Urteil des OLG Celle vom 11.03.2009
OLG Celle: kündigung, abfindung, geschäftsführer, gesellschaft, beweislast, anstellungsverhältnis, arbeitsrecht, mangelhaftigkeit, einwendung, vollstreckungstitel
Gericht:
OLG Celle, 09. Zivilsenat
Typ, AZ:
Urteil, 9 U 138/08
Datum:
11.03.2009
Sachgebiet:
Normen:
BGB § 611, ZPO § 592 f
Leitsatz:
Für die Klage eines GmbHGeschäftsführers auf Gehalt, Übergangsgeld und Abfindung ist ein
Urkundenprozess statthaft, wenn die anspruchsbegründenden Voraussetzungen durch Urkunden
nachweisbar oder unstreitig sind, und zwar auch dann, wenn sich die beklagte Gesellschaft auf eine
(streitige und nicht mit Urkunden beweisbare) außerordentliche Kündigung beruft und der Kläger die
Zahlung der vertraglich vorgesehenen Bruttobeträge verfolgt.
Volltext:
Oberlandesgericht Celle
Im Namen des Volkes
Urteil
9 U 138/08
22 O 9/08 Landgericht Hannover
Verkündet am
11. März 2009
G.,
Justizamtsinsp.
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
In dem Rechtsstreit
R. GmbH, vertreten durch ... , in H.,
Beklagte und Berufungsklägerin,
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte N. pp. in F.,
gegen
B. K., ... in N.,
Kläger und Berufungsbeklagter,
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte G. pp. in H.,
hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 25. Februar 2009 durch den
Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. S., den Richter am Oberlandesgericht D. und die Richterin am
Oberlandesgericht W. für Recht erkannt:
Die Berufung der Beklagten gegen das am 30. Juli 2008 verkündete Vorbehaltsurteil der 2. Kammer für
Handelssachen des Landgerichts Hannover wird mit der klarstellenden Maßgabe zurückgewiesen, dass es sich bei
den vom Landgericht zugesprochenen Zahlungen um Bruttobeträge handelt.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung in
Höhe von 115 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht der Kläger vor der
Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
G r ü n d e :
I.
Der Kläger, früherer Geschäftsführer der Beklagten, begehrt von dieser im Wege eines Urkundsverfahrens
Geschäftsführergehalt, Übergangsgeld und eine Abfindung. Wegen des Sachverhalts und der tatsächlichen
Feststellungen des Landgerichts wird auf das angefochtene Vorbehaltsurteil Bezug genommen, mit dem der Klage
ganz überwiegend stattgegeben und der Beklagten die Ausführung ihrer Rechte im Nachverfahren vorbehalten
worden ist.
Mit der Berufung verfolgt die Beklagte ihr erstinstanzliches Prozessziel vollständiger Klagabweisung weiter. Schon
im Urkundsverfahren sei belegt, dass das Anstellungsverhältnis des Klägers als Geschäftsführer der Beklagten
beendet worden sei, weil jener das maßgebliche Kündigungsschreiben vom 21. Dezember 2007 (Anlage K 4 im
gesonderten Hefter) selbst vorgelegt habe. Außerdem habe der Kläger die Kündigungsgründe (nämlich „schwere
Verfehlungen“) ebenfalls selbst vorgetragen. Ohnehin sei das Urkundsverfahren für Ansprüche des aus wichtigem
Grunde gekündigten Geschäftsführers vom Grundsatz her nicht geeignet, weil die Prozessrisiken einseitig auf die
anstellende Gesellschaft überbürdet würden. Aus den gleichen Gründen könne der Kläger zudem weder
Übergangsgeld noch Abfindung beanspruchen. Darüber hinaus habe das Landgericht die Beklagte zu Unrecht zur
Zahlung der Bruttobeträge verurteilt, was dem Kläger die nicht statthafte Möglichkeit gebe, auch die
Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung zur Zahlung an sich selber zu vollstrecken. Letztlich sei das
Urkundsverfahren für auf Bruttobeträge gerichtete Zahlungsansprüche nicht einmal statthaft, wie sich aus einer
Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf ergebe.
Der Kläger verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen
Vortrags.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten
Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
II.
