Urteil des OLG Celle vom 05.04.2011

OLG Celle: wiedereinsetzung in den vorigen stand, übertragung der elterlichen sorge, elterliche sorge, hauptsache, datum, pauschal, sicherheit, verwechslung, verschulden, rechtsmittelfrist

Gericht:
OLG Celle, 10. Zivilsenat
Typ, AZ:
Beschluss, 10 WF 74/11
Datum:
05.04.2011
Sachgebiet:
Normen:
FamFG § 64 Abs 2 Satz 3, ZPO § 519 Abs 2 Nr 1
Leitsatz:
Hat das Amtsgericht unter identischem Datum in zwei gesonderten Beschlüssen zum einen in der
Hauptsache und zum anderen über die Verfahrenskostenhilfe entschieden und diese Beschlüsse der
Verfahrensbevollmächtigten eines Beteiligten gesondert sowie mit unterscheidungskräftigen
Aktenzeichen (hier: Zusätze SO bzw. VKH2) versehen jeweils zeitgleich zugestellt, ist für die
fristgerechte Einlegung eines Rechtsmittels erforderlich, daß noch innerhalb der Rechtmittelfrist
zweifelsfrei feststellbar ist, gegen welche der beiden Entscheidungen sich das Rechtsmittel richtet.
dies ist nicht der Fall, wenn am letzten Tag der Beschwerdefristen unter dem Aktenzeichen der
Hauptsacheentscheidung (hier: mit dem Zusatz SO) ohne jegliche weitere Angabe, Antrag oder
Begründung ´gegen den Beschluß des …. vom …, hier eingegangen am …. sofortige Beschwerde´
eingelegt wird und sich erstmals aus der - mehr als einen Monat später eingereichten - Begründung
ergibt, daß sich die Beschwerde gegen die Ratenzahlungsanordnung des VKH Beschlusses richten
soll.
Volltext:
10 WF 74/11
611 F 5610/10 Amtsgericht Hannover
Beschluß
In der Familiensache
betreffend die elterliche Sorge für das beteiligte Kind
G.S. H., geb. am ...1994,
…,
Verfahrensbeistand:
Rechtsanwältin U. B.N., …,
weitere Beteiligte:
1. B. I. R., …,
Antragsgegnerin und Beschwerdeführerin,
Verfahrensbevollmächtigte:
Rechtsanwälte R. & Partner, …,
Geschäftszeichen: …
2. M. H., …,
Antragsteller,
Verfahrensbevollmächtigte:
Rechtsanwältin H. K.B., …,
Geschäftszeichen: …
3. Landeshauptstadt Hannover, Fachbereich Jugend und Familie, …,
hat der 10. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Celle auf die sofortige Beschwerde der
Antragsgegnerin gegen die Ratenzahlungsanordnung in dem Verfahrenskostenhilfe bewilligenden Beschluß des
Amtsgerichts - Familiengericht - Hannover vom 30. November 2010 durch den Vorsitzenden Richter am
Oberlandesgericht W., den Richter am Oberlandesgericht H. und die Richterin am Amtsgericht C. am 5. April 2011
beschlossen:
Die Beschwerde wird als unzulässig verworfen.
Gründe:
I.
Im vorliegenden Verfahren hat der Kindesvater am 16. November 2010 die Übertragung der bis dahin von den
Kindeseltern gemeinsam ausgeübten elterlichen Sorge für die - in einer geschlossenen psychiatrischen Abteilung
des örtlichen Kinderkrankenhauses aufhältige - gemeinsame Tochter G.S. auf sich alleine beantragt. Das
Amtsgericht hat G.S. einen Verfahrensbeistand bestellt, sie in einem gesonderten Termin umgehend persönlich
angehört, wobei sich G.S. für die beantragte Sorgerechtsentscheidung ausgesprochen hat, sowie am 30. November
2010 einen Anhörungstermin mit den weiteren Beteiligten durchgeführt. in diesem Anhörungstermin hat sich die
Kindesmutter (Antragsgegnerin) sowohl in einem überreichten Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom
Vortage als auch mündlich mit der begehrten Übertragung der elterlichen Sorge einverstanden erklärt.
