Urteil des OLG Celle vom 12.10.2007

OLG Celle: einstweilige verfügung, verbotene eigenmacht, unbewegliche sache, herausgabe, besitzer, zwangsvollstreckung, androhung, vermieter, unterzeichnung, zugang

Gericht:
OLG Celle, 02. Zivilsenat
Typ, AZ:
Beschluss, 2 U 152/07
Datum:
12.10.2007
Sachgebiet:
Normen:
ZPO § 886, ZPO § 935, ZPO § 940, BGB § 861
Leitsatz:
Eine einstweilige Verfügung auf Wiedereinräumung des durch verbotene Eigenmacht entzogenen
Besitzes kann auch dann gerechtfertigt sein, wenn der unrechtmäßige Besitzer den Besitz an der
Sache zwischenzeitlich einem Dritten überlassen hat.
Volltext:
2 U 152/07
5 O 298/07 Landgericht Verden
B e s c h l u s s
In dem Verfahren der einstweiligen Verfügung
V. A., M., B.,
Verfügungsbeklagter und Berufungskläger,
Prozessbevollmächtigter:
Rechtsanwalt H., V., B.,
Geschäftszeichen: #######
gegen
S. A., S. Straße, T.,
Verfügungskläger und Berufungsbeklagter,
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Dr. W. & W., H. Straße, T.,
Geschäftszeichen: #######
hat der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle durch den Vorsitzenden
Richter am Oberlandesgericht R., den Richter am Oberlandesgericht Dr. L. und
den Richter am Amtsgericht Dr. L. am 12. Oktober 2007 beschlossen:
Es wird erwogen, die Berufung des Verfügungsbeklagten gegen das Urteil der Einzelrichterin der 5. Zivilkammer des
Landgerichts Verden vom 7. August 2007 durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO mit der
Maßgabe zurückzuweisen, dass die in dem Beschluss des Landgerichts vom 11. Juli 2007 für den Fall der
Zwangsvollstreckung angedrohte Verhängung von Ordnungsgeld bzw. Ordnungshaft entfällt.
Der Beklagte erhält Gelegenheit zur Stellungnahme bzw. zur Rücknahme
der Berufung aus Kostengründen bis zum 31. Oktober 2007.
G r ü n d e
Die Rechtssache dürfte keine grundsätzliche Bedeutung haben und eine Entscheidung des Berufungsgerichts auf
Grund mündlicher Verhandlung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung
nicht erforderlich sein. Die Berufung hat nach vorläufiger Beurteilung aus folgenden Gründen auch keine Aussicht auf
Erfolg:
1. Zu Recht und von der Beklagten nicht angegriffen hat das Landgericht festgestellt, dass sich der
Verfügungsanspruch aus § 861 Abs. 1 BGB ergibt. Der Verfügungsbeklagte hat dem Verfügungskläger durch
verbotene Eigenmacht den Besitz an dem angemieteten Objekt entzogen. Dem Verfügungsanspruch steht nicht
entgegen, dass der Verfügungsbeklagte den unmittelbaren Besitz an einen Dritten weitergegeben hat und der
Verfügungsbeklagte damit nur noch mittelbarer Besitzer ist. Denn gegenüber dem mittelbaren Besitzer kann der
frühere Besitzer wahlweise Abtretung seines Herausgabeanspruches gegen den unmittelbaren Besitzer oder aber
Herausgabe der Sache verlangen (vgl. Palandt/Bassenge, BGB, 66. Aufl., § 861 Rdnr. 11). Im Streitfall hat der
Verfügungskläger die Wahl dahingehend getroffen, dass er die Herausgabe der Sache verlangt.
