Urteil des OLG Celle vom 13.11.2003

OLG Celle: einfache bürgschaft, treu und glauben, allgemeine geschäftsbedingungen, anforderung, bauvertrag, sicherheitsleistung, abnahme, unternehmer, bürgschaftsurkunde, besteller

Gericht:
OLG Celle, 13. Zivilsenat
Typ, AZ:
Urteil, 13 U 136/03
Datum:
13.11.2003
Sachgebiet:
Normen:
AGBG § 9 Abs. 1, BGB § 133, BGB § 157
Leitsatz:
Die in Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Bauvertrags getroffene Regelung, wonach der
Besteller nach Abnahme des Bauwerks 5 % der Auftragssumme für die Dauer der
Gewährleistungsfrist einbehalten darf und dem Auftragnehmer das Recht eingeräumt wird, den
Einbehalt durch eine Bürgschaft auf erstes Anfordern abzulösen, ist insgesamt unwirksam (BGH,
NJW 2001, 1857; NJW 2002, 894).
Der Bauvertrag kann dann nicht ergänzend dahin ausgelegt werden, dass der Unternehmer anstatt der
Bürgschaft auf erstes Anfordern eine „einfache“ Bürgschaft schuldet.
Volltext:
Oberlandesgericht Celle
Im Namen des Volkes
Urteil
13 U 136/03
25 O 20/03 Landgericht Hannover Verkündet am
13. November 2003
#######,
Justizsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
In dem Rechtsstreit
pp.
hat der 13. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am
Oberlandesgericht ####### sowie der Richter am Oberlandesgericht ####### und ####### aufgrund der mündlichen
Verhandlung vom 28. Oktober 2003 für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts####### vom 3. Juli 2003 geändert und die Klage
abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in
Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit
in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Streitwert im Berufungsverfahren: 82.573,64 EUR.
Gründe
I.
Die Klägerin nimmt die beklagte Versicherung aus einer Bürgschaft in Anspruch.
Die Klägerin beauftragte die ####### GmbH in einem Bauvertrag vom 25. April 1996, drei Mehrfamilienhäuser
schlüsselfertig zu errichten. In dem Bauvertrag heißt es unter § 7 Ziff. 8:
„Als Sicherheit wird von der Schlussrechnung ein 5 %iger Einbehalt (= 161.500 DM) hinsichtlich des vereinbarten
Pauschalfestpreises in Höhe von 3.230.000 DM vorgenommen. Die Sicherheitsleistung dient zur Befriedigung aller
Ansprüche des AG aus der Nichterfüllung der vertraglichen Leistungen des AN und zur Sicherung aller
Gewährleistungsansprüche. Die Auszahlung des Sicherheitsbetrages erfolgt nach Ablauf der
Gewährleistungsansprüche und schriftliche Anforderung durch den AN.
Der Unternehmer ist berechtigt, die Sicherheitsleistung abzulösen durch Bestellung einer selbstschuldnerischen
unbefristeten Bürgschaft einer deutschen Großbank oder Sparkasse in Höhe des vereinbarten 5 %igen
Sicherheitseinbehalts, wobei die Bank oder Sparkasse sich verpflichtet, auf erste Anforderung Zahlung zu leisten.“
Die ####### GmbH errichtete die Gebäude. Die Abnahme erfolgte am 29. November 1997.
Unter dem 15. April 1998 verbürgte die Beklagte sich bis zu einem Betrag von 161.500 DM selbstschuldnerisch
unter Verzicht auf die Einreden der Anfechtung, Aufrechnung und Vorausklage für die vertragsgemäße Leistung der
Bauarbeit. Nach dem Bürgschein sollte die Bürgschaft dazu dienen, die vertragsgemäße
Gewährleistung für fertig gestellte und abgenommene Arbeiten zu sichern; die Beklagte verpflichtete sich, auf erste
Anforderung Zahlung zu leisten.
Ab Anfang 1998 traten im Bereich der Wohnungen und der Treppenhäuser Risse auf, die die ####### GmbH
beseitigte. In einem im Juni 2000 eingeleiteten selbstständigen Beweisverfahren stellte der Sachverständige
umfangreiche Mängel fest. Im November 2002 erwirkte die Klägerin ein Teilurteil gegen die ####### GmbH, mit dem
diese zur Mängelbeseitigung verurteilt wurde.
Bereits mit Schreiben vom 12. Juli 2002 hatte die Klägerin die Beklagte aus der Bürgschaft auf Zahlung von
82.573,64 EUR (161.500 DM) in Anspruch genommen. Die Beklagte leistete nicht. Daraufhin hat die Klägerin den
Anspruch aus der Bürgschaft mit der Klage geltend gemacht.