Mit zwei Beschlüssen vom 30. November 2010 hat das Amtsgericht zum einen der Kindesmutter unter Beiordnung
ihrer Verfahrensbevollmächtigten Verfahrenskostenhilfe (VKH) bewilligt und ihr die Zahlung monatlicher Raten in
Höhe von 95 € auf die Verfahrenskosten aufgegeben, und zum anderen die elterliche Sorge für G.S. gemäß § 1671
Abs. 2 Nr. 1 BGB dem Kindesvater allein übertragen. Diese beiden Beschlüsse vom 30. November 2010 sind der
Kindesmutter über ihre Verfahrensbevollmächtigte am 5. Januar 2011 jeweils gesondert und unter ausdrücklicher
Angabe differenzierter Aktenzeichen - 611 F 5610/10 SO betreffend die Hauptsacheentscheidung bzw. 611 F
5610/10 VKH2 betreffend die Verfahrenskostenhilfeentscheidung und zwar sowohl auf den jeweiligen Beschlüssen
als auch auf den zurückgesandten Empfangsbekenntnissen - zugestellt worden. sie enthielten jeweils - zutreffende -
Rechtsbehelfsbelehrungen, in denen es unter anderem jeweils heißt ´Die Beschwerde muß die Bezeichnung des
angefochtenen Beschlusses sowie die Erklärung enthalten, daß Beschwerde gegen diesen Beschluß eingelegt wird.´
Am (Montag den) 7. Februar 2011 hat die Verfahrensbevollmächtigte der Kindesmutter mit um 16:45 Uhr
eingegangenem Fax unter Angabe des Aktenzeichens ´611 F 5610/10 SO´ ´gegen den Beschluß des Amtsgericht
Hannover vom 30. November 2010, hier eingegangen am 5. Januar 2011, sofortige Beschwerde ein(gelegt)´ und zur
Begründung einen gesonderten Schriftsatz angekündigt. Das Amtsgericht hat die Beschwerde zur Hauptakte
geheftet und Durchschriften an die anderen Beteiligten versandt.
Am 15. Februar 2011 hat die Kindesmutter - wiederum unter dem Aktenzeichen 611 F 5610/10 SO - ihre Beschwerde
dahin konkretisiert, daß ihr Raten von ´maximal 45 € zu gewähren´ seien, und die Beschwerde dementsprechend
weiter begründet.
Das Amtsgericht hat daraufhin den VKHBewilligungsbeschluß dahin geändert, daß monatliche Raten nur in Höhe von
60 € zu leisten seien und die Akten im übrigen dem Senat vorgelegt.
Der Senat hat die Kindesmutter darauf hingewiesen, daß sich erst aus dem Schriftsatz vom 14. Februar ergab, daß
sich die am 7. Januar 2011 eingelegte Beschwerde nicht - wie aus dem angegebenen Aktenzeichen zu entnehmen -
gegen den in der Hauptsache ergangenen Beschluß, sondern gegen den Beschluß zur VKH beziehen sollte, so daß
von einer Unzulässigkeit der tatsächlich beabsichtigten Beschwerde auszugehen sei.
Daraufhin hat die Kindesmutter klargestellt, daß eine Beschwerde gegen die Hauptsacheentscheidung nicht
beabsichtigt gewesen sei und zurückgenommen werde. die Beschwerde gegen die im VKHBeschluß enthaltene
Ratenzahlungsanordnung halte sie dagegen für zulässig: Die ´Angabe des lediglich teilweise falschen Aktenzeichens
(sei) unschädlich…, da dadurch kein unbehebbarer Identitätszweifel aufgetreten´ sei. Dies ergebe sich sowohl aus
der Bezeichnung als ´sofortige´ Beschwerde als auch daraus, daß ´keine Veranlassung bestand, sich gegen den
[Hauptsache] Beschluß zu beschweren´.
