Urteil des OLG Celle vom 01.02.2011

OLG Celle: angina pectoris, psychische störung, schmerzensgeld, herzinfarkt, behandlung, verkehrsunfall, hausarzt, diagnose, distorsion, anwaltsbüro

Gericht:
OLG Celle, 14. Zivilsenat
Typ, AZ:
Beschluss, 14 W 47/10
Datum:
01.02.2011
Sachgebiet:
Normen:
ZPO § 287, BGB § 253
Leitsatz:
Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes müssen auch bestehende erhebliche Vorschädigungen
und die darauf beruhenden Risiken (hier: Herzinfarkt mit anschließenden Angstgefühlen)
Berücksichtigung finden. sie mindern das zuzuerkennende Schmerzensgeld.
Volltext:
14 W 47/10
5 O 323/10 Landgericht Verden
B e s c h l u s s
In dem Prozesskostenhilfeverfahren
G. E., …,
Antragsteller und Beschwerdeführer,
Verfahrensbevollmächtigte:
Anwaltsbüro …,
gegen
… Versicherung AG, vertreten durch den Vorstand, …,
Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin,
Verfahrensbevollmächtigte:
Rechtsanwälte …,
hat der 14. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers vom 9.
Dezember 2010 gegen den Prozesskostenhilfe versagenden Beschluss der Einzelrichterin der 5. Zivilkammer des
Landgerichts
Verden vom 1. November 2010 durch den Richter am Oberlandesgericht … als Einzelrichter am 1. Februar 2011
beschlossen:
Die sofortige Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe:
Die Beschwerde ist gem. §§ 127 Abs. 2, 567 f. ZPO zulässig (Eingang per Fax beim Oberlandesgericht Celle am 9.
Dezember 2010, Bl. 66 d. A.), aber unbegründet.
1. Inwieweit der Antragsteller tatsächlich prozesskostenhilfebedürftig ist, bedarf keiner Entscheidung, obwohl die
Darlegungen des Antragstellers in diesem Punkt weitere Aufklärung erforderten. Denn er gibt u. a. unrichtig an, …
2. Ein Verfahren nach § 118 Abs. 2 ZPO ist jedoch entbehrlich, weil die Ausführungen des Antragstellers keinen
Anspruch begründen können, mit dem der gesetzlich bestimmte (§§ 71 Abs. 1, 23 Nr. 1 GVG) Zuständigkeitsbereich
des Landgerichts überschritten würde. Da die Antragsgegnerin vorprozessual bereits ein Schmerzensgeld von 1.000
€ gezahlt hat, würde die Wertgrenze für die Zuständigkeit des Landgerichts nur erreicht, wenn dem Antragsteller
insgesamt ein Schmerzensgeld von mehr als 6.000 € zustünde, so dass von der Antragsgegnerin noch mehr als
weitere 5.000 € zu zahlen sein müssten. Dies lässt sich indes auf der Grundlage des Vorbringens des Antragstellers
nicht feststellen. Denn bei der im Prozesskostenhilfeverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach und
Rechtslage (vgl. Zöller/Geimer, ZPO, 28. Aufl., § 114 Rdnr. 19 m. w. N.) besteht nach dem gegenwärtigen Sach und
Streitstand kein ausreichender Anknüpfungspunkt dafür, dass dem Antragsteller ein insgesamt 6.000 €
übersteigendes Schmerzensgeld zugesprochen wird.
a) Seine bei dem Unfall erlittenen körperlichen Verletzungen (gemäß Diagnose des Hausarztes W. im Attest vom 9.
Februar 2009 Anlage A 4, Bl. 21 ff. d. A. eine Brustkorbprellung mit noch drei Wochen später sichtbaren
Blutergüssen sowie eine HWS und BWS Distorsion) sind ohne bleibende Schäden (so das Attest des Dr. D. vom 3.
Dezember 2009, Anlage 5, Bl. 23 d. A.) vollständig ausgeheilt. Der Hausarzt hat insoweit nur noch bis Ende Januar
2009 messbare Beeinträchtigungen attestiert. für die Zeit ab Februar 2009 hat er die unfallbedingte
Erwerbsminderung mit unter 10 % angenommen (vgl. Anlage 4, Bl. 22 d. A.).
