Urteil des OLG Celle vom 07.12.2009

OLG Celle: hehlerei, strafverfahren, straftat, anklageschrift, erheblichkeit, gefühl, bevölkerung, rechtssicherheit, wahrscheinlichkeit, wiederholungsgefahr

Gericht:
OLG Celle, 01. Strafsenat
Typ, AZ:
Beschluss, 1 Ws 556/09
Datum:
07.12.2009
Sachgebiet:
Normen:
StPO § 81 g
Leitsatz:
Anlässlich des Begehens einer Hehlerei ist regelmäßig nicht mit dem Auffinden von DNASpuren zu
rechnen.
Volltext:
Oberlandesgericht Celle
1 Ws 556/09
30 AR 5/09 LG Hannover
4131 AR 62016/09 StA Hannover
B e s c h l u s s
In dem DNAIdentifizierungsverfahren
betreffend M. K.,
geboren am 22.11.1973 in L.
wohnhaft K.H.Weg, L.
Verteidiger: Rechtsanwalt M. R., C.str., L. -
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss der
1. großen Strafkammer des Landgerichts
Hannover vom 6. Oktober 2009 durch die Richter am Oberlandesgericht xxxxxxxxxxxxxx, xxxxxxxxxxxxxxx und
xxxxxxxxxx am 7. Dezember 2009 beschlossen:
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Der Antrag der Staatsanwaltschaft vom 27. August 2009 auf Anordnung der Entnahme von Körperzellen des
Angeklagten und molekulargenetischer Untersuchungen wird abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens einschließlich der insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten trägt
die Landeskasse.
Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben (§ 304 Abs. 4 StPO).
G r ü n d e :
I.
Die Staatsanwaltschaft Hannover legt dem Angeklagten mit Anklageschrift vom 23. Juli 2009 zur Last, in der Zeit
von Januar 2001 bis Dezember 2004 51 Straftaten der gewerbsmäßigen Hehlerei begangen zu haben, indem er von
dem Zeugen P., einem Beamten des damaligen Informationszentrums Niedersachsen (izn), diverse hochwertige
Elektroartikel zu einem Preis von 20 bis 25 % des tatsächlichen Warenwertes ankaufte, und zwar gegen Barzahlung
und ohne Rechnung. die Elektroartikel wurden teilweise von dem gesondert Verurteilten P. vom izn mit zu diesem
nach Hause genommen und dort an den Angeklagten übergeben. teilweise wurden sie auch direkt an den
Angeklagten oder eine von ihm bestimmte Adresse geliefert. insgesamt erhielt der Angeklagte Waren im Wert von
2.777.136,62 €.
Auf Antrag der Staatsanwaltschaft Hannover vom 27. August 2009 ordnete das Landgericht Hannover am 6. Oktober
2009 gegen den Angeklagten gemäß § 81 g StPO zum Zwecke der Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren
die Entnahme von Körperzellen und die Durchführung molekulargenetischer Untersuchungen an.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Angeklagten.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
1. Der angefochtene Beschluss konnte bereits deswegen keinen Bestand haben, weil seine Begründung nicht den
Anforderungen des § 81g Abs. 3 Satz 5 StPO und den durch das BVerfG in ständiger Rechtsprechung (BVerfG
NStZ 2001, 328 ff. (330). BVerfG NJW 2001, 2320 ff. (2321). BVerfG StV 2003, 1) benannten Kriterien genügte.
Gemäß § 81g Abs. 3 Satz 5 StPO sind in der Begründung eines Beschlusses nach § 81g StPO die für die
Beurteilung der Erheblichkeit der Straftat bestimmenden Tatsachen, die Erkenntnisse, auf Grund derer Grund zu der
Annahme besteht, dass gegen den Betroffenen künftig Strafverfahren zu führen sein werden und die Abwägung der
jeweils maßgeblichen Umstände einzelfallbezogen darzulegen. Eine formularartige Abfassung einer Entscheidung
und eine Bezugnahme auf Schriftstücke außerhalb der Begründung sind dabei nichts stets von Verfassung wegen
zu beanstanden. Entscheidend ist, ob die Gründe unter Berücksichtigung der in Bezug genommenen Schriftstücke
erkennen lassen, dass der Richter eine auf den Einzelfall bezogene Entscheidung getroffen hat, die sich auf
tragfähige Gründe stützt und dadurch der Bedeutung des eingeschränkten Grundrechts auf informationelle
Selbstbestimmung Rechnung trägt (BVerfG NJW 2001, 882 f. (882 f.). MeyerGoßner, § 34 StPO Rn. 4. BeckOK
StPO Stand: 1.10.2009 § 34 Rn. 3). Die Begründung des angefochtenen Beschlusses des Landgerichts Hannover
erschöpft sich in der Benennung des dem Angeklagten zur Last gelegten Tatvorwurfs der gewerbsmäßigen Hehlerei
und dem Hinweis auf die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Hannover vom 23. Juli 2009 sowie die in dieser
Anklageschrift benannten Beweismittel und dem bisherigen Ermittlungsergebnis. Ausführungen zu der nach § 81g
StPO erforderlichen Negativprognose fehlen gänzlich. es wird auch nicht dargelegt, inwiefern einem
DNAIdentifizierungsmuster in zu erwartenden künftigen Strafverfahren die erforderliche potentielle
Aufklärungsrelevanz zukommt (vgl. Löwe/Rosenberg § 81g StPO, Rn. 37). Dieser Mangel ist auch nicht durch die
Entscheidung der Kammer, der Beschwerde nicht abzuhelfen, geheilt worden.
