Urteil des OLG Celle vom 08.11.2001

OLG Celle: ausschreibung, anstalt, vergabeverfahren, betriebskosten, abbruchkosten, abwasserbeseitigung, ausschluss, herstellungskosten, gleichbehandlungsgebot, gemeinde

Gericht:
OLG Celle, Vergabesenat
Typ, AZ:
Beschluss, 13 Verg 9/01
Datum:
08.11.2001
Sachgebiet:
Normen:
GWB § 97, VOB/A § 8 Nr. 6, VOL/A § 7 Nr. 6
Leitsatz:
1. Eine Ausschreibung von Bau und Dienstleistungen ist dann als „Parallelausschreibung“ unzulässig,
wenn die Vergleichbarkeit der Angebotsvarianten und die Transparenz der Bewertungskriterien nicht
gegeben ist und die Ausschreibung nicht der Beschaffung einer bestimmten Leistung dient, sondern
der Markterkundung und Wirtschaftlichkeitsberechnung.
2. Wendet sich die Vergabestelle mit ihrer sofortigen Beschwerde gegen eine Entscheidung der
Vergabekammer, wonach Angebote abweichend von der Vergabeempfehlung zu werten sind, ist die
Beschwerde unbegründet, wenn eine unzulässige Parallelausschreibung vorliegt. In diesem Fall hat
der Vergabesenat von Amts wegen auf eine Aufhebung des Vergabeverfahrens hinzuwirken.
3. Eine Anstalt öffentlichen Rechts ist nicht nur nach § 8 Nr. 6 VOB/A, sondern auch nach § 7 Nr. 6
VOL/A als Bieter in einem Vergabeverfahren ausgeschlossen.
Volltext:
13 Verg 9/01
203 VgK 4/2001
Vergabekammer bei der Bezirksregierung
Lüneburg
Verkündet am
8. November 2001
Theilmann,
Justizsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
B e s c h l u s s
in dem Vergabeverfahren
pp.
hat der Vergabesenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 3. September 2001 durch
die Richter #######, ####### und ####### beschlossen:
Die sofortigen Beschwerden beider Parteien werden zurückgewiesen.
Infolge der Rechtsmittel wird die Vergabestelle angewiesen, das Ausschreibungsverfahren als nicht
vergaberechtmäßig zu behandeln.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
Streitwert: bis zu 470.000 DM.
G r ü n d e
I. Sachverhalt
A.
Die Vergabestelle hat am 25. August 2000 die Abwasserbehandlung für die ####### ab dem 1. Januar 2003 EUweit
im offenen Verfahren ausgeschrieben. Dabei wurden die Bieter zur Abgabe eines Angebotes auf mindestens eine
von sechs Angebotsvarianten entsprechend S. A 4 der Verdingungsunterlagen aufgefordert. Bewertungskriterien
wurden auf S. A 13 und 14 dargestellt.
Für die Belastungsgrößen sollte (S. A 8) optional die Mitbehandlung der Abwasser aus der ####### einbezogen
werden.
Die Submission erfolgte am 5. Dezember 2000 nach einem abgeleiteten „Kostenbarwert“. Die Auswertung der
Angebote schloss mit der Vergabeempfehlung (Ordner 2 Ziff. 9 S. 1). Dies teilte die Vergabestelle den nicht
berücksichtigten Bietern mit.
B.
Daraus entwickelten sich drei Vergabenachprüfungsverfahren, die Vergabekriterien beanstanden.
1. Im vorliegenden Verfahren 13 Verg 9/01 sah sich die ####### vergaberechtswidrig hinsichtlich ihrer Angebote NA
4 und NA 5 benachteiligt. Sie hat geltend gemacht, der Auftrag solle entgegen § 97 Abs. 5 GWB nicht auf das
wirtschaftlichste Angebot erteilt werden. Denn ihr eigenes Angebot auf der Variante NA 5 sei das wirtschaftlichste
Angebot. Die Auswertung weise sechs Fehler auf:
a) Ihr Dienstleistungsangebot werde unzulässigerweise mit Grundstücksvorhaltekosten in Höhe von 1.710.000 DM
belastet.
b) Es werde ebenfalls unzulässig mit Abbruchkosten für die alte Kläranlage in Höhe von 1.300.000 DM belastet.
c) Der Baukostenzuschuss der ####### werde für ihr Angebot nicht, jedoch zugunsten der Angebote, die die
Erstellung neuer Kläranlagen zum Inhalt haben, berücksichtigt.