Ausweislich des hausärztlichen Attestes vom 9. Februar 2009 hatte der Antragsteller ferner schon vom Unfalltag an
„Angstgefühle“, die durch unfallbedingte
Thoraxschmerzen im Hinblick auf den sechs Jahre zuvor erlittenen Herzinfarkt (mit Bypass Operation,
Kammerflimmern und Reanimation) ausgelöst worden
waren. Der Antragsteller macht geltend, diese Angstgefühle hätten auch nach dem Ende der Behandlung beim
Hausarzt nicht nachgelassen, sondern ihn weiter verfolgt, weswegen er sich im November 2009 (also nahezu ein
Jahr nach dem Unfall) in nervenärztliche Behandlung begeben habe, die bis heute (mit der Diagnose einer
gemischten Angst und depressiven Störung) fortdauere. Letzteres wird durch die Atteste des Psychiaters Dr. D. vom
3. Dezember 2009 und 6. Juni 2010 (Anlagen A 5 und A 6, Bl. 23 f. d. A.) belegt. Diesen Attesten ist zu entnehmen,
dass der Antragsteller schon nach dem Herzinfarkt an ähnlichen, allerdings damals weniger ausgeprägten
Angstzuständen gelitten habe, die aber nach den
Angaben des Patienten etwa im Jahr 2006 abgeklungen gewesen sein sollen.
Aufgrund der vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen ist zwar nicht von vornherein ausgeschlossen, dass dem
Antragsteller im Rechtsstreit der Beweis gelingen könnte, das Unfallgeschehen habe bei ihm auch eine psychische
Erkrankung ausgelöst. Allerdings dürfte das vorherige vollständige Abklingen der Angststörungen nach dem
Herzinfarkt ab dem Jahr 2006 vom Antragsteller trotz substantiierten Bestreitens der Antragsgegnerin bisher nicht
ausreichend unter Beweis gestellt sein. Nach dem Bericht des Klinikums W. vom 30. März 2005 hatte der
Antragsteller auch bei einer dortigen Notfalluntersuchung am 29. März 2005 wegen eines von ihm befürchteten
Angina Pectoris Anfalls über ein Angstgefühl geklagt. Dass danach ab 2006 keine vergleichbaren Beschwerden
mehr aufgetreten sein sollen, beruht bisher allein auf der (von der Antragsgegnerin bestrittenen) Darstellung des
Antragsgegners. Auch die Angabe einer „subjektiven“ Beschwerdefreiheit durch die Ärztin Dr. B. M. am 12.
Dezember 2008 (Anlage A 3, Bl. 19 f. d. A.) beruht nur auf einer entsprechenden Mitteilung des Antragstellers, die
zudem als Antwort auf die Frage nach kardiologischen Herzbeschwerden gegeben worden sein dürfte.
b) Selbst wenn man diesen Punkt aber außer Acht ließe und unterstellte, die Angstgefühle des Antragstellers seien
nach vorherigem vollständigen Abklingen erstmals durch den streitgegenständlichen Verkehrsunfall wieder aktiviert
worden, rechtfertigte dies kein höheres Schmerzensgeld als insgesamt 6.000 €. Denn nach gefestigter
Rechtsprechung müssen bei der Bemessung des Schmerzensgeldes eine bestehende erhebliche Vorschädigung
und die auf ihr beruhenden Risiken (hier: der Herzinfarkt aus dem Jahre 2002 mit darauf beruhenden mehrjährigen
Angstgefühlen, wobei auch die beim streitgegenständlichen Unfall aufgetretenen Angstgefühle nach dem
hausärztlichen Attest vom 9. Februar 2009 wiederum
hierin ihren Ursprung hatten) Berücksichtigung finden. sie mindern das zuzuerkennende Schmerzensgeld (vgl. z. B.
BGH, Urteil vom 11. November 1997 VI ZR 376/96, NJW 1998, 810, jurisRdnr. 26. OLG Schleswig, NJW RR 2004,
238, juris Rdnr. 6).
Außerdem legt der Antragsteller nicht näher dar, wie sich seine Angststörung konkret auswirkt (d. h. wie häufig die
Störungen auftreten, welche tatsächlichen Beeinträchtigungen bei seiner Lebensführung daraus im Einzelnen
resultieren, wie oft er deswegen behandelt wird, ob wie im Jahr 2003 eine Medikamentengabe versucht worden ist
und welchen Erfolg dies gebracht hat). Sein Hausarzt hatte trotz schon damals bekundeter Angstgefühle im Februar
2009 jedenfalls zunächst keine messbaren Auswirkungen der psychischen Störung auf die Erwerbsfähigkeit des
Antragstellers erkennen können. Im Attest des Dr. D. vom 10. Juni 2010 wird die Symptomatik zwar als so
schwerwiegend bewertet, dass dieser Arzt von einer Arbeitsunfähigkeit des Antragstellers ausgeht. Mangels
Mitteilung konkreter Befundtatsachen ist dies aber bislang nicht ausreichend nachvollziehbar. Insbesondere lassen
sich keine Feststellungen dazu treffen, dass sich der Antragsteller etwa wegen seiner seelischen Störung
weitgehend aus dem sozialen Leben zurückgezogen hätte, erheblich in seiner Kommunikationsfähigkeit
beeinträchtigt wäre oder an vergleichbar schwerwiegenden Auswirkungen der psychischen Erkrankung auf sein
tägliches Leben litte.
