Urteil des OLG Celle vom 12.07.2000

OLG Celle: anspruch auf rechtliches gehör, beweisverfahren, gehalt, bauwesen, kenntnisnahme, datum

Gericht:
OLG Celle, 14. Zivilsenat
Typ, AZ:
Beschluss, 14 W 20/00
Datum:
12.07.2000
Sachgebiet:
Normen:
ZPO § 492, ZPO § 411 ABS 4
Leitsatz:
1. Welcher Zeitraum im Sinne von § 411 Abs. 4 ZPO als angemessen anzusehen ist, kann nicht
schematisch festgelegt werden, sondern richtet sich nach den schutzwürdigen Interessen der
Parteien und den verfahrensrechtlichen Erfordernissen.
2. Dabei spielt eine entscheidende Rolle, ob es sich um ein schriftliches Gutachten handelt, das nach
Umfang, Gehalt und Schwierigkeitsgrad einer sorgfältigen und damit zeitaufwändigen Prüfung bedarf
und ob die betroffene Partei dazu noch sachverständige Hilfe in Anspruch nehmen muss.
Volltext:
Oberlandesgericht Celle
Beschluss
14 W 20/00
16 OH 14/98 LG Hannover
vom 12. Juli 2000
In dem selbständigen Beweisverfahren
pp.
XXXXXXX
XXXXXX
gegen
XXXXX
XXXXX
hat der 14. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht #####
und die Richter am Oberlandesgericht ##### und ##### am 12. Juli 2000 beschlossen:
Der mit Schreiben des Berichterstatters der 16. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 27. April 2000
verlautbarte Beschluss dieser Kammer und der Nichtabhilfebeschluss dieser Kammer vom 12. Mai 2000 werden
aufgehoben.
Das Landgericht wird angewiesen, gemäß dem Antrag der Antragsgegnerin vom 25. April 2000 den
Sachverständigen ###### ##### zur Erläuterung seines Gutachtens anzuhören.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens nach einem Beschwerdewert von 171.680 DM haben die Antragsteller zu
tragen.
Gründe
Die Beschwerde ist gemäß §§ 567 Abs. 1, 569 ZPO zulässig (vgl. dazu OLG Köln, BauR 1998, 591 m. w. N.). Dass
ein förmlicher Zurückweisungsbeschluss des Landgerichts fehlt, was zumindest unüblich ist (vgl. zu den
Formerfordernissen eines Beschlusses Zöller/Vollkommer, ZPO, 21. Aufl., Rdn. 15, 23 f. zu § 329), ist schon
deshalb unerheblich, weil die Kammer einen förmlichen Beschluss mit dem von allen Richtern unterzeichneten
Nichtabhilfebeschluss vom 12. Mai 2000 nachgeholt hat und der Senat es im Übrigen schon deshalb nicht für
angebracht hält, die Sache zur Nachholung eines förmlichen Zurückweisungsbeschlusses an das Landgericht
zurückzugeben, weil dadurch die Sache noch weiter unnötig verzögert würde.
2. Von den Parteien kaum und auch vom Senat nur schwer nachvollziehbar ist es, dass das Landgericht auf die
Beschwerdebegründung und die dort referierte Rechtsprechung zu §§ 492, 411 Abs. 4 ZPO auch im
Nichtabhilfebeschluss mit keinem Wort eingegangen ist. Darin liegt eine Verletzung des grundgesetzlichen
Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Denn zum rechtlichen Gehör gehört nicht nur die
Kenntnisnahme von Parteivorbringen, sondern selbstverständlich auch ein Eingehen darauf. Rechtsprechung ist kein
Selbstzweck, sondern soll dem Bürger auch verständlich machen, auf welchen Erwägungen sie beruht.
3 Gemäß § 492 Abs. 1 ZPO richtet sich im selbstständigen Beweisverfahren die Beweisaufnahme nach den
Vorschriften des betreffenden Rechtsmittels, hier also nach den Vorschriften über den Beweis durch
Sachverständige (§§ 402 f. ZPO). Damit ist auch § 411 Abs. 4 Satz 1 ZPO anwendbar, wonach die Parteien ihre
Einwendungen gegen das Gutachten und Anträge auf Erläuterung des schriftlichen Gutachtens innerhalb eines
angemessenen Zeitraums geltend zu machen haben. Eine Frist gemäß § 411 Abs. 4 Satz 2 ZPO hat das
Landgericht nicht gesetzt. Dabei muss einem Antrag auf mündliche Erläuterung des Gutachtens stattgegeben
werden, weil das Recht der Partei, dem Sachverständigen nach Erhalt des schriftlichen Gutachtens Fragen zu
stellen und Vorhalte zu machen, nicht durch Anordnung der schriftlichen Gutachtenerstattung beschränkt werden
darf, was schon aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör folgt und auch in §§ 402, 397 ZPO festgelegt ist. Dies gilt
nicht nur in einem Rechtsstreit, sondern selbstverständlich auch in einem selbstständigen
Beweissicherungsverfahren schon deshalb, weil dieses Verfahren in einem nachfolgenden Rechtsstreit gemäß § 493
ZPO einer Beweisaufnahme vor dem Prozessgericht gleichsteht.
Die Antragsgegnerin hat nach Erhalt des Gutachtens am 2. Februar 2000 mit am 26. April 2000 beim Landgericht
eingegangenen Schriftsatz vom 25. April 2000, also noch vor Ablauf von 3 Monaten, den Antrag auf Erläuterung des
Gutachtens durch den Sachverständigen gestellt. Dieser Zeitraum war noch angemessen im Sinne von § 411 Abs. 4
ZPO. Welcher Zeitraum als angemessen anzusehen ist, kann nicht schematisch festgelegt werden, sondern richtet
sich nach den schutzwürdigen Interessen der Parteien und den verfahrensrechtlichen Erfordernissen, wobei eine
entscheidende Rolle spielt, ob es sich um ein schriftliches Gutachten handelt, das nach Umfang, Gehalt und
Schwierigkeitsgrad einer sorgfältigen und damit zeitaufwändigen Prüfung bedarf und ob die betroffene Partei (hier die
Antragsgegnerin) dazu noch sachverständige Hilfe in Anspruch nehmen muss. So lag der Fall hier. Der
Sachverständige ###### ##### hat ein umfangreiches Gutachten von 31 Seiten mit zahlreichen Anlagen, zu denen
auch ein umfangreicher Prüfungsbericht der Materialprüfungsanstalt für das Bauwesen Hannover gehört, erstellt. In
dem Gutachten ist der Sachverständige zu in erheblichem Maße nachteiligen Ergebnissen für die Antragsgegnerin
gekommen. Deshalb und auch im Hinblick darauf, dass Teile des Beweissicherungsverfahrens nicht unnötig in den
späteren Rechtsstreit verlagert werden sollen, wozu die Antragsgegnerin bei dem vom Landgericht eingeschlagenen
Verfahren geradezu gezwungen würde, war die Antragstellung noch vor Ablauf von 3 Monaten nach Erhalt des
Gutachtens nicht unangemessen. Daraus folgt weiter, dass das selbständige Beweisverfahren noch nicht beendet
war, wie das Landgericht gemeint hat. Denn dies ist erst der Fall, wenn der Antrag auf Gutachtensergänzung oder
auf Ladung des Sachverständigen nicht innerhalb des angemessenen Zeitraums im Sinne von § 411 Abs. 4 ZPO
gestellt wird (vgl. OLG Köln,
BauR 1947, 886).
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Festsetzung des Beschwerdewerts aus § 3 ZPO.
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