Urteil des OLG Celle vom 17.01.2012

OLG Celle: aufschiebende wirkung, vollstreckung, strafprozessordnung, provokation, haft, rechtswidrigkeit, anhörung, zeichnung, geldstrafe, entziehen

Gericht:
OLG Celle, 01. Strafsenat
Typ, AZ:
Beschluss, 1 Ws 504/11
Datum:
17.01.2012
Sachgebiet:
Normen:
GVG § 178, GVG § 181
Leitsatz:
Das Verhängen von Ordnungsmitteln nach § 178 GVG kann auch auf Umstände gestützt werden, die
sich zwar nicht aus dem Ordnungsmittelbeschluss ergeben, die dem Betreffenden dem Protokoll der
Hauptverhandlung zufolge aber bekannt sind.
Dem Oberlandesgericht obliegt als Beschwerdegericht nach § 181 Abs. 3 GVG eine eigene Prüfung
auch im Hinblick auf Art und Maß des Ordnungsmittels.
Volltext:
Oberlandesgericht Celle
1 Ws 504/11
325 Cs 71/09 AG Hannover
1671 Js 78441/09 StA Hannover
B e s c h l u s s
In der Strafsache
gegen A. M.,
geboren am xxxxxxx 1990 in P.,
wohnhaft J.straße in B. (bei S.),
Verteidiger: Rechtsanwalt D. aus G.,
wegen Hausfriedensbruchs
hier: Festsetzung von Ordnungshaft
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die nunmehr auf Feststellung der Rechtswidrigkeit gerichtete
Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 9. Dezember 2011 nach
Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht xxxxxxxxxx, den
Richter am Oberlandesgericht xxxxxxxxxxxxxx und den Richter am Oberlandesgericht xxxxxxxxxxxxxxx am 17.
Januar 2012 beschlossen:
Die Beschwerde wird auf Kosten des Angeklagten als unbegründet verworfen.
G r ü n d e :
I.
Der Angeklagte wendet sich mit seiner Beschwerde gegen einen Beschluss des Amtsgerichts, mit welchem gegen
ihn eine Ordnungshaft von 5 Tagen festgesetzt wurde, nachdem er sich trotz wiederholter Aufforderung geweigert
hatte, sich zur Urteilsverkündung zu erheben. Ausweislich der Gründe der angefochtenen Entscheidung war gegen
den Angeklagten zuvor in einem Parallelverfahren [ebenfalls wegen Hausfriedensbruchs auf einem zukünftigen
Baugelände für Laborgebäude der Pharmaindustrie (Ergänzung durch den Senat)] als Zuhörer aus demselben Grunde
bereits ein Ordnungsgeld verhängt worden. Die Ordnungshaft wurde im Anschluss an die Hauptverhandlung
vollstreckt. der Angeklagte wurde am 14. Dezember 2011 aus der Haft entlassen.
II.
Das Rechtsmittel ist zulässig.
1. Die Beschwerde ist zunächst in der nach § 181 Abs. 1 GVG vorgesehenen Wochenfrist bei dem insoweit
zuständigen Amtsgericht Hannover eingegangen.
2. Der Zulässigkeit des Rechtsmittels steht nicht entgegen, dass vor Eingang der Akten beim Senat und somit vor
einer Entscheidung über die Beschwerde der Angeklagte nach vollständiger Vollstreckung aus der Haft bereits
entlassen wurde, denn die Vollstreckung macht die Beschwerde nicht gegenstandslos (LRWickern, StPO, 26. Aufl.,
§ 181 Rn. 4. KKDiemer, Strafprozessordnung, 6. Aufl., § 181 GVG Rn. 4. MeyerGoßner, Strafprozessordnung, 54.
Aufl., § 181 GVG Rn. 3). Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass im Falle einer nachträglichen Aufhebung des
Ordnungshaftbeschlusses weder § 51 StGB noch § 2 StrEG zur Anwendung gelangen und insofern ein Interesse an
der Feststellung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Maßnahme nicht verneint werden kann. Der Angeklagte hat
überdies beantragt, die Rechtswidrigkeit des Ordnungshaftbeschlusses festzustellen, so dass sein Rechtsmittel
trotz zwischenzeitlich eingetretener Erledigung mit dem Feststellungsbegehren zulässig bleibt.
III.
