Urteil des OLG Celle vom 27.09.2000

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Gericht:
OLG Celle, 02. Strafsenat
Typ, AZ:
Beschluss, 32 HEs 8/00
Datum:
27.09.2000
Sachgebiet:
Normen:
StPO § 121 Abs 1
Leitsatz:
1. Eine Verfahrensverzögerung auf Grund eines Kompetenzkonfliktes bzw. einer Anklage vor einem
unzuständigen Gericht kann der Annahme eines wichtigen Grundes entgegenstehen, wenn es sich um
einen groben Fehler handelt wird und dadurch eine erhebliche Verzögerung entsteht.
2. Ein solcher Fehler kann auch in der grob falschen Annahme der örtlichen Unzuständigkeit liegen.
Volltext:
Oberlandesgericht Celle
32 HEs 8/00
115 Js 5053/00 StA #######
B e s c h l u s s
In der Strafsache
gegen den Dreher #######
geb. am 13. Oktober 1975 in ####### (Polen),
#######, Polen,
z. Zt. Untersuchungshaftanstalt #######,
#######,
Verteidiger: RA ####### , #######,
wegen Diebstahls in einem besonders schweren Fall u.a.
hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle im Haftprüfungsverfahren nach § 121, 122 StPO nach Anhörung
der Generalstaatsanwaltschaft durch den Richter am Oberlandesgericht #######, den Richter am Oberlandesgericht
####### und den Richter am Landgericht ####### am 27. September 2000 beschlossen:
Der Haftbefehl des Amtsgerichts ####### vom 29. März 2000 gegen den Angeklagten #######, Az. 162 Gs 330/00,
geändert durch Beschluss des Schöffengerichts ####### vom 11. September 2000, wird aufgehoben.
G r ü n d e
I.
Der Angeschuldigte wurde am 28. März 2000 vorläufig festgenommen und befindet sich seit dem 29. März 2000 auf
Grund des Haftbefehls des Amtsgerichts ####### vom selben Tag ununterbrochen in Untersuchungshaft.
Ihm wurde mit dem Haftbefehl vorgeworfen, sich mit den Mitangeschuldigten Br####### und Bo####### in der
Absicht zusammengeschlossen zu haben, in Wohnungen und Firmengebäude einzubrechen, um Computer und
Computerteile zu entwenden und diese nach einer kurzen Zwischenlagerung in der Wohnung des Angeklagten
Br####### in ####### über Kuriere zum Zwecke des Weiterverkaufs nach Polen zu transferieren. Im Einzelnen
wurden ihnen die in der Nacht vom 28. auf den 29. Oktober 1999 sowie am 21. Januar 2000 in ####### begangenen
Einbruchsdiebstähle in die Räumlichkeiten der Fa. ####### sowie ein weiterer Einbruchsdiebstahl an damals noch
unbekanntem Ort und zu unbekannter Zeit zugeordnet.
Die Staatsanwaltschaft ####### hat am 20. Juni 2000 Anklage vor dem Schöffengericht des Amtsgerichts #######
erhoben. Darin legt sie dem Angeschuldigten zur Last, neben den Taten zum Nachteil der Fa. ####### aus dem
Haftbefehl vom 29. März 2000 - hinsichtlich der ersten Tat auch auf den wahlweisen Vorwurf der Hehlerei ergänzt -
Bandendiebstahl oder gewerbsmäßige Bandenhehlerei in drei weiteren Fällen zum Nachteil der Fa. ####### in
Lüneburg, der Fa. ####### in ####### und der Fa. ####### in ####### begangen zu haben.
Das Schöffengericht hat sich mit Beschluss vom 28. August 2000 für örtlich unzuständig erklärt. Es hat unter dem
11. September 2000 den Haftbefehl u. a. mit der Maßgabe aufrechterhalten, dass der Angeschuldigte in allen Fällen
der Anklage lediglich der Hehlerei bzw. der gewerbsmäßigen Bandenhehlerei dringend verdächtig ist. Gleichzeitig hat
es den Vollzug des Haftbefehls u. a. gegen die Auflage ausgesetzt, eine Sicherheitsleistung von 10.000 DM zu
erbringen. Die Sicherheitsleistung ist bisher nicht erbracht.
II.
Die allgemeinen Voraussetzungen der Untersuchungshaft gemäß § 112 StPO liegen vor.
1. Der dringende Tatverdacht gegen den Angeschuldigte ####### ergibt sich aus dem in der Anklage vom 19. Juni
2000 zutreffend wiedergegebenen Ergebnis der polizeilichen Ermittlungen.
2. Gegen den Angeschuldigten besteht der Haftgrund des § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO. Er hat im Falle einer Verurteilung
mit einer erheblichen Freiheitsstrafe zu rechnen. Daneben droht ihm der Widerruf der Bewährung der vom
Amtsgericht ####### am 18. Januar 1999 verhängten Freiheitsstrafe von 3 Monaten. Damit ist die Annahme
gerechtfertigt, dass er dem in der Straferwartung liegenden erheblichen Anreiz zur Flucht auch unter
Berücksichtigung aller sonstigen Umstände wahrscheinlich nachgeben und flüchtig werden wird, wenn er freikäme
(Kleinknecht/MeyerGoßner, StPO, 44. Aufl., § 122 Rdnr. 24). Der Angeschuldigte ist polnischer Staatsbürger und hat
in Deutschland keine tragfähigen familiären und sozialen Bindungen. Er hält sich nur besuchsweise bei seiner in
####### lebenden Mutter auf und unterhält dort nur eine Postanschrift.
