Urteil des OLG Celle vom 03.08.2011

OLG Celle: zwangsbehandlung, anwendung des rechts, wiederaufnahme der behandlung, intensität des grundrechtseingriffs, gefahr, körperliche unversehrtheit, innere sicherheit, medikament, unterbringung

Gericht:
OLG Celle, 01. Strafsenat
Typ, AZ:
Beschluss, 1 Ws 233/11
Datum:
03.08.2011
Sachgebiet:
Normen:
Nds MVollzG § 8, Nds MVollzG § 18, Nds MVollzG § 23, GG Art 2
Leitsatz:
Die Behandlung mit Medikamenten einer nach § 63 StGB untergebrachten Person gegen ihren Willen
(„Zwangsbehandlung“) ist nach dem Nds. MVollzG jedenfalls dann unzulässig, wenn sie allein zur
Abwehr von Gefahren für Leib oder Gesundheit von Mitpatienten oder Personal der
Unterbringungseinrichtung angeordnet wird.
Volltext:
Oberlandesgericht Celle
1 Ws 233/11 (MVollz)
50 StVK 11/11 LG Oldenburg
B e s c h l u s s
In der Maßregelvollzugssache
des P. C.,
geb. am xxxxxxxxxx 1960 in W.,
zurzeit K.J.Klinik, B. Z.
Antragstellers
Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt B., W.
gegen die K.J.Klinik, B. Z.,
vertreten durch den Chefarzt
Antragsgegnerin
wegen Zwangsbehandlung
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers gegen den
Beschluss der 1. kleinen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Oldenburg vom 11. April 2011 nach
Beteiligung des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Integration am 3.
August 2011 durch den Richter am Oberlandesgericht xxxxxxxxxxxxxx, den Richter am Oberlandesgericht
xxxxxxxxxxxxxxx und den Richter am Oberlandesgericht xxxxxxxxxx beschlossen:
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an dieselbe
Strafvollstreckungskammer des Landgerichts
Oldenburg zurückverwiesen.
Der Beschwerdewert wird für beide Instanzen auf 1.000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
I.
Der Antragsteller wurde durch Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 30. September 2008 wegen gefährlicher
Körperverletzung in zwei Fällen, davon in einem Fall in drei tateinheitlich zusammentreffenden Fällen, zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Dem lag unter anderem zugrunde, dass der
Antragsteller am 4. April 2008 während eines stationären Klinikaufenthalts seinen Unmut über seine Unterbringung
dadurch äußerte, dass er mit einer Metallstange während einer Visite auf Ärzte und Pflegepersonal einschlug. Die
mit dem Urteil angeordnete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus wurde auf die Revision des
Antragstellers zunächst aufgehoben, sodann aber durch Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 18. Juni 2009 die
Unterbringung erneut angeordnet.
Der Antragsteller ist seit dem 4. April 2008 bei der Antragsgegnerin untergebracht. Zuletzt wurde durch Beschluss
der großen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Oldenburg vom 24. September 2010 die Fortdauer der
Maßregel beschlossen. Der Antragsteller leidet nach den Feststellungen des angefochtenen Beschlusses seit 2004
an einer wahnhaften Störung, die sich in einem Verfolgungswahn mit Realitätsstörungen und querulatorischen
Anteilen äußert. Er habe die unkorrigierbare Überzeugung, dass andere seine soziale und physische Existenz
verletzen wollen. Auf Konflikte reagiere er mit überzogener Gewalt und Drohungen, die sich auch in den Taten, die
zur Unterbringung geführt haben, widerspiegeln. Der Antragsteller sehe sich als Opfer und lehne jede Art von
Therapie ab. Insbesondere verweigere er sich einer für erforderlich gehaltenen neuroleptischen Medikation.
Unter dem 17. Januar 2011 ordnete der Chefarzt der Antragsgegnerin die medikamentöse Behandlung des
Antragstellers gegen dessen Willen mit dem Medikament Risperidon an, nachdem von Seiten der Antragsgegnerin
der Eindruck gewonnen wurde, dass die vom Antragsteller ausgehende Bedrohlichkeit für Mitpatienten und Personal
stetig zunehme. Auf der Grundlage der ärztlichen Stellungnahme der Antragsgegnerin hat die Kammer festgestellt,
dass es sich bei dem Medikament um ein Neuroleptikum handelt, dessen Hauptwirkung das Zurückdrängen von
Wahnvorstellungen sei. Dieses sei erforderlich, um überhaupt eine Behandlung des Antragstellers, dessen
krankheitsbedingtes Misstrauen einer sachgerechten Einschätzung der eigenen Bedürftigkeit entgegenstehe,
beginnen zu können. Als mögliche Nebenwirkungen kommen u. a. Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen, Blutdruckabfall
und Schwindel in Betracht. Eine Persönlichkeitsveränderung gehe mit der Einnahme nicht einher. Durch den
Chefarzt wurde der Antragsteller vor die Wahl gestellt, das Medikament oral oder durch eine Spritze zugeführt zu
bekommen.
