Urteil des OLG Celle vom 24.04.2002

OLG Celle: vergütung, treu und glauben, amtlicher vertreter, verwalter, stufenklage, vorschuss, auskunft, verwertung, vorrang, verfügungsrecht

Gericht:
OLG Celle, 03. Zivilsenat
Typ, AZ:
Urteil, 3 U 211/01
Datum:
24.04.2002
Sachgebiet:
Normen:
InsO § 50, InsO § 51, InsO § 55
Leitsatz:
Im Falle der Insolvenz eines Rechtsanwalts hat die Vergütung des amtlich bestellten Vertreters /
Praxisabwicklers jedenfalls dann 'Vorrang' vor den Gläubigern des § 209 InsO, wenn die Bestellung
zum amtlich bestellten Vertreter / Abwickler zeitlich vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgt
ist.
Volltext:
Oberlandesgericht Celle
Im Namen des Volkes
Urteil
3 U 211/01
6 O 20/01 Landgericht Stade Verkündet am
24. April 2002
#######,
Justizobersekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
In dem Rechtsstreit
pp.
wegen Vergütung des Praxisabwicklers
hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 10. April 2002 durch den
Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht #######, den Richter am Oberlandesgericht ####### und den Richter
am Oberlandesgericht ####### für Recht erkannt:
Auf die Berufung des Klägers wird unter Zurückweisung des weiter gehenden Rechtsmittels das am 15. Juni 2001
verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Stade teilweise geändert und wie folgt neu gefasst:
Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger darüber Auskunft zu geben, welche Forderungen er im Einzelnen seit dem
14. Dezember 2000 in seiner Eigenschaft als amtlich bestellter Vertreter und danach als Praxisabwickler des
Rechtsanwalts ####### eingezogen hat; nach Abzug seiner Aufwendungen und der festgesetzten Vergütung von
10.000 DM hat der Beklagte einen möglichen Überschuss an die Masse zu Händen des Klägers auszuzahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger 2/3 und der Beklagte 1/3.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Beschwer beider Parteien liegt unter 20.000 EUR.
Gründe
Die Berufung hat zum Zahlungsanspruch keinen Erfolg; hingegen ist der Auskunftsanspruch im Wege der
Stufenklage begründet.
I.
Der Kläger, der schon mit Beschluss vom 8. Dezember 2000 mit einem Massegutachten bezüglich des Vermögens
des früheren Rechtsanwalts ####### in ####### beauftragt worden war, wurde am 13. Dezember 2000 zum
vorläufigen ('weichen') Insolvenzverwalter (§ 21 Abs. 2 Nr. 2, 2. Satzhälfte; Zustimmungserfordernis) bestellt.
Den Beklagten bestellte die Rechtsanwaltskammer ####### zum 14. Dezember 2000 mit sofortiger Wirkung zum
amtlichen Vertreter des Rechtsanwalts #######; dazu ernannte ihn das Amtsgericht ####### zu dessen Betreuer
mit den Aufgabenbereichen Vermögenssorge und Praxisangelegenheiten.
Am 18. Dezember 2000 ging in der Kanzlei aus anwaltlicher Tätigkeit die Zahlung eines Dritten in Höhe von 10.000
DM ein. Eine vom Kläger dem Beklagten am 20. Dezember 2000 vorgelegte Vereinbarung über die Beteiligung des
Klägers an den Anwaltshonoraren wurde vom Beklagten nicht unterzeichnet. Daraufhin forderte der Kläger die
Herausgabe der 10.000 DM. Erst am 29. Dezember 2000 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet. Daraufhin wurde
der Beklagte, dem die Rechtsanwaltskammer zuvor empfohlen hatte, seine Vergütung als Vorschuss zu sichern,
zum Praxisabwickler bestellt. Die Rechtsanwaltskammer setzte die Vergütung am 10. Januar 2001 auf 10.000 DM
fest mit der Bestätigung eines Vorschussrechts seit dem 14. Dezember 2000.
Am 25. Januar 2001 zeigte der Kläger dem Amtsgericht die Masseunzulänglichkeit an.
Der Kläger begehrt die Zahlung von 10.000 DM zzgl. Zinsen zur Masse sowie Auskunft und ggf. Zahlung über
Forderungen der Praxis, die der Beklagte nach dem 14. Dezember 2000 vereinnahmt hat (Stufenklage).
Mit dem angefochtenen Urteil, auf dessen Feststellungen ergänzend verwiesen wird, ist die Klage abgewiesen
worden. Dagegen richtet sich die Berufung, in der der Kläger sein Begehren aufrechterhält.
