Urteil des OLG Celle vom 28.10.2010

OLG Celle: anspruch auf rechtliches gehör, kontradiktorisches verfahren, befangenheit, protokollierung, hauptsache, voreingenommenheit, rechtsgrundlage, vertreter, unparteilichkeit, ermessen

Gericht:
OLG Celle, 09. Zivilsenat
Typ, AZ:
Beschluss, 9 W 93/10
Datum:
28.10.2010
Sachgebiet:
Normen:
ZPO § 42, ZPO § 91 a, ZPO § 567
Leitsatz:
1. Die gegenüber dem Prozessbevollmächtigten einer Partei ausgesprochene Androhung, ihn des
Saales zu verweisen, kann die Besorgnis der Befangenheit begründen.
2. Die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss, der den Antrag auf Ablehnung eines Richters
zurückgewiesen hat, wird - mangels Rechtsschutzbedürfnisses - unzulässig, wenn der Richter wegen
Ausscheidens aus dem Spruchkörper an dem Verfahren nicht mehr mitwirkt.
3. Die sofortige Beschwerde gegen einen Beschluss, der den Antrag auf Ablehnung eines Richters
zurückgewiesen hat, kann für erledigt erklärt werden. Im Falle der einseitigen oder übereinstimmenden
Erledigung sind Gerichtskosten nicht zu erheben. im übrigen richtet sich die Erstattung
außergerichtlicher
Kosten nach dem Ausgang des Verfahrens in der Hauptsache.
Volltext:
9 W 93/10
2 OH 24/07 Landgericht Stade
B e s c h l u s s
In dem Beschwerdeverfahren
1. H. H., … in E.,
2. H. B. … GmbH … , gesetzlich vertreten durch … in B.,
Antragsgegnerin und Beschwerdeführerin,
3. H.J. … GmbH, vertreten durch den Geschäftsführer … in A.,
4. H. K. GmbH, vertreten durch den Geschäftsführer … in A.,
5. C. H., … in K.,
Antragsgegner zu 1 bis 5,
Verfahrensbevollmächtigte zu 1:
Rechtsanwälte F. … in S.,
Verfahrensbevollmächtigte zu 2:
Rechtsanwälte T. … in B.,
Verfahrensbevollmächtigte zu 3:
Anwaltsbüro S. … in H.,
gegen
Eigentümergemeinschaft Dr. U. L. u. a. … in B.,
Antragstellerin,
Verfahrensbevollmächtigte:
Rechtsanwälte T. … in B.,
Beteiligte:
E. S., … in B.,
Streitverkündete,
hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht … , den
Richter am Oberlandesgericht … und die Richterin am Oberlandesgericht … am 28. Oktober 2010 beschlossen:
Für das Verfahren über die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin zu 2 vom 30.08.2010 gegen den ihr
Ablehnungsgesuch zurückweisenden Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Stade vom 17.08.2010 werden
Gerichtsgebühren nicht erhoben.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sind Teil der Kosten des Rechtsstreits.
G r ü n d e :
Der Senat hat entschieden, ohne dass das Abhilfeverfahren durchgeführt worden ist (I.). Aufgrund des Schriftsatzes
der Antragsgegnerin zu 2 vom 11. Oktober 2010 war über die sofortige Beschwerde vom 30.08.2010 nicht mehr zu
entscheiden, weil diese wirksam für erledigt erklärt worden ist. Deshalb musste eine Entscheidung über die
Behandlung der Kosten des Beschwerdeverfahrens nach Maßgabe des § 91 a ZPO getroffen werden, was zur
tenorierten Entscheidung führt. Sie ist gerechtfertigt, weil die sofortige Beschwerde zulässig und begründet war und
durch ein späteres Ereignis - nämlich das Ausscheiden des abgelehnten Richters aus dem Spruchkörper -
unzulässig geworden ist (II.).
I.
Der Senat konnte entscheiden, obwohl das Landgericht von einer Abhilfeentscheidung ausdrücklich abgesehen hat.
Zwar ist die Entscheidung über die Abhilfe nach § 572 Abs. 1 ZPO grundsätzlich Bestandteil des
Beschwerdeverfahrens. sie steht nicht im Ermessen des Gerichts. Das Abhilfeverfahren ist aber keine
Verfahrensvoraussetzung für die Entscheidung durch das Beschwerdegericht (Senatsentscheidung vom 03.01.2008
- 9 W 138/07 , OLGR 2008, 216. s. a. Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 28. Aufl., § 572 Rn. 11).