c) Unterhalb solcher relativ schwer ausgeprägter seelischer Erkrankungen werden in der Rechtsprechung
üblicherweise keine Schmerzensgelder in der Größenordnung von 20.000 € (wie vom Antragsteller geltend gemacht)
zugesprochen. Deshalb sind auch die vom Antragsteller angeführten Entscheidungen des OLG Saarbrücken und des
OLG Celle (Hacks/Ring/Böhm, Schmerzensgeldbeträge, 29. Aufl., Nrn. 2291 und 2527) nicht vergleichbar. So wirkte
sich etwa im Fall des OLG Saarbrücken die psychische Störung in vielfältigen, dauerhaften und erheblichen
körperlichen Beschwerden (u. a. Tinnitus, Brechreiz und chronifiziertes Schmerzsyndrom 3. Grades) aus. Dass der
Antragsteller unter vergleichbaren Auswirkungen seiner Angststörung zu leiden hätte, ist demgegenüber nicht im
Ansatz dargelegt. Auch von einer Psychose mit einhergehender Wesensänderung (so der Fall des OLG Celle) kann
nach dem bisherigen Vorbringen und den vorgelegten Arztberichten nicht die Rede sein.
Vergleichbar sind vielmehr die Entscheidungen bei Hacks/Ring/Böhm a. a. O., Nr. 711 (OLG Braunschweig: 3.000 €
für Angstzustände mit Schweißausbrüchen und Herzbeschwerden beim Autofahren nach Unfallereignis mit HWS
Distorsion), Nr. 881 (AG Köln: 4.000 € für Angstzustände und Panikanfälle nach Verkehrsunfall mit zwei Jahre
dauernder psychologischer Behandlung), Nr. 927 (OLG Braunschweig: 4.000 € für posttraumatische
Belastungsstörung eines Kleinkinds nach Verkehrsunfall mit psychosomatischen Bauch und Kopfschmerzen sowie
Angstgefühlen und Schlafstörungen). Teilweise werden bei gering ausgeprägten Beschwerden noch deutlich
geringere Schmerzensgelder ausgeurteilt (z. B. Hacks/Ring/Böhm, Schmerzensgeldbeträge, 27. Aufl., Nr. 161: 550 €
und 14. Aufl., Nr. 99: 400 €).
3. Da Prozesskostenhilfe nur für eine beabsichtigte Klage begehrt wird (Bl. 2 d. A.), war die Prozesskostenhilfe von
dem Landgericht zu verweigern, weil es für den aussichtsreichen Teil nicht zuständig ist (vgl. BGH, Beschluss vom
13. Juli 2004 VI ZB 12/04, VersR 2005, 245, juris Rdnr. 9. Senat, Beschluss vom 7. Juni 2010 14 W 13/10, juris.
Zöller/Geimer a. a. O., § 114 Rdnr. 23). Denn zur Prüfung der Erfolgsaussicht gehört auch die Prüfung, ob das
angerufene Gericht zuständig, die Klage also zulässig ist (BGH a. a. O., juris Rdnr. 4).
Damit kommt eine stattgebende Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch durch den Senat auch im
Beschwerdeverfahren nicht in Betracht. Denn stets (BGH a. a. O., juris Rdnr. 8) also auch im Beschwerdeverfahren
(ebenso
Senatsbeschluss a. a. O., juris Rdnr. 19. OLG Karlsruhe, NJW RR 2007, 81,
juris Rdnr. 15. Zöller/Geimer a. a. O., Rdnr. 22 a) ist zu prüfen, ob der Antragsteller eine Verweisung des
Prozesskostenhilfeverfahrens entsprechend § 281 ZPO an das zuständige Gericht beantragen will, weil er in
Anbetracht der Rechtsauffassung des Senats ansonsten eine Ablehnung des PKH Gesuchs zu erwarten hätte.
Eines weiteren Hinweises auf einen ggf. zu stellenden Verweisungsantrag bedurfte es hier aber nicht, weil die
Kammer den anwaltlich vertretenen Antragsteller sowohl im angefochtenen Beschluss als auch im
Nichtabhilfebeschluss vom 17. Dezember 2010 (Bl. 78 d. A.) schon auf die sachliche Unzuständigkeit des
Landgerichts hingewiesen hat. Der Antragsteller hat darauf - auch nicht hilfsweise - Verweisung an das zuständige
Amtsgericht Syke beantragt.
4. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet
(gem. § 131 b S. 1 KostO, KV 1812 sowie § 127 Abs. 4 ZPO). Die Rechtsbeschwerde war mangels der dafür
erforderlichen Voraussetzungen (§ 574 ZPO) nicht zuzulassen.
Soweit die Beschlussgründe nicht mitgeteilt werden, beruht dies auf § 127 Abs. 1 Satz 3 ZPO.