d) Die Betriebskosten für die Angebotsvarianten HA und NA 1 seien unzulässig herabgesetzt worden, was zu einer
Benachteiligung hinsichtlich des Barwertes führe.
e) Ihr Dienstleistungsangebot sei zu Unrecht mittelbar mit Wagniszuschlägen dadurch belastet worden, dass diese
nicht zu Lasten der Angebote, die Bauleistungen zum Gegenstand haben, berücksichtigt wurden. Diese müssten,
um eine Vergleichbarkeit herzustellen, mindestens um 5 % der Herstellungskosten erhöht bewertet werden.
f) Die Zinssätze, die den maßgeblichen Kostenbarwert beeinflussen, seien zu niedrig angenommen.
2. Im Vergabeverfahren 13 Verg 10/01 hatte die dortige Antragstellerin beanstandet:
a) Die Vergabestelle habe ihr Angebot NA 2 zu Unrecht aus der Wertung ausgeschlossen. Das vorgeschlagene
Verfahren stelle auf Dauer die wirtschaftlichste Lösung dar.
b) Die ####### - Antragstellerin in vorliegendem Verfahren - sei gemäß § 8 Nr. 6 VOB/A und 7 Nr. 6 VOL/A als
Anstalt Öffentlichen Rechtes aus dem Wettbewerb ausgeschlossen.
c) Die Vergabestelle habe das „echte Nebenangebot“ zur Option NA 1 nicht zutreffend gewertet. Überhaupt sei die
Vergleichbarkeit der Angebote in der Wertung von der Vergabestelle nicht hergestellt worden, was im Einzelnen
wegen 23 Punkten (S. 352 - 353 der Vergabeakten) beanstandet wird.
3. Im Verfahren 13 Verg 11/01 machte die dortige Antragstellerin Verstöße gegen die §§ 25, 25 a VOB/A, 97 Abs. 3
GWB geltend. Sie vertrat die Auffassung, dass ein Zuschlag auf die von der Vergabestelle favorisierte Variante HA
nicht in Betracht komme, weil dies im Gegensatz zu allen anderen Varianten nicht die von der ####### offenbar
beabsichtige Mitbehandlung des Abwassers aus der ####### berücksichtigte. Denn für diese sei lediglich wegen der
Angebote NA 2 und NA 5 die Mitbehandlung des Abwassers als Nebenangebot abgefragt.
Tatsächlich sei aber eine Anpassung der Angebotssummen durch Nachverhandlungen nötig, die allerdings (§ 24 Nr.
1 Abs. 1 VOB/A und 24 Nr. 3, 2. HS VOB/A) hier nicht zulässig seien.
Auch ansonsten sei die Wertung der Angebote fehlerhaft. Bei der Wertung der Angebote NA 1 bis NA 4 sei der
Sondervorschlag der Antragstellerin auf Verzicht des Verbaus nicht berücksichtigt worden.
Bei den Angeboten NA 1 und NA 2 der Antragstellerin seien überdies pauschale Massenrisiken ausgeschlossen.
Gleiches gelte insoweit, als die Antragstellerin in ihren Angeboten den Gesamtenergiebedarf konkret und pauschal
angeboten habe.
C.
Die Vergabekammer hat darüber wie folgt entschieden:
1. Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag im vorliegenden Verfahren 13 Verg 9/01 insgesamt für zulässig,
jedoch nur zum Teil für begründet gehalten.
Zu a)
Die Vorhaltekosten der Grundstücke seien zutreffend behandelt.
Zu b)
Die Vergabestelle dürfe die Abbruchkosten in Höhe von 1,3 Mio. DM nicht zu Lasten des Angebots NA 5 in
Rechnung stellen.
Zu c)
Im Prinzip könne die Vergabestelle den Baukostenzuschuss der ####### berücksichtigen. Dieser sei der Höhe nach
aber unklar. § 17 Absatz 2 des Abwasserreinigungsvertrages müsse zunächst ausgelegt, dann ein zutreffender Wert
ermittelt werden.
Zu d)
Die Vergabestelle müsse mindestens 1 % Instandhaltungskosten für Bautechnik einkalkulieren und die
Betriebskosten „Flockungshilfsmittel“ neu berechnen.
