Urteil des OLG Celle vom 09.05.2011

OLG Celle: stufenklage, bedürftige partei, offenkundig, nettoeinkommen, beschränkung, polizeidienst, immobilie, familienwohnung, aufwand, selbstbehalt

Gericht:
OLG Celle, 10. Zivilsenat
Typ, AZ:
Beschluss, 10 WF 341/10
Datum:
09.05.2011
Sachgebiet:
Normen:
ZPO § 115, ZPO § 119, ZPO § 120 ABS 4
Leitsatz:
Hat das Gericht für die Geltendmachung von Unterhalt im Wege der Stufenklage Prozeßkostenhilfe
(PKH) bewilligt, so ist auch bei einem Vorbehalt, die Erfolgsaussichten des Zahlungsanspruches
gesondert zu überprüfen, eine Versagung der PKH für die Leistungsstufe allein im Hinblick auf ein
nunmehr angenommenes Fehlen der wirtschaftlichen Voraussetzungen ausgeschlossen. soweit nicht
ausnahmsweise eine Aufhebung der Bewilligung nach § 124 ZPO eröffnet ist, ist etwa geänderten
wirtschaftlichen Verhältnissen allein durch Anordnungen nach § 120 Abs. 4 ZPO Rechnung zu tragen.
Volltext:
10 WF 341/10
609 F 4229/09 Amtsgericht Hannover
Beschluß
In der Familiensache
N. S.,
Klägerin und Beschwerdeführerin,
Verfahrensbevollmächtigte:
Rechtsanwältin R. Q.,
gegen
T. S.,
Beklagter,
hat der 10. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Celle auf die sofortige Beschwerde der
Klägerin gegen den ´Verfahrenskostenhilfe´ versagenden Beschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Hannover
vom 13. September 2010 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht W., den Richter am
Oberlandesgericht H. und die Richterin am Amtsgericht C. am 9. Mai 2011 beschlossen:
Auf die Beschwerde wird der Beschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Hannover vom 13. September 2010
geändert:
Die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe für die Klägerin erstreckt sich für die Leistungsstufe auf die mit Schriftsatz
vom 24. Juni 2010 angekündigten Anträge mit der Maßgabe, daß ab Januar 2010 Kindesunterhalt lediglich in Höhe
von 115 % des Mindestunterhaltes abzüglich des hälftigen Kindergeldes sowie ein monatlicher Trennungsunterhalt in
Höhe 902 € geltend gemacht werden kann, insgesamt also auf einen Streitwert der Gebührenstufe bis 22.000 €.
Gründe:
I.
Die Klägerin ist die getrenntlebende Ehefrau des Beklagten. aus der Ehe sind die beiden Kinder L. und T.
hervorgegangen, die in der Obhut der Klägerin leben. Im vorliegenden, am 31. August 2009 eingeleiteten Verfahren
verfolgt die Klägerin im Wege einer Stufenklage eigene Trennungs sowie (als Prozeßstandschafterin)
KindesUnterhaltsansprüche jeweils für die Zeit ab Juli 2009.
Das Amtsgericht - welches das Verfahren bislang nach den seit dem 1. September 2009 geltenden Vorschriften
behandelt - hat ihr mit Beschluß vom 18. Oktober 2009 die nachgesuchte Prozeßkostenhilfe (PKH) - als
Verfahrenskostenhilfe (VKH) bezeichnet - unter Anwaltsbeiordnung bewilligt und dabei ausdrücklich klargestellt, daß
sich die Bewilligung auf die Stufenklage insgesamt erstreckt und dem Vorbehalt unterliegt, den noch zu beziffernden
Zahlungsantrag auf seine Erfolgsaussicht hin zu überprüfen.
Nach zwischenzeitlich erfolgter Auskunftserteilung durch den Beklagten hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 24.
