Urteil des OLG Celle vom 07.10.1998

OLG Celle: treu und glauben, geldwerte leistung, verwaltungskosten, form, handelsgesellschaft, rechtsfähigkeit, klageberechtigung, agb, produktion, vergütung

Gericht:
OLG Celle, 13. Zivilsenat
Typ, AZ:
Urteil, 13 U 227/97
Datum:
07.10.1998
Sachgebiet:
Normen:
AGBG § 13 Abs 2 Nr 2
Leitsatz:
1. Eine landwirtschaftliche Erzeugergemeinschaft i. S. d. § 3 Marktstrukturgesetz ist klagebefugt
gemäß § 13Abs. 2 AGBG.
2. Die in Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines KartoffelstärkeProduzenten vereinbarten Klauseln
„Der Erzeuger ist verpflichtet, je nach Anfall, Kartoffelpülpe im Umfang von 15 % der
Kartoffelvertragsmenge zurückzunehmen und auf seine Kosten nach Disposition der KSW abzuholen.
Der Pülpeabnahmepreis wird rechtzeitig vor der Kampagne durch die KSW festgelegt. Kommt der
Erzeuger dieser Abnahmeverpflichtung nicht nach, ist die KSW berechtigt, von dem Erzeuger jährlich
eine Kostenumlage zu erheben, um ihre Aufwendungen für den anderweitigen PülpeAbsatz oder die
PülpeEntsorgung zu decken.“
„Der Erzeuger verpflichtet sich, ausgenommen er ist Mitglied des Verregnungsverbandes W#### und
stellt Flächen zur Verregnung des Prozesswassers zur Verfügung, zur jährlichen Abnahme bis zu 30
cbm Fruchtwasser pro Vertragseinheit. Die KSW organisiert den Transport des Fruchtwassers und ist
berechtigt, den Erzeuger einseitig von dieser Abnahmeverpflichtung zu entbinden, ohne dass eine
gegenseitige Entschädigung geschuldet wird. Der Landwirt ist für die Ausbringung des Fruchtwassers
im Rahmen einer ordnungsgemäßen landwirtschaftlichen Düngung selbst verantwortlich.
Die KSW wird die anfallenden Wasserentsorgungskosten den Erzeugern anteilig im Umfang der
vereinbarten Vertragsmengen belasten. Derzeit betragen die Kosten 100 DM + Mehrwertsteuer pro
Vertragseinheit und Anbaujahr. Die KSW ist berechtigt, die Umlage an die jeweilige
Kostenentwicklung für die Entsorgung des Fruchtwassers anzupassen.“
„KSW deckt die Verwaltungskosten aus den Pachteinnahmen. Sofern diese Beträge nicht ausreichen,
ist die KSW berechtigt, von dem Erzeuger jährlich eine Kostenumlage zum Ausgleich bis zu einem
Betrag von 1 DM/100 kg netto Stärkekartoffeln während der Laufzeit des Vertrages zu erheben. Der
Erzeuger stimmt schon heute einer Saldierung mit etwaigen Zahlungsverpflichtungen aus der
Kartoffelübernahme zu.“
sind unwirksam nach § 9 Abs. 1 AGBG.
Volltext:
Oberlandesgericht Celle
Im Namen des Volkes
Urteil
13 U 227/97
9 O 41/97 LG Hildesheim
Verkündet am
7. Oktober 1998
Justizsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In dem Rechtsstreit
pp.
XXXXXXX
XXXXXX
gegen
XXXXX
XXXXX
hat der 13. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 21. Juni 1998 unter
Mitwirkung seiner Mitglieder #####, ##### und ##### für Recht erkannt:
Auf die Berufung des Klägers wird das am 16. September 1997 verkündete Urteil der 9. Zivilkammer des
Landgerichts Lüneburg geändert.
