Urteil des OLG Celle vom 08.12.2011

OLG Celle: amt für jugend, akteneinsicht, elterliche sorge, jugendamt, einsichtnahme, vormundschaft, pflegeeltern, form, ausnahme, anschluss

Gericht:
OLG Celle, 10. Zivilsenat
Typ, AZ:
Beschluss, 10 UF 283/11
Datum:
08.12.2011
Sachgebiet:
Normen:
FamFG § 13 Abs 2, FamFG § 58 Abs 1, EGGVG § 23
Leitsatz:
Die Entscheidung über das Akteneinsichtsgesuch eines nicht an dem Verfahren beteiligten Dritten ist
kein Justizverwaltungsakt gemäß § 23 EGGVG, sondern ein Akt der Rechtsprechung. Als eine das
Einsichtsgesuch des Dritten abschließend bescheidende Endentscheidung i.S. des § 58 Abs. 1
FamFG ist diese mit der Beschwerde anfechtbar (im Anschluss an KG FGPrax 2011, 157 = FamRZ
2011, 1415).
Volltext:
10 UF 283/11
608 F 6830/09 Amtsgericht Hannover
Erlass
Zur Geschäftsstelle gelangt am 15. Dezember 2011
H., Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
B e s c h l u s s
In der Familiensache
betreffend die Vormundschaft für das beteiligte Kind E. P.,
geb. am … 2006,
weitere Beteiligte:
1. J. P., MutterKindHaus M. B., …,
Beschwerdeführerin,
Verfahrensbevollmächtigte:
Anwaltsbüro W. & H., …,
Geschäftszeichen: …
2. Landeshauptstadt Hannover, Amt für Jugend und Familie, Kommunaler Sozialdienst, …,
Geschäftszeichen:
Vormund,
hat der 10. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Celle durch den Vorsitzenden Richter am
Oberlandesgericht W., den Richter am Oberlandesgericht G. und die Richterin am Amtsgericht R. am 8. Dezember
2011 beschlossen:
Das als Beschwerde gegen die Entscheidung des Amtsgerichts - Familiengericht - Hannover vom 31. August 2011
auszulegende Rechtsmittel der Kindesmutter vom 12. September 2011 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Kindesmutter.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf die Gebührenstufe bis 300 € festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Beschwerdeführerin ist die Mutter des am … 2006 geborenen Kindes E. P. Mit Beschluss des Amtsgerichts -
Familiengericht - Hannover vom 8. November 2007 (608 F 5472/07 SO) wurde der Kindesmutter die elterliche Sorge
für E. vorläufig entzogen und auf das Jugendamt der Landeshauptstadt Hannover als Vormund übertragen.
Inzwischen lebt das Kind in einer Pflegefamilie, persönlicher Umgang mit der Kindesmutter findet regelmäßig einmal
monatlich in begleiteter Form statt. Der Aufenthaltsort des Kindes ist der Kindesmutter nicht bekannt.
Mit Schriftsatz ihrer jetzigen Verfahrensbevollmächtigten vom 31. Mai 2011 begehrte die Kindesmutter
Einsichtnahme in die vorliegende Vormundschaftsakte. Dies wurde ihr durch die Rechtspflegerin des Amtsgerichts
nach Anhörung des Vormundes zunächst gänzlich verweigert. Dieser hatte sich gegen eine Versendung der Akte
ausgesprochen und eingewandt, die Kindesmutter solle die Anschrift der Pflegeeltern nicht erfahren. Dagegen legte
die Kindesmutter mit Schriftsatz vom 1. August 2011 ´Beschwerde´ ein, die sie damit begründete, da der ohnehin
stattfindende begleitete Umgang dem Kindeswohl nicht schade, bestehe auch kein Anlass zu der Annahme, dass
die begehrte Akteneinsicht dem Kind schaden könne. Die Rechtspflegerin gewährte daraufhin Einsichtnahme in die
Vormundschaftsakte mit Ausnahme der Blätter 7 und 11, deren Originale zum Schutz des Kindes entnommen und
durch [teils geschwärzte] Kopien ersetzt worden seien. Daraufhin erklärte die Kindesmutter unmittelbar nach Erhalt
der Akte, ihre Beschwerde bleibe, soweit Akteneinsicht nicht gewährt wurde, aufrechterhalten. Es sei nicht Aufgabe
des Jugendamtes, über Akteneinsichtsgesuche zu entscheiden. Sie habe ein berechtigtes Interesse an der Einsicht
in die Akte. Dass das Jugendamt diese nicht für sinnvoll halte, weil sie nicht erfahren solle , wo sich das Kind
aufhält, stehe ihrem Gesuch nicht entgegen, eine Beeinträchtigung des Kindeswohls sei durch das Jugendamt nicht
behauptet worden.