Juni 2010 ihre Anträge beziffert und - im Hinblick auf den ausdrücklichen Vorbehalt - um Zustellung erst nach
´endgültiger Entscheidung´ über die PKH gebeten. Nach (ergebnislos gebliebenem) Ablauf der dem Beklagten
gesetzten und antragsgemäß verlängerten Stellungnahmefrist hat das Amtsgericht mit Beschluß vom 13. September
2010 den ´Antrag der Antragstellerin vom 24. Juni 2010 auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe und Beiordnung
eines Rechtsanwalts … zurückgewiesen´ und zur Begründung ausgeführt, die Klägerin habe nicht glaubhaft
gemacht, daß sie von ihrem getrenntlebenden Ehemann keinen ´Verfahrenskostenvorschuß´ erlangen könne.
Dagegen richtet sich die form und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde der Klägerin, die - unter Hinweis auf
die bereits für die Stufenklage insgesamt erfolgte Bewilligung und Beiordnung - weiter die Erstreckung auf die
Zahlungsanträge begehrt und ergänzende Ausführungen zu der vom Amtsgericht angenommenen Möglichkeit einer
Inanspruchnahme des Beklagten auf einen Vorschuß macht.
Das Amtsgericht hat der Beschwerde unter Bezugnahme auf die Begründung der angefochtenen Entscheidung nicht
abgeholfen und lediglich hinzugefügt, erst aufgrund der Auskünfte sei nunmehr bekannt, daß dem Beklagten ein
Nettoeinkommen von gut 2.700 € zur Verfügung stehe.
Der Einzelrichter hat die Sache dem Senat zur Entscheidung übertragen.
II.
Die sofortige Beschwerde der Klägerin ist zulässig und hat den aus dem Tenor ersichtlichen Erfolg.
1. Das vorliegende Verfahren ist ausweislich des Eingangsstempels der Telefaxannahmestelle des Amtsgerichts [Bl.
1 d.A.] am 31. August 2009 - also vor Inkrafttreten des FGGReformG am 1. September 2009 - eingeleitet worden.
mithin sind hier, da offenkundig auch keine der Sondervorschriften nach Art. 111 Abs. 3 bis 5 FGGReformG
einschlägig sind, weiter die bis zu diesem Tage geltenden Vorschriften anzuwenden (vgl. Art. 111 Abs. 1 Satz 1
FGGReformG). Soweit das Amtsgericht bislang fälschlich von der Anwendbarkeit der ab 1. September 2009
geltenden Vorschriften ausgeht, wirkt sich dies auf die im Beschwerdeverfahren maßgeblichen Rechtsfragen - schon
aufgrund der Verweisung in § 113 Abs. 1 FamFG auf die Vorschriften der ZPO über die Prozeßkostenhilfe - nicht
entscheidend aus. das Amtsgericht wird aber im weiteren Verfahren auf das tatsächlich maßgebliche
Verfahrensrecht abzustellen haben.
2. Für eine - wie vom Amtsgericht mit dem angefochtenen Beschluß ausgesprochene - ´Versagung´ der PKH besteht
im Streitfall schon aus Rechtsgründen keine Möglichkeit.
Bei der Stufenklage werden mit dem Auskunftsantrag zugleich auch alle weiteren Stufenantrage rechtshängig (BGH,
Urteil vom 8. Februar 1995 - XII ZR 24/94 - FamRZ 1995, 797 ff.). zugleich bestimmt sich der Gegenstandswert der
Stufenklage insgesamt - und damit auch des Auskunftsantrages - nach dem letztendlich werthöchsten Einzelantrag,
also regelmäßig nach dem - anfangs naturgemäß noch nicht abschließend zu beziffernden - Leistungsantrag (§ 44
GVG. entsprechend für das ab September 2009 geltende Recht § 38 FamGKG).
Anerkanntermaßen erstreckt sich entsprechend auch die Bewilligung von PKH für eine Stufenklage auf sämtliche
Stufen (vgl. etwa OLG Celle, Beschluß vom 22. Februar 1996 - 18 WF 15/96 - FamRZ 1997, 99 f. = NdsRpfl 1996,
232 f.. OLG Brandenburg - Beschluß vom 10. Juli 2002 - 9 WF 101/02 - MDR 2003, 171 f. OLG Jena, Beschluß vom
23. April 2007 - 8 WF 98/07 - FamRZ 2007, 1755. KG, Beschluß vom 25. Oktober 2007 - 16 WF 246/07 - FamRZ
2008, 702. OLG Brandenburg - Beschluß vom 25. Februar 2008 - 9 WF 39/08 - FamRZ 2008, 1354. OLG Köln,
Beschluß vom 23. März 2011 - 4 WF 23/11 - juris = OLG Report NRW 17/2011 Anm. 7. Reinken, Die Behandlung
von Verfahrenskostenhilfeanträgen bei Hauptsacheerledigung, Anerkenntnis und Stufenklagen, FPR 2009, 406, 408.
