Urteil des OLG Celle vom 21.02.2012

OLG Celle: höchstpersönliches recht, strafantrag, vertretungsbefugnis, straftat, hindernis, vertreter, geldstrafe, sozialhilfe, berechtigung, strafverfahren

Gericht:
OLG Celle, 02. Strafsenat
Typ, AZ:
Beschluss, 32 Ss 8/12
Datum:
21.02.2012
Sachgebiet:
Normen:
StGB § 77 Abs 3, StGB § 77 Abs 4, StGB § 77 b Abs 13, BGB § 1896
Leitsatz:
Ein nach § 77 Abs. 3 StGB grundsätzlich strafantragsberechtigter Betreuer ist von diesem Recht
ausgeschlossen, wenn er selbst der Beteiligung an der Tat verdächtig ist. Dies gilt auch für die
Stellung von Strafanträgen gegen Mitbeteiligte.
Der Betreuer eines volljährigen Strafantragsberechtigten kann einen wirksamen Strafantrag für den
Betreuten stellen, wenn das Betreuungsgericht seinen Aufgabenkreis ausdrücklich auf die Stellung
von Strafanträgen erweitert hat. Weder der allgemeine Aufgabenkreis der Vermögenssorge noch der
der Vertretung gegenüber Behörden enthalten dieses höchstpersönliche Recht.
Volltext:
Oberlandesgericht Celle
32 Ss 8/12
4102 Js 6260/08 StA Lüneburg, Zweigstelle Celle
B e s c h l u s s
In der Strafsache
gegen R. M.,
geboren am xxxxxxxx 1966 in H.,
wohnhaft I. G., H./O.,
Verteidiger: Rechtsanwalt R., W. (A.)
wegen Computerbetruges
hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft durch den
Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht xxxxxxxx, die Richterin am Oberlandesgericht xxxxxxxxx und den
Richter am Amtsgericht xxxxxxxx am 21.02.2012 einstimmig beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 7. kleinen Strafkammer des Landgerichts Lüneburg vom
17.10.2011 wird als unbegründet verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO).
Der Angeklagte hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
Der Erörterung bedarf lediglich das Folgende:
I.
Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen der Kammer hat der Angeklagte in der Zeit vom 18.01.2006 bis
zum 05.01.2007 in 61 Fällen die ecKarte seines unter Betreuung stehenden Schwagers an sich genommen und ohne
dessen Wissen und Wollen unter Verwendung der PIN Bargeldabhebungen in einer Gesamthöhe von ca. 16 600,
Euro vom Konto des Geschädigten getätigt. Der Angeklagte hat damit zum Nachteil eines Angehörigen i. S. des §
11 Abs. 1 Ziff. 1 a) StGB gehandelt, so dass ein wirksamer Strafantrag gemäß § 263 a Abs. 2, § 263 Abs. 4 und §
247 StGB Verfahrensvoraussetzung war, deren Vorliegen der Senat von Amts wegen zu prüfen hatte. Die Kammer
ist im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass der Strafantrag des Betreuers S. vom 25.06.2008 wirksam war.
Rechtsanwalt S. war als Betreuer zu dieser Antragstellung berechtigt und hat auch die Antragsfrist eingehalten.
Nach den Feststellungen im angefochtenen Urteil hatte zunächst die Zeugin T. M. als damalige Betreuerin des
Geschädigten P. Kenntnis von den unrechtmäßigen Abhebungen durch ihren Ehemann, den Angeklagten. Wie sich
aus den Ermittlungsakten ergibt, war diese Zeugin zunächst Mitbeschuldigte. Ist aber der gesetzliche Vertreter i. S.
des § 77 Abs. 3 StGB selbst der Beteiligung an der Tat verdächtig, ist er von der Vertretung im Rahmen der
Strafantragsstellung ausgeschlossen (vgl. BGHSt 6, 155, 157. Schönke Schröder Sternberg Lieben/Bosch, StGB,
28. Aufl. § 77 Rdnr. 21). Dies gilt auch für die Stellung eines Strafantrags gegen Mitbeteiligte, hier also gegen den
Ehemann (vgl. Leipziger Kommentar Jähnke, StGB, 11. Aufl., § 77 Rdnr. 48). Dieses rechtliche Hindernis folgt
sowohl aus dem „nemo tenetur“ Grundsatz als auch aus dem hinter § 181 BGB stehenden Rechtsgedanken, dass
einem Vertreter keine Vertretungsbefugnis zukommt, wenn er als Gegner des Vertretenen auftritt (vgl. BGH a. a. O.).