Das Landgericht hat die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 82.573,64 EUR nebst Zinsen Zug um Zug gegen
Herausgabe des Bürgscheins zu zahlen; außerdem hat es festgestellt, dass die Beklagte sich mit der Annahme des
Bürgscheins im Verzug befindet. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt: Zwar sei eine
Sicherungsvereinbarung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Auftraggebers, wonach der Auftragnehmer zur
Sicherung von Vertragserfüllungsansprüchen eine Bürgschaft auf erstes Anfordern zu stellen habe, unwirksam
(BGH, Urteil vom 18. April 2002 - VII ZR 192/01). Jedoch seien Verträge, die vor dem Bekanntwerden des
BGHUrteils vom 4. Juli 2002 abgeschlossen worden seien, ergänzend dahin auszulegen, dass der Auftragnehmer
eine unbefristete, selbstschuldnerische Erfüllungsbürgschaft schulde.
Die Beklagte verfolgt mit der Berufung ihren Klageabweisungsantrag weiter.
II.
Die Berufung ist begründet.
Nach dem Inhalt der Bürgschaftsurkunde vom 15. April 1998 handelt es sich um eine Bürgschaft auf erste
Anforderung, d. h., dass die Beklagte auf Anforderung grundsätzlich sofort zahlen muss. Es ist jedoch in der
Rechtsprechung anerkannt, dass Einwände des Bürgen ausnahmsweise nicht erst im Rückforderungsprozess,
sondern schon im Erstprozess zu beachten sind, sofern sich deren Berechtigung aus dem unstreitigen Sachverhalt
oder dem Inhalt der Vertragsurkunden ohne weiteres ergibt. Das gilt insbesondere dann, wenn der
Bürgschaftsvertrag nur der Erfüllung der Sicherungsabrede dient, sich aus dieser jedoch kein wirksamer Anspruch
auf Erhalt einer Bürgschaft auf erstes Anfordern ergibt (BGH, NJW 2001, 1857, 1858). So ist es hier:
1. Die Bürgschaft vom 15. April 1998 diente, soweit ersichtlich, nur der Erfüllung der Sicherungsabrede in § 7 Ziff. 8
des Bauvertrags vom 25. April 1996.
2. Die Sicherungsabrede ist unwirksam.
a) Bei § 7 Ziff. 8 des Bauvertrags handelt es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen.
aa) Es ist in erster Instanz unstreitig gewesen, dass § 7 Ziff. 8 des Bauvertrags eine vorformulierte Klausel ist, die
die Klägerin in mehreren anderen Bauverträgen ebenfalls verwendete.
bb) Soweit die Klägerin geltend macht, dass sie die Vertragsbedingungen mit der ####### GmbH ausgehandelt
habe, liegt die Darlegungslast bei ihr, weil § 1 Abs. 2 AGBG einen Ausnahmetatbestand darstellt.
Die Klägerin hat zum Vorliegen einer Individualvereinbarung vorgetragen: Der Vertrag sei im Einzelnen ausgehandelt
worden. Er sei der ####### GmbH übersandt worden und dann Gegenstand einer abschließenden
Vertragsverhandlung gewesen, die am 24. April 1996 von ca. 16:00 Uhr bis nachts ca. 24:00 Uhr gedauert habe.
Anlässlich dieser Vertragsverhandlungen sei der Entwurf im Einzelnen ausgehandelt worden, wobei jede einzelne
Vertragspassage diskutiert und die gewünschten Änderungen schriftlich niedergelegt worden seien. Es sei über
jeden einzelnen Paragraphen des Bauvertrags verhandelt worden, auch die umstrittene Regelung sei ausführlich
erörtert worden. Da die ####### GmbH insoweit keine Einwendungen erhoben habe, sei die Regelung in den Vertrag
aufgenommen worden. Jeder Paragraph sei laut vorgelesen worden und über jeden Paragraphen sei gesprochen
worden.
