Urteil des OLG Celle vom 18.10.2011

OLG Celle: unabhängigkeit des richters, bindungswirkung, sittenwidrigkeit, nichtigkeit, report, datum, gerichtsbarkeit

Gericht:
OLG Celle, 04. Zivilsenat
Typ, AZ:
Beschluss, 4 AR 55/11
Datum:
18.10.2011
Sachgebiet:
Normen:
ZPO § 36 Abs 1 Nr 6, ZPO § 563 Abs 2
Leitsatz:
Eine Zuständigkeitsbestimmung ist grundsätzlich wegen der Bindungswirkung aus § 563 Abs. 2 ZPO
analog unzulässig, nachdem das Beschwerdegericht unter Aufhebung des mit der Beschwerde
angefochtenen Beschlusses des Insolvenzgerichts die Sache an das Vollstreckungsgericht
zurückverwiesen hat.
Volltext:
4 AR 55/11
8a M 681/09 Amtsgericht Stolzenau
3 T 111/10 Landgericht Verden
Beschluss
In dem Verfahren
über die Bestimmung des zuständigen Gerichts
I. Sch., …
Gläubigerin,
Verfahrensbevollmächtigte:
Anwaltsbüro G., …
gegen
H. Sch., …
Schuldner,
Verfahrensbevollmächtigter:
Rechtsanwalt F. S., …
hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle durch die Richter am Oberlandesgericht … und … sowie die
Richterin am Oberlandesgericht … am 18. Oktober 2011 beschlossen:
Die mit Beschluss des Amtsgerichts - Vollstreckungsgericht - Stolzenau vom 12. Oktober 2011 erfolgte Vorlage der
Akten an das Oberlandesgericht zur Bestimmung des zur Fortführung des Vollstreckungsverfahrens zuständigen
Gerichts ist unzulässig.
Die Akten werden dem Amtsgericht - Vollstreckungsgericht - Stolzenau als für die Fortsetzung des
Vollstreckungsverfahrens zuständigem Gericht wieder zurück gereicht.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. außergerichtliche Auslagen werden nicht erstattet.
Gründe
Die mit Beschluss des Amtsgerichts Stolzenau vom 12. Oktober 2011 gemäß § 36 Nr. 6 ZPO erfolgte Vorlage der
Akten an das Oberlandesgericht ist unzulässig. Denn die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung
durch das Oberlandesgericht als das zunächst gemeinschaftlich höhere Gericht liegen nicht vor.
Zwar kann das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 36 Nr. 5 und 6 ZPO grundsätzlich auch
bei einem Streit über die Zuständigkeit im Instanzenzug in Betracht kommen, beispielsweise bei der Frage der
Beschwerdezuständigkeit des Landgerichts gemäß § 72 Abs. 1 GVG (vgl. statt aller Zöller/Vollkommer, ZPO, 28.
Aufl., § 36 Rn. 30 m. w. N.). Keine Zuständigkeitsbestimmung erfolgt dagegen bei einem Streit der am Rechtszug
beteiligten Gerichte über die bindende Wirkung einer Aufhebung und Zurückverweisung (Zöller/Vollkommer, a. a. O..
BGH NJW 79, 719. NJW 1994, 2956). Denn nach Aufhebung und Zurückverweisung der Sache hat das
erstinstanzliche Gericht gemäß § 563 Abs. 2 ZPO, der bei Zurückverweisung durch das Beschwerdegericht
entsprechende Anwendung findet, die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde gelegen hat, auch seiner
Entscheidung zugrunde zu legen (vgl. auch OLG Frankfurt OLG Report 2008, 29 m. w. N.). Aufgrund der
Bindungswirkung hat das Amtsgericht Stolzenau auch im vorliegenden Fall davon auszugehen, dass es als
Vollstreckungsgericht zur Fortführung des Verfahrens zuständig ist. Ob das Landgericht Verden seinen Beschluss
vom 7. Juli 2011 unter Verkennung des § 567 Abs. 2 ZPO getroffen hat oder nicht, ist rechtsunerheblich, weil selbst
dann, wenn die Beschwerdeentscheidung des Landgerichts auf einer Gesetzesverletzung beruht, die
Bindungswirkung für das Amtsgericht Stolzenau dadurch nicht durchbrochen wird.
