Urteil des OLG Celle vom 09.12.2010

OLG Celle: wiedereinsetzung in den vorigen stand, eigenes verschulden, fax, übermittlung, sicherheit, anweisung, übertragung, versicherung, pauschal, sorgfalt

Gericht:
OLG Celle, 08. Zivilsenat
Typ, AZ:
Beschluss, 8 U 200/10
Datum:
09.12.2010
Sachgebiet:
Normen:
ZPO § 85, ZPO § 233, ZPO § 234, ZPO § 520
Leitsatz:
Zu den Überprüfungspflichten eines Rechtsanwalts, der einem Referendar eine Einzelanweisung
erteilt, eine Berufungsbegründung zu faxen.
Volltext:
8 U 200/10
13 O 37/10 Landgericht Hannover
B e s c h l u s s
In dem Rechtsstreit
K. J., … in R.,
Klägerin und Berufungsklägerin,
Prozessbevollmächtigter:
Rechtsanwalt W. … in H.,
gegen
H. VVaG, vertreten durch den Vorstand, … in C.
Beklagte und Berufungsbeklagte,
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte B. … in K.,
hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht … den
Richter am Oberlandesgericht … und den Richter am Oberlandesgericht … am 9. Dezember 2010 beschlossen:
Die Berufung der Klägerin gegen das am 17. September 2010 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 13.
Zivilkammer des Landgerichts Hannover wird wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist als unzulässig
verworfen.
Der Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der Kosten der Wiedereinsetzung zu tragen.
G r ü n d e :
I.
1. Dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin ist das am 17. September 2010 verkündete Urteil der Einzelrichterin
der 13. Zivilkammer des Landgerichts Hannover am 29. September 2010 zugestellt worden (Bl. 101 d. A.). Mit
Schriftsatz vom 28. Oktober 2010, eingegangen per Fax beim Oberlandesgericht am gleichen Tag, hat die Klägerin
Berufung eingelegt (Bl. 105 d. A.). Mit Schriftsatz vom 29. November 2010, eingegangen beim Oberlandesgericht am
1. Dezember 2010, hat die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten die Berufung begründet (Bl. 116 d. A.).
Eine vorherige Übersendung des Schriftsatzes per Fax erfolgte nicht. Die Berufungsbegründung vom 29. November
2010 enthält auch, insoweit anders als der Berufungsschriftsatz vom 28. Oktober 2010 sowie ein weiterer Schriftsatz
vom gleichen Tag an das Landgericht Hannover (Bl. 102/103 d. A.), keinen maschinenschriftlichen Hinweis auf eine
Vorabübersendung per Fax.
Der am 1. Dezember 2010 beim Oberlandesgericht eingegangene Schriftsatz mit der Berufungsbegründung hat die
Frist des § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht gewahrt. Dies nimmt auch die Klägerin nicht in Abrede. Mit ihrem
Wiedereinsetzungsantrag vom 2. Dezember 2010, beim Oberlandesgericht per Fax eingegangen am 6. Dezember
2010, beantragt sie unter Vorlage einer Eidesstattlichen Versicherung des (damaligen) Referendars ihres
Prozessbevollmächtigten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Er habe den Referendar angewiesen, die
Berufungsbegründung vorab per Telefax an das Oberlandesgericht zu faxen und sodann die Frist im Fristenkalender
zu streichen. Dies sei versehentlich unterblieben.
2. Mit dieser Begründung kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden. Gemäß § 233 ZPO
kann einer Partei auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden, wenn sie ohne ihr Verschulden
verhindert war, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten. Die Partei hat dabei eigenes Verschulden sowie
das Verschulden ihres bevollmächtigten Anwalts (§ 85 Abs. 2 ZPO) zu vertreten. Dagegen wird ihr ein Verschulden
Dritter, insbesondere des Büropersonals ihres Anwalts, nicht zugerechnet.
Dessen Verschulden wird für die Partei nur maßgeblich, wenn es auf ein eigenes Verschulden des Anwalts
zurückzuführen ist und damit wiederum § 85 Abs. 2 ZPO Anwendung findet. Anerkanntermaßen darf der Anwalt
bestimmte anfallende Arbeiten seinem Büropersonal übertragen. Auch eine Übertragung an einen Referendar ist
nicht ausgeschlossen. Nicht ausgeschlossen ist auch die Übertragung von Aufgaben im Bereich der Fristenwahrung.
Insoweit aber sind in Fällen wie dem Vorliegenden strenge Anforderungen zu stellen, sodass grundsätzlich nur der
Einsatz langjährig erprobter und regelmäßig überwachter Angestellter in Betracht kommt. Allerdings gilt auch bei
Mängeln im Bereich der Organisation, dass sie für eine Fristenversäumung nicht ursächlich sind, wenn der Anwalt
im Einzelfall eine ausreichende Einzelanweisung an einen zuverlässigen Mitarbeiter erteilt hat, deren Befolgung die
Fristwahrung sichergestellt hätte, der betreffende Mitarbeiter der Weisung aber nicht nachkommt. Dies ist aber
wiederum mit einer Einschränkung dahingehend zu versehen, dass auch Einzelanweisungen die hinreichende
Gewähr bieten müssen, dass eine Fristenversäumung zuverlässig verhindert wird (vgl. BGH, NJW 2004, 367, 369).
