Urteil des OLG Celle vom 30.06.2004

OLG Celle: ehescheidungsverfahren, wahlrecht, unterhalt, stufenklage, prozesskosten, geburt, einzelrichter, datum, bezifferung, vorrang

Gericht:
OLG Celle, 21. Zivilsenat
Typ, AZ:
Beschluss, 21 WF 173/04
Datum:
30.06.2004
Sachgebiet:
Normen:
ZPO § 114
Leitsatz:
Die Rechtsverfolgung der prozesskostenarmen Partei ist nicht schon deshalb mutwillig (§ 114 ZPO),
weil sie die Folgesache nicht bereits im Ehescheidungsverbund geltend gemacht hat.
Volltext:
21 WF 173/04
38 F 193/04 Amtsgericht Neustadt a. Rbge.
B e s c h l u s s
In der Familiensache
der Frau M. HH. in N.,
Klägerin und Beschwerdeführerin,
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Dr. B. in C.
gegen
Herrn F. H. in N.
Beklagter,
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte C. in N.
wegen Zugewinnausgleichs
hier: Prozesskostenhilfe
hat der 21. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Celle durch den Richter am
Oberlandesgericht ####### als Einzelrichter am 30. Juni 2004 beschlossen:
Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht Neustadt vom 4.
Juni 2004 geändert und der Klägerin für ihre Stufenklage unter Beiordnung von Rechtsanwältin F. ####### in C.
####### Prozesskostenhilfe zu den Bedingungen einer gerichtseingesessenen Anwältin bewilligt. Es bleibt
vorbehalten nach einer Bezifferung des Zahlungsantrages zur Klarstellung über den Umfang der Bewilligung zum
Zahlungsantrag einen gesonderten Beschluss des Amtsgerichts zu erlassen.
Der Klägerin wird zugleich aufgegeben, monatliche Raten in Höhe von 95 EUR, beginnend am 15. Juli 2004, die
Folgeraten fällig jeweils am 15. eines Monats, an die Landeskasse zu zahlen.
Diese Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Auslagen werden nicht erstattet.
G r ü n d e
Die sofortige Beschwerde der Klägerin, mit der sie ihr Prozesskostenhilfegesuch für ihre Stufenklage auf Zahlung
von Zugewinnausgleich weiterverfolgt, ist begründet.
Die Rechtsverfolgung der prozesskostenarmen Klägerin ist nicht schon deshalb mutwillig (§ 114 ZPO), weil sie ihren
Anspruch auf Zugewinnausgleich nicht bereits im Ehescheidungsverbund geltend gemacht hat.
Mutwillig ist eine Rechtsverfolgung nur, wenn eine verständige Partei sie in gleicher Situation nicht, bzw. nicht in
gleicher Weise vornehmen würde. Dabei stehen vielfach wirtschaftliche Abwägungen im Vordergrund, sind aber nicht
allein ausschlaggebend. Entgegen der angefochtenen Entscheidung handelt eine prozesskostenarme Partei nicht
schon deshalb mutwillig, weil sie ihren Anspruch, den sie als Folgesache im Ehescheidungsverfahren hätte gelten
machen können, nunmehr isoliert geltend macht.
Der Gesetzgeber hat es den Parteien hinsichtlich der „optionalen Folgesachen“ (Unterhalt, Zugewinnausgleich, Sorge
und Umgangsrechtsregelung sowie Hausratsteilung und Wohnungszuweisung) in § 623 ZPO grundsätzlich
freigestellt, ob sie sich für eine einheitliche Lösung von Ehescheidung und Folgesachen in einem einheitlichen
Verfahren entscheiden oder aber einer zügige Scheidung und einem nachfolgenden isolierten Streit um eine oder
mehrere Folgesachen den Vorrang einräumen. Dieses Wahlrecht steht grundsätzlich auch der prozesskostenarmen
Partei selbst bei Anfall höherer Rechtsverfolgungskosten - soweit diese Rechtsverfolgung im Einzelfall nicht
ausnahmsweise mutwillig ist - in gleicher Weise wie der vermögenden Partei zu. Da in den meisten Familiensachen -
zumal in Ehescheidungsverfahren - zumindest eine Partei prozesskostenhilfebedürftig ist, würde anderenfalls
einerseits dieses Wahlrecht aus wirtschaftlichen Gründen völlig ausgehöhlt und andererseits die
Ehescheidungsverfahren aus der vagen Sorge, es könne in möglichen Folgesachen die außergerichtliche Einigung
scheitern und man könne dann die Prozesskosten nicht selbst aufbringen, mit allen erdenklichen Folgesachen
aufgebläht.
Für die Frage, ob die isolierte Rechtsverfolgung einer Folgesache im Einzelfall mutwillig ist, bedarf es zunächst der
Feststellung, dass infolge der Gebührendegression bei der Geltendmachung im Ehescheidungsverbund ein
erheblicher wirtschaftlicher Vorteil eintritt. Die völlige Versagung der Prozesskostenhilfe wegen Mutwillens kann
daher an sich nie gerechtfertig sein, da auch im Ehescheidungsverbund die Geltendmachung von Folgesachen nie
kostenlos ist, sondern allenfalls kostengünstiger erfolgt. Nur die Verursachung dieser entbehrlichen Mehrkosten kann
mutwillig sein und insoweit zu einer teilweisen Versagung der Prozesskostenhilfe führen. Der Umfang der
überflüssigen Mehrkosten wäre daher im Einzelfall festzustellen.
Ferner erfordert die Annahme von Mutwillen wegen isolierter Geltendmachung die Feststellung, dass eine
verständige Partei, die den Rechtsstreit aus eigenen Mitteln finanzieren muss, gerade wegen der sonst anfallenden
Mehrkosten auch unter Hinnahme sonstiger Nachteile (spätere Ehescheidung, längere Zahlung von
Trennungsunterhalt bei anderer Rechtslage für den nachehelichen Unterhalt, die Geburt eines Kindes aus einer
neuen Beziehung in die „alte Ehe“ usw.) die Geltendmachung im Verbund vorziehen würde. Dabei muss den
Rechtssuchenden die Möglichkeit eröffnet bleiben, Ansprüche soweit irgend möglich außergerichtlich zu regeln und
nicht nur deshalb, weil das Ehescheidungsverfahren anhängig ist, die Regelung aller möglichen Folgesachen über
das Knie zu brechen.
Ergibt sich eine Konstellation, bei der im Rahmen des Ehescheidungsverbundes ernsthaft die Abtrennung der isoliert
geltend gemachten Folgesache gemäß § 628 ZPO zu prüfen gewesen wäre, wird die isolierte Geltendmachung der
Folgesache regelmäßig nicht mutwillig sein.
Nach diesen Kriterien ist der Klägerin hier nicht vorzuwerfen, dass sie die Geltendmachung der Folgesache
Zugewinnausgleich im Hinblick auf die außergerichtlichen Bemühungen im Ehescheidungsverbund noch nicht
geltend gemacht hat.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 127 Abs. 4 ZPO.
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