Urteil des OLG Celle vom 11.02.2004

OLG Celle: zwangsvollstreckung, sicherheitsleistung, unterhalt, einspruch, ersatzleistung, zukunft, steuerpflicht, erfüllung, einfluss, vorteilsausgleichung

Gericht:
OLG Celle, 15. Familiensenat
Typ, AZ:
Urteil, 15 UF 175/03
Datum:
11.02.2004
Sachgebiet:
Normen:
ZPO § 717 Abs. 2, BGB § 254
Leitsatz:
Gegenüber dem Schadenersatzanspruch aus § 717 Abs. 2 ZPO ist der Einwand des Mitverschuldens
(§ 254 BGB) nur zulässig, soweit derjenige Schaden betroffen ist, der über das hinausgeht, was der
Gläubiger durch die Vollstreckung oder eine zu deren Abwendung erbrachte Leistung des Schuldners
erlangt hat.
Volltext:
Oberlandesgericht Celle
Im Namen des Volkes
Urteil
15 UF 175/03
16 F 426/03 Amtsgericht Gifhorn Verkündet am
11. Februar 2004
#######,
Justizangestellter
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
In der Familiensache
pp.#######
wegen Schadensersatzes nach § 717 Abs. 2 ZPO
hat der 15. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Celle durch den Vorsitzenden Richter am
Oberlandesgericht #######sowie die Richter am Oberlandesgericht ####### und ####### auf die mündliche
Verhandlung vom 23. Januar 2004 für Recht erkannt:
Auf die Berufung des Klägers sowie unter Zurückweisung seines weitergehenden Rechtsmittels wird das am 20.
August 2003 verkündete Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Gifhorn geändert und neu gefasst.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 7.854,56 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5% über dem Basiszinssatz seit
dem 8. Mai 2003 zu zahlen. Im übrigen wird die Klage wird abgewiesen.
Von den erstinstanzlichen Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger 1/50, die Beklagte 49/50.
Von den Kosten der Berufungsinstanz trägt der Kläger 2/25, die Beklagte 23/25.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
Der Kläger nimmt die Beklagte im Wege des Schadenersatzes auf Erstattung von Ehegattenunterhalt in Anspruch,
den diese aufgrund des Versäumnisurteils des Amtsgerichts - Familiengericht - Gifhorn vom 28. April 1998 (26 F
26022/98) und des dieses nach Einspruch des Klägers teilweise aufrecht erhaltenden Urteils vom 4. November 1999,
das auf Berufung des Klägers durch Senatsurteil vom 28. April 2000 (15 UF 252/99 OLG Celle) abgeändert worden
ist, zu viel vollstreckt hat. Das Amtsgericht hat der Klage wegen hälftigen Mitverschuldens des Klägers zum Teil
stattgegeben. Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers, nachdem
die Beklagte ihre eigene Berufung wegen Versagung der dafür nachgesuchten Prozesskostenhilfe zurückgenommen
hat. Im Übrigen wird gemäß § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen
Urteil Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist überwiegend begründet.
Der Kläger hat gegen die Beklagte gemäß § 717 Abs. 2 ZPO einen Anspruch auf Zahlung von 7.854,56 EUR.
I.
Es erscheint bereits zweifelhaft, ob den Kläger ein Mitverschulden (§ 254 BGB) an der Entstehung seines
Vollstreckungsschadens trifft. Er hat ausweislich der vom Senat beigezogenen Akten 26 F 26022/98 AG Gifhorn mit
seinem Einspruch gegen das Versäumnisurteil vom 28. April 1998 im Schriftsatz vom 19. Mai 1998 zugleich die
Einstellung der Zwangsvollstreckung ohne Sicherheitsleistung beantragt und diesen Antrag im Schriftsatz vom 29.
Juli 1998 wiederholt, nachdem die Beklagte die Zwangsvollstreckung angekündigt hatte. Daraufhin hat das
Amtsgericht mit Beschluss vom 31. Juli 1998 die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung gegen
Sicherheitsleistung angeordnet. Dem noch mehrmals unter Berufung auf § 719 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 ZPO wiederholten
Antrag auf einstweilige Einstellung ohne Sicherheitsleistung ist nicht entsprochen worden. Mit Schriftsatz vom 8.
März 1999 haben dann die Prozessbevollmächtigten der Beklagten mitgeteilt, zwischenzeitlich sei eine Bürgschaft
der Sparkasse #######„im Hinblick auf den durch das Versäumnisurteil ... ausgeurteilten rückständigen und
laufenden nachehelichen Unterhalt vorgelegt worden“. Gleichwohl hat die Beklagte weiter vollstreckt, was nach
Sicherheitsleistung unzulässig war (§§ 775 Nr. 3, 776 S. 1 ZPO). Dass es der Kläger schuldhaft unterlassen hat, die
in dem das Versäumnisurteil teilweise aufrechterhaltenden, die erste Instanz abschließenden Urteil vom 4.
November 1999 zur Abwendung der Zwangsvollstreckung be
stimmte (weitere) Sicherheit zu leisten, ist von der für die Voraussetzungen des behaupteten Mitverschuldens
beweispflichtigen Beklagten (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 63. Aufl., § 254 Rn. 82) nicht dargetan.
