Urteil des OLG Celle vom 14.06.2010
OLG Celle: zulässigkeit der auslieferung, auslieferungshaft, haftbefehl, haschisch, tatverdacht, festnahme, strafbarkeit, marokko, anhörung, abkommen
Gericht:
OLG Celle, 01. Strafsenat
Typ, AZ:
Beschluss, 1 Ausl 7/10
Datum:
14.06.2010
Sachgebiet:
Normen:
IRG § 77, StPO § 467, StPO § 467 a, StrEG § 2 Abs 3
Leitsatz:
In Auslieferungsverfahren kommt eine Erstattung notwendiger Auslagen im Sinne von §§ 467, 467a
StPO in entsprechender Anwendung allenfalls dann in Betracht, wenn ein Antrag auf Zulässigkeit der
Auslieferung nach § 29 IRG bereits gestellt worden war.
Ein Anspruch auf der Grundlage des StrEG setzt voraus, dass die ersuchten deutschen Behörden
eine unberechtigte Verfolgung zu vertreten haben.
Volltext:
Oberlandesgericht Celle
1 Ausl 7/10
31 Ausl A 29/10 GenStA Celle
B e s c h l u s s
In dem Auslieferungsverfahren
gegen den deutschen Staatsangehörigen
U. S.,
geb. am 13. Januar 1974 in M.,
Beistand: Rechtsanwalt Dr. N., H.,
Rechtsanwältin Dr. K., H.,
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle auf den Antrag des Verfolgten nach Anhörung der
Generalstaatsanwaltschaft Celle durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht xxxxxxxxxx, den Richter am
Oberlandesgericht xxxxxxxxxxxxxx und den Richter am Oberlandesgericht xxxxxxxxxxxxxxx am 14. Juni 2010
beschlossen:
Der Antrag, die notwendigen Auslagen des Verfolgten der Staatskasse aufzuerlegen, wird abgelehnt.
Es wird festgestellt, dass der Verfolgte für den Vollzug der erlittenen vorläufigen Auslieferungshaft nicht nach
Maßgabe des § 7 StrEG zu entschädigen ist.
G r ü n d e :
1. Die italienischen Justizbehörden hatten über eine Ausschreibung im Schengener Informationssystem (SIS) um
Festnahme des Verfolgten zum Zwecke der Auslieferung zur Strafverfolgung ersucht. Dem Ersuchen lag ein
Europäischer Haftbefehl des Tribunale di Milano vom 12. Februar 2010 (Az.: 1/06 RG GIP - 51476/05 RGNR)
zugrunde. Danach wurde der Verfolgte beschuldigt, in der Zeit von 2005 bis zum 19. Februar 2006 in Italien,
Spanien, Marokko und anderen Orten sich als Skipper einer Segelyacht gemeinschaftlich mit M. P., F. C. und
anderen an einer versuchten Einfuhr von Haschisch aus Marokko beteiligt zu haben.
Der Verfolgte war am 24. Februar 2010 in H. festgenommen worden. Vor dem Amtsgericht Hannover hat er
eingeräumt, an einer Bootsfahrt nach F. beteiligt gewesen zu sein, bei der Haschisch in einer Größenordnung von
500 kg transportiert werden sollte, eine geplante Entgegennahme der Drogen auf See jedoch nicht stattgefunden und
der Verfolgte hierfür 1.000 € von M. P. erhalten habe. Das Amtsgericht Hannover hat am 24. Februar 2010 eine
Festhalteanordnung bis zur Entscheidung durch den Senat beschlossen. Die Generalstaatsanwaltschaft hatte
beantragt, gegen den Verfolgten die förmliche Auslieferungshaft anzuordnen. Der Senat hat mit Beschluss vom 25.
Februar 2010 die vorläufige Auslieferungshaft gegen den Verfolgten angeordnet und hierzu ausgeführt, der gegen den
Verfolgten im Ersuchen formulierte Tatverdacht sei zwar nur vage formuliert, den italienischen Behörden werde aber
Gelegenheit gegeben, ihr Ersuchen zu konkretisieren. Mit Beschluss vom 17. März 2010 hat der Senat den
vorbezeichneten Haftbefehl aufgehoben, weil die Generalstaatsanwaltschaft dies beantragt hatte. Dem lag die
Mitteilung zugrunde, dass die italienischen Behörden den Europäischen Haftbefehl am 17. März 2010 aufgehoben
hatten. der Verfolgte war auf Veranlassung der Generalstaatsanwaltschaft bereits an diesem Tag aus der Haft
entlassen worden.