Auf Ersuchen des Antragstellers um einstweiligen Rechtsschutz wurde die Behandlung am 19. Januar 2011 bis zum
Abschluss des gerichtlichen Verfahrens vorläufig ausgesetzt. Mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung
wendet sich der Antragsteller gegen die angeordnete Zwangsbehandlung mit dem Medikament Risperidon. Die
Kammer hat diese mit dem angefochtenen Beschluss längstens für die Dauer von sechs Monaten ab
Wiederaufnahme der Behandlung für zulässig erklärt. Die Maßnahme sei auf der Grundlage von § 8 i.V.m. § 18
Nds.MVollzG zulässig, weil sie zum Einen der Erreichung des Vollzugsziels, zum Anderen der Abwehr von Gefahren
für die Sicherheit und Ordnung in der Maßregeleinrichtung diene. Soweit medizinische Fragen im Raum stehen,
unterliege die Entscheidung der Antragsgegnerin nur einem begrenzten Überprüfungsspielraum durch die Kammer.
Die rechtlichen Voraussetzungen für die angefochtene Anordnung seien in Anwendung einer verfassungskonformen
Auslegung der §§ 8, 18 Nds.MVollzG erfüllt. Das Verhalten des Antragstellers stelle eine Gefahr für die Gesundheit
Dritter dar. Er habe routinemäßige Zimmerkontrollen abgelehnt und Gewalt gegenüber dem Personal angedroht. Die
möglicherweise eintretenden Nebenwirkungen der Medikamente seien grundsätzlich von geringer Natur. Die
Behandlung sei auch erforderlich. Andere Maßnahmen wie Absonderung oder Fixierung seien im Hinblick auf das
Vollzugsziel ungeeignet.
Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Antragstellers. Er rügt die Verletzung sachlichen Rechts.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und Zurückweisung
der Sache an die Kammer.
1. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig. Sie ist insbesondere form und fristgerecht erhoben worden. Die Zustellung
des angefochtenen Beschlusses erfolgte an den Verfahrensbevollmächtigten am 2. Mai 2011, die am 31. Mai 2011
erhobene Rechtsbeschwerde ist somit rechtzeitig beim Landgericht Oldenburg eingegangen (§§ 118 Abs. 1, 138
Abs. 3 StVollzG). Sie ist zugleich auch zulässig im Sinne der §§ 116 Abs. 1, 138 Abs. 3 StVollzG, da es geboten
ist, die Nachprüfung zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu
ermöglichen. Entscheidungen des Senats zur Zulässigkeit einer Zwangsbehandlung eines
Maßregelvollzugspatienten sind bislang nicht ergangen.
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Die zulässig erhobene Sachrüge deckt Rechtsfehler im angefochtenen
Beschluss auf, die zu dessen Aufhebung und Zurückweisung der Sache an die Kammer führen.
a. Die Ausführungen der Kammer zu einer Zwangsbehandlung des Antragstellers zur Abwehr einer Gefahr für die
Gesundheit anderer Patienten und des Personals halten der rechtlichen Kontrolle nicht stand.
aa. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Darlegung der Kammer bereits den sich aus §§ 138 Abs. 3, 115
StVollzG ergebenden Anforderungen genügt, um eine erforderliche Maßnahme zur Aufrechterhaltung der Sicherheit
oder Ordnung anzunehmen. Konkrete oder nahestehende Übergriffe des Antragstellers auf Mitpatienten und
Pflegepersonal, die eine Gefahr für die innere Sicherheit darstellen könnten, sind insoweit nämlich nicht festgestellt
worden. Vielmehr wird die Annahme einer Gefahr vorrangig unter Hinweis auf die zur Unterbringung führende Tat, die
Ablehnung des Antragstellers gegenüber Zimmerkontrollen und bloße Ankündigungen des Antragstellers, Gewalt
anwenden zu wollen, ohne diese näher zu konkretisieren, begründet.