2. Die mangelhafte Begründung des angefochtenen Beschlusses führt indessen nicht zur Zurückverweisung der
Sache an das Landgericht. Diese käme nur dann in Betracht, wenn eine Begründung völlig fehlte und mit der
angefochtenen Entscheidung gravierende Rechtsfolgen für den Betroffenen angeordnet würden, so dass es
untragbar wäre, ihm in der Sache eine Instanz zu nehmen. Grundsätzlich hat das Beschwerdegericht nach § 309
Abs. 2 StPO die in der Sache erforderliche Entscheidung selbst zu treffen.
3. Die Voraussetzungen für die Anordnung einer DNAUntersuchung nach § 81 g StPO liegen nicht vor. Gemäß § 81g
Abs. 1 StPO dürfen einem Beschuldigten, der einer Straftat von erheblicher Bedeutung verdächtig ist, zum Zwecke
der Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren Körperzellen entnommen und zur Feststellung des
DNAIdentifizierungsmusters molekulargenetisch untersucht werden, wenn wegen der Art oder Ausführung der Tat,
der Persönlichkeit des Beschuldigten oder sonstiger Erkenntnisse Grund zu der Annahme besteht, dass gegen ihn
künftig erneut Strafverfahren wegen einer Straftat von erheblicher Bedeutung zu führen sind. Vorliegend sind mit der
dem Angeklagten zur Last gelegten gewerbsmäßigen Hehlerei in 51 Fällen zwar Straftaten von erheblicher
Bedeutung und somit taugliche Anlasstaten i.S.d. § 81g StPO gegeben. Denn die Taten stören den Rechtsfrieden
empfindlich und sind dazu geeignet, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen.
Dies folgt vorliegend nicht nur aus der großen Anzahl der Taten, welcher der Angeklagte verdächtig ist, sondern
auch aus dem mehrjährigen Zeitraum der Tatbegehung und dem äußerst hohen Schaden von über 2,5 Millionen
Euro. Für die Frage der Erheblichkeit der Bedeutung einer Straftat und damit ihrer Tauglichkeit als Anlasstat i.S.d. §
81g StPO kommt es dabei entgegen der Rechtsauffassung der Verteidigung nicht auf die Wahrscheinlichkeit der
Spurenverursachung durch bestimmte Arten von Straftaten an. dieses ist allein bei der prognostizierten Tat von
Bedeutung (BVerfG NStZ 2001, 328 ff. (329). MeyerGoßner § 81g StPO Rn. 7a).
Die Anordnung der DNAUntersuchung nach § 81g StPO setzt neben dem Vorliegen einer Anlasstat aber auch eine
auf Tatsachen gestützte Gefahr der Begehung künftiger Straftaten von erheblicher Bedeutung voraus, für die das
DNAIdentifizierungsmuster einen Aufklärungsansatz durch einen (künftigen) Spurenvergleich bieten kann (BVerfG
NStZ 2001, 328 ff. (330)).
Dabei kann dahinstehen, ob nach Abwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Tatsachen Anlass
zur Annahme einer Wiederholungsgefahr besteht.
Denn jedenfalls kann insoweit die erforderliche potentielle Aufklärungsrelevanz nicht angenommen werden. Die §§
257 bis 266b StGB gehören zu den Straftatbeständen, bei deren Begehung typischerweise keine DNASpuren
entstehen (KKSenge, § 81g Rn. 8). Auch Hehlerei gehört nicht zu den Straftatbeständen, bei deren Verwirklichung
typischerweise auswertbares Zellmaterial anfällt (OLG Köln, StV 2004, 640). Es bestehen vorliegend auch keine
Anhaltspunkte dafür, dass abweichend vom Regelfall der Hehlerei gerade bei einer künftigen Tatbegehung durch den
Angeklagten mit DNASpuren zu rechnen ist. Zwar ist der Angeklagte u.a. auch verdächtig, Teile der vom gesondert
Verurteilten P. veruntreuten Elektroartikel bei diesem zu Hause abgeholt zu haben, wobei die Waren an den
Angeklagten übergeben wurden. Hinsichtlich der erforderlichen potentiellen Aufklärungsrelevanz ist aber auf den
Typus der zu erwartenden Straftat abzustellen. Nicht entscheidend ist, ob bei der Anlasstat Identifizierungsmaterial
hinterlassen worden ist (LR Krause § 81g StPO Rn. 37). Es reicht nicht aus, dass ein Aufklärungserfolg mit Hilfe
eines DNAIdentifizierungsmusters lediglich nicht ausgeschlossen ist.
III.
Die Kosten und die notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen entsprechend § 467 I StPO der Staatskasse zur
Last.
xxxxxxxxxxxxxx xxxxxxxxxxxxxxx xxxxxxxxxx