Das Rechtsmittel hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
1. In der Sache ist das Festsetzen der Ordnungshaft nicht zu beanstanden.
a) Das Verfahren betreffend die Anordnung der Ordnungshaft wegen Ungebühr nach Maßgabe von § 178 GVG ist frei
von Rechtsfehlern. Der Vorsitzende hat insbesondere vor Verhängen des Ordnungsmittels eine entsprechende
Maßnahme ausdrücklich (und zwar konkret Ordnungshaft in Höhe von 5 Tagen, falls der Angeklagte sich weiterhin
zur Urteilsverkündung nicht erhebt) angedroht und hat dem Angeklagten hierzu Gelegenheit entweder zum
Überdenken seines Verhaltens oder zur Stellungnahme gegeben. der Angeklagte hat sich hiernach geäußert. Eine
vom Angeklagten im Rahmen seiner Beschwerde behauptete Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt demnach nicht
vor. Dessen ungeachtet stand der Ungebührwille des Angeklagten außer Frage, so dass eine vorherige Anhörung
ohnedies entbehrlich war (vgl. hierzu LRWickern, StPO, 26. Aufl., § 178 GVG Rn. 36). Der Beschluss ist schließlich
in der Hauptverhandlung erlassen und auch begründet worden.
b) Das Amtsgericht ist zu Recht von einer Ungebühr in der Sitzung ausgegangen. Eine Ungebühr im Sinne von § 178
Abs. 1 GVG ist ein erheblicher Angriff auf die Ordnung in der Sitzung, auf deren justizgemäßen Ablauf, auf den
Gerichsfrieden und damit auf die Würde des Gerichts (vgl. nur MeyerGoßner, § 178 GVG Rn. 1 ff m.w.N.). Zu einem
geordneten Ablauf in diesem Sinne gehört auch das Beachten eines Mindestmaßes von äußeren Formen (OLG
Hamm NJW 1975, 942) und eine von Emotionen möglichst freie Verhandlungsführung. Die Ordnungsmittel nach §
178 GVG können insbesondere als Antwort auf grobe Verletzungen oder bewusste Provokationen eingesetzt werden
(KKDiemer, Strafprozessordnung, 6. Aufl., § 178 GVG Rn. 1). Zwar ist das Erheben sämtlicher in der
Hauptverhandlung anwesender Personen bei Eintritt des Gerichts zu Beginn der Sitzung und zur Urteilsverkündung
nicht gesetzlich vorgeschrieben. Nr. 124 Abs. 2 RiStBV enthält insoweit vielmehr nur eine Beschreibung der üblichen
Form in der Hauptverhandlung. Deren Nichtbeachtung stellt aber gleichwohl eine Ungebühr in der Hauptverhandlung
im Sinne von § 178 Abs. 1 GVG dar (LRWickern Rn. 5 und 15 m.w.N. zur Rechtsprechung). Dies muss jedenfalls
dann gelten, wenn der Betreffende - wie vorliegend - zuvor entsprechend ermahnt worden war (KKDiemer a.a.O.).
Dass der Angeklagte hierbei schuldhaft handelte, steht außer Frage. Das behauptete Wahrnehmen politischer
Interessen im Sinne von Art. 5 GG steht der Annahme schuldhaften Handelns nicht entgegen.
2. Im Ergebnis ebenfalls nicht zu beanstanden ist die angefochtene Entscheidung im Hinblick auf die Höhe der vom
Amtsgericht festgesetzten Ordnungshaft. Insoweit obliegt dem Senat als Beschwerdegericht eine eigene Prüfung
auch im Hinblick auf Art und Maß der Festsetzung (vgl. LRWickern § 181 Rn. 13). Denn die sitzungspolizeiliche
Gewalt des erkennenden Gerichts endet nach Abschluss der Sitzung (MeyerGoßner § 181 GVG Rn. 6).
Nach § 178 Abs. 1 GVG kann im Falle der Ungebühr ein Ordnungsgeld in Höhe von bis zu 1.000 Euro oder
Ordnungshaft bis zu einer Woche festgesetzt werden. Die Dauer der vorliegend verhängten Ordnungshaft von 5
Tagen lag demnach im oberen Bereich der möglichen Ordnungsmittel. Dies erscheint allein vor dem Hintergrund der
im angefochtenen Beschluss festgestellten Ungebühr (Weigerung, sich zu erheben) und in Anbetracht des
gegenständlichen Vorwurfs des Hausfriedensbruchs sowie der schließlich verhängten Rechtsfolge von 40
Tagessätzen Geldstrafe zunächst nicht frei von Bedenken. Indessen ist die Prüfung eines Ordnungsmittels nicht
allein auf die im zugrunde liegenden Beschluss festgestellten Tatsachen beschränkt. Vielmehr können auch solche
Umstände in die Prüfung einbezogen werden, die sich zwar nicht aus den Beschlussgründen, die sich aber aus dem
Protokoll auch für den Betroffenen ohne weiteres ergeben (OLG Hamm, NStZRR 2009, 183), diesem dem Protokoll
zufolge also hinlänglich bekannt sind.
