Urteil des OLG Celle vom 04.05.2011

OLG Celle: ausschlagung der erbschaft, rechtliches gehör, gesetzlicher vertreter, elterliche sorge, eltern, bekanntgabe, zustellung, erfüllung, nachlassgericht, vertretungsmacht

Gericht:
OLG Celle, 10. Zivilsenat
Typ, AZ:
Beschluss, 10 UF 78/11
Datum:
04.05.2011
Sachgebiet:
Normen:
BGB § 1909 Abs 1 S 1, FamFG § 41 Abs 3
Leitsatz:
Für die Entgegennahme des Beschlusses, mit dem die Erbausschlagung vom Familiengericht
genehmigt wird, ist grundsätzlich ein Ergänzungspfleger zu bestellen, da - unabhängig vom Vorliegen
eines erheblichen Interessengegensatzes im Sinne von §§ 1629 Abs. 2 S. 3, 1796 Abs. 2 BGB - der
Beschluss dem Kind gemäß § 41 Abs. 3 FamFG bekannt zu geben ist und die Bekanntgabe an das
Kind nicht durch Zustellung an die Eltern bzw. den sorgeberechtigten Elternteil erfolgen kann.
Volltext:
10 UF 78/11
615 F 6102/10 Amtsgericht Hannover
Beschluss
In der Familiensache
betreffend die elterliche Sorge für das beteiligte Kind J. L. H., geb. am ….. 2004,
weitere Beteiligte:
1. Landeshauptstadt Hannover, Fachbereich Jugend und Familie,
Ergänzungspflegerin und Beschwerdeführerin,
2. C. C. H.,
Kindesmutter,
hat der 10. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Celle auf die Beschwerde der
Ergänzungspflegerin vom 5. April 2011 gegen den Ergänzungspflegschaft anordnenden Beschluss des Amtsgerichts
- Familiengericht - Hannover vom 15. März 2011 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 25. März 2011
durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht W., den Richter am Oberlandesgericht H. und die Richterin
am Amtsgericht C. am 4. Mai 2011 beschlossen:
I.
Die Beschwerde der Ergänzungspflegerin wird auf deren Kosten zurückgewiesen.
II.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
III.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.000 € festgesetzt.
Gründe:
I.
Das betroffene Kind J. L. H., geboren am ….. 2004, ist aus einer Verbindung seiner Mutter mit Herrn A. V., geboren
am …. in …. , verstorben am …. in …. , hervorgegangen. Die Kindeseltern waren nicht miteinander verheiratet.
Aufgrund der Anordnung in seinem Testament ist die Kindesmutter Alleinerbin nach dem verstorbenen Kindesvater
geworden. Sie hat die Erbschaft am 13. Dezember 2010 beim Amtsgericht - Nachlassgericht - Hannover (Az.: 50 VI
5113/10) ausgeschlagen. Die Erbschaft ist daraufhin dem betroffenen Kind angefallen. Die Kindesmutter hat deshalb
am 13. Dezember 2010 die Erbschaft auch als gesetzliche Vertreterin des betroffenen Kindes ausgeschlagen und
die Genehmigung der Erbschaftsausschlagung beim zuständigen Familiengericht beantragt.
Das Amtsgericht - Familiengericht - Hannover hat am 15. März 2011 für das betroffene Kind Ergänzungspflegschaft
angeordnet und die Landeshauptstadt Hannover zum Ergänzungspfleger bestellt, wobei der Beschluss auf den
Antrag der Kindesmutter vom 24. März 2011 hinsichtlich des Datums der Erbausschlagung sowie des Vornamens
des betroffenen Kindes durch den Beschluss vom 25. März 2011 berichtigt worden ist. Als Wirkungskreis der
Ergänzungspflegerin ist die Entgegennahme der Zustellung des noch zu erlassenden Beschlusses über die
Genehmigung der Erbausschlagung vom 13. Dezember 2010 gegenüber dem zuständigen Amtsgericht -
Nachlassgericht - Hannover (50 VI 5113/10) und die Erklärung eines Rechtsmittelverzichts bzw. Einlegung eines
Rechtsmittels gegen diesen Beschluss für den Minderjährigen bestimmt worden.