Die Berufung erweist sich als unbegründet. Das Landgericht hat mit zutreffenden tatsächlichen und rechtlichen
Erwägungen, denen der Senat beitritt und auf die zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird, der
Urkundsklage (abgesehen von einem kleinen Teil der Nebenansprüche) stattgegeben und die Beklagte im Wege
eines Vorbehaltsurteils verurteilt. Im Hinblick auf die Berufungsangriffe ist folgendes festzuhalten:
1. Das Urkundsverfahren ist - auch in Ansehung dessen, dass der Kläger Ansprüche auf Vergütung für seine Dienste
als vormaliger Geschäftsführer der Beklagten verfolgt - statthaft. Dem steht entgegen der Auffassung der Beklagten
insbesondere nicht die von ihr als unangemessen empfundene Risikoverteilung mit Blick auf die streitige
außerordentliche Kündigung des Anstellungsvertrags entgegen. Es ist gerade der (vom Gesetzgeber gewollte) Sinn
des Urkundsprozesses, Zahlungsansprüche, deren Voraussetzungen durch Urkunden bewiesen werden können, auf
schnelle (wenn auch vorläufige) und damit für den Gläubiger vorteilhafte Weise titulieren zu können. Darüber hinaus
hat der Gesetzgeber dem Schuldner eines entsprechenden Urkundenvorbehaltsurteils als Korrektiv hinsichtlich der
Vollstreckungsrisiken die Möglichkeit zur Seite gestellt, einen Vollstreckungsschutzantrag nach § 707 Abs. 1 Satz
1, 3. Alt. ZPO stellen zu können.
Für Ansprüche aus Dienstvertrag, hier Geschäftsführeranstellung, gilt nichts anderes. insbesondere ist nicht etwa
die Vorschrift des § 46 Abs. 2 S. 2 ArbGG (die das Urkundsverfahren im Arbeitsgerichtsprozess ausschließt)
entsprechend anwendbar. Selbst wenn man mit der Beklagten einen „offensichtlichen Wertungswiderspruch“
annehmen wollte, weil ein Geschäftsführer, anders als ein Arbeitnehmer, seine Gehaltsansprüche zunächst im
Urkundsverfahren verfolgen darf, ist dieser jedenfalls vom Gesetzgeber nicht zum Anlass genommen worden, das
Urkundsverfahren für nicht dem Arbeitsgerichtsgesetz zugeordnete Dienstverhältnisse ebenfalls auszuschließen.
Eine planwidrige Regelungslücke besteht insoweit nicht (vgl. auch OLG Rostock, 6 U 122/04, BeckRS 2005,
30348467. Musielak/ Voit, ZPO, Rdnr. 5 zu § 592. Pesch, NZA 2002, 957 ff.).
Die von der Beklagten angeführte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die für die Rückforderung der
Bürgschaft auf erstes Anfordern den Urkundenprozess als unstatthaft ansieht, weil damit die Klärung des materiellen
Bürgschaftsfalls weitgehend in das Nachverfahren abgedrängt werde (BGH, NJW 2001, 3549), ist auf
Vergütungsansprüche aus Dienstverhältnissen, deren Kündigung streitig ist, nicht übertragbar. Insoweit wird lediglich
die Klärung der (rechtsvernichtenden) Einwendung der Kündigung für die Fälle dem Nachverfahren vorbehalten, in
denen die Voraussetzungen der Kündigung mit Urkunden nicht belegbar sind (vgl. für die Erhebung nicht im
Urkundsverfahren beweisbarer Einreden im Hinblick auf die Mangelhaftigkeit eines Mietgegenstandes BGH, NJW
2007, 1061).
Schließlich berührt es - entgegen der von der Beklagten in der Verhandlung vor dem Senat unter Hinweis auf eine
Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 2. März 2005 (3 U 3/05, GmbHR 2005, 991 = BeckRS 2005, 04688)
vertretenen Auffassung - die Statthaftigkeit des Urkundsverfahrens nicht, dass aus den vom Kläger vorgelegten (und
ihrem Inhalt nach unstreitigen) Urkunden nur der Bruttobetrag der verfolgten Forderungen zu ersehen ist. Dass eine
Ermittlung der von den Bruttobezügen vorzunehmenden Abzüge (Steuern und Sozialversicherungen) mit den im
Urkundsverfahren zu gewinnenden Erkenntnissen nicht möglich sein könnte, berührt das Begehr des Klägers schon
deswegen nicht, weil dieses auf die Bruttobeträge gerichtet ist, eine Ermittlung der Nettobezüge also weder im
Urkundsverfahren noch im Nachverfahren notwendig ist (weshalb im Übrigen auch die zitierte Entscheidung in der
Literatur kritisiert worden ist, vgl. Lelley, GmbHR 2005. 992. Schönhöft, GmbHR 2008, 95). Die Verfolgung von
Zahlungsansprüchen, von denen der Dienstherr aufgrund gesetzlicher Verpflichtungen bspw. steuerliche Abzüge
vornehmen darf oder muss, ist nach allgemeiner Auffassung (der auch der Senat in ständiger Rechtsprechung folgt)
in der Weise zulässig, dass auf den gesamten Bruttobetrag geklagt wird (vgl. etwa BGH, WM 1966, 758 f.. LAG
Düsseldorf, BeckRS 2006, 43699. Palandt/Weidenkaff, BGB, 68. Aufl., Rdnr. 51 zu § 611, Zöller/Stöber, ZPO, 27.