Die Beklagte wird verurteilt, es zu unterlassen, im Zusammenhang mit Anbau und Lieferverträgen für
Industriekartoffeln zur Herstellung von Kartoffelstärke in Allgemeinen Geschäftsbedingungen folgende oder
inhaltsgleiche Klauseln zu verwenden:
1. „Grundlage eines reibungslosen Produktionsablaufes bei der ##### ist die termingerechte Abnahme der
Kartoffelpülpe. Der Erzeuger ist verpflichtet, je nach Anfall, Kartoffelpülpe im Umfang von 15 % der
Kartoffelvertragsmenge zurückzunehmen und auf seine Kosten nach Disposition der ##### abzuholen.
Der PülpeAbnahmepreis wird rechtzeitig vor der Kampagne durch die ##### festgelegt. Kommt der Erzeuger dieser
Abnahmeverpflichtung nicht nach, ist die ##### berechtigt, von dem Erzeuger jährlich eine Kostenumlage zu
erheben, um ihre Aufwendungen für den anderweitigen PülpeAbsatz oder die PülpeEntsorgung zu decken.“
2. „Der Erzeuger verpflichtet sich, ausgenommen er ist Mitglied des Verregnungsverbandes ##### und stellt Flächen
zur Verregnung des Prozesswassers zur Verfügung, zur jährlichen Abnahme bis zu 30 cbm Fruchtwasser pro
Vertragseinheit. Die ##### organisiert, den Transport des Fruchtwassers und ist berechtigt, den Erzeuger einseitig
von dieser Abnahmeverpflichtung zu entbinden, ohne dass eine gegenseitige Entschädigung geschuldet wird. Der
Landwirt ist für die Ausbringung des Fruchtwassers im Rahmen einer ordnungsgemäßen landwirtschaftlichen
Düngung selbst verantwortlich.
Die ##### wird die anfallenden Wasserentsorgungskosten den Erzeugern anteilig im Umfang der vereinbarten
Vertragsmengen belasten. Derzeit betragen die Kosten 100 DM + Mehrwertsteuer pro Vertragseinheit und Anbaujahr.
Die ##### ist berechtigt, die Umlage an die jeweilige Kostenentwicklung für die Entsorgung des Fruchtwassers
anzupassen.“
3. „##### deckt die Verwaltungskosten aus den Pachteinnahmen. Sofern diese Beträge nicht ausreichen, ist die
##### berechtigt, von dem Erzeuger jährlich eine Kostenumlage zum Ausgleich bis zu einem Betrag von 1 DM/100
kg netto Stärkekartoffeln während der Laufzeit des Vertrages zu erheben. Der Erzeuger stimmt schon heute einer
Saldierung mit etwaigen Zahlungsverpflichtungen aus der Kartoffelübernahme zu.“
Für den Fall einer Zuwiderhandlung wird der Beklagten Ordnungsgeld bis zu 500.000 DM angedroht, ersatzweise für
je 5.000 DM ein Tag Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, die Ordnungshaft zu vollstrecken an
einem Geschäftsführer der Beklagten.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Berufungsstreitwert und Entscheidungsbeschwer für die Beklagte: 12.000 DM.
Tatbestand
Der Kläger ist als Erzeugergemeinschaft i. S. v. § 3 Marktstrukturgesetz rechtsfähig durch staatliche Verleihung.
Seine Mitglieder erzeugen als Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe u. a. Industriekartoffeln für die Stärkeherstellung.
Wegen der Vereinszwecke des Klägers wird auf seine Satzung verwiesen.
Die Beklagte hat in einem ihr gehörenden Werk Kartoffelstärke früher selbst hergestellt. Inzwischen hat sie dieses
Werk an ein Grossunternehmen verpachtet, das nunmehr die Stärkeproduktion durchführt.
Kartoffeln zur Stärkeherstellung dieses Werks wurden und werden von Erzeugern - auch von Mitgliedern des Klägers
- aufgrund von langfristigen Verträgen geliefert. Diese Verträge hat die Beklagte mit den Erzeugern nach einem
Formular mit von ihr vorformulierten allgemeinen Geschäftsbedingungen geschlossen; sie tut dies auch weiterhin
und will auch in Zukunft so verfahren. Wegen des Inhalts wird auf das Vertragsformular Bezug genommen.
Der Kläger hält die im angefochtenen Urteil wiedergegebenen Klauseln des vorformulierten Vertragstextes für
unvereinbar mit dem AGBG. Er hat deshalb auf Unterlassung ihrer Verwendung geklagt.