Das kann aber letztlich dahinstehen. Denn soweit es wie hier um die Erstattung desjenigen geht, was der
Vollstreckungsgläubiger durch die Vollstreckung oder aufgrund einer zu deren Abwendung erbrachten Leistung des
Vollstreckungsschuldners erhalten hat, und nicht um den Ersatz des dem Vollstreckungsschuldner entstandenen
weiteren Vollstreckungsschadens (insbesondere Bürgschaftskosten, Zinsaufwendungen und ausfälle), ist der
Vollstreckungsgläubiger mit materiellrechtlichen Einwendungen ausgeschlossen. Dies folgt aus dem Sinn und Zweck
der Regelung des § 717 Abs. 2 ZPO. Mit ihr soll ein Ausgleich dafür geschaffen werden, dass der Inhaber eines für
vorläufig vollstreckbar erklärten Titels in prozessual zulässiger Weise den ihm dort zuerkannten Anspruch im
Widerspruch zur materiellen Rechtslage, wie sie in dem den Titel später aufhebenden oder abändernden Urteil
rechtskräftig festgestellt wird, durchsetzen darf (vgl. BGH NJW 1980, 2527, 2528). Sie trägt also dem Umstand
Rechnung, dass die Rechtmäßigkeit des Vollstreckungsaktes jedenfalls nicht unmittelbar vom tatsächlichen
Bestand des noch nicht rechtskräftig festgestellten Anspruchs abhängt (vgl. BGH NJW 1983, 232). Deshalb ist die
den Vollstreckungsgläubiger treffende, verschuldensunabhängige Gefährdungs bzw. Risikohaftung in erster Linie
dazu bestimmt, das mit der materiellen Rechtslage nicht in Einklang stehende Vollstreckungsergebnis sogleich nach
Aufhebung bzw. Änderung des für vorläufig vollstreckbaren Urteils wieder zu beseitigen. Insoweit stellt § 717 Abs. 2
ZPO eine dem geltenden Rechtsmittelsystem Rechnung tragende prozessuale Maßregel zum (bloßen) Ausgleich der
durch die Vollstreckung erfolgten Vermögensverschiebung dar; soweit die Vorschrift dagegen dem
Vollstreckungsschuldner den Ersatz seines weiteren durch die Vollstreckung verursachten Schadens zubilligt, ist sie
materielle Rechtszuweisungsnorm und begründet keine prozessuale Erstattungspflicht, sondern einen
materiellrechtlichen Schadenersatzanspruch. Darum ist der Anspruch aus § 717 Abs. 2 ZPO aufzuspalten, wenn ihm
materiellrechtliche Einwendungen entgegen gesetzt werden (vgl. BGH NJW 1997, 2601, 2603). Das hat zur Folge,
dass
der Einwand des Mitverschuldens nur zulässig ist, soweit es um den weiteren Vollstreckungsschaden geht (ebenso
Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, 22. Aufl., Rn. 36 und Musialek/Lackmann, ZPO, 3. Aufl., Rn 13, jeweils zu § 717; a.
A. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 61. Aufl., Rn. 11 und Zöller/Herget, ZPO, 24. Aufl., Rn. 10 – die
dort jeweils herangezogene Entscheidung OLG Hamm MDR 1978, 234 bezieht sich auf Bürgschaftskosten und
damit den weiteren Vollstreckungsschaden).
II.
Die Höhe des entstandenen und von der Beklagten gemäß § 717 Abs. 2 ZPO zu ersetzenden
Vollstreckungsschadens ist ohne Rücksicht auf den dem Kläger durch die Vollstreckung möglicherweise
entstandenen Steuervorteil zu beurteilen. Zwar sind verbleibende steuerliche Vorteile im Wege der so genannten
Vorteilsausgleichung zu berücksichtigen. Solche kommen aber nicht in Betracht, wenn die Ersatzleistung der
Steuerpflicht unterliegt bzw. wenn durch die Ersatzleistung Aufwendungen wegfallen, die steuermindernd
berücksichtigt worden sind – wobei nicht festgestellt zu werden braucht, in welcher genauen Höhe sich dies
steuerlich auswirkt (vgl. BGH NJWRR 1988, 788, 789 und 856, 857). So liegen die Dinge hier, wovon letztlich auch
die Beklagte ausgeht (§ 173 Abs. 1 Nr. 1 AO). Ihr Einwand, sie erziele kein über der Pfändungsfreigrenze liegendes
Einkommen und werde auch in Zukunft zu keinem Zeitpunkt zum Schadenersatz in der Lage sein, weshalb der
Steuervorteil des Klägers bestehen bleibe, greift nicht durch. Das gilt bereits deshalb, weil sich die künftige
Entwicklung der Einkommens und Vermögensverhältnisse der Beklagten heute nicht abschließend beurteilen lässt.
Vor allem aber ist ein Schadenersatzanspruch unabhängig davon zu titulieren, in welchem Umfang der Schuldner
voraussichtlich zur Erfüllung in der Lage bzw. der Titel durchsetzbar ist. Deshalb kann dieser Umstand vorliegend
keinen Einfluss auf die Anspruchshöhe haben.
Nach der nicht bestrittenen und deshalb gemäß § 138 Abs. 3 ZPO der Entscheidung zugrunde zu legenden
Berechnung der Beklagten beläuft sich der zu viel vollstreckte Unterhalt nicht wie geltend gemacht auf insgesamt
8.051,96 EUR (15.748,27 DM), sondern auf 7.854,56 EUR (15.362,19 DM).
III.
Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 291, 288 Abs. 1 BGB.
IV.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1, 516 Abs. 3 S. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 ZPO.
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