II.
Für die rechtliche Beurteilung gilt:
A
Nach der Regelung der früheren Konkursordnung ging die Vergütung des Abwicklers der des Konkursverwalters vor
(§§ 59 Abs. 1 i. V. m. § 224 Abs. 1 Nr. 6 entspr.; 60 Abs. 1 und Abs. 2 KO; vgl. Feuerich/Braun BRAO 5. Aufl.
2000, § 55 Rn. 36). Denn das Amt des Praxisabwicklers ist vergleichbar dem des Nachlasspflegers oder
Testamentsvollstreckers; die Erfüllung seiner Aufgabe ist zum Schutz der Rechtsuchenden, vor allem zur
Wahrnehmung der bestehenden Mandate unerlässlich (Feuerich/Braun a. a. O., § 55 Rn. 2, 32, 34).
Mit der Einführung der Insolvenzordnung hat sich an diesem Vorrang im Ergebnis nichts geändert. Die Vergütung
und eventuelle Auslagen sind nunmehr vorab zu berücksichtigen (Feuerich/Braun a. a. O. § 55 Rn. 36).
1. Zwar hat die neue gesetzliche Regelung in §§ 53 - 55, 209 InsO unter bewusster Abkehr von § 60 KO die
Vergütungs und Auslagenansprüche des Verwalters als neben den Gerichtskosten einzigen Kosten des
Insolvenzverfahrens privilegiert. Jedoch ist nunmehr die Abwicklervergütung nicht den nachrangigen sonstigen
Masseverbindlichkeiten (§ 55 InsO) zuzuordnen und zwar weder denen, die nach der Anzeige der Masse
Unzulänglichkeit vom Verwalter begründet sind (2. Rang), noch den Altmasseverbindlichkeiten (3. Rang). Denn diese
Masseverbindlichkeiten beruhen alle auf Handlungen des Insolvenzverwalters oder sie sind in anderer Weise aus der
Verwaltung, Verwertung oder Verteilung der Masse in der Verantwortung des Verwalters entstanden. Beides trifft für
die Tätigkeit des amtlichen Vertreters oder des Abwicklers nicht zu.
a) Es gibt auch keinen Grund, die Abwicklervergütung diesen Masseverbindlichkeiten des § 55 InsO gleichzustellen.
Denn derjenige, der mit dem Insolvenzverwalter in vertragliche Beziehungen tritt oder solche wieder aufnimmt, weiß
um die Rechtstellung des Insolvenzverwalters; er kann sich freiwillig dazu entscheiden und ggf. dabei zusätzliche
Sicherheitsabreden mit dem Verwalter treffen. Zudem haftet der Verwalter diesen Beteiligten gegenüber verstärkt
aus §§ 60, 61 InsO.
b) Die Privilegierung des Verwalters nach der InsO ist zudem aus einem weiteren Grunde im Verhältnis mit der
konkurrierenden Rechtstellung des Abwicklers nicht geboten. Denn während nach der Konkursordnung der
eigentliche Zweck des Konkurses darin bestand, dass der Verwalter die Masse mit dem Ziel der Abwicklung in Geld
umsetzte und eine Betriebsfortführung nur im Rahmen des Konkurszwecks zur Haftungsverwirklichung zulässig war,
ist dem vorläufigen Insolvenzverwalter nunmehr die Fortführung aufgegeben (§ 22 InsO). Genau diese Aufgabe kann
der Verwalter bei einer Anwaltskanzlei aber nicht übernehmen und auch - anders als bei einem gewerblichen
Unternehmen - kein von ihm bestellter Erfüllungsgehilfe. Vielmehr ist ein vom Verwalter unabhängiger, nicht
weisungsgebundener amtlicher Vertreter bzw. Abwickler gemäß § 55 Abs. 5 BRAO zu bestellen. Der Verwalter kann
nicht einmal bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Schließung der Kanzlei anordnen. Denn die ordnungsgemäße
Abwicklung, bei der der Abwickler kraft seiner Bestellung die zur Kanzlei gehörenden Gegenstände, zu denen auch
Forderungen und Rechte zählen, gemäß § 53 Abs. 10 BRAO in Besitz zu nehmen sowie alle Sicherungsmaßnahmen
einschließlich der Sichtung und Sicherung der Bankkonten zu ergreifen hat (Feuerich/Braun a. a. O. § 53 Rn. 34; §
55 Rn. 31), ist im rechtsstaatlichen Interesse unverzichtbar. Da diese Aufgabe nicht mit Handlungen des
Insolvenzverwalters in Verbindung steht, fällt dementsprechend die Vergütung dafür nicht unter die
Masseverbindlichkeiten i. S. von §§ 55, 209 InsO.