Die Beklagte hat die Klagbefugnis des Klägers bezweifelt und ihre angegriffenen Klauseln verteidigt.
Mit dem am 16. September 1997 verkündeten Urteil hat das Landgericht eine Mehrzahl der beanstandeten Klauseln
untersagt, wegen anderer - hier auf Berufung des Klägers umstrittener - Klauseln jedoch die Klage abgewiesen. Die
Einzelheiten ergeben sich aus dem angefochtenen Urteil, auf das Bezug genommen wird.
Sein Ziel, auch die hier noch umstrittenen Klauseln verbieten zu lassen, verfolgt der Kläger mit seiner zulässigen
Berufung weiter. Er beantragt,
wie erkannt ist.
Die Beklagte beantragt nach Rücknahme ihrer gegen ihre Verurteilung eingelegten Berufung
Zurückweisung der Berufung des Klägers.
Sie bekräftigt ihre Zweifel an dessen Klagrecht und verteidigt weiterhin die jetzt noch angegriffenen Klauseln.
Zur Ergänzung der Sachdarstellung wird auf das angefochtene Urteil und auf den vorgetragenen Inhalt der in beiden
Rechtszügen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung hat Erfolg.
I.
Zutreffend hat das Landgericht dem Kläger das Recht zuerkannt, den Anspruch auf Unterlassung der Verwendung
der Geschäftsbedingungen im Rechtsstreit nach § 13 Abs. 2 Nr. 2 AGBG geltend zu machen. Der Kläger ist
rechtsfähiger Verband zur Förderung gewerblicher Interessen seiner Mitglieder. Die beanstandeten Klauseln berühren
diese Interessen.
1. Es ist rechtlich bedeutungslos, dass der Kläger als Wirtschaftsverein seine Rechtsfähigkeit durch staatliche
Verleihung erworben hat, während die Verbände i. S. v. § 13 Abs. 2 Nr. 2 AGBG ihre Rechtsfähigkeit regelmäßig
durch Eintragung ins Vereinsregister erlangt haben werden. Auf die Rechtsgrundlage in der Rechtsfähigkeit kommt
es nicht an, sondern allein auf ihr Vorhandensein.
2. Der Kläger hat (auch) die satzungsgemäße Aufgabe, gewerbliche Interessen seiner Mitglieder zu fördern. Sein
wirtschaftlicher Hauptzweck besteht zwar nach seiner Satzung darin, Industriekartoffeln zu erzeugen und zu
vermarkten. Daneben steht jedoch die von dem Kläger - mit der Führung dieses Rechtsstreits, was ausreicht -
wahrgenommene weitere Aufgabe, die wirtschaftlichen Interessen seiner Mitglieder gegenüber den Marktpartnern -
hier der Beklagten - zu vertreten. Mag die Landwirtschaft auch nach herrschender Auffassung nicht zu den
Gewerbebetrieben im engeren Sinne zu rechnen sein, so sind die zu vertretenden und hier wahrgenommenen
Interessen der Vereinsmitglieder doch gewerblich i. S. v. § 13 Abs. 2 Nr. 2 AGBG. Damit das Verbandsklagerecht
für alle typischerweise durch AGB erfassten Bereiche des auf Erzielung von dauerhaften Einnahmen durch
selbstständige Tätigkeit gerichteten Wirtschaftslebens eine gerichtliche Kontrolle herbeiführen kann, ist eine weite
Auslegung des Begriffs der „gewerblichen“ Interessen geboten.
3. Dass der Kläger - in erster Linie eigene wirtschaftliche Interessen wahrnimmt, ist unschädlich für sein Klaggericht
aus § 13 Abs. 2 Nr. 2 AGBG.