Hierzu ist dem - dem Angeklagten auch im Beschwerdeverfahren bekannt gemachten - Protokoll u.a. zu entnehmen,
dass der Angeklagte wie auch in vorigen Sitzungen vom Vorsitzenden aufgefordert werden musste, seine Mütze und
die von ihm in der Hauptverhandlung getragene Schwimmbrille abzunehmen. Angaben auch zu seiner Person hat er
trotz wiederholten Nachfragens abgelehnt. Der Angeklagte hat ausweislich des Protokolls nachfolgend eine Reihe
von Anträgen gestellt, die erkennbar in keinem sachlichen Zusammenhang mit der Sache standen und letztlich auf
eine gezielte Provokation des Gerichts im Sinne eines inszenierten Happenings abzielten. Das Verfahren wurde von
zahlreichen Sympathisanten des Angeklagten und von einem erheblichen Medieninteresse begleitet. Einem als
Zeugen gehörten Polizeibeamten wurde vom Angeklagten eine zu Protokoll genommene Zeichnung vorgehalten, die
bei vernünftiger Betrachtung nur als sinnentleertes Rätsel über überforderte Polizeibeamte gewertet werden kann. In
einem gegen den Vorsitzenden gerichteten Ablehnungsantrag führte der Angeklagte aus, dieser habe ´seinen
Unverschämtheiten freien Lauf gelassen´ und habe sich in seiner ´provokativen Prozessführung gebadet´. der
Vorsitzende habe vergessen, dass er ´aufgrund mangelnder Zauber und Durchsetzungskräfte´ nicht im Stande sei,
jemandem das Wort zu entziehen. der Vorsitzende habe ´bezüglich der Überschätzung seiner Fähigkeiten´ sich
´nicht anders zu helfen gewusst´, als Ordnungshaft anzudrohen. Im Saal zur Sicherung anwesende Polizeibeamte
wurden als ´uniformierte Spielfiguren des vorsitzenden Richters´ bezeichnet. Auf die Ankündigung des Vorsitzenden,
er werde Ordnungshaft von fünf Tagen Dauer festsetzen, wenn der Angeklagte sich trotz dreifacher Aufforderung zur
Urteilsverkündung nicht erhebe, hat dieser erklärt, das sei unverhältnismäßig, er werde sich aber ´auch für zehn
Tage Ordnungshaft nicht für die Erhabenheit des Richters erheben´. Dieses gesamte und dem Angeklagten auch in
der Hauptverhandlung vor Verhängen des Ordnungsgeldes bekannte Geschehen zeigt, dass es diesem während der
gesamten, von einem erheblichen Interesse der Medien und der Öffentlichkeit gezeichneten Hauptverhandlung auf
eine gezielte Provokation des Gerichts und den Versuch ankam, den Vorsitzenden bloßzustellen. All dies rechtfertigt
im Ergebnis das Festsetzen der Ordnungshaft auch der Höhe nach.
IV.
Soweit der Angeklagte überdies beantragt hat, neben der Anordnung der Ordnungshaft auch deren Vollstreckung für
rechtswidrig zu erklären, bestand hierfür kein Anlass. Dies gilt umso mehr, als die vom Angeklagten eingelegte
Beschwerde keine aufschiebende Wirkung entfaltet hat (KKDiemer § 181 GVG Rn. 4). Soweit der Angeklagte
schließlich beantragt hat, die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung festzustellen, ist der Senat hierüber zu
entscheiden in vorliegendem Beschwerdeverfahren nicht berufen.
V.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 1 Abs. 4 iVm Abs. 1 Nr. 5 GKG.
VI.
Ein Rechtsmittel ist gegen die vorliegende Entscheidung nach § 304 Abs. 4 StPO nicht eröffnet.
xxxxxxxxxx xxxxxxxxxxxxxx xxxxxxxxxxxxxxx