Mit Beschluss vom 31. August 2011 wies die zuständige Familienrichterin des Amtsgerichts das als Erinnerung
gegen die teilweise Nichtgewährung der Akteneinsicht ausgelegte Rechtsmittel vom 1. August 2011 zurück, wozu
sie ausführte, die Erinnerung sei unbegründet, denn das Interesse an der Geheimhaltung der Wohnanschrift der
Pflegeeltern und des Kindes sei höher zu bewerten als das Interesse der Kindesmutter an vollständiger
Akteneinsicht.
Gegen diese ihrer Verfahrensbevollmächtigten am 7. September 2011 zugestellte Entscheidung richtet sich die mit
Schriftsatz vom 12. September 2011 erhobene, am 13. September 2011 beim Amtsgericht eingegangene
´Gegenvorstellung´ der Kindesmutter. Sie macht nunmehr geltend, die Versagung der Akteneinsicht sei mit der
Beschwerde nach § 58 FamFG anfechtbar. Zu dem von der Rechtspflegerin als Begründung angeführten Schutz des
Kindes sei nicht diese, sondern allein der Richter befugt.
Die Richterin des Amtsgerichts Hannover hat daraufhin mit Beschluss vom 3. November 2011 die Gegenvorstellung
zurückgewiesen und der ´Beschwerde vom 1. August 2011/ 12. September 2011´ nicht abgeholfen. Sie hat
ausgeführt, der Richtervorbehalt des § 14 RPflG greife hier nicht ein, gemäß § 3 Nr. 2 a RPflG obliege die
Überwachung des Vormundes dem Rechtspfleger, der daher gemäß § 4 RPflG auch über Akteneinsichtsgesuche in
den ihm übertragenen Geschäften zu entscheiden habe. Die gegen die teilweise Versagung eingelegte Beschwerde
sei unzulässig, weshalb der Rechtsbehelf in eine zulässige Erinnerung nach § 11 Abs. 2 RPflG umgedeutet worden
sei. Über die nunmehr eingelegte Beschwerde nach § 58 FamFG habe das Oberlandesgericht zu entscheiden.
II.
1. Das als ´Gegenvorstellung´ bezeichnete Rechtsmittel der Kindesmutter vom 12. September 2011 ist als
Beschwerde gegen die richterliche Entscheidung des Amtsgerichts - Familiengericht - Hannover vom 31. August
2011 auszulegen und als solche nach §§ 58, 59 Abs. 1, 63 Abs. 1 FamFG zulässig.
a. Mit ihrer vorgenannten Entscheidung hat die Familienrichterin über den von ihr zu Recht als allein gemäß § 11
Abs. 2 RPflG zulässige Erinnerung gegen die Entscheidung der Rechtspflegerin, die Akteneinsicht zu beschränken,
behandelten Rechtsbehelf entschieden. Das Vormundschaftsverfahren als solches ist als auf die gesamte Dauer der
Vormundschaft angelegtes Bestandsverfahren nicht auf einen Abschluss durch eine Endentscheidung in Gestalt
eines instanzbeendenden Beschlusses gerichtet, welche im Wege der Beschwerde angefochten werden könnte,
wodurch - inzident - auch eine Überprüfung der Versagung der begehrten Akteneinsicht ermöglicht würde. Darüber
hinaus war die Kindesmutter zwar Beteiligte des vorangegangenen Sorgerechtsentziehungsverfahrens. Beteiligte des
hier vorliegenden Vormundschaftsverfahrens i.S. von § 7 FamFG ist sie hingegen nicht. Daher blieb ihr gegen die
Entscheidung der Rechtspflegerin gemäß § 11 Abs. 1 i.V. mit Abs. 2 RPflG als statthafter Rechtsbehelf allein die
befristete Erinnerung.
Die auf diese ergehende richterliche Sachentscheidung ist zwar grundsätzlich gemäß § 1 Abs. 2 S. 4 RPflG nach
den Vorschriften über die Beschwerde anfechtbar. Da es sich bei der Entscheidung über ein Akteneinsichtsgesuch
jedoch grundsätzlich lediglich um eine nicht isoliert anfechtbare Zwischenentscheidung handelt, ist ein Rechtsmittel
unmittelbar hiergegen regelmäßig nicht gegeben. Anders liegt der Fall jedoch, wenn - wie hier - das
Akteneinsichtsgesuch eines nicht an dem Verfahren beteiligten Dritten abgelehnt wurde. Welches Rechtsmittel
hiergegen statthaft ist, ist allerdings umstritten.