Dagegen richtet sich die Beschwerde der Ergänzungspflegerin, die geltend macht, dass das Kind auch im
Wirkungskreis der Ergänzungspflegschaft von der sorgeberechtigten Mutter vertreten werden könne.
II.
Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere form und fristgerecht eingelegt. sie hat jedoch in der Sache keinen
Erfolg.
Der angefochtene Beschluss ist zwar formell fehlerhaft, weil das Amtsgericht entgegen § 160 Abs. 2 S. 1 FamFG
die Kindesmutter nicht angehört hat, denn sie hat vor Erlass des Beschlusses keine Gelegenheit zur Stellungnahme
erhalten. Bei der Bestellung eines Ergänzungspflegers handelt es sich nach § 151 Nr. 5 FamFG um eine
Kindschaftssache, so dass die Eltern grundsätzlich anzuhören sind. Anderenfalls wird der in Art. 103 Abs. 1
Grundgesetz normierte Anspruch der Eltern auf rechtliches Gehör nicht beachtet. Dieser Verfahrensfehler ist aber
durch die Zustellung des angefochtenen Beschlusses an die Kindesmutter und deren Berichtigungsantrag vom 24.
März 2011 geheilt worden.
Das Amtsgericht hat zu Recht eine Ergänzungspflegschaft angeordnet.
Nach § 1909 Abs. 1 S. 1 BGB erhält, wer unter elterlicher Sorge steht, für Angelegenheiten, an deren Besorgung die
Eltern verhindert sind, einen Pfleger. Eine Verhinderung der Eltern oder - wie hier - eines allein sorgeberechtigten
Elternteils ist gemäß § 1629 Abs. 2 S. 3 BGB i.V.m. § 1796 Abs. 2 BGB insbesondere gegeben, wenn das Interesse
des betroffenen Kindes zu dem Interesse der Kindesmutter in erheblichem Gegensatz steht.
Teilweise wird die Ansicht vertreten, ein allein sorgeberechtigter Elternteil könne das Kind grundsätzlich nicht in
einem Erbausschlagungsverfahren vertreten, weil das Interesse des Kindes zu demjenigen der Mutter in erheblichem
Gegensatz stehe, so dass die Bestellung eines Ergänzungspflegers notwendig sei (vgl. KG Berlin - Beschluss vom
4. März 2010 - 17 UF 5/10 - FamRZ 2010, 11711173). In Verfahren, die die Genehmigung eines Rechtsgeschäfts
zum Gegenstand haben, könne das rechtliche Gehör nicht durch den Vertreter des durch die Entscheidung in seinen
Rechten Betroffenen wahrgenommen werden. Es sei nicht zu erwarten, dass der Elternteil, wenn die zu erlassende
Entscheidung seinem Antrag entspricht, den Beschluss noch einmal unter dem Gesichtspunkt des Kindeswohls
prüft (vgl. KG Berlin a.a.O.).
Das Kammergericht stützt seine Entscheidung zur Notwendigkeit der Bestellung eines Ergänzungspflegers
maßgeblich auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, wonach unter dem Gesichtspunkt des fairen
Verfahrens das rechtliche Gehör im Regelfall nicht durch denjenigen vermittelt werden kann, dessen Handeln im
Genehmigungsverfahren überprüft werden soll (vgl. BVerfG - Beschluss vom 18. Januar 2000 - 1 BvR 321/96 - NJW
2000, 17091711). Die nachlassgerichtliche Genehmigung eines von einem Nachlasspfleger abgeschlossenen
Erbauseinandersetzungsvertrages ohne Anhörung der Erben verletzt danach die Grundsätze des fairen Verfahrens.
