Urteil des OLG Celle vom 04.07.2006

OLG Celle: uvg, verbindlichkeit, unterhaltspflicht, familie, rückführung, jugend, existenzminimum, sparkasse, eltern, kredit

Gericht:
OLG Celle, 10. Familiensenat
Typ, AZ:
Urteil, 10 UF 72/06
Datum:
04.07.2006
Sachgebiet:
Normen:
UVG § 7 Abs 3 S 2
Leitsatz:
§ 7 Abs. 3 S. 2 UVG ist im Erkenntnisverfahren nicht anzuwenden. Es handelt sich um eine reine
vollstreckungsrechtliche Vorschrift, die Vollstreckungskollisionen gemäß § 850d Abs. 1 ZPO
zugunsten des (aktuell) unterhaltsberechtigten Kindes löst, welches zuvor Unterhaltsvorschuss
erhalten hat.
Volltext:
Oberlandesgericht Celle
Im Namen des Volkes
Urteil
10 UF 72/06
608 F 4365/05 Amtsgericht Hannover Verkündet am
4. Juli 2006
... ,
Justizobersekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
In der Familiensache
F. E., ... ,
Beklagter und Berufungskläger,
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte ... ,
Geschäftszeichen: ...
gegen
Land Niedersachsen, vertreten durch die Landeshauptstadt Hannover - Fachbereich Jugend und Familie , ...
Hannover,
Geschäftszeichen: ...
Kläger und Berufungsbeklagter,
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte ... ,
Geschäftszeichen: ...
hat der 10. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom
20. Juni 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., die Richterin am Oberlandesgericht ... und
den Richter am Oberlandesgericht ... für Recht erkannt:
Die Berufung des Beklagten gegen das am 10. Februar 2006 verkündete Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht -
Hannover wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Gegenstandswert für das Berufungsverfahren wird auf 8.056,47 EUR festgesetzt.
Entscheidungsgründe
I.
Der Kläger nimmt den Beklagten auf Rückzahlung von erbrachten Unterhaltsvorschussleistungen für seine
minderjährigen Kinder T. und Ö. in Anspruch.
Der Beklagte und die Kindesmutter, Frau N. E., lebten von Juli 2001 bis Oktober 2004 getrennt. Die gemeinsamen
Kinder Ö. und T. lebten ebenso wie die beiden weiteren Geschwister O., geb. am ... 1986, und H., geb. am ... 1989,
während der Trennungszeit bei der Kindesmutter. Diese erhielt vom klagenden Land in der Trennungszeit
Unterhaltsvorschussleistungen für T. in Gesamthöhe von 4.118, EUR und für Ö. in Gesamthöhe von 3.938,47 EUR.
Unstreitig bestand in dieser Höhe eine Unterhaltspflicht des Beklagten gegenüber T. und Ö., die er nicht erfüllt hat.
Eine entsprechende Klage der Kindesmutter ist in der Berufungsinstanz nach Versöhnung der Eheleute
übereinstimmend für erledigt erklärt worden.
Das klagende Land hat im vorliegenden Verfahren einen weitergehenden Vollstreckungsbescheid gegen den
Beklagten erwirkt, den es durch Urteil vom 10. Februar 2006 insoweit aufrecht erhalten hat, als der Beklagte
verurteilt worden ist, an den Kläger Kindesunterhalt aus übergegangenem Recht für Ö. für die Zeit vom 01.
September 2001 bis 04. Juli 2004 in Höhe von 3.938,47 EUR und für T. für die Zeit vom 01. September 2001 bis 31.
Oktober 2004 in Höhe von 4.118, EUR, insgesamt 8.056,47 EUR zu zahlen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird
auf den Inhalt des angefochtenen Urteils verwiesen.
Gegen das Urteil hat der Beklagte Berufung mit dem Ziel der Klageabweisung eingelegt.
II.
Die Berufung des Beklagten ist nicht begründet.
Der Beklagte beruft sich zur Verteidigung gegen die Geltendmachung von gemäß § 7 Abs. 1 UVG übergegangenen
Unterhaltsansprüchen ausschließlich auf § 7 Abs. 3 S. 2 UVG. Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts in der
angefochtenen Entscheidung und des OLG Dresden in der vom Amtsgericht zitierten Entscheidung (OLG Dresden,
FamRZ 2004, 1586) ist § 7 Abs. 3 S. 2 UVG im Erkenntnisverfahren nicht anzuwenden. Der Entwurf eines
„Gesetzes zur Sicherung des Unterhalts von Kindern alleinstehender Mütter und Väter durch Unterhaltsvorschüsse
oder ausfallleistungen (Unterhaltsvorschussgesetz)“ enthielt (seinerzeit noch in § 8) die Vorschriften über den
Übergang von Ansprüchen des Berechtigten (auf den Leistungsträger). In diesem Entwurf war eine dem § 7 Abs. 3
S. 2 UVG vergleichbare Vorschrift zunächst nicht enthalten (vgl. Bundestagsdrucksache 8/1992 S. 6). Die Vorschrift
ist (seinerzeit noch als § 8 Abs. 1 S. 2) aufgrund der Beschlüsse des Ausschusses für Jugend, Familie und
Gesundheit (13. Ausschuss) in das UVG eingefügt worden (BTDrucksache 8/2774 S. 8). Zur Begründung hat die
Berichterstatterin des Ausschusses aufgeführt, „die hier vorgesehene Regelung dient für den Fall der
Vollstreckungskonkurrenz übergegangener Unterhaltsansprüche mit später entstandenen Unterhaltsansprüchen des
Berechtigten der angemessenen Berücksichtigung der Interessen des Berechtigten“ (BTDrucksache 8/2774 S. 13).