Zu e)
Die Vergabestelle müsse bei der neu vorzunehmenden Wertung auch den „marktüblichen Kostenblock“
Unvorhergesehenes als Risiko und Wagniszuschlag zunächst ermitteln und dann auch berücksichtigen, auch die mit
dem Bau zusammenhängenden Kostenrisiken.
Zu f)
Bei der neu durchzuführenden Wertung müsse die Vergabestelle die aktuellen Zinssätze ermitteln und
berücksichtigen.
2. Im Verfahren zu 13 Verg 10/01 hat die Vergabekammer die Berücksichtigung des Angebotes der ####### zur
Variante NA 4 (Bauleistungen) als gegen die Regelung des § 8 Nr. 6 VOB/A angesehen, nicht jedoch die
Berücksichtigung des Angebotes zur Variante NA 5 (Abwasserbehandlung in einer externen Behandlungsanlage),
weil insoweit der anders lautende § 7 Nr. 6 VOL/A gelte.
Zur Berücksichtigung des Baukostenvorschusses hat sie die bereits vertretene Auffassung, dieser möge ermittelt
und berücksichtigt werden, weiter vertreten und hinsichtlich der Berücksichtigung von Personalkosten verlangt, dass
die Vergabestelle allgemein die Kosten für sechs Mitarbeiter in die Betriebskosten einstelle und nicht den Sonderfall
berücksichtige, dass einer von diesen Mitarbeitern alsbald pensioniert werden könne.
Außerdem seien die unternehmerischen Risiken als Kalkulationsgröße bei der Bewertung der Angebote mit zu
berücksichtigen, soweit diese die Baugewerke beträfen.
3. Im Verfahren 13 Verg 11/01 hat die Vergabekammer den Nachprüfungsantrag insoweit für begründet gehalten, als
die Vergabestelle im Rahmen der Angebotsbewertung zugunsten des favorisierten Angebotes zur Variante HA
keinen angemessenen Risiko und Wagniszuschlag hinsichtlich der Baukosten berücksichtigt und damit gegen das
Gleichbehandlungsgebot des § 97 Abs. 2 GWB verstoßen und insoweit auch das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 97
Abs. 5 GWB verletzt habe.
D.
Gegen alle Beschlüsse wenden sich die sofortigen Beschwerden der Vergabestelle, gegen den Beschluss in
vorliegender Sache auch die Antragstellerin #######.
Zum Beschwerdevorbringen in vorliegender Sache:
Die Antragstellerin verfolgt ihr Begehren weiter und beantragt,
den Beschluss der Vergabekammer Lüneburg vom 9. Mai 2001, Az. 203VgK4/2001, insoweit abzuändern, als die
Vergabestelle verpflichtet wird,
a) bei der Wertung des von der Antragstellerin abgegebenen Angebotes NA 5 Kosten für die Vorhaltung von
Grundstücken für den Neubau eines Klärwerks und damit zusammenhängenden Ausgleichs und Ersatzflächen außer
Betracht zu lassen,
b) bei der Wertung der Angebote HA, NA 1 und NA 2 einen Baukostenzuschuss der ####### mit Ausnahme der
Kosten zur Ertüchtigung der Altanlagen außer Betracht zu lassen,
hilfsweise
bei der Wertung aller Angebote einen Baukostenzuschuss der ####### in Ansatz zu bringen;
c) bei der Berechnung von Betriebskosten für die Angebotsvarianten HA, NA 1 und NA 2 in Bezug auf die
Berechnungsmethode, die Instandhaltungskosten und die Stromkosten nur unter Berücksichtigung der
Rechtsauffassung des Senates zu entscheiden;
d) bei der Wertung der Angebotsvarianten HA, NA 1 und NA 2 in Bezug auf die Berechnung der
Betriebskostenkalkulation ein unternehmerisches Risiko i. H. v. mindestens 5 % der Herstellungskosten
anzusetzen;
e) bei der Wertung der Angebotsvarianten HA, NA 1 und NA 2 in Bezug auf die Kostenentwicklung der
Klärschlammentsorgung nur unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats zu entscheiden;
f) bei der Wertung der Angebotsvarianten HA, NA 1 und NA 2 in Bezug auf die Berechnung des Kreditzinssatzes nur
unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats zu entscheiden.
Die Vergabestelle beantragt,
die sofortige Beschwerde vom 30. Mai 2001 zurückzuweisen und die Anträge abzuweisen.
