Urteil des OLG Celle vom 29.02.2012

OLG Celle: gericht erster instanz, widerklage, erlass, rüge, bindungswirkung, gefahr, rechtskraft, geschäftsführer, bedingung, vollstreckbarkeit

Gericht:
OLG Celle, 04. Zivilsenat
Typ, AZ:
Urteil, 4 U 74/11
Datum:
29.02.2012
Sachgebiet:
Normen:
ZPO § 301, ZPO § 509
Leitsatz:
1. Die Zulässigkeit eines Teilurteils kann im Berufungsverfahren auch ohne Rüge überprüft werden.
2. Ein VorbehaltsTeilurteil über eine Widerklage ist unzulässig, wenn das Gericht erster Instanz
Einwendungen nicht nur wegen der Besonderheiten des Urkundsverfahrens zurückgewiesen hat.
Volltext:
Oberlandesgericht Celle
Im Namen des Volkes
Urteil
4 U 74/11
25 O 10/10 Landgericht Hannover
Verkündet am
29. Februar 2012
…,
Justizobersekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
In dem Rechtsstreit
C. E. I. GmbH, vertreten durch den Geschäftsführer M. R., …
Klägerin und Berufungsklägerin,
Prozessbevollmächtigte:
Anwaltsbüro …
gegen
H. R. G. mbH & Co. - P. - KG, gesetzlich vertreten durch H. R. G. V. II GmbH,
diese vertreten durch den Geschäftsführer T. H., …
Beklagter und Berufungsbeklagter,
Prozessbevollmächtigte:
Anwaltsbüro …
hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht … sowie
die Richter am Oberlandesgericht … und … auf die mündliche Verhandlung vom 14. Februar 2012 für Recht erkannt:
Das VorbehaltsWiderklageTeilurteil im Urkundsverfahren der 25. Zivilkammer (5. KfH) des Landgerichts Hannover
vom 26. Mai 2011 wird aufgehoben.
Das Verfahren wird an das Landgericht zurückverwiesen, das auch über die außergerichtlichen Kosten des
Berufungsverfahrens zu entscheiden hat.
Gerichtskosten für das Berufungsverfahren werden nicht erhoben.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Parteien streiten um Reinigungskosten für das R. in H.
Wegen des Sachverhalts wird auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen.
Soweit für das Berufungsverfahren von Interesse wird Folgendes ausgeführt:
Die Beklagte hatte die Klägerin im Wege der Widerklage im Urkundsverfahren auf Zahlung von vertraglich
vereinbarten Abschlägen für die Reinigung des R. 2010 für die Monate Januar bis März 2011 in Anspruch
genommen. Wegen der Kosten für das Jahr 2010 hat sie in erster Instanz die Widerklage umgestellt und den
Anspruch auf eine Schlussrechnung gestützt. die Abschläge für die ersten drei Monate des Jahres 2011 werden
weiter im Urkundsverfahren verfolgt. Das Landgericht hat insoweit ein VorbehaltsTeilurteil mit dem Inhalt erlassen,
dass die Klägerin zur Zahlung der Abschläge für das Jahr 2011 soweit rechtshängig - verurteilt wurde. Ein
Zurückbehaltungsrecht der Klägerin bestehe u. a. deswegen nicht, weil diese mit ihrem auf vergaberechtliche
Verstöße beruhenden Vorbringen keine Einwendungen erhebe, die von ihr als ein in seinen Informationsrechten
verletzter Bieter erhoben worden seien. im übrigen fehle es ungeachtet der ersichtlich fehlenden substantiellen
Begründung der Behauptung, die Beklagte habe wegen kollusiven Zusammenarbeitens mit Leistungserbringern
gegen Vergabrecht verstoßen, hierfür an urkundlich belegten Tatsachen. Wegen der Rechnung für das Jahr 2010 ist
der Rechtsstreit noch im „normalen“ Verfahren vor dem Landgericht anhängig, um weitere Sachverhaltsklärung zu
betreiben.
