Urteil des OLG Celle vom 09.11.2011

OLG Celle: rücknahme der klage, treu und glauben, klagerücknahme, umdeutung, datum, abgabe

Gericht:
OLG Celle, 08. Zivilsenat
Typ, AZ:
Beschluss, 8 W 58/11
Datum:
09.11.2011
Sachgebiet:
Normen:
ZPO § 269, ZPO § 303
Leitsatz:
Erklärt ein Rechtsanwalt Klagerücknahme mit dem Zusatz, er gehe aufgrund einer vorangegangenen
Anregung des Gerichts nicht davon aus, dass die Beklagte auf Kostenerstattung verzichte, tut dies in
der Folgezeit aber nicht, sondern macht Kostenerstattungsansprüche geltend, ist auf seinen Antrag
hin der Rechtsstreit mit mündlicher Verhandlung fortzusetzen, um über die Wirksamkeit der
Klagerücknahme durch (Zwischen)Urteil zu entscheiden.
Volltext:
8 W 58/11
2 O 62/10 Landgericht Hannover
B e s c h l u s s
In der Beschwerdesache
Rechtsanwalt S. R. … in H.,
Kläger und Beschwerdeführer,
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte R. …
gegen
X. Lebensvers.AG, vertreten durch den Vorstand … in H.,
Beklagte und Beschwerdegegnerin,
Prozessbevollmächtigte:
Anwaltsbüro B. …
hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die - sofortige - Beschwerde des Klägers vom 17. Oktober
2011 gegen den Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 6. Oktober 2011, mit dem dem
Kläger nach Rücknahme der Klage die Kosten des Rechtsstreits auferlegt worden sind, durch den Vorsitzenden
Richter am Oberlandesgericht … , den Richter am Oberlandesgericht … und den Richter am Oberlandesgericht …
am 9. November 2011 beschlossen:
Der Beschluss des Landgerichts Hannover vom 6. Oktober 2011 und der Nichtabhilfebeschluss vom 18. Oktober
2011 werden aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
Beschwerdeverfahrens, an das Landgericht Hannover zurückverwiesen.
G r ü n d e :
Die als sofortige Beschwerde auszulegende Beschwerde des Klägers ist nach §§ 269, 567 ff. ZPO zulässig,
insbesondere fristgerecht eingelegt. In der Sache hat sie Erfolg. Das Landgericht hätte, anstatt dem Kläger nach
vermeintlichem Abschluss des Rechtsstreits die Kosten aufzuerlegen, den Rechtsstreit auf dessen ausdrücklichen
Antrag hin fortführen müssen.
1. Gemäß § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO ist ein Kläger verpflichtet, die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, wenn die
Klage zurückgenommen wird. Auf die - vom Kläger möglicherweise missverstandene - Anregung des Landgerichts
im Beschluss vom 24. August 2011 hin hat der Kläger mit Schriftsatz vom 29. August 2011 erklärt, die Klage
zurückzunehmen. In dem Schriftsatz heißt es außerdem, er gehe davon aus, dass die Beklagte auf
Kostenerstattung verzichte, und eine diesbezügliche Erklärung dem Landgericht vorliege.
Gegen den Beschluss des Landgerichts vom 6. Oktober 2011, mit dem dem Kläger nach Rücknahme der Klage die
Kosten auferlegt worden sind, hat der Kläger Beschwerde eingelegt. Er hat beantragt, den angefochtenen Beschluss
aufzuheben und gegebenenfalls den Rechtsstreit fortzusetzen.
Dem hat das Landgericht zu Unrecht nicht entsprochen.
a) Besteht Streit über das Vorliegen einer Klagerücknahme oder deren Wirksamkeit, ist der Rechtsstreit durch
mündliche Verhandlung fortzusetzen und über die Wirksamkeit der Klagerücknahme durch (Zwischen)Urteil zu
entscheiden (Stein/Jonas - Roth, ZPO, Band 4, 22. Aufl., § 269 Rdnr. 33. Zöller - Greger, ZPO, 28. Aufl., § 269 Rdnr
19 b. Zöller - Vollkommer, ebenda, § 303 Rdnr. 6. OLG Köln, NZG 2004, 46, 47. Hessisches LAG, 9 Ta 25/06,
Beschluss vom 14. August 2006, zit. nach juris. BGH, NJW 1995, 2229, zu § 515 ZPO a. F. ist nicht einschlägig,
weil es hier nicht um die Zurücknahme der Berufung geht), wohingegen die Anwendung von § 269 Abs. 4 ZPO
voraussetzt, dass über die Klagrücknahme kein Streit besteht. Das Zwischenurteil setzt regelmäßig eine mündliche
Verhandlung voraus. Diese hat nach dem jetzigen Sach und Streitstand das Landgericht (vgl. Baumbach u. a. -
Hartmann, ZPO, 69. Aufl., § 269 Rdnr. 28 a. E.) nachzuholen, und zwar unabhängig davon, ob es nicht ohnehin
bereits von der Wirksamkeit der Klagrücknahme ausgeht.
b) Hinsichtlich der mündlichen Verhandlung weist der Senat vorsorglich wie folgt hin:
Der Inhalt des Schriftsatzes vom 29. August 2011 lässt nach seinem Wortlaut die Annahme als naheliegend
erscheinen, der Kläger habe die Rücknahme erklären wollen. Mehrfach optisch hervorgehoben heißt es: „nehme ich
die Klage zurück und bitte um Aufhebung des Verhandlungstermins“. An diesem Erklärungsinhalt ändert sich nichts
dadurch, dass der Kläger seine Motivation für die Abgabe der Rücknahmeerklärung dargelegt hat.
Dabei kann dahinstehen, ob eine bedingte Rücknahme vorliegt. Läge eine solche vor, änderte sich nichts. Die
Rücknahme eines Rechtsmittels ist bedingungsfeindlich und infolgedessen unzulässig (vgl. BGH, XII ZB 80/07,
Beschluss vom 26. September 2007). Es kommt daher auch von vornherein keine Umdeutung der erklärten
Rücknahme in eine (unzulässige) bedingte Rücknahme in Betracht (vgl. ebenda).
§ 269 ZPO sieht - anders als etwa § 72 Abs. 2 Satz 3 FGO - auch keine Möglichkeit vor, nachträglich die
Unwirksamkeit einer Klagrücknahme geltend zu machen. Lediglich ausnahmsweise ist in der Rechtsprechung aber
anerkannt worden, dass der Gegner des Rechtsmittelklägers sich nach Treu und Glauben nicht auf eine
Rücknahmeerklärung berufen könne, und diese dann als unwirksam zu behandeln sei. Voraussetzung soll sein, dass
der Widerspruch der Rücknahmeerklärung zu dem wirklichen Willen, auf dem die Erklärung beruhte, für den Gegner
und das Gericht ganz offensichtlich waren (BGH, II ZB 5/77, Beschluss vom 21. März 1977, VersR 1977, 574).
Bislang jedenfalls ist unklar, wie der Kläger zu seiner im Schriftsatz vom 29. August 2011 geäußerten Annahme
kam, er gehe davon aus, dass die Beklagte auf Kostenerstattung verzichte.
2. Eine Kostenentscheidung ist vom Senat nicht zu treffen. Über die Kosten der Beschwerde wird nach Abschluss
des Verfahrens das Landgericht zu befinden haben.
… … …