Das Bundesverfassungsgericht hatte zuvor entschieden, dass ein Dritter das rechtliche Gehör nur vermitteln kann,
wenn er das Vertrauen des Berechtigten genießt oder einer besonderen rechtsstaatlichen Objektivitätspflicht
unterworfen ist (vgl. BVerfG - Beschluss vom 30. Oktober 1990 - 2 BvR 562/88 - NJW 1991, 1283 ff.).
Nach anderer Auffassung ist dem Kind in einem Erbausschlagungsverfahren nicht grundsätzlich zur Wahrnehmung
der Verfahrensrechte ein Ergänzungspfleger zu bestellen. Die Entziehung der Vertretungsmacht komme nur in
Betracht, wenn im Einzelfall - über eine allgemeine typische Risikolage hinaus - konkrete Hinweise auf einen
Interessengegensatz zwischen Kindesmutter und Kind gegeben sind und wenn aufgrund konkreter Umstände nicht
zu erwarten ist, dass die Kindesmutter unabhängig vom Ausgang des Genehmigungsverfahrens die Interessen des
betroffenen Kindes wahrzunehmen bereit und in der Lage ist (vgl. Brandenburgisches OLG - Beschluss vom 6.
Dezember 2010 - 9 UF 61/10 - juris).
Der Senat schließt sich im Ergebnis der zuerst genannten Auffassung an.
Es ist zwar kein erheblicher Interessengegensatz im Sinne von § 1629 Abs. 2 S. 3 BGB i.V.m. § 1796 Abs. 2 BGB
gegeben. Entscheidend ist insoweit, dass die vorrangig als Erbin berufene Kindesmutter im Hinblick auf den
offensichtlich überschuldeten Nachlass bereits die Erbschaft ausgeschlagen und selbst keinen wirtschaftlichen
Vorteil durch die nachfolgende Ausschlagung der Erbschaft für das betroffene Kind hat.
Die allein sorgeberechtigte Kindesmutter ist aber an der Entgegennahme des Beschlusses, mit dem die
Erbausschlagung vom Familiengericht genehmigt wird, verhindert.
Nach § 41 Abs. 3 FamFG ist ein Beschluss, der die Genehmigung eines Rechtsgeschäfts zum Gegenstand hat,
auch demjenigen bekannt zu geben ist, für den das Rechtsgeschäft genehmigt wird. Die Vorschrift trägt der zitierten
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Rechnung, wonach dem Beteiligten die Möglichkeit eingeräumt
werden muss, bei einer Entscheidung, die seine Rechte betrifft, zu Wort zu kommen (vgl. BTDrucksache 16/6308 S.
197). Anders als in anderen Verfahren kann die Gewährung rechtlichen Gehörs bei der Genehmigung eines
Rechtsgeschäfts nicht durch den Vertreter des durch die Entscheidung in seinen Rechten Betroffenen
wahrgenommen werden. Der Gesetzgeber wollte gewährleisten, dass der Rechtsinhaber selbst von der Entscheidung
frühzeitig Kenntnis erlangt, dass er selbst fristgerecht Rechtsmittel einlegen sowie einen etwaigen
Rechtsmittelverzicht zügig widerrufen kann (vgl. BTDrucksache 16/6308 S. 197).