Diese vorstehend geschilderte Rechtslage hat das Amtsgericht Stolzenau in seinem Vorlagebeschluss vom 12.
Oktober 2011 auch grundsätzlich nicht verkannt, wie die Ausführungen zur vermeintlichen Zulässigkeit der Vorlage
auf S. 2 unten des Vorlagebeschlusses zeigen. Der Senat vermag der Auffassung des Amtsgerichts Stolzenau,
dass im vorliegenden Fall ausnahmsweise die dem Zurückverweisungsbeschluss gemäß § 563 Abs. 2 ZPO analog
zukommende Bindungswirkung entfalle, nicht zuzustimmen. Denn der Bundesgerichtshof hat in der Entscheidung
NJW 1994, 2956, 2957 (ab linke Spalte ganz unten) zwar unter Verweis auf ausdrücklich so bezeichnete eher
theoretische Möglichkeiten, Fälle, in denen eine gerichtliche Entscheidung von vornherein nichtig und wirkungslos
sein soll, ausnahmsweise auch eine Durchbrechung der Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses für
denkbar gehalten. Ein solcher Fall der Nichtigkeit oder Wirkungslosigkeit gerichtlicher Entscheidungen kann etwa
vorliegen, wenn dem entscheidenden Gericht die Gerichtsbarkeit fehlt (vgl. Zöller/Vollkommer, a. a. O., vor § 300
Rn. 15 m. w. N.. auch zu weiteren hier erkennbar nicht vorliegenden Fallgruppen wie der Sittenwidrigkeit von
gerichtlichen Entscheidungen oder den Fall, dass eine Entscheidung eine dem Recht unbekannte Rechtsfolge
ausspricht). All diese Fallgestaltungen stehen hier nicht in Rede, auch nicht die weiter denkbare Situation, dass die
Bindungswirkung wegen neuer, bei der zurückverweisenden Entscheidung noch nicht bekannter Tatsachen in Frage
gestellt wird (vgl. dazu Zöller/Heßler, a. a. O., § 563 Rz. 3 a m. w. N.).
Übrig bleibt hiernach, dass nach Auffassung des Amtsgerichts Stolzenau die Bindungswirkung deshalb entfallen
soll, weil die dem Zurückverweisungsbeschluss zugrunde liegende Rechtsauffassung des Landgerichts als
Beschwerdegericht rechtlich falsch sein soll. Dieser Rechtsauffassung des Amtsgerichts Stolzenau kann selbst nur
für den Fall, dass die Begründung des Beschlusses des Landgerichts vom 7. Juli 2011 grob falsch oder sogar unter
verfassungsrechtlichen Bezügen als fehlerhaft zu bewerten sein sollte, nicht beigepflichtet werden. Denn selbst bei
einem greifbar gesetzwidrigen Fehler des Zurückverweisungsbeschlusses oder auch verfassungsrechtlichen
Bedenken ist die Entscheidung als bindend zu respektieren (Zöller/Heßler, a. a. O.. BGH NJW 2007, 1127, 1129. a.
A. wohl OLG Schleswig ZIP 2005, 1127, 1129 bei materiellrechtlichen Bedenken). Dieser vorherrschenden
Auffassung schließt sich der Senat an. Für sie spricht, dass insbesondere die Unabhängigkeit des Richters ihre
Grenze in der Bindung des Richters an das Gesetz seine Grenze finden muss. Die in der Rechtsprechung auch des
Bundesgerichtshofs entwickelten Fälle der Durchbrechung der Bindungswirkung von Verweisungsbeschlüssen im
Rahmen von § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO auch im Falle evident unrichtiger Entscheidungen sind mit der
Bindungswirkung eines Zurückverweisungsbeschlusses nicht vergleichbar und auf diesen Fall nicht analog
übertragbar. Denn bei einer Aufhebung und Zurückverweisung durch das Rechtsmittelgericht liegt anders als im Fall
des § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO eine Entscheidung des übergeordneten Gerichts vor, durch die das Gericht der
Vorinstanz nicht nur hinsichtlich des Ausspruchs der Zurückverweisung der Sache, sondern auch hinsichtlich der
tragenden Gründe umfassend gebunden wird (BGH NJW 1994, 2956, 2957 rechte Spalte).
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