Somit war die zunächst Beschuldigte und spätere Zeugin T. M. rechtlich an der Strafantragsstellung gehindert.
Aus dem Sonderheft mit Auszügen aus der Betreuungsakte ergibt sich ferner, dass das Amtsgericht Lehrte am
12.02.2008 die bisherige Betreuerin T. M. entlassen und stattdessen den Rechtsanwalt S. zum neuen Betreuer
bestellt hat (Sonderheft Bl. 122). Als Aufgabenkreis hat das Amtsgericht für den Betreuer die Vermögenssorge, die
Sorge für die Gesundheit, die Aufenthaltsbestimmung sowie die Vertretung gegenüber Körperschaften, Behörden und
Rechtsanwälten bestimmt. Beim Wechsel des gesetzlichen Vertreters tritt der Nachfolger in die Antragsbefugnis
seines Vorgängers ein. Daher muss er sich grundsätzlich die bereits für den Vorgänger abgelaufene Strafantragsfrist
anrechnen lassen (Schönke Schröder a. a. O. § 77 b Rdnr. 18). Hier war jedoch die zuvor eingesetzte Betreuerin T.
M. aus den oben dargelegten Gründen an der Strafantragsstellung rechtlich gehindert. In derartigen Fällen wird die
Strafantragsfrist des § 77 b StGB nicht in Gang gesetzt (vgl. Schönke Schröder a. a. O., Rdnr. 19 m. w. N.). Daher
lief für den neuen Betreuer eine eigene Strafantragsfrist. Da der Betreuer erst mit seiner Bestellung grundsätzlich zur
Stellung von Anträgen im Namen des Betreuten berechtigt ist, läuft die Strafantragsfrist für ihn erst mit seiner
Bestellung, auch wenn er schon vorher von der Tat wusste (vgl. Fischer, StGB, 59. Aufl., § 77 b Rdnr. 7).
a) Die Entscheidung zur Stellung eines Strafantrags gemäß § 247 StGB, auf den auch § 263 a Abs. 2 StGB
verweist, berührt allerdings vorrangig familienrechtliche und nicht vermögensrechtliche Interessen. Mit dieser
Bestimmung hat der Gesetzgeber dem Interesse von Angehörigen auf Wahrung des Familienfriedens Vorrang vor
dem unbedingten Strafverfolgungsrecht des Staates eingeräumt. Als höchstpersönliches Recht betrifft es daher die
Angelegenheit der Personenfürsorge und nicht der Vermögenssorge (so bereits OLG Hamm, NJW 1960, 834, 835).
Daraus folgt, dass der Aufgabenkreis der Vermögenssorge, für den der Betreuer S. am 12.02.2008 bestellt wurde,
ihn nicht zur Strafantragsstellung gegen Angehörige des Betreuten berechtigt (so auch LG Hamburg, NStZ 2002, 39,
Rdnr. 18. OLG Köln, wistra 2005, 392 Rdnr. 11 nach juris). Soweit in der zivilrechtlichen Kommentarliteratur eine
andere Auffassung vertreten wird und dabei eine Entscheidung des Landgerichts Ravensburg aus dem Jahr 2000
zitiert wird (vgl. Münchener Kommentar BGB Schwab, 6. Aufl., § 1896 Rdnr. 100), so betrifft die genannte
Entscheidung eine andere Konstellation. In dem vom Landgericht Ravensburg entschiedenen Fall war der Betreuer
nämlich nicht nur für den Aufgabenkreis der Vermögensangelegenheiten bestellt, sondern auch
Personensorgeberechtigter (vgl. LG Ravensburg, FamRZ 2001, 937).
b) Auch der gleichzeitig übertragene Aufgabenkreis „Vertretung gegenüber Körperschaften, Behörden und
Rechtsanwälten“ berechtigte den Betreuer nicht zur Strafantragsstellung.