Sie trägt dazu, zugleich zur Begründung der eigenen sofortigen Beschwerde, vor:
1. Der Antragstellerin ####### könne kein Schaden entstehen, denn sie dürfe keinen Unternehmergewinn erzielen.
2. Mit dem Vorbringen zur Berücksichtigung der Abbruchskosten sei sie präkludiert, denn dies sei bereits in der
Bieterinformation Nr. 1 deutlich gemacht worden.
3. Entgegen der Auffassung der Vergabekammer seien die Abbruchkosten für die alte Kläranlage in Ansehung des
Angebotes NA 5 in voller Höhe ansatzfähig. § 54 NBauO zwinge zu dem Abbruch.
4. Zur Höhe des Baukostenzuschusses ####### treffe die Vertragsauslegung der Vergabekammer nicht zu.
5. Die Vergabekammer habe die Instandhaltungskosten für die Bautechnik nicht richtig ermittelt. Der Ansatz von 0,5
% sei sinnvoll und zutreffend.
6. Für unternehmerische Risiken gebe es keine allgemein verbindlichen Maßstäbe, sodass diese Überlegungen nicht
Eingang in die Bewertung finden könnten.
Die Vergabestelle beantragt,
den Beschluss der Vergabekammer bei der Bezirksregierung Lüneburg zum Az.: 203VgK04/2001 vom 9. Mai 2001
aufzuheben und den Antrag der Antragstellerin vom 10. März 2001 zurückzuweisen.
Die Antragstellerin beantragt,
die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.
Die Antragstellerin verteidigt den angefochtenen Beschluss der Vergabekammer. Zu Lasten der Vergabestelle sei er
richtig.
Der Senat hat die Beteiligten durch Verfügung vom 21. August 2001 darauf hingewiesen, dass die Antragstellerin
####### als Anstalt öffentlichen Rechts vom Vergabeverfahren ausgeschlossen sein könne und die Vergabestelle
eine unzulässige Parallelausschreibung vorgenommen haben könne. Die Parteien halten das wechselseitig aus
Rechtsgründen für nicht zutreffend.
Der Senat dürfe nicht über die Vergaberechtsmäßigkeit der Ausschreibung entscheiden. Auch dürfe die
Antragstellerin nicht ausgeschlossen werden. Denn bisher sei in keinem der Nachprüfungsverfahren im
Zusammenhang mit vorliegender Ausschreibung gerügt worden sei, dass sie eine Anstalt des öffentlichen Rechts
sei. Die Parteien hätten die Disposition über den Gegenstand des Beschwerdeverfahrens.
II.
A.
Die in Form und Frist den Anforderungen des § 117 GWB entsprechenden sofortigen Beschwerden der Vergabestelle
und der Antragstellerin ####### sind das gemäß § 116 GWB zulässige Rechtsmittel gegen den Beschluss der
Vergabekammer Beide Rechtsmittel sind jedoch unbegründet.
B.
Die Vergabebeschwerde der Vergabestelle
1. Ziel der sofortigen Beschwerde ist es, der Vergabestelle die Vergabe ungeachtet der Entscheidung der
Vergabekammer zu ermöglichen.
Der Vergabestelle wurde durch den angefochtenen Beschluss der Vergabekammer verboten,
Abbruchkosten in Höhe von 1,3 Mio. DM zu Lasten des Angebotes NA 5 der Antragstellerin - Abnahme und
Bearbeitung der Abwässer durch Entgelt in Anlagen der Antragstellerin - in ihre Berechnung einzustellen.
Weiter wurde die Vergabestelle angewiesen, Baukostenzuschuss, der ihr von der ####### geschuldet wird, dem
Grunde nach zu berücksichtigen und die sich aus § 17 Absatz 2 des Abwasserreinigungsvertrages der Vergabestelle
mit der ####### ergebende Höhe zunächst zu ermitteln und dann in die Bewertung einzubringen.
Schließlich wurde die Vergabestelle angewiesen, zu Lasten anderer Angebote 1 % Instandhaltungskosten für
Bautechnik einzukalkulieren und die Betriebskosten für „Flockungshilfsmittel“ zu Lasten der anderen Angebote neu
zu berechnen. Letztlich müsse die Vergabestelle für die Angebote auf Bauleistungen, die auf ihre Rechnung erbracht
werden, einen Wagniszuschlag berücksichtigen.
Die Vergabestelle meint, dass dies nicht nötig sei, sie könne dessen ungeachtet vergeben. Ihr Begehren zielt also
darauf hin, entsprechend der von dem von der Vergabestelle beauftragten Ingenieurbüro für Verfahrenstechnik
ausgesprochenen Vergabeempfehlung Bauleistungen, die zum Hauptangebot angeboten wurden, zu vergeben.