2. Im vorliegenden Fall steht dem Beklagten ein Absonderungsrecht gemäß §§ 50, 51 Abs. 2 InsO zu.
Da das umfassende Verwaltungs und Verfügungsrecht gemäß §§ 80, 148 InsO erst am 29. Dezember 2000 auf den
Kläger überging, wäre dieser ohne Mitwirkung von Rechtsanwalt ####### am 20. Dezember 2000 gar nicht befugt
gewesen, mit dem Beklagten eine Vergütungsvereinbarung zu treffen. Diese ist auch nicht zustande gekommen.
Hingegen entstand mit der Bestellung am 14. Dezember 2000 für den Beklagten das Recht auf eine Vergütung mit
dem Recht auf Vorschuss (§ 55 Abs. 10 BRAO). Das hat die Rechtsanwaltskammer anschließend bei der
Festsetzung deklaratorisch bestätigt. Nach den Hinweisen der Bundesrechtsanwaltskammer wird dem Vertreter oder
Abwickler empfohlen, zur Sicherung seiner eigenen Vergütung Kostenforderungen geltend zu machen und
einzuziehen (siehe Feuerich/Braun a. a. O. § 55 Rn. 33, 34). Hier sind ohne Zutun des Beklagten am 18. Dezember
2000 die 10.000 DM eingegangen. Abgesehen davon, dass es jedenfalls streitig ist, ob die Praxis und die für die
Praxisfortführung erforderlichen Gegenstände dem Insolvenzbeschlag (§ 35 InsO) unterliegen (Feuerich/Brauch a. a.
O., § 55 Rn. 35), stand bei Eingang des Geldes das Verwaltungsrecht ohnehin noch nicht dem Kläger zu. Das Geld
gelangte somit rechtmäßig in den Herrschaftsbereich des Beklagten als amtlich bestellten Vertreter. Zur Sicherung
seiner Vergütung konnte er das Geld im Fremdbesitz behalten; ob auch schon ein Entnahmerecht auf Vorschuss
bestand, kann dahinstehen.
Bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 29. Dezember 2000 stand dem Beklagten somit jedenfalls ein
Zurückbehaltungsrecht zu, das ihn zur abgesonderten Befriedigung berechtigte. Dies Recht bewirkt hier, dass der
Anspruch des Klägers auf Auskehrung zur Masse unbegründet ist.
Zu Unrecht verweist der Kläger in diesem Zusammenhang auf eine mögliche Haftung der Rechtsanwaltskammer für
die festgesetzte Vergütung. Denn der amtliche bestellte Vertreter kann die Rechtsanwaltskammer nach Treu und
Glauben dann nicht dafür in Anspruch nehmen, wenn er selbst seine Entnahmemöglichkeit nicht ausgenutzt hat
(Feuerich/Braun a. a. O., § 53 Rn. 39).
B
Begründet ist hingegen der Auskunftsanspruch des Klägers.
Gegen den Vertreter oder Abwickler kann der Insolvenzverwalter die dem früheren Anwalt zustehenden Ansprüche
aus §§ 55 Abs. 3, 53 Abs. 9 BRAGO i. V. m. §§ 666, 667 BGB geltend machen.
Der Beklagte hat über die Zeit der Vertretung und Abwicklung Rechnung zu legen. Dazu hat der Kläger unter Hinweis
auf eine Auskunft der Kanzleiangestellten ####### vorgetragen, dass weitere Außenstände bestanden. Dies hat der
Beklagte in erster Instanz nicht einmal bestritten und verweist nunmehr rechtsfehlerhaft darauf, dass der Kläger sich
als Insolvenzverwalter alle Informationen beschaffen könne. Die diesbezüglichen Unterlagen der Kanzlei in Besitz zu
nehmen, war aber Sache des Beklagten. Auch gegenüber dem Insolvenzverwalter hat der Vertreter oder Abwickler
das Berufsgeheimnis zu wahren. Hinzu kommt, dass die Vorgänge in einer Kanzlei nicht nur in Akten sondern auch
gespeichert in Computern erfasst werden. Nur nach Löschung der Aufzeichnungen können diese nach Abwicklung
zur Verwertung an den Insolvenzverwalter herausgegeben werden.
Die Stufenklage ist somit begründet.
III.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92, 708 Nr. 13, 713 ZPO. Dabei ist der Senat von einem Gesamtstreitwert
von 15.000 DM (7.669,38 EUR) ausgegangen.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor (§ 143 ZPO).
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