Urteil des OLG Celle vom 20.08.2008

OLG Celle: rüge, einspruch, schweigerecht, anhörung, ordnungswidrigkeit, vollmacht, mangel, ermessen, höchstgeschwindigkeit, strafrecht

Gericht:
OLG Celle, 02. Senat für Bußgeldsachen
Typ, AZ:
Beschluss, 322 SsBs 187/08
Datum:
20.08.2008
Sachgebiet:
Normen:
OWIG § 73 ABS 2, OWIG § 74 ABS 2
Leitsatz:
1. Zu den Anforderungen an die Rüge der Verletzung des § 74 Abs.2
OWiG.
2. Hat das Tatgericht einen Antrag auf Entbindung von der Pflicht zum Erscheinen in der
Hauptverhandlung nicht beschieden, muss es sich mit dem Antrag in dem Verwerfungsurteil
auseinandersetzen (Anschluss an OLG Stuttgart NStZRR 2003, 273).
3. Für die Entscheidung über die Verhängung eines Fahrverbotes bedarf es regelmäßig eines
persönlichen Eindrucks vom Betroffenen nicht.
Volltext:
Oberlandesgericht Celle
322 SsBs 187/08
138 Js 8594/08 StA V.
B e s c h l u s s
In der Bußgeldsache
gegen S. M. ,
geboren am 4. Juli 1982 in H.,
wohnhaft F. Straße, H.,
Verteidiger: Rechtsanwalt A. B., W., D.,
wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit
hat der 2. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Celle nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft
durch Richter am Oberlandesgericht ####### als Einzelrichter am 20. August 2008 beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts O.S. vom 8. Mai 2008 aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Entscheidung auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde an dieselbe Abteilung des
Amtsgerichts O.S. zurückverwiesen.
G r ü n d e
I.
Mit Bußgeldbescheid vom 10. Januar 2008 hatte der Landkreis O. gegen den Betroffenen eine Geldbuße in Höhe
von 117 EUR wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit verhängt und ein einmonatiges
Fahrverbot angeordnet.
Auf den Einspruch des Betroffenen beraumte das Amtsgericht auf den 8. Mai 2008 Hauptverhandlungstermin an, zu
dem der Betroffene und sein Verteidiger nicht erschienen. Unter dem 10. April 2008 hatte der Betroffene beantragt,
von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden zu werden. Im Termin vom 8. Mai 2008 verwarf das
Amtsgericht den Einspruch des Betroffenen gemäß §§ 71 Abs. 1 OWiG, 412 Abs. 1, 329 Abs. 1 Satz 1 StPO
entsprechend, wobei gemeint wohl eine Verwerfung gemäß § 74 Abs. 2 OWiG war. In den Gründen des
amtsgerichtlichen Urteils wird lediglich ausgeführt, dass Betroffener und Verteidiger ordnungsgemäß geladen und
trotzdem nicht im Termin erschienen seien. Eine Bescheidung des Entbindungsantrags erfolgte nicht.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde, mit der er die Verletzung formellen und
materiellen Rechts rügt. Insbesondere erhebt er ausdrücklich die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs.
II.
Das Rechtsmittel hat vorläufig Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung
der Sache an das Amtsgericht.
1. Dem zulässig erhobenen Rechtsmittel lässt sich auch eine zulässig ausgeführte Verfahrensrüge entnehmen.
Allerdings ist die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs nicht in zulässiger Weise ausgeführt, weil nicht mitgeteilt
wird, was der Betroffene und/oder sein Verteidiger im Falle einer Anhörung in der Hauptverhandlung noch
vorgebracht hätten (vgl. zu diesem Erfordernis etwa Senatsbeschluss vom 3. Juli 2007, 322 Ss 113/07 - Owi. OLG
Hamm VRS 113, 439 ff.. OLG Karlsruhe VRS 109, 282 ff.. KG VRS 104, 139 ff.). Dem Rechtsbeschwerdevorbringen
lässt sich aber hinreichend deutlich eine zulässig erhobene Rüge der Verletzung des § 74 Abs. 2 OWiG entnehmen.
Die Rüge der Verletzung des § 74 Abs. 2 OWiG durch Einspruchsverwerfung trotz bestehenden Anspruchs auf
Entbindung von der Verpflichtung zum Erscheinen bedarf neben der Mitteilung des Entbindungsantrags und des
gerichtlichen Umgangs mit dem Antrag auch der genauen Darlegung der Einzelumstände, die den Rechtsanspruch
auf Entbindung begründen (vgl. KKSenge, OWiG, 3. Aufl., Rdnr. 56 zu § 74). Entgegen der Auffassung der
Generalstaatsanwaltschaft genügt die Rechtsbeschwerde diesen Anforderungen.