Dies leitet die Vergabestelle aus der Angebotsauswertung „Nutzwertanalyse“ zu Ziffer 8. des Ordners 2 der
Vergabeempfehlung her.
2. Die sofortige Beschwerde der Vergabestelle kann ihr Ziel jedoch nicht erreichen, weil schon die Ausschreibung
nicht den Vorschriften des Vergaberechts entspricht. Die Vergabestelle kann deshalb weder die Angebote
sachgerecht werten noch den Zuschlag erteilen.
Die Ausschreibung der von der Vergabestelle nachgefragten Leistungen dient nicht der Vergabe von Bau und
Dienstleistungen im Wettbewerb sondern vergabefremden Zwecken.
Die Ausschreibung ist nicht geeignet, das wirtschaftlichste Gebot einer nachgefragten Leistung festzustellen,
sondern dient primär dem Zweck, das für die Gemeinde günstigste Verfahren der Abwasserbeseitigung zu ermitteln.
Dabei sind überdies Umstände von Bedeutung, die nicht bekannt sind - die Höhe eines etwaigen
Baukostenzuschusses der ####### - und nachträglich vorzunehmende Einschätzungen von Kostenrisiken für
Bauleistungen auf Rechnung der Vergabestelle entsprechend dem Hauptangebot.
Die vorliegenden drei Nachprüfungsverfahren, die zu I. dieses Beschlusses dargestellt sind, zeigen deutlich, dass
die von der Vergabestelle gewählten Kritierien den berechtigten Ansprüchen der Bieter auf ein den Erfordernissen
des Wettbewerbes und dem Gebot der transparenten Vergabe entsprechendes Verhalten nicht genügen. Die
Angebotsauswertung erfolgt nach einer - den Bietern zuvor nicht bekannt gegebenen - „Nutzwertanalyse“ auf der
Grundlage von betrieblichen Erfordernissen der Vergabestelle. Im Vordergrund steht nicht die Vergleichbarkeit der
Angebote, sondern über die Errechnung eines „Kostenbarwertes“ wird ermittelt, welches Verfahren für die
Vergabestelle am günstigsten ist. Auf diese Art und Weise werden erst die Kriterien geschaffen, nach denen der
Auftrag vergeben werden soll. Die Folge ist, wie die Nachprüfungsverfahren zeigen, dass nachträglich Kriterien
heranzuziehen sind wie die Höhe des Baukostenzuschusses der #######, überdies ungleich für die verschiedenen
Angebote.
Dies ist der typische Effekt einer unzulässigen Parallelausschreibung, die nicht auf die Beschaffung von Leistungen
geht, sondern auf die Feststellung zunächst des günstigsten Verfahrens für den Ausschreibenden, um sodann die
Leistungen zu beschaffen. Tatsächlich handelt es sich um mehrere Ausschreibungen nebeneinander und
gleichzeitig.
Diese Bewertung kann die Vergabestelle nicht überraschen, wie sich bereits aus ihrem Vermerk in dem
Aktenumschlag „Prüfungs und Bewertungsgrundlagen“ vom November 2000 ergibt. Auf S. 1 dort ist aufgeführt, dass
die Vergabestelle die ihr ursprünglich kritisch erscheinende und später tatsächlich durchgeführte Art der
Ausschreibung nur hinsichtlich der Überschriften zu den Angeboten veränderte. Dies hatte ihr eine Beratungsstelle
bei der Bezirksregierung Lüneburg angeraten. Entgegen dem ursprünglichen Plan schrieb deshalb die Vergabestelle
die Leistungen nicht zu den Angeboten 1 bis 6 aus, sondern zum Hauptangebot und den Nebenangeboten 1 bis 5,
ohne dass sich inhaltlich etwas änderte. Dieses ändert auch an der Qualität der Ausschreibung nichts.
Zwar ist nicht jede Parallelausschreibung unzulässig. Sie kann geboten sein, wenn berechtigte Interessen der Bieter
im Hinblick auf einen unzumutbaren Arbeitsaufwand gewahrt werden. Davon kann hier aber nicht die Rede sein.
