Urteil des OLG Celle vom 18.05.2011

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Gericht:
OLG Celle, 02. Strafsenat
Typ, AZ:
Beschluss, 2 Ws 131/11
Datum:
18.05.2011
Sachgebiet:
Normen:
STPO § 55, StPO § 70 Abs 1
Leitsatz:
1.
Verweigert ein Zeuge unter Berufung auf § 55 StPO die Auskunft, kann gegen ihn Ordnungsgeld,
ersatzweise Ordnungshaft verhängt und ihm die Kosten nach § 70 Abs. 1 StPO auferlegt werden,
wenn keinerlei Anhaltspunkte für das Vorliegen eines zu einer Verweigerung der Auskunft
berechtigendes strafbaren Verhaltens des Zeugen ersichtlich sind.
2.
Ob es für eine vom Zeugen geltend gemachte Gefahr der strafrechtlichen Verfolgung tatsächlich
Anhaltspunkte gibt und der Zeuge sich auf § 55 StPO berufen kann, unterliegt der tatsächlichen
Beurteilung und rechtlichen Würdigung durch den Tatrichter. Ihm steht insoweit ein weiter
Beurteilungsspielraum zu. Das Beschwerdegericht kann daher lediglich überprüfen, ob sich der
Tatrichter innerhalb des ihm eröffneten Beurteilungsspielraums gehalten, den richtigen
Entscheidungsmaßstab zugrunde gelegt oder ob er seine Entscheidung auf fehlerhafte Erwägungen
gestützt hat.
Volltext:
Oberlandesgericht Celle
2 Ws 131/11
4 Ns 16/11 LG Bückeburg
407 Js 8158/10 StA Bückeburg
B e s c h l u s s
In der Strafsache
gegen M. K.,
geboren am xxxxxx 1973 in G.,
wohnhaft E.straße in B. N.,
Verteidiger: Rechtsanwalt S., H.
wegen gefährlicher Körperverletzung
hier: Ordnungsgeldverfahren gegen den Zeugen H. Ki., v. L.straße, F.,
Rechtsbeistand: Rechtsanwalt B., H.
hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft durch den
Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht xxxxxxxxx, den Richter am Oberlandesgericht xxxxxxxxx und den
Richter am Landgericht xxxxx am 18.05.2011 beschlossen:
Die Beschwerde des Zeugen gegen den Beschluss der 4. kleinen Strafkammer des Landgerichts Bückeburg vom
10.05.2011 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Gegen diese Entscheidung ist keine Beschwerde gegeben (§ 304 Abs. 4 StPO).
G r ü n d e :
I.
Vor der 4. kleinen Strafkammer der Landgerichts Bückeburg ist zurzeit ein Berufungsverfahren gegen den
Angeklagten K. anhängig. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm mit der Anklageschrift vom 17.12.2010 eine gefährliche
Körperverletzung zum Nachteil des Zeugen Ki. vor. Danach soll der Angeklagte dem Zeugen am 22.09.2010 gegen
02:00 Uhr ohne vorherigen Anlass mittels eines Küchenmessers eine ca. 1 cm lange Schnittwunde im Bereich des
linken Ohres beigebracht und dem Zeugen mit dem Daumen gegen das linke Auge gedrückt haben, um diesen zu
verletzen. Ausweislich des Berichts des Polizeibeamten R. vom 22.09.2010 soll der Zeuge diesen Sachverhalt am
Tattag um 02:30 Uhr bei der Polizei angezeigt haben.
Ausweislich des Beschlusses des Landgerichts vom 17.05.2011 wurde der Zeuge in der Berufungsverhandlung vom
10.05.2011 zum Tatgeschehen vernommen. Er habe bekundet, dass er mit dem Angeklagten zusammen getrunken
und dann in Streit geraten sei. Er sei mit dem Angeklagten immer noch befreundet. Weitere Angaben habe der
Zeuge nicht machen wollen und sich, wie in der erstinstanzlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht, auf ein
Auskunftsverweigerungsrecht berufen.