Nach allgemeiner und vom Senat geteilter Ansicht muß die Förderung wirtschaftlicher Interessen nicht der einzige
oder auch nur der wichtigste Verbandszweck sein. Dass der Kläger als Rechtssubjekt kraft staatlicher Verleihung
organisiert ist, schließt es aus, ihn so zu behandeln, als verfolge er seine eigenen Ziele in der Form einer
rechtsfähigen Handelsgesellschaft, der durch § 13 AGBG ein eigenes Klagerecht nicht eröffnet wäre. Die für mit
wirtschaftlichen Zielen handelnde Verbände durch das Marktstrukturgesetz geschaffene Möglichkeit, in der
vorteilhaften Form des Wirtschaftsvereins tätig zu werden, macht den Kläger nicht zu einer „getarnten“
Handelgesellschaft. Vielmehr ist und bleibt er Verein und damit Verband i. S. v. § 13 Abs. 2 Nr. 2 AGBG. Dass er
als rechtsfähiger Verein letztlich eigenständige Wirtschaftsinteressen nicht hat, dass vielmehr die Ergebnisse seiner
„eigensüchtigen“ wirtschaftlichen Tätigkeit den Mitgliedern zugutekommen, spricht zusätzlich gegen Gleichstellung
mit einer (nicht klageberechtigten) Handelsgesellschaft. Wenn auch im übrigen die Regelungen über die
Klageberechtigung im UWG nicht voll vergleichbar sind, so wird doch mit Recht die Ansicht vertreten, dass
Genossenschaften Verbände auch zur Förderung gewerblicher Interessen darstellen. Genossenschaften aber sind in
Organisation, Form und wirtschaftlicher Betätigung dem Wirtschaftsverein in der Erscheinungsform des Klägers
gleichwertig.
4. Dass in der Literatur und Rechtsprechung - soweit sie dem Senat bekannt geworden ist - die Frage nach der
Klageberechtigung eines Wirtschaftsvereins der Art des Klägers bisher nicht behandelt bzw. entschieden worden ist,
beruht nach der Auffassung des Senats auf der relativ geringen Häufigkeit solcher juristischen Personen. Das
Schweigen von Literatur und Rechtsprechung zu der hier erörterten Frage gibt deshalb für sich genommen keine
Veranlassung, sie als grundsätzlich ungeklärt und als höchstrichterlich klärungsbedürftig anzusehen. Der Senat sieht
deshalb keine Veranlassung, die Revision zuzulassen.
II.
Die in der Berufungsinstanz noch umstrittenen Klauseln der AGB der Beklagten hält der Senat mit dem Kläger für
unwirksam nach § 9 Abs. 1 AGBG, weil sie die Vertragspartner der Beklagten entgegen den Geboten von Treu und
Glauben unangemessen benachteiligen.
1. Die Klausel, welche die Pflicht der Kartoffelerzeuger und Lieferanten zur Abnahme von Pülpe regelt, benachteiligt
die Vertragsgegner unangemessen.
Jeder von ihnen muß 15 % seiner „Vertragsmenge“ in Form von Pülpe zurücknehmen, ohne dass eine hinter der
„Quote“ tatsächlich zurückbleibende Liefermenge zu einer Verringerung der abzunehmenden Pülpemenge führen soll.
a) Die „Vertragsmenge“ ist als Grundlage der Rücknahmepflicht jedenfalls in den Fällen sachlich nicht gerechtfertig,
in denen der Erzeuger von Industriekartoffeln aus Gründen, die er nicht zu vertreten hat, seine „Quote“ nicht erfüllt.
Wegen der EUgarantierten Mindestpreise für Stärkekartoffeln, die wirtschaftlich die Qualität von Subventionen haben
und höher sind als die Preise für Speisekartoffeln, wird grundsätzlich jeder Anbauer bestrebt sein, seine
„Vertragsmenge“ zu erfüllen. Fehlschläge in der Produktion werden typischerweise auf solche Umstände
zurückgehen, die von den Anbauern nicht oder nicht mit vertretbarem Kostenaufwand beeinflusst werden können.
Solche Umstände werden in dem eher kleinen Erzeugungsgebiet, aus dem die in der Fabrik der Beklagten
verarbeiteten Industriekartoffeln herrühren, typischerweise viele Erzeuger in gleicher oder ähnlicher Weise treffen.