Die Klägerin wendet sich gegen die Verurteilung mit diversen Argumenten, insbesondere demjenigen, dass der
zwischen den Parteien geschlossene Vertrag, aus dem sich die Verpflichtung der Klägerin zur Zahlung der
Abschläge ergebe, unwirksam sein soll.
Die Klägerin stellt die Anträge,
das Vorbehalts, WiderklageTeilurteil im Urkundsverfahren des Landgerichts Hannover, Az.: 25 O 10/10, verkündet
am 26. Mai 2011, aufzuheben und die Widerklage abzuweisen.
hilfsweise das Vorbehalts, WiderklageTeilurteil im Urkundsverfahren des Landgerichts Hannover, Az.: 25 O 10/10,
verkündet am 26. Mai 2011, aufzuheben und die Widerklage als im Urkundsprozess als unstatthaft abzuweisen.
Die Beklagte stellt den Antrag,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil.
Wegen des weitergehenden Berufungsvorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen
verwiesen.
II.
Die zulässige Berufung der Klägerin führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der
Sache an das Landgericht. Das Vorbehaltsteilurteil des Landgerichts zur im Urkundsverfahren geführten Widerklage
ist gemäß § 538 Abs. 2 Nr. 7 ZPO unzulässig. Dem Erlass eines Teilurteils nach § 301 Abs. 1 ZPO steht entgegen,
dass die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen besteht. Das Landgericht hat kein Grundurteil erlassen.
1. Unerheblich ist, dass die Zulässigkeit des Teilurteils von der Berufungsführerin nicht gerügt wurde. Diese Prüfung
ist auch ohne eine entsprechende Rüge von Amts wegen vorzunehmen (vgl. für die Revisionsinstanz, BGH, Urt. v.
11. Mai 2011, Az.: VIII ZR 42/10).
Gem. § 538 Abs. 2 Satz 3 ZPO schadet nicht, dass die Klägerin einen entsprechenden Antrag auf Aufhebung und
Zurückverweisung nicht gestellt hat.
2. § 301 Abs. 1 Satz 2 ZPO besagt, dass über den Teil eines einheitlichen Anspruchs, der nach Grund und Höhe
streitig ist, nur durch Teilurteil entschieden werden kann, wenn zugleich ein Grundurteil über den restlichen Teil des
Anspruchs ergeht. Hieraus wird gefolgert, dass ein Teilurteil nur dann zulässig sei, wenn es dazu führe, dass der von
ihm erfasste Teil für das weitere Verfahren in der jeweiligen Instanz ausscheidet und die Entscheidung über ihn
durch die Fortsetzung des Verfahrens in der Instanz nicht mehr beeinflusst werden kann
(MüKo/Musielak, ZPO, 3. Aufl., § 301 Rn. 7, 9 m. w. N.). Die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen besteht,
wenn in einem Teilurteil eine Frage entschieden wird, die sich dem Gericht im weiteren Verfahren über andere
Ansprüche oder Anspruchsteile noch einmal stellt oder stellen kann. dies gilt auch insoweit, als es um die
Möglichkeit einer unterschiedlichen Beurteilung von bloßen Urteilselementen geht, die weder in Rechtskraft
erwachsen noch das Gericht nach § 318 ZPO für das weitere Verfahren binden (BGH, Urteil vom 9. November 2011,
Az: IV ZR 171/10 m. w. N.. OLG Hamm, Urt. v. 11. Okt. 2011, Az.: 28 U 78/11. Rn. 27 aus juris). Dies gilt
insbesondere bei einer Mehrheit selbständiger prozessualer Ansprüche, wenn zwischen diesen eine
materiellrechtliche Verzahnung besteht (BGH, Urteil vom 9. November 2011, Az: IV ZR 171/10 m. w. N.).