Dass der Verfügungsbeklagte selbst zur Herausgabe nicht in der Lage ist, weil er das Objekt weiter vermietet hat,
steht dem nicht entgegen. Denn in diesem Fall richtet sich der Anspruch auf Verschaffung des mittelbaren Besitzes
gemäß § 870 BGB. Dieser Herausgabeanspruch wird gemäß § 886 ZPO dadurch vollstreckt, dass der Gläubiger den
Anspruch des Schuldners auf Herausgabe pfänden und sich überweisen lassen kann. Kann der Gläubiger aufgrund
eines erwirkten Vollstreckungstitels nicht gegen den Dritten, an den der Schuldner die unbewegliche Sache weiter
vermietet hat, vollstrecken und ist der Dritte nicht zur Herausgabe bereit, muss der Gläubiger einen
Vollstreckungstitel gegen den Dritten entweder aufgrund eines eigenen Herausgabeanspruches (§§ 861 Abs. 1, 858
Abs. 2 BGB) oder nach Pfändung und Überweisung des Herausgabeanspruchs des Schuldners gemäß § 886 ZPO
erwirken (vgl. BGH MDR 2007, 1159).
2. Der für den Erlass der einstweiligen Verfügung erforderliche Verfügungsgrund liegt in § 861 Abs. 1 BGB selbst,
eines weitergehenden besonderen Verfügungsgrundes bedarf es nach allgemeiner Ansicht nicht. Das BGB hat in der
Regelung der Besitzschutzansprüche erkennen lassen, dass es deren Befriedigung für besonders eilbedürftig hält.
Diese Eilbedürftigkeit schlägt im Verfahren dergestalt durch, dass eine auf Herausgabe gerichtete einstweilige
Verfügung grundsätzlich zulässig ist (vgl. Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 22. Aufl., vor § 935 Rdnr. 44).
Ohne Erfolg macht der Verfügungsbeklagte geltend, nach der Überlassung des Mietobjekts an einen Dritten scheide
eine einstweilige Verfügung zur Besitzverschaffung aus. Der diesbezügliche Hinweis des Verfügungsbeklagten auf
den Aufsatz von Kluth und Grün in der NZM 2002, 473 ff., Mietrechte bei Doppelvermietung, geht fehl, weil dieser
Aufsatz sich mit einer anderen Problematik auseinander setzt. Dort geht es um die Frage, ob ein Mieter seinen
Erfüllungsanspruch aus § 535 Abs. 1 Satz 1 BGB gegen seinen Vermieter im Wege der einstweiligen Verfügung
geltend machen kann, wenn der Vermieter ein Mietverhältnis auch zu einem Dritten begründet hat (sog.
Doppelvermietung) und diesem Dritten das Mietobjekt zum Besitz übergeben hat. In diesen Fällen vertritt in der Tat
eine überwiegende Ansicht in Rechtsprechung und Literatur die Auffassung, dass der Überlassungsanspruch eines
solchen Mieters nicht im Wege der einstweiligen Verfügung gesichert werden kann (vgl. etwa auch zuletzt KG MDR
2007, 1126). Im Streitfall macht der Verfügungskläger aber keinen petitorischen Erfüllungsanspruch aus dem
Mietverhältnis geltend, sondern einen possessorischen Besitzschutzanspruch. Es entspricht allgemeiner Ansicht,
dass diese Ansprüche grundsätzlich durch einstweilige Verfügung gesichert werden können.
Der vom Landgericht erlassenen einstweiligen Verfügung kann auch nicht entgegen gehalten werden, eine
einstweilige Verfügung diene der sofortigen Wiederherstellung des unmittelbaren Besitzes, was im Falle der
Weitervermietung an einen Dritten durch den Entzieher nicht erreicht werden könne, weshalb einer begehrten
einstweiligen Verfügung das Rechtsschutzbedürfnis fehle. Das Kammergericht (OLGR 1999, 157 ff.) hat das in dem
Fall angenommen, in dem der Entzieher die Mietsache einem Dritten überlassen hat, dieser den Besitz berechtigt
ausübt und nicht zur Herausgabe bereit ist. Es kann dahinstehen, ob diese Rechtsansicht zutreffend ist. Denn auch
nach den vom Kammergericht angenommenen Grundsätzen wäre die einstweilige Verfügung im Streitfall zu Recht
erlassen worden. Der insoweit darlegungspflichtige Verfügungsbeklagte hat nämlich einen solchen Sachverhalt nicht