Das Landgericht hat daraufhin mit Beschluss vom 10.05.2011 gegen den Zeugen wegen grundloser
Zeugnisverweigerung ein Ordnungsgeld in Höhe von 150 €, ersatzweise drei Tage Ordnungshaft festgesetzt.
Gleichzeitig hat es dem Zeugen die wegen der Aussageverweigerung entstehenden Kosten auferlegt.
Der hiergegen gerichteten Beschwerde des Zeugen hat die Strafkammer mit dem Beschluss vom 17.05.2011 nicht
abgeholfen, weil keine Anhaltspunkte dafür vorliegen würden, dass dem Zeugen ein Auskunftsverweigerungsrecht
zustehen könnte. Hinsichtlich des weiteren Inhalts wird auf den Nichtabhilfebeschluss Bezug genommen.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Beschwerde zu verwerfen.
II.
1.
Die Beschwerde des Zeugen ist zulässig (§ 304 Abs. 2 StPO), hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Die
Strafkammer hat das Ordnungsgeld, ersatzweise Ordnungshaft, und die Auferlegung der Kosten nach § 70 Abs. 1
StPO zu Recht gegen den Beschwerdeführer angeordnet, weil dieser seine (weitere) Aussage zu Unrecht verweigert
hat.
2.
Die Annahme des Landgerichts, dem Zeugen stehe kein - umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55
StPO zu, ist nicht zu beanstanden.
Gemäß § 55 StPO kann ein Zeuge die Auskunft auf Fragen verweigern, bei deren wahrheitsgemäßer Beantwortung
er bestimmte Tatsachen angeben müsste, die unmittelbar oder mittelbar einen Anfangsverdacht für das Vorliegen
einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit und damit die Aufnahme von Ermittlungen gegen ihn begründen würden (vgl.
KG Berlin, Beschluss vom 30.10.2008, 4 Ws 104/08 - juris).
Ob es für eine vom Zeugen geltend gemachte Gefahr der strafrechtlichen Verfolgung tatsächlich Anhaltspunkte gibt
und der Zeuge sich auf § 55 StPO berufen kann, unterliegt der tatsächlichen Beurteilung und rechtlichen Würdigung
durch den Tatrichter (vgl. Ignor/Bertheau in Löwe Rosenberg, StPO, § 55 Rdnr. 20). Ihm steht insoweit ein weiter
Beurteilungsspielraum zu (vgl. KG Berlin a.a.O.. KKSenge StPO, 6. Aufl., § 55 Rn. 4). Das Beschwerdegericht kann
daher lediglich überprüfen, ob sich der Tatrichter innerhalb des ihm eröffneten Beurteilungsspielraums gehalten, den
richtigen Entscheidungsmaßstab zugrunde gelegt oder ob er seine Entscheidung auf fehlerhafte Erwägungen
gestützt hat.
Nach diesem Prüfungsmaßstab ist die Wertung der Kammer, dem Zeugen stehe derzeit - kein umfassendes
Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 55 StPO zu und er habe seine Aussage ohne gesetzlichen Grund verweigert,
nicht zu beanstanden.
Dem ausführlich begründeten Nichtabhilfebeschluss vom 17.05.2011 ist zu entnehmen, dass das Landgericht den
Akteninhalt, das bisherige Ergebnis der Beweisaufnahme sowie das Beschwerdevorbringen ausgewertet und
umfassend gewürdigt hat. Bei seiner Entscheidung hat es zutreffend und nachvollziehbar darauf abgestellt, dass die
Angaben des Beschwerdeführers am 22.09.2010 gegenüber der Polizei, auch unter Berücksichtigung seiner
Bekundungen in der laufenden Hauptverhandlung sowie des bisherigen Beweisergebnisses, keinerlei Anhaltspunkte
für das Vorliegen eines strafbaren Verhaltens durch ihn erkennen lassen, die die Gefahr einer strafrechtlichen
Verfolgung des Zeugen im Falle einer wahrheitsgemäßen Aussage begründen könnten.
Die Beschwerde war daher zu verwerfen.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.
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