Die Aufgabe, den Betreuten gegenüber Behörden zu vertreten, erschöpft sich inhaltlich in der Wiederholung der
bereits in § 1902 BGB geregelten Befugnis zur außergerichtlichen Vertretung des Betreuten. Die Vorschrift räumt
dem Betreuer generell die Rechtsmacht ein, den Betroffenen außergerichtlich zu vertreten, und zwar sowohl in
Privatangelegenheiten als auch gegenüber öffentlichen Behörden (vgl. Staudinger Bienwald, BGB, Neubearbeitung
2006, § 1896 Rdnr. 76. Bienwald BtPrax 2003, 71). Entsprechend sagt diese Aufgabenbezeichnung nichts darüber
aus, in welchen materiell rechtlichen Angelegenheiten die Vertretungsbefugnis gelten soll. Im Betreuungsrecht gilt
das sogenannte Erforderlichkeitsprinzip. Das bedeutet, dass die Betreuung im Sinne des Betreuten inhaltlich auf
genaue Aufgabenkreise zu beschränken ist, in denen eine Betreuung erforderlich ist. Dadurch soll dem Betreuten
möglichst viel Autonomie erhalten bleiben und seinen Wünschen Rechnung getragen werden (PalandtDiederichsen,
BGB, 71. Aufl., Einführung vor § 1896, Rdnr. 2). Daher entspricht auch die allgemeine Anordnung der
Vertretungsbefugnis gegenüber Behörden nicht dem Erforderlichkeitsgrundsatz, weil sie zu weit gefasst und damit
zu unbestimmt ist (vgl. Staudinger Bienwald a. a. O.). Deshalb hat das Betreuungsgericht regelmäßig bei der
Bestimmung des Aufgabenkreises einen Bezug zu konkret bezeichneten Verwaltungs oder Gerichtsverfahren
herzustellen (vgl. KG Berlin, BeckRS 2008, 00234. Jürgens, Betreuungsrecht, 4. Aufl., § 1896 BGB Rn. 26). Im
Übrigen ist die allgemeine Vertretungsbefugnis gegenüber Behörden auf sonstige Geschäfte des täglichen Lebens,
wie z. B. die Passbeschaffung oder die Beantragung von Sozialhilfe, beschränkt.
Aus diesem Grundsatz folgt, dass der Aufgabenkreis des Betreuers zur Vertretung des Betreuten auf bestimmte
Verfahrensarten einzugrenzen ist, bei denen eine entsprechende Erforderlichkeit der Vertretung besteht. Daher
haben mehrere Oberlandesgerichte den Fall, dass ein Betreuer für seinen Betreuten als Strafverteidiger tätig wird,
nicht mehr von dem allgemeinen Aufgabenkreis der Vertretung gegenüber Behörden als gedeckt angesehen (vgl.
OLG Schleswig, NJW RR 2008, 91, Rdnr. 4. OLG Frankfurt, NJW RR 2005, 1166, Rdnr. 4. OLG Hamm, NJW 2006,
1144, Rdnr. 11. alles nach juris).
c) Nichts Anderes gilt für die Vertretung des Betreuten als Geschädigten einer Straftat im Strafverfahren. Das
höchstpersönliche Antragsrecht eines verletzten Angehörigen i. S. des § 247 StGB kann nur bei Erforderlichkeit
einer Vertretung auf einen Betreuer übertragen werden. Deshalb ist die Befugnis, den Strafantrag bei einer Straftat zu
stellen, dem Betreuer gesondert im Wege der Aufgabenkreiserweiterung zu übertragen (vgl.
Bienwald/Sonnenfeld/Hoffmann, Betreuungsrecht, 5. Aufl., § 1896 BGB, S. 138). Die allgemeine Vertretungsbefugnis
gegenüber Behörden umfasst jedenfalls nicht die Berechtigung des Betreuers, Strafantrag gegen einen Angehörigen
des Betreuten zu stellen (vgl. OLG Köln a. a. O., Rdnr. 11 nach juris).
Diesen Aufgabenkreis Stellung von Strafanträgen hat das Betreuungsgericht, das Amtsgericht Lehrte, mit Beschluss
vom 16.06.2008 auf den Betreuer S. übertragen (Sonderheft Bl. 152). Erst damit ist das rechtliche Hindernis zur
Strafantragsstellung für den neuen Betreuer entfallen und die Antragsfrist nach § 77 b StGB hat für begonnen. Sein
Strafantrag vom 25.06.2008 ist damit rechtzeitig.
II.
Soweit die Kammer in der angefochtenen Entscheidung die Frage unerörtert gelassen hat, ob wegen der bereits
vollstreckten Geldstrafe durch das Amtsgericht Celle vom 03.07.2008 ein Härteausgleich hätte erfolgen müssen,
schließt der Senat angesichts der festgesetzten Einzel und Gesamtfreiheitsstrafe aus, dass sich dies auf den
Rechtsfolgenausspruch ausgewirkt hat.
xxxxxxxx xxxxxxxx xxxxxxxx