bb. Selbst bei Annahme, die Feststellungen der Kammer würden eine Gefahr für Sicherheit oder Ordnung i.S.d. 18
Abs. 1 Nds.MVollzG begründen, wäre die angefochtene Maßnahme indessen rechtswidrig. Denn eine
Zwangsbehandlung zur Abwehr von Gefahren für Leib und Gesundheit von Mitpatienten oder Pflegepersonal lässt
das Nds. MVollzG nicht zu. Auch wenn es in § 18 Abs. 1 Nds.MVollzG heißt, dass „die in diesem Gesetz
zugelassenen Beschränkungen“ dem Untergebrachten auch zur Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung
auferlegt werden können, und § 8 Nds. MVollzG die Behandlung eines Patienten auch gegen seinen Willen vorsieht,
dem Wortlaut nach also eine Behandlung auch zur Aufrechterhaltung von Sicherheit oder Ordnung in Betracht
kommt, stehen einem solchen Verständnis sowohl systematische Argumente als auch der - vorrangig maßgebliche
(vgl. BVerfG NJW 2011, 836. Rüthers, NJW 2011, 1856 (1857)) - Wille des Gesetzgebers entgegen. Insbesondere
die in § 23 Nds. MVollzG geregelten besonderen Sicherungsmaßnahmen lassen einem Rückgriff auf § 8 Nds.
MVollzG zur Abwehr einer Gefahr - zumindest für Dritte - nicht zu. Diese, besonders in die Grundrechtspositionen
der Patienten einschneidenden Maßnahmen, dürfen nämlich nur bei einer erheblichen Gefahr für die Sicherheit oder
Ordnung, insbesondere bei Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen, eingesetzt werden. Es würde eine
systemwidrige Umgehung der abschließend aufgezählten Maßnahmen des § 23 Nds. MVollzG darstellen, wenn bei
Vorliegen einer unter dieser Schwelle des Erheblichen liegenden Gefahr über § 8 Nds. MVollzG
Behandlungsmaßnahmen vorgenommen werden dürften, die - wie bei einer Zwangsbehandlung mit Neuroleptika -
von der Intensität des Grundrechtseingriffs den in § 23 Nds. MVollzG aufgezählten Maßnahmen zumindest teilweise
als schwerwiegender anzusehen sind. Für die Abwehr von Gefahren für Dritte kann daher auf
Behandlungsmaßnahmen gegen den Willen des Patienten nicht zurückgegriffen werden. Diese Auslegung wird
gestützt durch die Gesetzesmaterialien. Im Gesetzesentwurf der Landesregierung heißt es hierzu ausdrücklich, dass
die Anwendung des Rechts der Gefahrenabwehr auf Beschränkungen und die Sicherung der Unterbringung begrenzt
ist. Die aus dem Behandlungs und Betreuungsauftrag folgenden Maßnahmen werden davon nicht erfasst (vgl.
LTDrs. 9/2605, S. 43). Schon hieraus folgt, dass grundsätzlich zwischen Behandlung einerseits und Gefahrenabwehr
andererseits zu differenzieren sein sollte. Die spätere Änderung des § 18 Abs. 3 Nds.MVollzG a.F. durch das
Gesetz zur Änderung des Niedersächsischen Maßregelvollzugsgesetzes und des Ausführungsgesetzes zum
Gerichtsverfassungsgesetz vom 25. Januar 2007 (Nds. GVBl. S. 51) hat zwar zu einem Wegfall des allgemeinen
Verweises auf das Nds. SOG geführt. Mit der Änderung sollte das Gesetz aber lediglich an die neue
Grundkonzeption des Nds. MVollzG angepasst werden, wonach die Anordnung unmittelbaren Zwangs nicht
Gegenstand einer Beleihung sein und die Ausübung unmittelbaren Zwangs nur nach Weisung durch die
Vollzugsleitung erfolgen darf (vgl. Schriftlicher Bericht zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Soziales,
Frauen, Familie und Gesundheit, LTDrs. 15/3495, S. 2). Dass zudem eine Abkehr von der bis dahin geltenden
Trennung von Behandlung und Gefahrenabwehr beabsichtigt war, ist den Gesetzesmaterialien nicht zu entnehmen.
cc. Die Zwangsbehandlung zur Aufrechterhaltung der Sicherheit in Form von Rechtsgütern Dritter lässt sich auch
nicht auf § 34 StGB stützen. Unabhängig von der Frage, ob § 34 StGB überhaupt eine taugliche
Ermächtigungsgrundlage für staatliche Eingriffe sein kann (vgl. dazu den Meinungsstand bei Fischer, 58. Aufl., § 34
StGB, Rn. 23) bzw. ob dies aufgrund der vorrangigen Regelungen im Nds. MVollzG zumindest in Niedersachsen
ausgeschlossen ist (vgl. Wagner in
Kammeier, Maßregelvollzugsrecht, 3. Aufl., D 150) lagen jedenfalls dessen Voraussetzungen aufgrund der
vorzunehmenden Güterabwägung der betroffenen Rechtspositionen nicht vor.