Mit der Rechtsbeschwerde hat der Betroffene ausführen lassen, dass mit Schriftsatz des Verteidigers vom 10. April
2008 die dem Bußgeldverfahren zugrunde liegende Ordnungswidrigkeit eingeräumt worden sei und Ziel des
Anspruchs allein der Wegfall des verhängten Fahrverbotes sei, weil dieses für den Betroffenen
existenzbedrohend sei. Ferner legt die Rechtsbeschwerde dar, dass mit dem selben Schriftsatz beantragt worden
sei, den Betroffenen von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen zu entbinden, wofür auch eine besondere
Vollmacht vorgelegen habe. Zugleich sei angekündigt worden, dass der Betroffene in der Hauptverhandlung von
seinem Schweigerecht Gebrauch machen werde. Weiter ist mit der Rechtsbeschwerde ausgeführt worden, dass das
Amtsgericht auf das Schreiben vom 10. April 2008 mitgeteilt habe, dass das bisherige Vorbringen für ein Absehen
von der Verhängung eines Fahrverbotes nicht ausreiche, worauf der Betroffene noch einen Arbeitsvertrag
nachgereicht habe. Das Amtsgericht habe über den Entbindungsantrag nicht entschieden, vielmehr mit dem
angefochtenen Urteil den Einspruch des Betroffenen verworfen, ohne den Entbindungsantrag in dem Urteil zu
berücksichtigen. Weiterhin hat der Betroffene ausführlich vortragen lassen, weshalb dem Entbindungsantrag
stattzugeben gewesen wäre. Dieses umfängliche Vorbringen genügt, um dem Senat die Prüfung zu ermöglichen, ob
das Amtsgericht gegen §§ 73 Abs. 2, 74 Abs. 2 OWiG verworfen hat, sodass die Rechtsbeschwerde insgesamt
zulässig ist.
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.
a) Im Falle der Verwerfung eines Einspruchs nach § 74 Abs. 2 OWiG muss sich das Gericht im Urteil auch mit
Bedenken gegen eine Verwerfung auseinander setzen, wozu insbesondere ein Antrag auf Entbindung von der
Verpflichtung zum Entscheiden in der Hauptverhandlung gehört, was im besonderen Maße dann gilt, wenn dieser
Antrag - wie hier - vor Urteilserlass nicht beschieden worden ist (vgl. OLG Stuttgart NStZRR 2003, 273). Eine solche
Auseinandersetzung lässt das angefochtene Urteil vermissen. Der Entbindungsantrag des Betroffenen vom 10. April
2008 wird nicht einmal erwähnt. Bereits dieser Mangel muss zur Aufhebung des angefochtenen Urteils führen (OLG
Stuttgart a. a. O. und Beschluss vom 23.02.2002, 4 b Ss 455/01 m. w. N.).
b) Im Übrigen hatte in der vorliegenden Konstellation der Betroffene auch einen Anspruch auf Entbindung von der
Pflicht zum Erscheinen. Ob der Betroffene auf seinen Antrag von der Pflicht zum Erscheinen zu entbinden ist, steht
nicht im Ermessen des Gerichts. vielmehr ist dem Antrag zu entsprechen, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen
des § 73 Abs. 2 OWiG vorliegen (OLG Brandenburg, Beschluss vom 15.06.2007, 2 Ss - Owi - 5 B/07, juris.
KKSenge, a. a. O., Rdnr. 15 zu § 73 m. w. N.).
Nachdem der Betroffene den gegen ihn erhobenen Vorwurf über seinen mit Vertretungsvollmacht ausgestatteten
Verteidiger für den Fall der Entbindung gemäß § 74 Abs. 1 Satz 2 OWiG verwertbar eingeräumt und im Übrigen
angekündigt hatte, in der Hauptverhandlung von seinem Schweigerecht Gebrauch zu machen, war die Anordnung
des persönlichen Erscheinens des Betroffenen unter keinem Gesichtspunkt mehr erforderlich. Die Frage der
Verhängung eines Fahrverbotes bzw. des Absehens davon, rechtfertigt grundsätzlich die Anordnung des
persönlichen Erscheinens nicht. Denn bei der in diesem Zusammenhang vorzunehmenden Prüfung kommt es auf
den persönlichen Eindruck des Betroffenen regelmäßig nicht an (OLG Stuttgart NStZRR 2003, 273. OLG Karlsruhe
ZfS 2005, 154 f.. OLG Brandenburg a. a. O.). Danach hätte das Amtsgericht den Entbindungsantrag des Betroffenen
stattgeben müssen und den Einspruch nicht verwerfen dürfen, sodass auch insoweit ein Verstoß gegen §§ 73 Abs.
2, 74 Abs. 2 OWiG vorliegt. Das Verwerfungsurteil konnte auch deshalb keinen Bestand haben.
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