Vielmehr zeigen die Verfahren im Zusammenhang mit dieser Vergabe, dass für die Bieter trotz der Darstellung in den
Angebotsunterlagen nicht erkennbar war, nach welchen Kriterien letztlich vergeben werden würde. Die Bieter konnten
auch ihre Chancen in diesem Verfahren auf Erhalt des Auftrags deshalb nicht einschätzen, weil Bauunternehmen
üblicherweise die betriebswirtschaftlichen und kalkulatorischen Grundlagen der Abwasserbeseitigung, einem streng
in öffentlichrechtliche Vorgaben und Notwendigkeiten eingebundenen Bereich, nicht kennen. Es ist unzumutbar für
einen Bieter, mit Dritten, die nach unbekannten Kriterien arbeiten und von ihm nicht eingeschätzt werden können, in
Wettbewerb zu treten und für die Hergabe eines Angebotes erhebliche Aufwendungen zu machen. Mit der
Vergabekammer Thüringen (Vergaberechtsreport 6/01) ist der Senat der Auffassung, dass ein Vergabeverfahren
nicht der Markterkundung und Wirtschaftlichkeitsberechnung geplanter Verfahren dienen darf. Das ist ein
vergabefremder Zweck, sodass eine solche Ausschreibung gegen die Grundsätze der Ausschreibung gemäß den §§
16 Nr. 2 VOB/A und VOL/A verstößt und damit nicht den Anforderungen des § 97 GWB entspricht. Eine so
angelegte Vergabe wird intransparent und stellt im Übrigen einen Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot des §
97 Abs. 2 GWB dar, da die gewählte Vergabeform einen Vergleich von Angeboten mit unterschiedlichen
Leistungsinhalten und Leistungszielen voraussetzt, mithin Ungleiches gleich behandelt (Heiermann, VOB/A § 16
Rdnr. 11 f.).
3. Der Senat ist nicht gehindert, diese Überlegungen zur Grundlage seiner Entscheidung über die Beschwerde der
Vergabestelle zu machen. Diese Beschwerde hat nämlich das Ziel, eine Vergabe zu ermöglichen. Eben dies kann
die Vergabestelle jedoch auf keinen Fall auf der Grundlage des von ihr gewählten Verfahrens vergaberechtsmäßig
durchführen. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Umstände, die diese Begründung tragen, rechtzeitig von den
Beteiligten gerügt worden sind. Zwar ist im Vergabebeschwerdeverfahren der Senat im Wesentlichen an das
Vorbringen der Parteien gebunden, jedoch ist diese Regelung nicht abschließend. Der Gesetzgeber hat sowohl der
Vergabekammer als auch dem Vergabesenat gemäß §§ 123, 114 Abs. 1 Satz 1 GWB die Verpflichtung zugewiesen,
geeignete Maßnahmen zu treffen, um eine Rechtsverletzung zu beseitigen. Dabei ist auch der Vergabesenat (§§
123, 114 Abs. 1 Satz 2 GWB) an die Anträge nicht gebunden und kann auch unabhängig davon auf die
Rechtsmäßigkeit des Vergabeverfahrens einwirken. Diese Notwendigkeit besteht hier, weil eine
vergaberechtskonforme Wertung der vorliegenden Angebote und ein entsprechender Zuschlag auf der Grundlage der
vorliegenden Ausschreibung nicht möglich ist. Der Vergabesenat muss deshalb darauf hinwirken, dass das
vergaberechtswidrige Vergabeverfahren nicht weiter durchgeführt wird. Dies ist zum einen durch die Zurückweisung
der Vergabebeschwerde der Vergabestelle erfolgt, zum anderen durch die Anweisung an die Vergabestelle, dieses
Vergabeverfahren als nicht vergaberechtsmäßig zu behandeln.
C.
Die Vergabebeschwerde der Antragstellerin hat keinen Erfolg, weil Angeboten der Antragstellerin unter keinen
Umständen der Zuschlag erteilt werden darf.
