
die geleasten Gegenstände zurückzuerhalten, bei einer ins Einzelne gehenden
Darstellung Anhaltspunkte dafür, dass eine Zueignungshandlung erst nach dem
8. Februar 1997 erfolgt ist. Bislang ist nicht einmal sicher, dass die Gegenstände
tatsächlich nicht mehr vorhanden sind. Offen ist des Weiteren, wie sich der
Sachverhalt aus der Sicht des Beschuldigten darstellt. Unter diesen Umständen
vermag der Senat den Anfangsverdacht einer strafbaren Handlung nicht von vornherein
zu verneinen.
2. Der von der Antragstellerin erhobene Tatvorwurf ist bisher tatsächlich in
keiner Weise geklärt. Unter diesen Umständen erachtet es der Senat für zulässig,
die Staatsanwaltschaft zur Aufnahme der bislang fehlenden Ermittlungen anzuweisen.
Zwar sehen die §§ 172 ff StPO nach ihrem Wortlaut eine bloße Ermittlungsanordnung
nicht vor. Das Klageerzwingungsverfahren zielt auf einen Abschluss durch Anklageerhebung
(§ 175 StPO). Das Oberlandesgericht kann zur Vorbereitung seiner Entscheidung
Ermittlungen anordnen und mit ihrer Vornahme einen beauftragten oder ersuchten
Richter betrauen (§ 173 Abs. 3 StPO). Nach dieser Regelung müsste das Oberlandesgericht
in Fällen, in denen die Staatsanwaltschaft aus Rechtsgründen schon einen Anfangsverdacht
(§ 152 Abs. 2 StPO) verneint und deshalb jede tatsächliche Aufklärung des Sachverhalts
unterlassen hat, bei einer abweichenden Rechtsauffassung das gesamte Ermittlungsverfahren
selbst durchführen. Nach ver-
breiteter Meinung in Rechtsprechung und Literatur, der sich der Senat anschließt,
kann es aber nicht Aufgabe des Oberlandesgerichts sein, ein vollständiges Ermittlungsverfahren
durchzuführen (vgl. OLG Zweibrücken GA 1981, 94 = NStZ 1981, 193 m. abl. Anm.
Kuhlmann; OLG Bremen MedR 1984, 112; KG NStZ 1990, 355 = JZ 1991, 46 m. Anm.
Eisenberg; OLG Braunschweig wistra 1993, 31, 33 f; OLG Koblenz NStZ 1995, 50;
LR-Graalmann-Scherer, StPO, 25. Aufl. § 175 Rdn. 16 ff; Kleinknecht/Meyer-Goßner,
StPO, 45. Aufl. § 175 Rdn. 2; Stoffers NStZ 1993, 497, 499). Wie Rieß (NStZ
1986, 433, 437 f) zutreffend dargelegt hat, ist mit der Abschaffung der gerichtlichen
Voruntersuchung durch das 1. StVRG erst nachträglich eine unbewusste Regelungslücke
entstanden; zuvor konnte im Klageerzwingungsverfahren auch bei einem nicht
anklagereifen Sachverhalt die Erhebung der öffentlichen Klage angeordnet werden,
weil die Staatsanwaltschaft ihrer Verpflichtung aus
§ 175 Satz 2 StPO dann durch den Antrag auf gerichtliche Voruntersuchung, durch
die der Sachverhalt bis zur Entscheidung über die Eröffnungsreife aufzuklären
war, nachkommen konnte. Dass durch die Abschaffung der gerichtlichen Voruntersuchung
das Ermittlungsverfahren unter die alleinige Verantwortung der Staatsanwaltschaft
gestellt werden sollte, spricht dafür, ihr auch im Klageerzwingungsverfahren
in den Fällen, in denen sie aufgrund ihrer abweichenden Rechtsauffassung noch
überhaupt keine sachverhaltsaufklärende Tätigkeit entfaltet hat, das Ermittlungsverfahren
wieder in die Hand zu geben, wenn eine umfassende Sachaufklärung notwendig
ist. Auf diese Weise behält die Staatsanwaltschaft die ihr nach § 150 GVG zustehende
Herrschaft über das Ermittlungsverfahren. Der Antragsteller wird nicht benachteiligt,
weil ihm das Klageerzwingungsverfahren erneut zur Verfügung steht, falls die
Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren wiederum einstellen sollte.
3. Der Senat hat den Beschuldigten nicht angehört, um nicht möglicherweise
Ermittlungsmaßnahmen dadurch zu gefährden, § 33 Abs. 4 StPO. Die Rechte des
Beschuldigten werden jedenfalls durch § 163 a StPO gewahrt.
4. Eine Kostenentscheidung ergeht nicht (LR-Graalmann-Scherer a.a.O. Rdn. 21
m. w. N.).
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