Mit Schriftsatz vom 19. März 2010 hat der Verfolgte über seinen Beistand Rechtsanwältin Dr. K. aus H. nunmehr
beantragt, seine notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen und ihn für die vorläufige Auslieferungshaft
nach § 7 StrEG zu entschädigen.
2. Die Anträge des Verfolgten bleiben ohne Erfolg. Notwendige Auslagen waren ebenso wenig festzusetzen wie eine
Entschädigungspflicht auf der Grundlage des StrEG.
a) Nach ganz herrschender Rechtsprechung kommt in Auslieferungsverfahren eine Erstattung notwendiger Auslagen
auf der Grundlage von §§ 467, 467a StPO in entsprechender Anwendung allenfalls dann in Betracht, wenn -
entsprechend dem Erheben einer Anklage - ein Antrag auf Zulässigkeit der Auslieferung nach § 29 IRG bereits
gestellt worden war (BGHSt 32, 221. OLG Koblenz, MDR 1983, 691. OLG Köln, NStZRR 2000, 29. OLG Karlsruhe
NStZRR 2005, 252 und StV 2007, 151. OLG Frankfurt am Main vom 4. Oktober 2007, 2 Ausl A 53/07). Auf die
Gründe dieser Entscheidungen kann Bezug genommen werden. Der Senat sieht keine Veranlassung, von dieser als
gefestigt zu betrachtenden Rechtsprechung abzuweichen. Dies gilt umso mehr, als der Bundesgerichtshof die
maßgebliche Rechtsfrage im Rahmen einer Vorlageentscheidung beantwortet hat. Allein das Oberlandesgericht
Hamm hat die Auffassung vertreten, ein Verfolgter erhalte auch dann Ersatz für seine notwenigen Auslagen, wenn
noch kein Antrag nach § 29 IRG gestellt worden ist (StraFo 2003, 325). Diese Entscheidung kann aber nicht
überzeugen. Denn das Oberlandesgericht Hamm hat seine - ausdrücklich vom Bundesgerichtshof abweichende -
Entscheidung namentlich auch auf die Erwägung gestützt, es sei fraglich, ob der BGH seine noch zum DAG
getroffene Entscheidung nach InKraftTreten des IRG in derselben Weise gefällt hätte. Genau dies hat der
Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung in BGHSt 32, 221 aber getan. die Entscheidung stützt sich ausdrücklich
auf § 77 IRG. Im Übrigen hat auch das OLG Hamm mit jener Entscheidung sich von der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs zwar abgesetzt, sah sich ´nach alledem´ zu einer Kosten und Auslagenentscheidung gleichwohl
nicht veranlasst.
b) Eine Entschädigung auf der Grundlage von § 7 StrEG ist ebenfalls nicht veranlasst. Nach insoweit einhelliger
Rechtsprechung kommt eine solche unbeschadet der Frage, ob die Vorschrift des § 2 Abs. 3 StrEG eine in
Deutschland erlittene Auslieferungshaft überhaupt erfasst - jedenfalls nur dann in Betracht, wenn die Behörden der
Bundesrepublik Deutschland eine unberechtigte Verfolgung zu vertreten haben (BGHSt 32, 221. OLG Hamm, NStZ
1997, 246. OLG Düsseldorf NJW 1992, 646 [hierzu auch BVerfG vom 5. Juni 1992, 2 BvR 1403/91]. OLG Celle
NdsRpfl 2002, 269. OLG
Karlsruhe StV 2004, 444). Ein derartiges Verschulden deutscher Behörden ist vorliegend aber nicht ersichtlich.