Die Genehmigung eines Rechtsgeschäfts ist also auch dem Kind bekannt zu geben (vgl. Keidel16–MeyerHolz,
FamFG, § 41 Rdn 4. Heinemann, DNotZ 2009, 6,17). Da das hier betroffene Kind gemäß § 9 Abs. 1 FamFG nicht
verfahrensfähig ist, kommt eine unmittelbare Bekanntgabe an das Kind nicht in Betracht. Soweit ein Kind nicht
verfahrensfähig ist, handeln gemäß § 9 Abs. 2 FamFG i.V.m. § 1629 Abs. 1 S. 1 BGB grundsätzlich die Eltern für
das Kind. Die Bekanntgabe der familiengerichtlichen Genehmigung der Erbausschlagung an die sorgeberechtigten
Elternteile genügt aber nicht den Anforderungen des § 41 Abs. 3 FamFG. Aus dem Wortlaut des § 41 Abs. 3
FamFG, wonach der Beschluss ´auch´ demjenigen bekannt zu geben ist, für den das Rechtsgeschäft genehmigt
wird, ergibt sich, dass die Bekanntgabe nach § 41 Abs. 3 FamFG neben die Bekanntgabe nach § 41 Abs. 1 FamFG
tritt (vgl. BTDrucksache 16/6308 S. 197). Außerdem wollte der Gesetzgeber etwaigen Widersprüchen zu § 1828
BGB vorbeugen, wonach das Familiengericht die Genehmigung zu einer Erbausschlagung (§ 1822 Nr. 1 BGB) nur
den Eltern bzw. dem allein sorgeberechtigten Elternteil gegenüber erklären kann.
Die Bestellung eines Verfahrensbeistandes kommt nicht als milderes Mittel statt einer Anordnung der
Ergänzungspflegschaft in Betracht (anders: Zöller28–Feskorn, ZPO, § 41 FamFG Rdn. 8. Heinemann DNotZ 2009,
6, 17. Harders DNotZ 2009, 725, 730). Zustellungen an nicht verfahrensfähige Personen sind gemäß §§ 41 Abs. 3,
15 Abs. 1 und 2, 9 Abs. 2 FamFG, § 170 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu Händen des gesetzlichen Vertreters zu bewirken.
Die Ergänzungspflegerin vertritt das Kind gemäß §§ 1915 Abs. 1 S. 1, 1793 Abs. 1 S. 1 BGB. Im Gegensatz dazu
ist der Verfahrensbeistand nach § 158 Abs. 4 S. 6 FamFG nicht gesetzlicher Vertreter des Kindes, so dass
Zustellungen für das Kind nicht an den Verfahrensbeistand bewirkt werden können (vgl. ebenso OLG Köln -
Beschluss vom 10. August 2010 4 UF 127/10 - FamRZ 2011, 231 (Leitsatz). OLG Oldenburg - Beschluss vom 26.
November 2009 - 14 UF 149/09 - FamRZ 2010, 660662).
Da eine als ehrenamtlicher Ergänzungspfleger geeignete Einzelperson nicht vorhanden ist, hat das Amtsgericht zu
Recht das Jugendamt der Landeshauptstadt Hannover als Ergänzungspfleger bestellt (§§ 1915 Abs. 1 S. 1, 1791 b
Abs. 1 S. 1 BGB).
Die Rechtsbeschwerde war gemäß § 70 Abs. 2 Nr. 2 FamFG zuzulassen, weil die Rechtsprechung der
Oberlandesgerichte nicht einheitlich ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG, die Entscheidung über den Verfahrenswert auf § 45 Abs. 1 S. 1
FamGKG.
Rechtsbehelfsbelehrung:
Dieser Beschluss ist mit der Rechtsbeschwerde anfechtbar. Diese ist binnen einer Frist von einem Monat nach der
schriftlichen Bekanntgabe dieses Beschlusses durch Einreichen einer Beschwerdeschrift bei dem
Bundesgerichtshof in Karlsruhe, Herrenstraße 45 a, 76133 Karlsruhe, durch einen bei dem Bundesgerichtshof
zugelassenen Rechtsanwalt einzulegen. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich
der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich durch eigene
Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich
der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen. Die zur
Vertretung berechtigten Personen müssen die Befähigung zum Richteramt haben.
Die Rechtsbeschwerdeschrift muss enthalten:
1. die Bezeichnung des Beschlusses, gegen den die Rechtsbeschwerde gerichtet wird, und
2. die Erklärung, dass gegen diesen Beschluss Rechtsbeschwerde eingelegt werde.
Die Rechtsbeschwerdeschrift ist zu unterschreiben. Mit der Rechtsbeschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder
beglaubigte Abschrift des angefochtenen Beschlusses vorgelegt werden.
W. H. C.