Widersprüchlichkeit meint keinen Rechtskraftkonflikt, der bei Teilentscheidungen in aller Regel nicht auftritt, sondern
umfasst bereits Fälle der Präjudizialität, d. h. die Entscheidung des Reststreits darf nicht eine Vorfrage für den
entscheidungsreifen Teilstreit umfassen. für die in § 301 Abs. 1 ZPO gesondert erwähnte Widerklage gilt nichts
anderes (OLG Stuttgart NJW RR 1999, 141).
Allerdings kann durch Teilvorbehaltsurteil über eine konnexe Urkundenwiderklage entschieden werden, weil ein
endgültiger Widerspruch im Nachverfahren durch gemeinsame Verhandlung von Klage und Widerklage vermieden
werden kann (Wieczorek/Schütze Rensen, ZPO, 3. Aufl., § 301 Rn. 44. BGH NJW 2002, 751).
3. Der Übertragung der letzten Überlegung auf den hiesigen Fall steht jedoch Folgendes entgegen: Auch nach der
von der Beklagten zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs steht die Entscheidung über die
Urkundswiderklage durch Teilvorbehaltsurteil unter der Bedingung, dass der Erlass eines Teilurteils nicht aus
anderen Gründen ausnahmsweise unzulässig ist (NJW 2002, 751, 753). Solche Gründe sind vorliegend jedoch
gegeben. Denn im Urkundsverfahren besteht die Besonderheit, dass der Vortrag einer Partei, sofern er als
unsubstantiiert oder unschlüssig zurückgewiesen wurde, aufgrund der bestehenden Bindungswirkung im
Nachverfahren nicht mehr berücksichtigt werden kann (ZöllerGreger, ZPO, 29. Aufl., § 600 Rn. 19 f.). Dies ist
vorliegend der Fall. Denn die Kammer hat in ihrer Entscheidung die Zurückweisung eines Zurückbehaltungsrechts
der Klägerin nicht nur auf die Besonderheiten der Statthaftigkeit des Vortrags und Beweises im Urkundsverfahren
gestützt, sondern in der Sache begründet und auch auf die ersichtlich fehlende substantielle Begründung einer
Behauptung hingewiesen. Demzufolge wäre aber die Klägerin mit diesen Behauptungen, die sich gegen Ansprüche
aus dem Vertrag überhaupt richten, im Nachverfahren ausgeschlossen. Dies hätte aber Auswirkungen auf die
Entscheidung des Landgerichts oder der Rechtsmittelinstanzen hinsichtlich der beim Landgericht verbliebenen
Teilwiderklage im „normalen“ Verfahren für die für 2010 geltend gemachte Abschlussrechnung. Auch insoweit ist von
Belang, ob der zwischen den Parteien geschlossene Vertrag in allen Einzelheiten wirksam ist oder nicht. Zwar
erwächst diese Feststellung bzw. die Klärung dieser Frage für die Monate Januar bis März 2011 nicht in Rechtskraft,
hat aber gerade jene Präjudizialität aufgrund der Bindungswirkung für das Nachverfahren, die zu widersprüchlichen
Entscheidungen hinsichtlich der Wirksamkeit des Vertrags für das Jahr 2010 führen kann, denen durch das Verbot
des (unzulässigen) Teilurteils begegnet werden soll.
Es bedarf deshalb keiner Entscheidung, ob generell der Erlass des Teilvorbehaltsurteils unzulässig ist, wenn über
den Teil einer ursprünglich im Urkundsverfahren erhobenen Widerklage ein Urteil ergeht und der Rest in erster
Instanz zur weiteren Sachverhaltsklärung anhängig bleibt.
III.
Die Entscheidung über die Gerichtskosten beruht wegen der Unzulässigkeit des Teilurteils auf § 21 GKG. Eine
Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten war aufgrund der Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung des
Rechtsstreits nicht veranlasst. Die Regelung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeht aufgrund des § 708 Nr. 10
ZPO.
Für die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO bestand keine Veranlassung, da die Entscheidung
auf den konkreten Umständen des Einzelfalls beruht.
… … …