dargetan. Insbesondere hat er nicht dargetan und ist auch nicht ersichtlich, dass im Streitfall der Dritte, A. C.,
berechtigten Besitz ausübt. Es spricht vielmehr der gesamte unstreitige Sachverhalt dafür, dass C. von vornherein
gewusst hat, dass der Verfügungskläger nicht freiwillig seinen Besitz an den Mieträumen aufgegeben hat, vielmehr
sich der Verfügungsbeklagte im Wege des Faustrechts widerrechtlich Zugang zu den Räumlichkeiten verschafft hat
und die überstürzte „Vermietung“ an ihn allein dazu diente, zu Lasten des Verfügungsklägers vollendete Tatsachen
zu schaffen, so dass der Besitz des C. daher gemäß § 858 Abs. 2 BGB fehlerhaft ist. Unstreitig ist C. zwei Tage vor
Unterzeichnung des Mietvertrages zwischen ihm und dem Verfügungsbeklagten beim Verfügungskläger gewesen,
um die Räume zu besichtigen. Der Verfügungsbeklagte hatte ihm vorher berichtet, dass der Verfügungskläger seit
Monaten keine Miete zahle und er „in absehbarer Zeit“ einen neuen Mieter für das Objekt suche. Der
Verfügungskläger hatte C. den Zutritt zu den Räumen verwehrt, woraus dieser zweifelsfrei schließen konnte, dass
der Verfügungskläger nicht gewillt war, die Räume zu verlassen. Bereits zwei Tage später mietete C. die
Räumlichkeiten an, in denen sich ein voll möbliertes und eingerichtetes Bordell befunden hat nebst offenbar
sämtlichen Geschäftsunterlagen, und zwar wenige Stunden, nachdem sich der Verfügungsbeklagte im Wege
verbotener Eigenmacht den Besitz verschafft hatte. Noch am selben Abend nahm C. das Objekt in Besitz und
verbrauchte die Vorräte, z. B. die Getränke, die der Verfügungskläger in das Objekt geschafft hatte. Danach kann
nicht zweifelhaft sein, dass C., wenn er nicht ohnehin mit dem Verfügungsbeklagten kollusiv zusammen gearbeitet
hat, jedenfalls auf grund der äußeren Umstände genau gewusst hat, dass der Verfügungskläger das Mietverhältnis
zum verfügungsbeklagten nicht beenden wollte, vielmehr der Verfügungsbeklagte den Verfügungskläger offenkundig
„entmietet“ hatte.
3. Anders als der Verfügungsbeklagte meint, sind das Urteil des Landgerichts vom 7. August 2007 und die
einstweilige Verfügung vom 11. Juli 2007 nicht deshalb aufzuheben, weil das Landgericht rechtsirrig in der
einstweiligen Verfügung vom
11. Juli 2007 gemeint hat, antragsgemäß die Verhängung eines Ordnungsmittels gemäß § 890 Abs. 2 ZPO androhen
zu müssen. Diese Androhung ist gegenstandslos. Die Frage, nach welcher Vorschrift und unter welchen
Voraussetzungen die Zwangsvollstreckung aus einer einstweiligen Verfügung erfolgen kann, richtet sich allein nach
dem Gesetz. Der geltend gemachte Herausgabeanspruch, der Gegen
stand der einstweiligen Verfügung ist, wird nicht nach § 890 ZPO, auch nicht, wie die Vorderrichterin später gemeint
hat, nach § 888 ZPO, sondern nach § 886 ZPO vollstreckt. Die Verhängung eines Ordnungsmittels im Rahmen der
Zwangsvollstreckung sieht das Gesetz hierbei nicht vor. Mithin geht die Androhung in dem Beschluss vom 11. Juli
2007 ins Leere. Eine solche ins Leere gehende Androhung ist gegenstandslos. Sie führt nicht dazu, dass die im
Übrigen erlassene einstweilige Verfügung aufzuheben wäre. Die für den Fall der Zwangsvollstreckung zu Unrecht
angedrohte Verhängung eines Ordnungsmittels berührt die Wirksamkeit der Hauptsacheentscheidung nicht.
Die gegenstandlose Androhung des Ordnungsmittels ist deshalb aufzuheben. Dies kann auch durch den Senat im
Verfahren nach § 522 ZPO erfolgen. Hierdurch wird der Verfügungsbeklagte auch nicht beschwert. Allenfalls könnte
die Ansicht vertreten werden, die Aufhebung sei für ihn günstig.
R. Dr. L. Dr. L.