Fallen sodann während einer Kampagne weniger Stärkekartoffeln an als nach den addierten Vertragsmengen aller
Erzeuger zu erwarten, so vermindert sich auch die Menge der anfallenden Pülpe entsprechend. Von daher gibt es
keine berechtigte sachliche Veranlassung, sich das Recht auszubedingen, Pülpe nicht nach Maßgabe der
tatsächlichen Anlieferung der Erzeuger und damit des tatsächlichen Pülpeanfalls zurückzuliefern, sondern nach einer
(in diesen Fällen realitätsfernen) Vertragsmenge. Sofern diese sachfremde Schematisierung der Rücknahmenmenge
das Ziel verfolgen sollte, die Erzeuger durch Belastung mit Pülpe unabhängig von ihrer tatsächlichen Liefermenge
zur Erfüllung ihrer „Vertragsmengen“ zu drängen, ändert sich an der Beurteilung nichts. Der Anbauer, der seine
Vertragsmenge deshalb nicht erzeugt, weil er nicht vertragstreu sein will, wird durch das Verbot der Klausel nicht
begünstigt, weil es in der Hand der Beklagten liegt, die Vertragsmenge bei anhaltender Lieferuntreue entsprechend
zu reduzieren; wer aber aus nicht von ihm zu vertretenden Gründen die Vertragsmengen nicht liefern kann, kann
durch Belastung mit der Pflicht zur Abnahme einer über 15 % der tatsächlichen Liefermenge hinausgehenden
Pülpemenge nicht im Sinne der Beklagten beeinflusst werden.
b) Ist danach die Klausel nach den Maßstäben einer gerechten Verteilung der Risiken nicht hinzunehmen, solange
die Rücknahmepflicht für Pülpe ohne Rücksicht auf nicht vom Erzeuger zu vertretende Mindermengen an der
„Vertragsmenge“ ausgerichtet ist, so ist sie insgesamt zu verbieten. Der beanstandete Teil der Geschäftsbedingung
kann nicht einfach weggelassen werden, ohne dass die Klausel insgesamt ihren Sinn verlöre. Sie ist deshalb nicht in
dem Sinne teilbar, dass bei Fortlassen des nicht hinzunehmenden Maßstabs für den Umfang der Rücknahmepflicht
ein sinnhafter Inhalt zurückbliebe.
c) Da es deshalb als Voraussetzung des Verbots nicht auf die übrigen unter den Parteien umstrittenen Punkte dieser
Klausel ankommt, braucht der Senat über deren Vereinbarkeit mit den Anforderungen eines gerechten
Interessenausgleichs i. S. v. § 9 Abs. 1 AGBG nicht abschließend zu entscheiden. Nur mit der rechtlichen Qualität
einer Nebenbemerkung („obiter dictum“) sei dazu gesagt:
aa) Dass der Erzeuger und Lieferant von Industriekartoffeln nach Maßgabe seiner Lieferung und des
durchschnittlichen Pülpeanfalls diesen Produktionsrückstand zurücknehmen muss, erscheint für sich gesehen als
nicht sachfremde Lösung. Wer als Landwirt den „guten Tropfen“ eines EUgarantierten und damit subventionierten
Mindestpreises genießen will, statt sich etwa an die riskantere Produktion von Speisekartoffeln zu machen, muß und
kann bei dieser Grundentscheidung auch die für seinen Betrieb zu erwartende Folge des „bösen Tropfens“ in Gestalt
der Rücknahmepflicht für Pülpe in Rechnung stellen. Je nachdem, ob er die Pülpe im eigenen Betrieb als
Rinderfutter verwenden oder Dritte als Abnehmer des Materials gewinnen kann, oder ob er die Pülpe als Abfall
kostenaufwendig „entsorgen“ müsste, kann jeder Landwirt seine Entscheidung über einen Anbau von
Industriekartoffeln sachgerecht treffen. Er kann jedenfalls nicht berechtigtermaßen erwarten, die Pülpe nur deshalb
durch andere Lieferanten oder durch die Beklagte selbst „entsorgt“ zu sehen, weil er in seinem Betrieb dafür keine
Verwendung hat und sie auch nicht anderweit absetzen kann.