Zöller28–Geimer, ZPO § 114 Rz. 37 m.w.N.), wobei zutreffenderweise von einer immanenten Beschränkung für die
Zahlungsstufe auf dasjenige auszugehen ist, was von den in den vorangegangenen Stufen erreichten Auskünften
gedeckt wird (vgl. Reinken aaO. Zöller aaO. OLG Köln aaO. OLG Brandenburg, aaO). Von diesem Verständnis ist
offenkundig auch das Amtsgericht bei der ursprünglichen PKHBewilligung ausgegangen, die sich ausdrücklich ´auf
den gesamten Stufenantrag´ erstreckte. In diesem Sinne dient eine - auch im Streitfall vom Amtsgericht
ausdrücklich vorbehaltene - Prüfung der Erfolgsaussicht des bezifferten Zahlungsantrages lediglich dazu, die
bedürftige Partei davor zu schützen, durch eine zu weitgehende und damit die bereits immanent vorhandene
Beschränkung der PKHBewilligung überschreitende Antragstellung von der Bewilligung nicht mehr umfaßte Kosten
auszulösen.
Allerdings steht dem Gericht insofern allein eine Prüfung des Umfangs der hinreichenden Erfolgsaussicht der
Rechtsverfolgung auf der Leistungsstufe zu, für eine erneute Prüfung der bereits im Rahmen des
Bewilligungsbeschlusses geprüften und bejahten wirtschaftlichen Voraussetzungen fehlt es an jeglicher gesetzlichen
Grundlage, so daß auch nicht aus wirtschaftlichen Gründen eine nunmehrige Versagung der PKH eröffnet ist.
Vielmehr könnte die bereits - für die gesamte Stufenklage - bewilligte PKH ggf. allein unter den Voraussetzungen
des § 124 ZPO aufgehoben werden. Diese sind jedoch im Streitfall offenkundig nicht gegeben. insbesondere hat die
Klägerin im Rahmen ihrer Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse weder absichtlich noch
aus grober Nachlässigkeit unrichtige Angaben gemacht - vielmehr hat sie dort das Einkommen des Beklagten auf
rund 2.500 € geschätzt und auch die Eigentumsverhältnisse an der vormals die Familienwohnung darstellenden
Immobilie zutreffend dargestellt.
Etwaige veränderte wirtschaftliche Verhältnisse auf seiten des PKHBerechtigten könnte das Gericht nachträglich
dagegen allein durch Anordnungen nach § 120 Abs. 4 ZPO berücksichtigen, ihm also ggf. die nunmehrige Zahlung
von Raten oder auch eines Einmalbetrages bis zur Höhe der nach der PKHBewilligung abzudeckenden
Gesamtkosten aufgeben. eine Aufhebung der bewilligten PKH oder deren ´Versagung´ kommt dagegen auch über
diese Norm nicht in Betracht.
3. Allerdings hat die Klage mit den auf der Leistungsstufe angekündigten Anträgen auch nach dem eigenen
klägerischen Vortrag - für den hier zu beurteilenden streitwertbildenden Zeitraum bis Ende Juli 2010 - nicht in vollem
Umfang hinreichende Aussicht auf Erfolg, so daß sich die PKHBewilligung auf der Leistungsstufe auf das aus dem
Tenor ersichtliche - geringfügig geringere - Klageziel beschränken muß.