II.
Die Antragsgegnerin zu 2 begehrt (nur noch) eine Entscheidung über die Verfahrenskosten. sie hat das
Beschwerdeverfahren für erledigt erklärt. der Erklärung hat sich die Antragstellerin nicht angeschlossen. Der Antrag
ist zulässig (1.) und in der Sache insofern begründet, als die Antragsgegnerin zu 2 nicht mit Kosten des
Beschwerdeverfahrens trägt (2.).
1. Mit der überwiegenden Rechtsprechung und weiten Teilen der Literatur (BGH NJW 2001, 1007. zum
Beschwerdeverfahren bei Richterablehnung OLG Rostock NJWRR 2007, 429, 430 m. w. N.. Zöller/Vollkommer,
ZPO, § 46 Rn. 20. Stollenwerk, NJW 2007, 3751, 3753 r. Sp.) befürwortet der Senat die Möglichkeit, auch ein
Rechtsmittel in einer Ablehnungssache für erledigt zu erklären, sodass auch in einem solchen Verfahren eine
Entscheidung entsprechend § 91 a ZPO zu ergehen hat. Dies gilt bei übereinstimmender, aber auch bei einseitiger
Erledigung des Beschwerdeverfahrens (insbesondere zu letzterem OLG Rostock, a. a. O.. zustimmend Stollenwerk,
a. a. O., S. 3754 r. Sp.). Auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens über eine Richterablehnung können
Gegenstand einer Kostenentscheidung sein (BGH NJW 2005, 2233, 2234 r. Sp.. OLG Düsseldorf MDR 2009, 955,
956), wobei für deren Inhalt nach der Wertung des § 91 a ZPO der voraussichtliche Erfolg des Rechtsmittels
maßgeblich ist.
2. Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin zu 2 war zulässig und begründet - a) . sie ist durch einen späteren
Umstand unzulässig geworden - b) , sodass Gerichtskosten nicht zu erheben waren und außergerichtliche Kosten
nicht zu erstatten sind - c) .
a) Unter Zugrundelegung des bisherigen Sach und Streitstands war die sofortige Beschwerde zulässig und
begründet. Dabei bedarf es keiner Entscheidung, ob der angefochtene Beschluss bereits unter formellen
Gesichtspunkten fehlerhaft war. Das Landgericht hat allerdings über den Ablehnungsantrag der Antragsgegnerin zu 2
bereits vor Ablauf der dieser gesetzten Stellungnahmefrist entschieden. Das war verfahrensfehlerhaft. Wenn ein
Gericht einem Beteiligten eine Frist zur Äußerung einräumt, verletzt es den Anspruch auf rechtliches Gehör, wenn
es vor Ablauf der Äußerungsfrist entscheidet (OLG Celle OLGR 1994, 109). Das Landgericht durfte auch nicht davon
ausgehen, das Vorbringen der Antragsgegnerin im Schriftsatz vom 11. August 2010 sei abschließend. Die
Antragsgegnerin zu 2 hat nämlich in diesem Schriftsatz ausdrücklich angekündigt, durch einen weiteren Schriftsatz
innerhalb der Frist abschließend Stellung zu nehmen. Indem das Landgericht ihr diese Möglichkeit durch seine
Entscheidung abgeschnitten hat, hat es ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.
Das Landgericht hat dem Befangenheitsantrag der Antragsgegnerin zu 2 der Sache nach zu Unrecht nicht
stattgegeben, sodass die sofortige Beschwerde jedenfalls deshalb begründet war, weil die Voraussetzungen für eine
Ablehnung des Richters Witte wegen Besorgnis der Befangenheit erfüllt sind. Die Ablehnung eines Richters wegen
Besorgnis der Befangenheit setzt einen Grund voraus, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu
rechtfertigen. Darunter sind Gründe zu verstehen, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger
Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht
unparteiisch gegenüber. Nicht erforderlich ist, dass der Richter tatsächlich befangen ist. Ob er sich selbst für
befangen hält, ist zudem unerheblich. Entscheidend ist allein, ob aus der Sicht des Ablehnenden genügend objektive
Gründe vorliegen, die nach Meinung einer ruhig und vernünftig denkenden Partei Anlass geben, an der
Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (Senat OLGR 2005, 451). Solche Gründe hat die Antragsgegnerin
zu 2 dargelegt und glaubhaft gemacht. Der abgelehnte Richter hat durch seinen Umgang mit dem Ablehnungsantrag
der Antragsgegnerin zu 2 den Eindruck einer sachwidrigen, auf Voreingenommenheit beruhenden Benachteiligung
erweckt. Es bedarf deshalb keiner Entscheidung, ob die Besorgnis der Befangenheit bereits dadurch begründet war,
dass der abgelehnte Richter Fragen der Verfahrensbeteiligten an den Sachverständigen nicht zugelassen hat.