bb) Dass die Beklagte sich das Recht ausbedungen hat, die Abnahmepreise für die Pülpe zu bestimmen, erscheint
im Hinblick auf § 315 BGB als nicht unausgewogene Lösung, weil die frühzeitige Preisbestimmung den Landwirten
die Möglichkeit gibt, die Billigkeit der Preisbestimmung rechtzeitig zu prüfen.
cc) Einen Verstoß gegen die EUBestimmungen, wonach der jeweilige Mindestpreis für Industriekartoffeln nicht
unterschritten werden darf, hat der Kläger nicht dargestellt. Die Überlassung von Pülpe, die als Rinderfutter
verwendet werden kann, ist eine eigenständige geldwerte Leistung der Beklagten. Diese hat mit der Preisgestaltung
für den Ankauf der zu verarbeitenden Industriekartoffeln weder rechtlich noch wirtschaftlich einen Zusammenhang
der Art, dass die für die Pülpe zu entrichtende Vergütung als Abzug vom Kartoffelpreis erschiene oder dass gar die
Pflicht zur entgeltlichen Abnahme des Produktionsruckstandes als Mittel zur Umgehung der Mindestpreise gewertet
werden dürfte.
2. Für die Klausel betreffend die Verpflichtung zur Abnahme von Fruchtwasser gilt mit Ausnahme dessen, was oben
zur Vergütungspflicht bemerkt ist, und mit den Änderungen, die sich aus der allein möglichen Verwendung zu
Düngungszwecken ergeben, das, was zur PülpeKlausel ausgeführt ist. Es ist nicht sachgerecht, dass sich der
Umfang der Abnahmepflicht an der Vertragsmenge ausrichtet.
3. Die Klausel, nach welcher die Beklagte den etwa durch die Pacht für ihre Stärkefabrik nicht gedeckten Teil ihrer
Verwaltungskosten durch eine Umlage von den Kartoffellieferanten liquidieren darf, erscheint ebenfalls als nicht
vertretbar i. S. v. § 9 Abs. 1 AGBG.
Die Beklagte hatte und hat es in der Hand, mit der Pächterin ihrer Fabrik für deren Überlassung eine Vergütung zu
vereinbaren, die zur Deckung ihrer Verwaltungskosten ausreicht. Als Handelsgesellschaft muß sie imstande sein,
die mutmaßliche künftige Entwicklung richtig einzuschätzen und entsprechend Vorsorge zu treffen. Wenn ihr das
nicht gelungen ist oder sich in Zukunft erweist, dass Pachteingänge und Verwaltungskosten auseinanderlaufen, So
liegt das allein in ihrem eigenen kaufmännischen Risiko und Verantwortungsbereich. Sofern Verluste entstehen,
müssen diese nach Maßgabe der für ihre Gesellschaftsform gültigen gesetzlichen Regeln ausgeglichen werden.
Dafür sind jedenfalIs die Lieferanten von Industriekartoffeln als solche nicht eintrittspflichtig. Sie haben keinen
Einfluss auf die Vereinbarungen des Beklagten mit der Pächterin und können auch die Höhe der Verwaltungskosten
der Beklagten nur in sehr engen Grenzen beeinflussen, etwa durch loyales Lieferverhalten. Es entspricht deshalb
nicht einem gerechten Interessenausgleich, dass die Beklagte mit der hier zu verbietenden Klausel versucht, die
Lieferanten als solche für ihr eigenes unternehmerisches Risiko in die Pflicht zu bringen. Dass diese Lieferanten
möglicherweise zu ihren Gesellschaftern gehören werden, spielt für die Beurteilung keine Rolle.
Die Urteilsformel entspricht § 17 AGBG.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO sowie darauf, dass die Beklagte die von ihr zunächst
eingelegte Berufung zurückgenommen hat. Das Urteil ist gemäß §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO ohne Sicherheitsleistung
für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Der Streitwert entspricht den übereinstimmenden Angaben der Parteien in der
Berufungsverhandlung. Daraus ergibt sich die nach § 546 Abs. 2 ZPO festgesetzte Entscheidungsbeschwer der
Beklagten.
######## ####### Richter am Oberlandesgericht
ist ortsabwesend.
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