Die Antragstellerin ist als Bieterin von vornherein ausgeschlossen. Sie ist eine Anstalt des öffentlichen Rechts. Ihr
Ausschluss ist in § 8 Nr. 6 VOB/A ausdrücklich für Bauleistungen geregelt. Da mit der „Parallelausschreibung“
praktisch nebeneinander laufende Vergabeverfahren eingeleitet worden sind, wovon das eine der Beurteilung nach
VOB und das andere der Beurteilung nach VOL unterliegen muss, sind für die Beurteilung des Ausschlusses sowohl
die einen wie auch die anderen Vergabebestimmungen zugrunde zu legen. Überdies sollen sich nach Sinn und
Zweck der Regelungen aber keine Unterschiede bei der Anwendung der Norm ergeben (PrießHausmann, Beck’scher
VOBKomm. § 8 VOB A Rdnr. 156 m. w. N.). Zwar ist der in § 7 Nr. 6 VOL/A genannte Kreis der ausgeschlossenen
Bewerber enger gefasst als in § 8 Nr. 6 VOB/A, da bei der erstgenannten Regelung nicht auch „Betriebe der
öffentlichen Hand und Verwaltungen“ zu den ausgeschlossenen Bewerbern gezählt werden. Gleichwohl teilt der
Senat die dargestellte Ansicht, dass nach Sinn und Zweck der Regelungen keine Unterschiede zu machen sind.
Es verzerrt den Wettbewerb und verstößt gegen das Gebot der Chancengleichheit, wenn ein Unternehmen, das
keinem Insolvenzrisiko ausgesetzt ist, in Wettbewerb mit Unternehmen tritt, die dieses Risiko tragen müssen. Es
mag sein, dass die Antragstellerin derzeit so organisiert ist, dass sie wie ein wirtschaftlich orientiertes Unternehmen
Profit erwirtschaften und sich selbst finanzieren muss. Indessen ist diese Entscheidung nur davon abhängig, wie
das #######, die #######, die Organisation der Antragstellerin ####### gestalten will. Das bedeutet, dass die
Antragstellerin nicht sicher sein kann, dass sie auch in Zukunft nach wirtschaftlichen und wettbewerblichen Kriterien
agieren wird. Das ist hier umso bedeutender, als ihr Angebot eine auf lange Jahre angelegte Verpflichtung zur
Abnahme und Behandlung von Abwässern erfasst. Selbst wenn man diese Leistung isoliert betrachtet und sie nur
der Prüfung nach der VOL/A unterwirft, die einen ausdrücklich normierten Ausschluss einer Anstalt des öffentlichen
Rechts wie der Antragstellerin nicht vorsieht, folgt doch deutlich, dass dieser Ausschluss aus den Prinzipien des
Wettbewerbsrechts erfolgen muss. Denn eine Anstalt öffentlichen Rechtes, die eine langjährig erforderliche und aus
Gründen der Daseinsvorsorge sehr sicher zu stellende Leistung anbietet, wird gegenüber einem
privatwirtschaftlichen Unternehmen immer im Vorteil sein, ohne dass dies auf einer Leistung der Anstalt des
öffentlichen Rechtes beruht. Ursache für das hier wesentliche und entscheidungserhebliche Vertrauen ist nicht eine
Leistung der Antragstellerin. Vielmehr wird eine Gemeinde, die ihr eigenes Klärwerk stilllegt - wie es Grundlage des
NA 5 ist - und einem Unternehmen die Abwasserbeseitigung und Bearbeitung überlässt, ganz erheblichen Wert auf
die Zuverlässigkeit dieses Unternehmens legen und sie eher durch eine Anstalt des öffentlichen Rechts und damit
letztlich durch den Staat garantiert sehen. Diesen Vorsprung an Vertrauen aufgrund der Einbindung einer Anstalt
öffentlichen Rechtes in das Gemeinwesen kann kein Wirtschaftsunternehmen ohne erheblich höheren Aufwand
durch Bürgschaften o. ä. ausgleichen. Mithin fehlt es bei der Teilnahme der Antragstellerin an dem hier in Rede
stehenden Vergabeverfahren an der gebotenen Gleichheit mit privatwirtschaftlichen anderen Bewerbern, die letztlich
einem Insolvenzrisiko ausgesetzt sind.
D.
Die Kosten des Vergabebeschwerdeverfahrens wurden unter entsprechender Anwendung der §§ 92 Abs. 1, 97 ZPO
gegeneinander aufgehoben, weil jede der beiden Beschwerden auch für sich betrachtet keinen Erfolg gehabt hätte
(vgl. BGH NZBau 2001, 151 - 155 ).
E.
Den Streitwert hat der Senat entsprechend der ständigen Rechtsprechung (13 Verg 1/99) auf das Vierfache des
jährlichen Aufwandes nach dem Angebot der
Antragstellerin zu NA 5 unter entsprechender Anwendung des § 1 a Nr. 4 Abs. 2 VOL/A und gemäß § 12 a GKG
festgesetzt.
####### ####### #######