a. Keinen Bedenken begegnet allerdings, soweit die Klägerin für 2009 beim Beklagten von einem Einkommen
ausgeht, wie es dieser aus ungekürzten Bezügen für seinen Polizeidienst erzielen würde. eine unterhaltsrechtliche
Beachtlichkeit der für unentschuldigte Fehlzeiten erfolgten Kürzungen ist nicht ersichtlich. Ebenfalls zutreffend sind
insoweit die Berechnungen zur abzusetzenden Steuer, zu den pauschal mit 5 % zu berücksichtigenden
berufsbedingten Aufwendungen sowie zu ersparten Mietaufwendungen für eine angemessene Wohnung, die zu
einem bereinigten monatlichen Nettoeinkommen von rund 2.985 € führen. Auf dieser Grundlage gelangt die Klägerin
zutreffend zu Kindesunterhalt in Höhe von jeweils 120 % des Mindestbetrages abzüglich des hälftigen, von ihr
bezogenen Kindergeldes sowie zu einem eigenen monatlichen Trennungsunterhalt von 1.039 €, bei dessen
Verteilung in den angekündigten Anträgen dem teilweisen Übergang zutreffend Rechnung getragen ist.
Bei der Formulierung ihrer Anträge wird die Klägerin lediglich zu berücksichtigen haben, daß es auch hinsichtlich der
- unmittelbar in § 1612a Abs. 1 Satz 3 geregelten - Altersstufen einer Bezugnahme auf die - nicht amtliche und damit
eine Vollstreckbarkeit hindernde - Düsseldorfer Tabelle nicht bedarf.
b. Für die Zeit ab 2010 übersieht die Klägerin allerdings, daß der Beklagte für diese Veranlagungszeiträume aufgrund
der im Vorjahr erfolgten dauerhaften Trennung nicht länger die zuvor noch maßgebliche Steuerklasse III/2,0 in
Anspruch nehmen kann und nunmehr sein Einkommen der Versteuerung nach Steuerklasse I/1,0 unterliegt. Insofern
sind von seinem unverändert zugrundezulegenden Bruttoeinkommen Abgaben in Höhe von (579,50 € + 21,66 € =)
601,16 € abzusetzen, so daß sich - unter Berücksichtigung der fünfprozentigen Pauschale für berufsbedingten
Aufwand (123,90 €) sowie des unverändert zu bemessenden Wohnvorteils (350 €) ein bereinigtes Nettoeinkommen
von nur noch rund 2.704 € errechnet. Danach ergeben sich ab 2010 nur noch ein Kindesunterhaltsanspruch in Höhe
von 115% des Mindestunterhalts abzüglich des hälftigen Kindergeldes sowie - nach Abzug der entsprechenden
Zahlbeträge des Kindesunterhaltes von 273 und 327 € - ein für den Trennungsunterhalt maßgebliches Einkommen
von 2.104 €, was gemäß dem Rechenwerk der Klägerin zu einem Trennungsunterhaltsanspruch von gerundet 902 €
€ führt. die so ermittelten Unterhaltsbeträge gefährden nicht den Selbstbehalt des Beklagten, führen vielmehr dazu,
daß ihm ein Einkommensanteil von rund 1.200 € entsprechend dem Bedarfskontrollbetrag für die beim
Kindesunterhalt zugrundegelegte vierte Einkommensgruppe verbleibt.
4. Aus dem Vorgesagten ergibt sich zugleich, daß sich die Bewilligung der Prozeßkostenhilfe für die Klägerin auf
einen Streitwert von 20.605,80 € entsprechend der Gebührenstufe bis 22.000 € beläuft:
Streitwertbildend ist entsprechend der Einreichung der Klage im August 2009 der Zeitraum bis einschließlich Juli
2010.
Auf diese Zeit entfallen nach dem Klageantrag im Umfang der PKHBewilligung folgende Beträge:
Kindesunterhalt:
Juli/August 2009: 2 * (256 € + 306 € =) 562 € = 1.124 €
September bis 21. Oktober 2009: 139 € + 97,30 € + 147 € + 107,90 € = 491,20 €
22. Oktober bis Dezember 2009: 2,3 * (256 € + 306 € =) 562 € 1.292,60 €
Januar bis August 2010: 8 * (242 € + 289 € =) 531 € = 4.248 €
Trennungsunterhalt:
Juli bis Dezember 2009: 6 * 1.039 € 6.234 €
Januar bis August 2010: 8 * 902 € 7.216 €
Summe 20.605,80 €
W. H. C.