b. Auch die Ausführungen der Kammer zur Rechtmäßigkeit der Zwangsbehandlung zur Erreichung des Vollzugsziels
halten der Rechtsbeschwerde nicht stand.
aa. Ermächtigungsgrundlage für eine Zwangsbehandlung zur Erreichung des Vollzugsziels ist § 8 Abs. 1 Satz 1 Nds.
MVollzG. Danach enthält der Untergebrachte die nach den anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst gebotene
Behandlung. Nach dem Willen des Gesetzgebers enthält diese Bestimmung den Auftrag zur Behandlung,
gleichzeitig aber auch für den Fall, dass der Untergebrachte nicht krankheitseinsichtig ist, die Befugnis zur
Behandlung ohne Einwilligung oder auch gegen den Willen des Patienten (vgl. LTDrs. 9/2605, S. 28). Hiermit
korrespondiert § 8 Abs. 1 Satz 3 Nds. MVollzG, der den Untergebrachten zur Duldung und Unterstützung der
Behandlung verpflichtet. Gemeint ist damit nicht etwa die Pflicht des Patienten, Widerstand oder Widerworte zu
unterlassen oder Maßnahmen zu dulden. Vielmehr ist auch damit die Absicht des Gesetzgebers verbunden, eine
Eingriffsbefugnis zu regeln (vgl. Volckart/Grünebaum, Maßregelvollzug, 7. Aufl., Rn. III 370). Hierbei handelt es sich
nach den Gesetzesmaterialien um die zentrale Aussage des Gesetzes (LTDrs. 9/3489, S. 6).
bb. Die Ausführungen der Kammer im angefochtenen Beschluss versetzen den Senat nicht in die Lage zu prüfen, ob
die angeordnete Zwangsbehandlung des Antragstellers gemessen an § 8 Abs. 1 Nds. MVollzG rechtsfehlerfrei
erfolgt ist. Bereits der Ansatz der Kammer, die medizinischen Aspekte der Zwangsbehandlung nur einer
eingeschränkten rechtlichen Überprüfung zu unterwerfen, geht fehl. Zwar regelt § 136 StVollzG, dass sich die
Behandlung untergebrachter Personen in einem psychiatrischen Krankenhaus nach ärztlichen Gesichtspunkten
richtet. Dies hat zur Folge, dass die Entscheidung für eine Behandlung mit einem bestimmten Medikament, seine
Auswahl und Dosierung grundsätzlich den behandelnden Ärzten überlassen bleibt. Die juristische Überprüfung ist
darauf beschränkt, ob die behandelnden Ärzte von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen sind, ihre
Entscheidung unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Gesichtspunkte nach den Regeln der ärztlichen Kunst
getroffen haben und der Nutzen einer Behandlung nicht außer Verhältnis zu damit verbundenen Risiken und
Gefahren steht (vgl. LG Heidelberg, Beschluss vom 20. April 2004, 7 StVK 79/04 bei juris ). Hiervon muss jedoch
der ärztlich angeordnete Zwang bei der Verabreichung und dessen Androhung oder die Androhung sonstiger
Nachteile des Patienten unterschieden werden. Schon das Gebot effektiven Rechtsschutzes fordert eine
uneingeschränkte richterliche Überprüfbarkeit, ob die allein als ultima ratio in Betracht kommende staatliche
Zwangsbehandlung geeignet, erforderlich und angemessen ist (vgl. BVerfG NJW 2011, 2113 (2116). schon Volckart,
RuP 1985, 35 (36). a.A. noch OLG Hamm, StV 1982, 125. KG, RuP 1985, 34). Dies umfasst wegen des besonders
schwerwiegenden Eingriffs in die Grundrechte auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung nicht nur die
rechtliche Überprüfung, ob eine Zwangsbehandlung an sich vorgenommen werden darf, sondern auch der Auswahl
der konkret anzuwendenden Maßnahmen nach Art und Dauer, einschließlich der Auswahl und Dosierung
einzusetzender Medikamente und begleitender Kontrollen (vgl. BVerfG NJW 2011, 2113 (2116/2117)).