Der Zweck der Untersuchungshaft kann mit weniger einschneidenden Mitteln (§ 116 StPO) nicht erreicht werden.
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist im Hinblick auf die zu erwartende Strafe gegenwärtig nicht berührt.
III.
Die besonderen Voraussetzungen des § 121 Abs. 1 StPO für die Fortdauer der Untersuchungshaft über 6 Monate
hinaus sind indessen nicht gegeben. Wichtige Gründe, die ein Urteil noch nicht zugelassen haben, liegen jedoch
nicht vor.
Die polizeilichen Ermittlungen sind zunächst unter Berücksichtigung des Umfangs der sichergestellten Beweismittel
zügig geführt und mit dem Bericht vom 6. Juni 2000 abgeschlossen worden. Eine kurzzeitige Verzögerung in der
polizeilichen Bearbeitung auf Grund vorrangig geführter Ermittlungen zu einer anderen Straftatenserie konnte durch
die anschließende beschleunigte Sachbehandlung von Seiten Staatsanwaltschaft noch ausgeglichen werden.
Nachdem die Akten am 8. August 2000 bei der Staatsanwaltschaft eingegangen waren, wurde das
Ermittlungsverfahren mit der Fertigung der Anklageschrift am 20. August 2000 abgeschlossen. Die Anklageschrift
wurde den Verteidigern bereits am 29. Juni 2000 zugestellt.
Der weitere Verfahrensablauf ist jedoch mit dem in Haftsachen nach Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG zu beachtenden
Beschleunigungsgrundsatz (BVerfGE 20, 45, 50) unvereinbar und musste zur Aufhebung des Haftbefehls führen. Bei
der Beurteilung ist entscheidend darauf abzustellen, ob die Strafverfolgungsbehörden und Gerichte ihrerseits alle
zumutbaren Maßnahmen getroffen haben, um die Ermittlungen so schnell wie möglich abzuschließen und ein Urteil
herbeizuführen. Je länger bei dem noch nicht verurteilten Beschuldigten Untersuchungshaft vollzogen wird, desto
mehr tritt bei der gebotenen Abwägung das Strafverfolgungsinteresse des Staates zurück (vgl. BVerfG StV 1992,
522 m.w.N.). Eine Verfahrensverzögerung auf Grund eines Kompetenzkonfliktes bzw. einer Anklage vor einem
unzuständigen Gericht kann dabei der Annahme eines wichtigen Grundes entgegenstehen, wenn ein grober Fehler
angenommen wird und dadurch eine erhebliche vermeidbare Verzögerung entsteht (BVerfG StV 2000, 321).
Die vom Schöffengericht zu Unrecht angenommene örtliche Unzuständigkeit und vor allem die verzögerte
Entscheidung haben ein sonst bereits jetzt mögliches Urteil verhindert.
Die Staatsanwaltschaft konnte auf Grund der zum Nachteil der Fa. ####### in ####### in der Nacht vom 28. zum
29. Oktober 1999 begangenen Tat vor dem hinsichtlich des angeklagten Diebstahls örtlich zuständigen
Schöffengericht des Amtsgericht ####### die Anklage erheben (§ 13 StPO). Die in ####### begangenen Diebstähle
waren der Ausgangspunkt der Ermittlungen und begründeten die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft #######.
Im Interesse des zügigen Abschlusses der Ermittlungen war die Erhebung der Anklage vor dem Schöffengericht des
Amtsgerichts ####### sogar geboten. Eine Anklageerhebung vor einem anderen örtlich ebenfalls zuständigen
Schöffengericht hätte nämlich zu einer durch nichts gerechtfertigten Verfahrensverzögerung geführt und wäre mit
dem Beschleunigungsgrundsatz nicht zu vereinbaren gewesen. Eine anderweitige Anklageerhebung hätte zunächst
die Abgabe des Ermittlungsverfahrens an eine andere Staatsanwaltschaft erforderlich gemacht. Ob die
Staatsanwaltschaft ####### oder ####### zu einer Verfahrensübernahme bereit gewesen wären, war ungewiss.
Verpflichtet dazu waren sie nicht.
Eine weitere nicht zu rechtfertigende Verfahrensverzögerung ist vor allem dadurch erfolgt, dass das Schöffengericht
sich erst etwa zwei Monate nach Eingang der Anklageschrift und fast sechs Wochen nach Eingang der
Stellungnahme der Staatsanwaltschaft durch Beschluss für örtlich unzuständig erklärt hat, ohne dass in dieser Zeit
und danach eine Verfahrensförderung stattgefunden hätte. Der Angeschuldigte befand sich zu diesem Zeitpunkt
bereits seit fünf Monaten in Untersuchungshaft.
Es ist davon auszugehen, dass ohne diese Verzögerungen ein Urteil bis jetzt möglich gewesen wäre. Das
Schöffengericht hätte noch im Juli 2000 über die Eröffnung des Hauptverfahrens entscheiden können und – nach
seiner von der Generalstaatsanwaltschaft ermittelten Terminslage am 21. August 2000 mit der Hauptverhandlung
beginnen können. Gegebenenfalls hätten bereits terminierte Sachen, in denen der Angeklagte nicht in
Untersuchungshaft war, verlegt werden müssen.
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