aa) Der abgelehnte Richter hat bereits durch seine beharrliche Weigerung, den Befangenheitsantrag der
Beschwerdeführerin zu protokollieren, den Eindruck erweckt, dieser gegenüber nicht neutral eingestellt zu sein. Zur
Protokollierung des Antrags war der Richter nämlich gemäß § 160 Abs. 2, 4 ZPO verpflichtet (zur Pflicht der
Protokollierung von Befangenheitsanträgen vgl. OLG Schleswig OLGR 2006, 67). Seine dagegen in der dienstlichen
Stellungnahme vom 9. August 2010 vorgebrachte Auffassung, eine Pflicht zur Protokollierung habe nicht bestanden,
weil die Sitzung zu schließen gewesen sei, ist unbehelflich. Denn der Befangenheitsantrag wurde gestellt, bevor die
Sitzung geschlossen worden war. Dies ergibt sich bereits aus der dienstlichen Stellungnahme des Richters, in der es
heißt, die Sitzung sei nach Erörterung „zu schließen“ gewesen, und der Beschwerdeführer habe den Richter durch
seinen Antrag gehindert, „den Schluss der Verhandlung ungestört zu protokollieren“. Diese Ablehnung, den Antrag in
das Protokoll aufzunehmen, durfte eine objektiv urteilende Partei dahingehend verstehen, dass der Richter ihr die
Ausübung ihrer prozessualen Rechte verwehren wolle. Zwar erweckt nicht jeder Verfahrensverstoß den Eindruck der
Voreingenommenheit. die Weigerung des Richters, den Antrag zu Protokoll zu nehmen, wiegt aber besonders
schwer. Denn das Recht zur Richterablehnung ist ein nicht im Ermessen des Gerichts stehendes Verfahrensrecht
jeder Partei, das seinen Grund in der verfassungsrechtlich verankerten richterlichen Neutralitätspflicht hat. Dieses
Recht hat der abgelehnte Richter der Antragsgegnerin zu 2 durch seine Weigerung abgesprochen, die er trotz
mehrfacher Aufforderung, den Antrag zu protokollieren, aufrecht erhalten hat. Indem er ein Recht missachtet hat,
das der Sicherung richterlicher Unparteilichkeit dient, hat er den Eindruck erweckt, selbst nicht unparteiisch zu sein
(vgl. OLG Köln MDR 1998, 797).
bb) Diesen Eindruck hat der Richter noch verstärkt, indem er dem Vertreter der Antragsgegnerin zu 2 gedroht hat,
ihn des Saales zu verweisen. Eine Rechtsgrundlage für eine solche Maßnahme bestand nämlich nicht, da das GVG
im Rahmen sitzungspolizeilicher Maßnahmen die Entfernung eines Rechtsanwalts nicht vorsieht (vgl.
Zöller/Lückemann, 28. Aufl. 2010, § 177 GKG, Rdnr. 2). Der Richter hat dieses Verhalten in seiner dienstlichen
Stellungnahme damit zu rechtfertigen versucht, dass er durch den Vertreter der Antragsgegnerin zu 2, der ihn
unterbrochen habe, gehindert gewesen sei, „den Schluss der Verhandlung ungestört zu protokollieren“. Zu einer
solchen Beendigung der Verhandlung kann es indes noch nicht kommen, wenn ein weiterer Antrag - insbesondere
ein Befangenheitsantrag - gestellt werden soll. Droht ein Richter einem Rechtsanwalt, der einen Befangenheitsantrag
stellt und damit von einem elementaren prozessualen Recht Gebrauch macht, mit der Entfernung aus dem Saal, weil
er sich von ihm bei der Schließung der Verhandlung gestört fühlt, so vermittelt er den Eindruck, die prozessualen
Rechte der Partei nicht zu achten. damit begründet er die Besorgnis der Befangenheit.
b) Die zunächst zulässige und begründete sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin zu 2 ist durch das
Ausscheiden des abgelehnten Richters aus der 2. Zivilkammer des Landgerichts Stade unzulässig geworden, da das
Rechtsschutzbedürfnis für diese Beschwerde entfallen ist. Das Ziel einer Richterablehnung ist es nämlich, den
abgelehnten Richter an der weiteren Mitwirkung an dem Verfahren zu hindern (BGH NJWRR 2007, 411, 441 r. Sp.