Inhalt der behaupteten Anweisung an den Referendar war vorliegend nur das Faxen der Berufungsbegründung an das
Oberlandesgericht und das anschließende Streichen der Frist im Fristenkalender. Dabei mag man den Vortrag im
Wiedereinsetzungsschriftsatz, es gehe um den 29. Oktober 2010, noch für ein Versehen halten, auch wenn man
erwarten durfte, dass ein Anwalt jedenfalls im Wiedereinsetzungsschriftsatz ausreichende Sorgfalt walten lässt.
Weiter ist dem Wiedereinsetzungsschriftsatz ebenso wie der Eidesstattlichen Versicherung des Referendars nicht
ausreichend deutlich zu entnehmen, dass eine ausreichend klare und unmissverständliche Anweisung dahingehend
bestand, noch am gleichen, dem letzten Tag der Berufungsbegründungsfrist, die Berufungsbegründung an das
Oberlandesgericht zu faxen. Allein dem Wort „vorab“ lässt sich dies nicht mit hinreichender Sicherheit entnehmen.
Ungenügend war es aber insbesondere, dass nach Versenden der Berufungsbegründung der Referendar die Frist im
Fristenkalender streichen sollte. Allein mit dem Versenden war es aber nicht getan. Dieses rechtfertigte für sich
genommen noch nicht, die Frist als erledigt zu vermerken. Abzuwarten war vor dem Löschen der Frist das Erstellen
des Sendeberichtes, weil erst dieser eine relative Sicherheit dafür bietet, dass das Fax den Empfänger auch, und
zwar vollständig, erreicht hat. Es entspricht der ständigen obergerichtlichen Praxis, dass ein Anwalt seiner Pflicht
zur wirksamen Ausgangskontrolle fristwahrender Schriftsätze nur dann genügt, wenn er seine Angestellten anweist,
nach einer Übermittlung per Telefax anhand des Sendeprotokolls zu überprüfen, ob die Übermittlung vollständig und
an den richtigen Empfänger erfolgt ist und erst danach die Frist im Fristenkalender zu streichen (vgl. zuletzt BGH,
XII ZB 117/10, Beschluss vom 22. September 2010, zit. nach juris). Ein solches Vorgehen ist vorliegend nicht
behauptet worden.
Daneben war der Prozessbevollmächtigte der Klägerin aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalles auch
verpflichtet, sich zu vergewissern, dass seiner (ohnehin unvollständigen) Weisung entsprochen worden war. Dies gilt
zum einen, weil ersichtlich die Frist voll ausgeschöpft werden sollte. Das vollständige Ausschöpfen einer Frist steht
einer Partei auch frei, aber die Sorgfaltsanforderungen steigen in dem Maße, in dem das Fristende bevorsteht.
Aufmerksam werden musste der Prozessbevollmächtigte der Klägerin außerdem, weil der
Berufungsbegründungsschriftsatz, wie er vom Referendar entworfen, vervielfältigt und vom Prozessbevollmächtigten
der Klägerin unterschrieben worden war, anders als frühere Schriftsätze gerade keinen Hinweis darauf enthielt, dass
der Schriftsatz vorab gefaxt werden sollte. Außerdem übertrug er die Arbeit nicht einer/einem erfahrenen
Büroangestellten, sondern seinem Referendar. Diesen mag er zwar, wie er ohne weitere Angaben pauschal
behauptet hat, eingewiesen haben. Dessen ungeachtet liegt der Ausbildungs und Tätigkeitsschwerpunkt eines
Referendars nicht darin, Bürotätigkeiten zu erledigen. Die juristische Vorbildung versetzt einen Referendar noch nicht
in die Lage, ohne weiteres solche Aufgaben wahrzunehmen, die ansonsten erfahrenem Büropersonal vorbehalten
sind. Nimmt man weiter hinzu, dass es an einer vollständigen Weisung fehlte und der Referendar nicht einmal
angewiesen war, den Sendebericht abzuwarten, musste der Prozessbevollmächtigte der Klägerin sich über die
Ausführung seiner Weisung vergewissern, damit nicht bereits ein alltägliches Ereignis, wie das Entgegennehmen
zweier Telefonanrufe durch den Referendar, zur Nichtausführung der Weisung führt (s. a. BGH, MDR 2004, 1375).
Nach Überzeugung des Senats hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin daher schuldhaft gehandelt. Dieses
Verschulden muss sich die Klägerin gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen, sodass mangels Verschuldens eine
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Betracht kommt.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 238 Abs. 4 ZPO.
… … …