Aufl., Rdnr. 6 zu § 704. Boewer in Münchner Handbuch zum Arbeitsrecht, 2. Aufl., Rdnr. 54 zu § 78. Germelmann,
Arbeitsgerichtsgesetz, 6. Aufl., Rdnr. 55 zu § 46 sowie Rdnr. 56 zu § 62). Soweit die Beklagte Steuerbeträge oder
Sozialabgaben auf die eingeklagten Forderungen bereits abgeführt hat oder abzuführen gedenkt, ist dies erst im
Rahmen der Vollstreckung zu prüfen und in Abzug zu bringen (BGH, a. a. O.. Zöller/Stöber, a. a. O., m. w. N.),
wobei es keinen Unterschied macht, ob es sich bei dem Vollstreckungstitel um ein Urkundenvorbehaltsurteil handelt
oder um ein „gewöhnliches“ Endurteil.
2. Ebenso wenig ist der Beklagten dahingehend zu folgen, dass dem Kläger der Nachweis der
anspruchsbegründenden Voraussetzungen im Urkundsverfahren bereits deswegen nicht glücke, weil er die
Kündigungserklärung vom 21. Dezember 2007 selber vorgelegt habe. Die Wirksamkeit dieser Erklärung ist zwischen
den Parteien im Streit, nur eine wirksame Kündigung vermag aber das Anstellungsverhältnis zu beenden. Für die
Wirksamkeit der von ihr ausgesprochenen Kündigung trägt die Beklagte nach allgemeinen Grundsätzen die
Darlegungs und Beweislast (vgl. auch OLG Rostock, a. a. O.). Insoweit gilt im Urkundsverfahren nichts anderes,
weshalb auch eine außerordentliche Kündigung nur dann zu berücksichtigen ist, wenn ihre Berechtigung urkundlich
nachweisbar oder unstreitig ist. Das aber ist vorliegend nicht der Fall. die Beklagte hat der Sache nach überprüfbare
Kündigungsgründe nicht einmal mitgeteilt, geschweige denn urkundlich belegt.
3. Im Ergebnis gleiches gilt für die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche auf Übergangszahlungen sowie eine
Abfindung (Nrn. 15 und 18 des Anstellungsvertrags, Anlage K 8 im gesonderten Hefter, übersetzte Fassung). Zwar
bestimmt Nr. 15 des Anstellungsvertrags, dass die Übergangszahlung dann zu leisten ist, wenn das
Arbeitsverhältnis von der Gesellschaft „aus Gründen gekündigt wird, die der Arbeitnehmer nicht zu vertreten hat“.
Eine derartige negative Formulierung deutet aber in der Regel darauf hin, dass denjenigen die Beweislast trifft, der
das Gegenteil davon geltend machen will (vgl. für entsprechende Formulierungen in Gesetzesvorschriften
Zöller/Greger, a. a. O., Rdnr. 17 a vor § 284). Dem entspricht es auch, dass der Beweis einer negativen Tatsache im
Regelfall schlechthin nicht möglich ist, weil anderenfalls eine unendliche Vielzahl entgegenstehender Alternativen
positiv ausgeschlossenen werden müsste.
Auch Nr. 18 des Anstellungsvertrages des Klägers betreffend die Abfindung stellt durch ihr
RegelAusnahmeverhältnis („außer im Falle einer Kündigung aufgrund schweren oder groben Fehlverhaltens oder
Invalidität“) klar, dass die Gesellschaft die Voraussetzungen einer vertragsbeendigenden Kündigung zu beweisen
hat.
4. Schließlich ist, wie in anderem Zusammenhang bereits erörtert, auch nicht zu beanstanden, dass der Kläger seine
Ansprüche in Form der entsprechenden vertraglich vorgesehenen Bruttobeträge verfolgt. Um dies für die
Vollstreckung klarzustellen, hat der Senat die entsprechende Tenorierung des Landgerichts auf den erstmals im
Berufungsverfahren erfolgten Einwand hin ergänzt. Eine inhaltliche Abänderung der angefochtenen Entscheidung,
schon gar im Hinblick auf eine Teilabweisung der Klage, ist damit nicht verbunden, weil der Kläger von vornherein
ersichtlich allein die Bruttobeträge verfolgt hat.
5. Die Kostenentscheidung folgt § 97 Abs. 1 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit §§ 708 Nr. 10, 108
Abs. 1 S. 2 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 543 ZPO) liegen nicht vor.
Dr. S. W. D.