Urteil des OLG Celle vom 18.01.2002

OLG Celle: hund, ordnungswidrigkeit, gemeinde, stadt, verordnung, niedersachsen, kontrolle, analogie, bestimmtheit, vergleich

Gericht:
OLG Celle, 02. Senat für Bußgeldsachen
Typ, AZ:
Beschluß, 322 Ss 235/01
Datum:
18.01.2002
Sachgebiet:
Normen:
GefTVI § 1 Abs. 1 Nr. 2, GefTVO § 1 Abs. 6 Satz 2, GefTVO § 6 Abs. 1 Nr. 6
Leitsatz:
§ 1 der Niedersächsischer Gefahrtierverordnung erfasst lediglich Hunde der dort aufgeführten Rassen,
Typen oder Kreuzungen, die in Niedersachsen gehalten werden.
Volltext:
Oberlandesgericht Celle 322 Ss 235/01 (Owiz) 405 Js 13438/01 StA ####### B e s c h l u s s In der
Bußgeldsache gegen ####### ####### ####### wegen einer Ordnungswidrigkeit nach der Niedersächsischen
Gefahrtier-Verordnung hat der 2. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Celle auf die zugelassene
Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts #######vom 10. September 2001 nach
Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht #######, die
Richterin am Oberlandesgericht ####### und den Richter am Landgericht ####### am 18. Januar 2002 beschlossen:
Das angefochtene Urteil wird aufgehoben. Die Betroffene wird freigesprochen. Die Kosten des Verfahrens und die
notwendigen Auslagen der Betroffenen fallen der Landeskasse zur Last. G r ü n d e : I. Das Amtsgericht #######
hat die Betroffene wegen eines Verstoßes gegen die Niedersächsische Gefahrtierverordnung (GefTVO) zu einer
Geldbuße von 200 DM verurteilt. Nach den Feststellungen ließ die Betroffene am 8. Oktober 2000 gegen 16.45 Uhr
in der Straße #######in der Gemeinde #######, Ortschaft #######, ihren Pit Bull Terrier ####### ohne Leine und
Maulkorb so weit entfernt von sich laufen, dass sie keinen direkten Einfluss mehr auf das Tier hatte. Das
Amtsgericht hat die Betroffene, die den Vorfall bestreitet, aufgrund der glaubhaften Aussage des Zeugen ####### für
überführt angesehen und eine Geldbuße nach § 1 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 6 Satz 2, § 6 Abs. 1 Nr. 6 und Abs. 2 GefTVO
verhängt. Gegen die Verurteilung wendet sich die Betroffene mit ihrer mit einem Zulassungsantrag verbundenen
Rechtsbeschwerde. Der Senat hat durch Beschluss vom 16. Januar 2002 die Rechtsbeschwerde gemäß § 80 Abs. 2
Nr. 1 OWiG zur Fortbildung des sachlichen Rechts zugelassen. II. Das Rechtsmittel hat Erfolg. Die Betroffene ist
freizusprechen. 1. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 GefTVO ist es verboten, nicht gewerblich Hunde der Rasse Pit Bull Terrier
zu halten, zu züchten oder zu vermehren. Für die Haltung eines solchen Hundes kann nach § 1 Abs. 2 GefTVO
unter bestimmten, hier nicht vorliegenden Voraussetzungen eine schriftliche Ausnahmegenehmigung erteilt werden.
Nach § 1 Abs. 6 Satz 1 GefTVO darf der Tierhalter oder die Tierhalterin Hunde nach Absatz 1 außerhalb einer
Privatwohnung oder eines ausbruchsicheren Grundstücks nur persönlich führen oder eine Person, die eine
Bescheinigung des Landkreises oder der kreisfreien Stadt über die notwendige Sachkunde besitzt, damit
beauftragen. Nach § 1 Absatz 6 Satz 2 GefTVO ist beim Führen des Hundes außerhalb einer Privatwohnung oder
eines ausbruchsicheren Grundstücks dieser anzuleinen und mit einem Maulkorb zu versehen. Nach § 1 Abs. 6
Sätze 3, 4 GefTVO sind außerdem die Ausnahmegenehmigung und gegebenenfalls die Bescheinigung über die
Sachkunde zur Führung des Hundes mitzuführen und bei Kontrolle vorzulegen. § 1 Abs. 6 Satz 2 GefTVO bezieht
sich somit nach dem Geltungsbereich, dem Wortlaut und der Verordnungssystematik wie auch der vorhergehende
Satz 1 auf die in § 1 Abs. 1 GefTVO aufgeführten Hunderassen oder Typen, u. a. Pit Bull Terrier, und Kreuzungen
dieser Rassen und Typen, sofern der in Rede stehende Hund in Niedersachsen gehalten wird und damit
grundsätzlich die Voraussetzungen für die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung zur Haltung erfüllt. Die Betroffene
hält ihren Pit Bull Terrier ####### jedoch in #######, wo sie lebt. § 1 GefTVO in seiner Gesamtheit kann sich
deshalb auf sie nicht beziehen, sie war demgemäß nicht verpflichtet, eine Ausnahmegenehmigung nach § 1 Abs. 2
GefTVO zu erwirken. Dementsprechend kann sie sich auch nicht einer Ordnungswidrigkeit nach § 6 Abs. 1 Nr. 6
GefTVO schuldig gemacht haben, welche Bußgeldvorschrift Verstöße gegen § 1 Abs. 6 Satz 2 GefTVO erfasst. 2.