Die Festnahme des Verfolgten sowie die Anordnung der Auslieferungshaft erfolgten auf der Grundlage eines
italienischen Ersuchens. Insoweit ist zunächst zu berücksichtigen, dass die Behörden des um Auslieferung
ersuchten Staates aufgrund der multilateralen Abkommen grundsätzlich verpflichtet sind, entsprechende Ersuchen
umzusetzen und nur ein geringer Umfang eigenständiger Prüfung verbleibt.
Die Auslieferung war auch nicht von vornherein unzulässig. Zwar war der von den italienischen Behörden im
Ersuchen formulierte Tatvorwurf nicht hinreichend konkret, um hierauf eine abschließende Entscheidung über die
Zulässigkeit der Auslieferung - zumal eines deutschen Staatsangehörigen - stützen zu können. Dem Senat ist aber
aus einer Vielzahl von Verfahren bekannt, dass die Behörden des ersuchenden Staates auf entsprechende Hinweise
des Senats in aller Regel zeitnah ergänzende und zureichende Erklärungen zum Tatverdacht nachreichen, die
schließlich eine Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung selbst deutscher Staatsangehöriger erlauben.
Eine Nachprüfung des Tatverdachts selbst findet durch den Senat im Auslieferungsverfahren in aller Regel nicht
statt. Hinzu kommt, dass der Verfolgte selbst im Rahmen seiner Anhörung vor dem Amtsgericht am 24. Februar
2010 erklärt hatte, er sei zum wiederholten Male zum
Zwecke des Drogentransports angeheuert worden und sei im benannten Tatzeitraum mit einem Segelboot gestartet,
es habe sich aber herausgestellt, dass kein Haschisch geliefert werden würde. Hiernach bestand für den Senat kein
Anlass, ausnahmsweise den von den ersuchenden Behörden formulierten Tatverdacht zu hinterfragen. Denn es war
nicht anzunehmen, dass um eine Auslieferung bar jeden Tatverdachts oder etwa aus politischen Gründen ersucht
worden wäre.
Soweit der Verfolgte einwendet, die dem Verfolgten zur Last gelegte Tat sei von vornherein nicht auslieferungsfähig
gewesen, kann er hiermit nicht durchdringen. Bereits nach dem von den von den italienischen Behörden wenngleich
auch nur in italienischer Sprache - vorgelegten Europäischen Haftbefehl (vgl. dort S. 3) handelte es sich um eine
Katalogtat im Sinne von Kap. 1 Art. 1 Abs. 2 RBEuHB [´traffico illecito di stupefecanti e sostanze psicotrope´], bei
deren Vorliegen die Voraussetzung der beiderseitigen Strafbarkeit nicht zu prüfen ist. Dass der Verfolgte dies anders
werten möchte, steht dem nicht entgegen. Im Übrigen wäre das Vorliegen der beiderseitigen Strafbarkeit im Sinne
von Art. 2 Abs. 1 EuAlÜbK nicht zweifelhaft.
Soweit der Verfolgte sich schließlich gegen die Annahme von Fluchtgefahr wendet, kann auch dies eine
Entschädigungspflicht nach dem StrEG nicht begründen. Zwar hat der Verfolgte Bindungen in Deutschland. Die
Straferwartung im Falle einer Verurteilung auf der Grundlage des von den italienischen Behörden formulierten
Tatverdachts (unerlaubte Einfuhr von 500 kg Betäubungsmitteln) war indessen ganz erheblich. Hinzu kommt, dass
der Verfolgte Kontakte zumindest ins europäische Ausland und dort auch zu offenbar kriminellen Kreisen unterhält,
was ihm ein Untertauchen erheblich erleichtern würde. Seine im Internet beworbene Tätigkeit als Fotograf und das
Vermarkten von Fotos ließe sich schließlich auch außerhalb Deutschlands ausüben. Vor diesem Hintergrund war
das Anordnen der vorläufigen Auslieferungshaft nicht geeignet, eine Entschädigungspflicht auf der Grundlage des
StrEG zu begründen.
Von einer von deutschen Behörden zu vertretenden Verfolgung kann hiernach keine Rede sein.
3. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.
4. Ein Rechtsmittel gegen diese Entscheidung ist nicht eröffnet.
xxxxxxxxxx xxxxxxxxxxxxxx xxxxxxxxxxxxxxx