[für den Fall, dass bereits eine die Instanz abschließende Entscheidung vorliegt]). Dieses Ziel kann nicht mehr
erreicht werden, wenn der Richter wegen Ausscheidens aus dem Spruchkörper an dem Verfahren nicht mehr
mitwirkt. In diesem Fall besteht kein rechtlich anerkennenswertes Bedürfnis für eine Entscheidung über die
Ablehnung (BayObLG, MDR 2000, 52 [zum Ausscheiden wegen Einstritts in den Ruhestand]. Senat OLGR 2008,
216. OLG Karlsruhe OLGR 2008, 726 m. w. N.). Das gilt hier umso mehr, als der abgelehnte Richter nunmehr in
einer Strafkammer des Landgerichts sowie am Amtsgericht … tätig ist, sodass - insbesondere angesichts der
Vertretungsregelung beim Landgericht Stade - auch nicht ersichtlich ist, dass er noch einmal mit dem Verfahren
befasst werden könnte.
c) Ergebnis der vorherigen Überlegungen ist, dass Gerichtskosten nicht zu erheben sind. Nr. 1812 des
Kostenverzeichnisses zum GKG (Anlage 1) sieht eine Gebühr für den Fall vor, dass eine Beschwerde verworfen
oder zurückgewiesen wird. Keine dieser Voraussetzungen ist erfüllt, weil über die Beschwerde wegen der zulässigen
Erledigungserklärung der Antragsgegnerin zu 2 nicht entschieden wurde.
Im übrigen richtet sich die Erstattung außergerichtlicher Kosten nach dem Ausgang des Verfahrens in der
Hauptsache. Dies entspricht der Kostenfolge ohne das erledigende Ereignis. Bei einer erfolgreichen sofortigen
Beschwerde wegen einer Richterablehnung ergeht nämlich keine Kostenentscheidung. vielmehr hat die in der
Hauptsache unterlegene Partei gemäß § 91 ZPO die Kosten des gesamten Rechtsstreits und damit auch die Kosten
des Beschwerdeverfahrens zu tragen, da der Fall der Kostentrennung nach § 97 ZPO nicht vorliegt, es also bei einer
einheitlichen Entscheidung bleiben muss (s. Stollenwerk, a. a. O., S. 3753 l. Sp. zum in der Sache erfolgreichen,
also nicht für erledigt erklärten Beschwerdeverfahren in Ablehnungssachen). Die Kosten sind insbesondere nicht
dem Gegner des Rechtsstreits - hier der Antragstellerin - aufzuerlegen. Denn selbst wenn der Gegner des
Beschwerdeführers sich am Beschwerdeverfahren beteiligt, handelt es sich nicht um ein kontradiktorisches
Verfahren zwischen den Parteien des Rechtsstreits. Auch wenn der Gegner sich aus seiner Sicht gegen die
Ablehnung des Richters wendet, ´unterliegt´ er nicht in diesem selbstständigen Zwischenverfahren (vgl. OLG
Frankfurt MDR 2007, 1399). Diese Erwägungen müssen erst recht im Fall der Erledigung des Beschwerdeverfahrens
gelten. dies gilt unabhängig davon, ob sich der Beschwerdegegner der Erledigungserklärung anschließt, oder wie hier
- die Erledigungserklärung einseitig bleibt (s. o. zu II. 1 a. E.).
Ebensowenig sind allerdings die Kosten des Beschwerdeverfahrens der Staatskasse aufzuerlegen. Für eine solche
Entscheidung gibt es keine Rechtsgrundlage, insbesondere ist § 21 GKG nicht einschlägig. Unabhängig davon, dass
sich § 21 GKG wegen § 1 Abs. 1 S. 1 GKG nur auf die Gerichtskosten bezieht, also Gebühren und Auslagen
(Hartmann, Kostengesetze, 40. Aufl. 2010, § 21 GKG Rn. 1), ist der Fall einer erfolgreichen Richterablehnung mit
einer unrichtigen Sachbehandlung im Sinne dieser Vorschrift nicht vergleichbar. eine analoge Anwendung der Norm
kommt nicht in Betracht (dazu OLG Frankfurt MDR 2007, 1399. ebenso Stollenwerk, NJW 2007, 3751, 3753 l. Sp.
mit Note 15).
… … …