Eine Ordnungswidrigkeit nach § 6 Abs. 1 Nr. 6 GefTVO liegt aber auch aus einem weiteren Grund nicht vor. Nach §
6 Abs. 1 Nr. 6 GefTVO handelt nur ordnungswidrig, wer entgegen einer vollziehbaren Anordnung nach § 1 Abs. 6
Satz 2 den Hund ohne Maulkorb oder unangeleint führt. Ohne eine ausdrückliche vollziehbare Anordnung liegt bei
einem Ausführen eines Hundes der in § 1 Abs. 1 GefTVO aufgeführten Rassen oder Typen unangeleint und ohne
Maulkorb zwar möglicherweise ein Verstoß gegen § 1 Abs. 6 Satz 2 GefTVO vor, dieser ist jedoch nicht
bußgeldbewehrt. Eine vollziehbare Anordnung nach § 1 Abs. 6 Satz 2 GefTVO, den Pit Bull Terrier ####### nur
angeleint und mit Maulkorb auszuführen, haben die Gemeinde #######oder der Landkreis ####### gegen die
Betroffene nicht erlassen, wobei eine solche Anordnung auf der Grundlage des § 1 GefTVO gegen die in #######
wohnhafte und dort ihren Hund haltende Betroffene nach dem oben unter II. 1. Ausgeführten auch gar nicht ergehen
dürfte. Zwar dürfte es sich bei der Formulierung des § 6 Abs. 1 Nr. 6 GefTVO um ein Versehen des
Verordnungsgebers handeln. Eine amtliche Begründung gibt es nicht. Aus dem Verordnungszweck erschließt sich
nicht, weshalb ein Verstoß gegen den Leinen- und Maulkorbzwang für die in § 1 Abs. 1 GefTVO aufgeführten
Rassen und Typen nur dann bußgeldbewehrt ist, wenn er zusätzlich zu der ausdrücklichen generellen Anordnung in
§ 1 Abs. 6 Satz 2 GefTVO nochmals vollziehbar angeordnet worden ist, während für die in Anlage 1 aufgeführten,
vom Verordnungsgeber offenbar als weniger gefährlich eingeschätzten Hunde nach § 6 Abs. 1 Nr. 8 GefTVO ein
Verstoß gegen den Leinen- und Maulkorbzwang nach § 2 Abs. 1 GefTVO unmittelbar bußgeldbewehrt ist. Für ein
Versehen spricht auch der Vergleich mit § 6 Abs. 1 Nrn. 3 und 4 GefTVO. Soweit diese einen Verstoß gegen eine
vollziehbare Anordnung voraussetzen, wird auch in den in Bezug genommenen Absätzen 4 und 5 des § 1 GefTVO
eine Anordnung des Landkreises oder der kreisfreien Stadt erfordert. 3. Dem Senat ist es verwehrt, § 6 Abs. 1 Nr. 6
GefTVO zu Lasten der Betroffenen entgegen seinem ausdrücklichen Wortlaut dahin auszulegen, dass die Vorschrift
Hundehalter über den Geltungsbereich der Verordnung hinaus erfassen will und dass es einer vollziehbaren
Anordnung des Leinen- und Maulkorbzwangs bei den Hunden nach § 1 Abs. 1 GefTVO nicht bedarf. Das Gebot der
tatbestandlichen Bestimmtheit im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht verbietet eine Analogie zu Lasten der
Betroffenen. 4. Damit kommt nur die Ordnungswidrigkeit nach § 6 Abs. 1 Nr. 8 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 GefTVO
in Betracht, nach welchen Vorschriften ordnungswidrig handelt, wer nicht gewerblich einen in der Anlage 1 zu der
GefTVO aufgeführten Hund hält und diesen außerhalb einer Privatwohnung oder eines ausbruchsicheren
Grundstücks ohne Maulkorb oder unangeleint führt. In dieser Anlage sind zwar eine Reihe als gefährlich geltender
Hunde aufgezählt; zu diesen gehört jedoch nicht der Pit Bull Terrier. Auch diese Bußgeldvorschrift greift also im
konkreten Fall nicht ein. 5. Auf die derzeit offene Frage, inwieweit einzelne Regelungen der Niedersächsischen
Gefahrtierverordnung einem zurzeit beim Bundesverwaltungsgericht anhängigen Normenkontrollverfahren
standhalten (vgl. Senatsbeschluss vom 27. August 2001 – 322 Ss 153/01 (Owi) –), kommt es nach alledem
vorliegend nicht an. 6. Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 Abs. 1 OWiG, § 467 StPO. ####### #######
#######