Demnach handelt es sich um eine reine vollstreckungsrechtliche Vorschrift (vgl. auch Köhler, NJW 1979, 1813), die
Vollstreckungskollisionen gemäß § 850d Abs. 1 ZPO, die dann auftreten können, wenn das Land
Unterhaltsansprüche aus übergegangenem Recht vollstrecken will, die nicht länger als ein Jahr vor Erlass des
Pfändungsbeschlusses fällig geworden sind, zugunsten des (aktuell) unterhaltsberechtigten Kindes löst, welches
zuvor Unterhaltsvorschuss erhalten hat. Es handelt sich um eine haushaltsrechtliche Vorschrift, bei der es um die
Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen aus übergegangenem Recht und nicht um die Titulierung derartiger
Ansprüche geht (Das Deutsche Bundesrecht, Unterhaltsvorschussgesetz, VG 30 S. 16).
III.
Die Revision war nicht zuzulassen, obwohl es sich um eine Frage grundsätzlicher Bedeutung handelt, ob § 7 Abs. 3
Satz 2 UVG bereits im Erkenntnisverfahren anwendbar ist. Die Berufung des Beklagten kann nämlich auch dann
keinen Erfolg haben, wenn man von einer Anwendbarkeit des § 7 Abs. 3 S. 2 UVG im Erkenntnisverfahren ausgehen
würde.
Die Berufung wird allein darauf gestützt, dass § 7 Abs. 3 Satz 2 UVG der Geltendmachung von übergegangenen
Unterhaltsansprüchen der Kinder des Beklagten entgegenstehe.
Für die Frage, ob der laufende Unterhalt der Geltendmachung von Rückständen entgegensteht, kann es - neben der
jetzigen Leistungsfähigkeit des Beklagten - allein auf die derzeitigen Unterhaltsansprüche der minderjährigen Kinder
T. und Ö. ankommen, für die der nie zurückgeforderte Unterhaltsvorschuss geleistet worden ist. Evtl.
Unterhaltsansprüche weiterer Unterhaltsgläubiger - der Ehefrau und des volljährigen Sohnes O. - sind insoweit ohne
Bedeutung, denn § 7 Abs. 3 Satz 2 UVG will gerade den laufenden Unterhalt der minderjährigen Kinder sichern, für
die Unterhaltsvorschuss geleistet wurde. Der laufende Unterhalt der genannten mdj. Kinder wird aber durch die
Titulierung der Rückstände (die ggf. in Raten abzutragen sind) nicht gefährdet.
Der Beklagte hat im Jahre 2005 ein durchschnittliches Nettoeinkommen in Höhe von monatlich 2.326, EUR erzielt.
Es sind keine Anhaltspunkte dafür dargelegt, dass sich seine Einkommensverhältnisse seitdem wesentlich
verändert haben. Von diesem Einkommen sind vermögenswirksame Leistungen des Arbeitgebers, die in eine
Direktversicherung eingezahlt werden, in Höhe von 51, EUR abzusetzen, so dass 2.275, EUR verbleiben. Nach
ständiger Rechtsprechung des Senats kommt ein pauschaler Abzug berufsbedingter Aufwendungen auf Seiten des
Unterhaltsverpflichteten dann nicht in Betracht, wenn es um die Sicherung des Existenzminimums der
Unterhaltsberechtigten geht. Konkret hat der Beklagte das Vorliegen berufsbedingter Aufwendungen nicht dargetan.
Die Kreditverbindlichkeit des Beklagten bei der Sparkasse kann bei der Prüfung der Anwendbarkeit des § 7 Abs. 3
S. 2 UVG keine Berücksichtigung finden, weil sie vollstreckungsrechtlich gegenüber den Unterhaltsverpflichtungen
des Beklagten nachrangig ist. Ob der Kredit eine „ehebedingte“ Verbindlichkeit darstellt, wie der Beklagte meint, ist
unerheblich. Denn die „Ehebedingtheit“ einer Verbindlichkeit spielt lediglich eine Rolle für die Berechnung des
Unterhaltsbedarfs des Ehegatten nach den ehelichen Lebensverhältnissen. Beim Kindesunterhalt - um dessen
Sicherung es vorliegend geht - ist ohne Bedeutung, ob eine Verbindlichkeit während einer Ehe entstanden ist oder
nicht.