Während teilweise vertreten wird, es handele sich bei der Ablehnung eines Akteneinsichtsgesuchs eines Dritten -
auch im laufenden Verfahren - um einen Justizverwaltungsakt i.S. des § 23 EGGVG, weshalb der Rechtsbehelf des
Antrags auf gerichtliche Entscheidung eröffnet sei (Keidel–MeyerHolz, FamFG17, § 58 Rn. 33 sowie Anhang zu § 58
Rn. 31. SchulteBunert/Weinreich–Schöpflin, FamFG2, § 13 Rn. 23. MünchKommZPO32–Pabst, § 13 FamFG Rn.
11. Thomas/ Putzo–Reichold, ZPO3, § 13 FamFG Rn. 12), sieht die Gegenmeinung die Entscheidung über das
Einsichtsgesuch als einen Akt der Rechtsprechung und als eine dieses abschließend bescheidende
Endentscheidung i.S. des § 58 Abs. 1 FamFG an (KG FGPrax 2011, 157 = FamRZ 2011, 1415. Keidel–Sternal,
FamFG17, § 13 Rn. 72. Bumiller/Harders, FamFG10, § 13 Rn. 18. . Prütting/Helms–Jennissen, FamFG2, § 13 Rn.
50. Musielak/Borth, FamFG2, § 13 FamFG Rn. 6. Bork/Jacoby/Schwab, FamFG, § 13 Rn. 13. Zöller–Lückemann,
ZPO29, § 23 EGGVG Rn. 12. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, § 23 EGGVG Rn. 3, Stichwort
´Einsichtnahme´).
Der Senat schließt sich der letztgenannten Auffassung an. Einen Justizverwaltungsakt i.S. von § 23 EGGVG stellt
die Entscheidung über das Akteneinsichtsgesuch eines Dritten in Familiensachen, die nicht zu den
Familienstreitsachen i.S. des § 112 FamFG zählen, nicht dar, denn im Gegensatz zu der dort über § 113 Abs. 1
FamFG sowie in vor dem 1. September 2009 eingeleiteten Verfahren unmittelbar geltenden Bestimmung des § 299
Abs. 2 ZPO entscheidet in Familiensachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit über das Einsichtsgesuch nicht der
Vorstand des Gerichts und damit die Justizverwaltung, sondern das Gericht durch den Einzelrichter oder
Vorsitzenden des Senats sowie im Falle eines - wie hier - dem Rechtspfleger übertragenen Geschäfts dieser in
richterlicher Unabhängigkeit. Damit handelt es jedoch um einen Akt der Rechtsprechung. Da über den Antrag des am
Verfahren nicht beteiligten Dritten durch die Entscheidung des Richters oder Rechtspflegers abschließend
entschieden wird, steht diesem die Beschwerde gemäß § 58 FamFG offen.
b. Diese wurde vorliegend auch form und fristgerecht eingelegt (§§ 63 Abs. 1, 64 Abs. 2 FamFG). Da es sich hier um
eine nichtvermögensrechtliche Angelegenheit handelt, ist es ferner nicht erforderlich, dass der Beschwerdewert die
Wertgrenze des § 61 Abs. 1 FamFG erreicht.
2. Die Beschwerde hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Ein für die Gewährung der Akteneinsicht eines Dritten
gemäß § 13 Abs. 2 FamFG erforderliches berechtigtes Interesse hat die Kindesmutter weder dargetan noch
glaubhaft gemacht. Der Amtsermittlungsgrundsatz gilt insoweit nicht (Prütting/Helms–Jennissen, FamFG2, § 13 Rn.
26). Der Kindesmutter hätte es daher oblegen, Umstände darzutun und glaubhaft zu machen, aus denen sich
erfahrungsgemäß nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge ein berechtigtes Interesse ergibt (Keidel–Sternal,
FamFG17, § 13 Rn. 32). Daran fehlt es hier, denn die Kindesmutter hat hierzu weder Näheres vorgetragen noch mit
den Mitteln des § 31 FamFG glaubhaft gemacht.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG, die Festsetzung des Beschwerdewerts auf §§ 40, 42 Abs. 1
FamGKG.
W. G. R.