Dieses Vorbringen reicht für eine Individualvereinbarung i. S. d. § 1 Abs. 2 AGBG nicht aus. Von einem Aushandeln
in diesem Sinn kann nur gesprochen werden, wenn der Verwender den in seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen
enthaltenen gesetzesfremden Kerngehalt inhaltlich ernsthaft zur Disposition stellt und dem Vertragspartner
Gestaltungsfreiheit zur Wahrung eigener Interessen mit der realen Möglichkeit einräumt, die inhaltliche Gestaltung
der Vertragsbedingungen zu beeinflussen (BGH, NJW 2002, 2388). Deshalb genügt für die Feststellung, die Klauseln
seien „ausgehandelt“ nicht, dass der Inhalt lediglich erörtert wurde und den Vorstellungen des Vertragspartners
entsprach (Werner/Pastor, Der Bauprozess, 9. Aufl., Rn. 2151 mit Nachw.).
b) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs benachteiligt eine Bestimmung in Allgemeinen
Geschäftsbedingungen eines Bauvertrags, wonach der Besteller nach Abnahme des Bauwerks 5 % der
Auftragssumme für die Dauer der Gewährleistungsfrist als Sicherheit einbehalten darf, den Auftragnehmer entgegen
den Geboten von Treu und Glauben unangemessen. Sie ist nur wirksam, wenn dem Auftragnehmer ein
angemessener Ausgleich zugestanden wird. Das ihm eingeräumte Recht, den Einbehalt durch eine Bürgschaft auf
erstes Anfordern abzu
lösen, stellt keinen angemessenen Ausgleich dar (BGH, NJW 2001, 1857, 1858; NJW 2002, 894).
So ist es hier im Hinblick auf § 7 Ziff. 8 des Bauvertrags.
c) Der Verstoß gegen § 9 AGB führt dazu, dass die Klausel insgesamt unwirksam ist und der Beklagten ein
Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB auf Rückgewähr der Bürgschaftsurkunde zusteht. Die Bestimmung kann
nicht mit der Maßgabe aufrecht erhalten werden, dass der Auftragnehmer den Sicherheitseinbehalt durch Beibringen
einer einfachen Bürgschaft ablösen darf (BGH, NJW 2001, 1857, 1858; NJW 2002, 894).
d) Dem steht das Urteil des BGH vom 4. Juli 2002 (NJW 2002, 3098) nicht entgegen.
In jenem Urteil hat der BGH entschieden, dass die Verpflichtung eines Bauunternehmers, in Allgemeinen
Geschäftsbedingungen des Bestellers, zur Sicherung von Vertragserfüllungsansprüchen eine Bürgschaft auf erstes
Anfordern zu stellen, unwirksam ist, und dass der dadurch lückenhafte Bauvertrag - sofern er vor dem
Bekanntwerden der Entscheidung vom 4. Juli 2002 vereinbart wurde – ergänzend dahin auszulegen ist, dass der
Unternehmer eine unbefristete, selbstschuldnerische Bürgschaft schuldet. Um einen solchen Fall - in Allgemeinen
Geschäftsbedingungen gesondert enthaltene Verpflichtung, eine Vertragserfüllungsbürgschaft auf erstes Anfordern
zu stellen - handelt es sich vorliegend nicht. Hier geht es vielmehr um eine Formularklausel, in der dem Auftraggeber
das Recht auf 5 %igen Einbehalt zur Sicherung aller Ansprüche aus der Nichterfüllung der vertraglichen Leistungen
des Auftragnehmers und zur Sicherung aller Gewährleistungsansprüche bis zum Ablauf der Gewährleistungsfrist
eingeräumt wird, und der Auftragnehmer den Sicherheitseinbehalt durch eine Bürgschaft auf erstes Anfordern
ablösen darf. Diese Klausel, die eine untrennbare Einheit bildet, ist insgesamt unwirksam. Da es schon an der
gültigen Vereinbarung eines Sicherheitseinbehalts fehlt, kommt eine Ablösung des Sicherheitseinbehalts weder
durch eine Bürgschaft auf erstes Anfordern noch durch eine einfache Bürgschaft in Betracht (vgl. BGH, NJW 2001,
1857; NJW 2002, 3098).
Entgegen der Auffassung des Landgerichts ergibt sich nichts anderes aus dem Urteil des BGH vom 10. April 2003
(VII ZR 314/01 ZfBR 2003, 672). Dort hat der BGH ausgeführt, dass der Bürge, wenn er dem Gläubiger eine
Bürgschaft auf erstes Anfordern stellt, obwohl der Gläubiger aufgrund der Sicherungsvereinbarung nur eine einfache
Bürgschaft verlangen konnte, dem Gläubiger aus der selbstschuldnerischen Bürgschaft verpflichtet bleibt. Um einen
solchen Sachverhalt handelt es sich hier nicht. Es ist hier nicht so, dass die Klägerin aufgrund der
Sicherungsvereinbarung anstatt der gegebenen Bürgschaft auf erstes Anfordern nur eine einfache Bürgschaft
beanspruchen kann. Sie kann vielmehr, wie ausgeführt, wegen der Unwirksamkeit der Sicherungsabrede überhaupt
keine Bürgschaft verlangen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§
708 Nr. 10, 709, 711 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 543 ZPO liegen nicht vor.
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