Der Senat sieht sich auf der Grundlage des angefochtenen Beschlusses nicht in der Lage, zu überprüfen, ob die
Kammer die erforderlichen Überlegungen zur Zulässigkeit der Zwangsbehandlung zur Erreichung des Vollzugsziels
vorgenommen hat. Insoweit hätte die Kammer nämlich darlegen müssen, dass das angeordnete Medikament
geeignet und erforderlich ist, das Vollzugsziel zu erreichen, in welcher Dosis und wie lange es verabreicht werden
muss, welche alternativen Behandlungen in Frage kommen, welche Nebenwirkungen mit der Einnahme des
Medikaments verbunden sind und woraus sich das Wissen der Kammer über diese Umstände ergibt. Diesen
Anforderungen wird der angefochtene Beschluss in großen Teilen nicht gerecht. Hinsichtlich der Geeignetheit des
Mittels Risperidon fehlt es bereits an einer genügenden Darlegung, warum trotz der Prognose des Sachverständigen
Dr. K. im Erkenntnisverfahren, im Fall einer Behandlung sei eine Heilung weniger wahrscheinlich als ein
unveränderter Zustand des Antragstellers, dennoch von einer erfolgsversprechenden Behandlung auszugehen ist.
Ebenso ist die festgelegte Dauer der Behandlung von sechs Monaten nicht nachvollziehbar, die der Antragsgegnerin
für das Erreichen einer Besserung des Zustandes des Antragstellers zugestanden wird. Angaben zur Häufigkeit und
Dosierung der Medikamentengabe fehlen völlig. Darüber hinaus liegt ein Verstoß der Kammer gegen ihre
Sachverhaltsaufklärungspflicht vor, indem sie die Angaben der Antragsgegnerin zu Wirkung und Nebenwirkungen
ungeprüft ihrer Entscheidung zugrunde gelegt hat. Art. 2 Abs. 2 GG fordert insoweit eine spezielle verfahrensmäßige
Sicherung gegen die besonderen situationsbedingten Grundrechtgefährdungen, die sich ergeben, wenn über die
Anordnung einer Zwangsbehandlung außerhalb akuter Notfälle allein die jeweilige Unterbringungseinrichtung
entscheidet (vgl. BVerfG NJW 2011, 2113 (2118)). Bei derart schwerwiegenden Eingriffen wie einer
Zwangsbehandlung bedarf ein Patient eines besonderen Schutzes davor, dass seine Belange nicht etwa aufgrund
von Eigeninteressen der Einrichtung und ihrer Mitarbeiter - insbesondere bei Überforderungen, die im Umgang mit oft
schwierigen Patienten leicht auftreten können , bei nicht aufgabengerechter Personalaustattung oder aufgrund von
Betriebsroutinen unzureichend gewürdigt werden (vgl. BVerfG NJW 2011, 2113 (2118)). Insoweit hätte sich die
Kammer sachverständiger Hilfe bedienen müssen, um die medizinische Notwendigkeit und die damit verbundenen
Risiken für den Antragsteller zutreffend einschätzen zu können.
cc. Der Senat verkennt nicht, dass auf der Grundlage der Entscheidung des BVerfG in NJW 2011, 2113 die
Verfassungsmäßigkeit von § 8 Abs. 1 Nds. MVollzG in Frage stehen könnte. Im Vergleich zu dem vom BVerfG für
verfassungswidrig erklärten § 6 Abs. 1 Satz 2 MVollzG RhPf enthält § 8 Abs. 1 Nds. MVollzG eine noch weniger den
aus Art. 2 Abs. 2 GG folgenden Anforderungen genügende Eingriffsermächtigung die der besonderen Bedeutung
einer Zwangsbehandlung gerecht wird (vgl. dazu BVerfG NJW 2011, 2113 (2119)). Der Senat sieht sich jedoch an
einer Vorlage an das Bundesverfassungsgericht zur Frage der Vereinbarkeit des § 8 Abs. 1 Nds. MVollzG mit
Verfassungsrecht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG gehindert. Diese wäre nur in Betracht gekommen, wenn die Frage der
Verfassungsgemäßheit der anzuwendenden Norm entscheidungserheblich gewesen wäre. Dies war nicht der Fall.
Die Ausführungen der Kammer genügten aus den oben benannten Gründen bereits nicht den Anforderungen, die sich
aus dem einfachen Gesetzesrecht ergeben.
III.
Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus §§ 1 Nr. 8, 52 Abs. 1, 60, 63 Abs. 3, 65 GKG, 136 ff StVollzG.
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