Es kann dahingestellt bleiben, ob die Geltendmachung übergegangener Unterhaltsansprüche sich lediglich dann zum
Nachteil der Unterhaltsberechtigten im Sinne des § 7 Abs. 3 S. 2 UVG auswirkt, für die Leistungen nach dem UVG
gewährt worden sind, wenn dadurch das sozialhilferechtliche Existenzminimum der Unterhaltsberechtigten sowie der
mit ihnen in Haushaltsgemeinschaft lebenden Personen unterschritten wird, denn vorliegend führt die
Geltendmachung der übergegangenen Unterhaltsansprüche durch das klagende Land nicht einmal zur
Unterschreitung der Mindestbedarfsätze der Düsseldorfer Tabelle. Die Düsseldorfer Tabelle bestimmt den
Barunterhaltsbedarf von Kindern getrennt lebender Eltern, während der Beklagte vorliegend mit den
Unterhaltsberechtigten in einem Haushalt lebt. Nach Abzug des Kindesunterhaltsbedarfs nach der Düsseldorfer
Tabelle in Höhe von 135 % des Regelbetrages abzüglich hälftigen Kindergeldes (welches der Beklagte erhält), also
257, EUR für T. und 316, EUR für Ö., verbleiben dem Beklagten (2.275, EUR - 257, EUR - 316, EUR) 1.702, EUR.
Unter Berücksichtigung des notwendigen Selbstbehalts in Höhe von 890, EUR verbleiben 812, EUR für den Abtrag
von Rückständen.
Selbst wenn man den Unterhaltsbedarf der Ehefrau des Beklagten in Höhe von 560, EUR (vgl. Ziff. 22.1
Unterhaltsrechtliche Leitlinien der Familiensenate des
Oberlandesgerichts Celle) noch berücksichtigen wollte (wogegen der Senat erhebliche Bedenken hat), so verbliebe
immer noch ein ausreichendes Einkommen zur Abtragung der durch den Kläger geltend gemachten
Unterhaltsrückstände.
Soweit der Beklagte sein Rechtsmittel nunmehr darauf stützen möchte, dass er dem volljährigen Sohn O. - noch
dazu gemäß § 1603 Abs. 2 Satz 2 BGB verstärkt - unterhaltspflichtig sei, ist die Berufung unzulässig. Denn insoweit
handelt es sich um einen gänzlich neuen Berufungsangriff, mit dem er nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist
ausgeschlossen ist. Weder in erster Instanz noch mit der Berufungsbegründung hat der Beklagte eine gegenüber
dem Anspruch von T. und Ö. gleichrangige Unterhaltsverpflichtung gegenüber dem Sohn O. dargetan. Nur im
Schriftsatz vom 23. Januar 2006 war davon die Rede, dass der Beklagte (auch) dem Sohn O. „Unterhalt gewährt,
und zwar in Form des Betreuungsunterhalts“. Warum der volljährige Sohn unterhaltsbedürftig sein sollte, war daraus
jedoch ebenso wenig erkennbar wie die Gewährung von Barunterhalt. Erst recht fehlte jeglicher Anhaltspunkt dafür,
dass O. privilegiert unterhaltsberechtigt sein könnte. Obwohl der KlägerVertreter das Fehlen entsprechenden
Tatsachenvortrags mit Schriftsatz vom 1. Februar 2006 sogar ausdrücklich gerügt hatte, verhält sich die
Berufungsbegründung zu dieser Frage nicht. Erstmals in der mündlichen Verhandlung vom 20. Juni 2006 hat der
Beklagte dargelegt, dass O. eine allgemeinbildende Schule (IGS Langenhagen) besuche.
Es kommt daher auch nicht mehr darauf an, ob die vom Beklagten behaupteten Unterhaltszahlungen an die sich
derzeitig in der Türkei aufhaltende minderjährige Tochter H., die er selber in der mündlichen Verhandlung mit „mal
100, EUR, mal 150, EUR“ angegeben hat, bei der Prüfung der Anwendbarkeit des § 7 Abs. 3 S. 2 UVG
Berücksichtigung finden können, denn auch die Berücksichtigung dieser Zahlungen würde nicht dazu führen, dass
für die Rückführung der Forderung des klagenden Landes keinerlei Einkommen mehr verbleibt. Die Ansicht des
Beklagten, es bestehe im Hinblick auf das laufende Klageverfahren, welches die Rückführung von H. nach
Deutschland bezwecken soll, eine latente Unterhaltspflicht gegenüber H., kann jedenfalls nicht dazu führen, dass für
H. Unterhalt nach der Düsseldorfer Tabelle berücksichtigt wird. Denn der Beklagte vertritt mit dem OLG Dresden
(a.a.O.) ja gerade die Ansicht, dass § 7 Abs. 3 S. 2 UVG eine Titulierung übergangener Unterhaltsansprüche hindert.
Dann kann es für die Prüfung der Anwendbarkeit des § 7 Abs. 3 S. 2 UVG aber nur auf den Zeitpunkt der letzten
mündlichen Verhandlung ankommen, auf den die Titulierung erfolgt, und nicht darauf, wie sich die Verhältnisse
voraussichtlich in Zukunft entwickeln werden.
IV.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
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