Der Einzelrichter hat das Beschwerdeverfahren wegen grundsätzlicher Bedeutung dem Senat zur Entscheidung
übertragen.
II.
Die Beschwerde der Kindesmutter gegen die Ratenzahlungsanordnung im amtsgerichtlichen VKHBeschluß vom 30.
November 2010 ist als unzulässig zu verwerfen, weil sie nicht innerhalb der mit Montag dem 7. Januar 2011
abgelaufenen Monatsfrist eingelegt worden ist.
1. Gemäß § 64 Abs. 2 Satz 3 FamFG muß die Beschwerde ´die Bezeichnung des angefochtenen Beschlusses
sowie die Erklärung enthalten, daß Beschwerde gegen diesen Beschluß eingelegt wird´. Zur vollständigen
Bezeichnung gehört nach gefestigter Rechtsprechung (für den uneingeschränkt übertragbaren Fall der Bezeichnung
des durch die Berufung angefochtenen Urteils gemäß § 519 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) grundsätzlich die Angabe der
Parteien (bzw. nach der Terminologie des FamFG: der Beteiligten), des vorinstanzlichen Gerichts, des
Verkündungsdatums und des Aktenzeichens (BGH, Beschluß vom 12. April 1989 - IVb ZB 23/89 - FamRZ 1989,
1063 f. [Leitsatz 1]. BGH, Urteil vom 11. Januar 2001 - III ZR 113/00 - NJW 2001, 1070 f. [Leitsatz]. vgl. auch
Zöller28Heßler, ZPO § 519 Rz. 33. Prütting/HelmsAbramenko, FamFG § 64 Rz. 15). fehlerhafte oder unvollständige
Angaben sind nur dann unschädlich, wenn aufgrund der sonstigen erkennbaren Umstände - innerhalb der
Rechtsmittelfrist - für Gericht und Gegner nicht zweifelhaft bleibt, welche Entscheidung angefochten wird, wobei im
Interesse der Rechtsklarheit an die Bezeichnung keine zu geringen Anforderungen gestellt werden dürften (vgl. BGH
aaO).
Dem am 7. Januar 2011 - und damit am letzten Tag der Rechtsmittelfristen, so daß etwaige Rückfragen zur Klärung
von vornherein nicht mehr in Betracht kamen - eingegangenen Schriftsatz der Verfahrensbevollmächtigten der
Kindesmutter läßt sich nicht mit der für ein Rechtsmittel erforderlichen Sicherheit entnehmen, daß sich die
Beschwerde gegen den amtsgerichtlichen Beschluß vom 30. November 2011 betreffend die VKH richtet und nicht
gegen den unter dem selben Datum ergangenen Beschluß betreffend die Hauptsache. Denn die Beschwerde ist
ausdrücklich unter demjenigen Aktenzeichen eingelegt worden, mit dem - allein - die Hauptsacheentscheidung
versehen war und das auch - allein - auf dem entsprechenden von der Verfahrensbevollmächtigten der Kindesmutter
unterzeichneten Empfangsbekenntnis für die Entscheidung in der Hauptsache angegeben war.
Auch aus weiteren - bis zum Ablauf des 7. Januars 2011 erkennbar gewordenen - Umständen war eine hinreichend
eindeutige Festlegung dahin, daß sich die Beschwerde gegen die VKHEntscheidung richten sollte, nicht möglich:
Allein der Gesichtspunkt, daß das Rechtsmittel als ´sofortige Beschwerde´ bezeichnet war (was für ein Rechtsmittel
in der Hauptsache eine unzutreffende Bezeichnung darstellt und nur ein Rechtsmittel gegen die VKHEntscheidung
zutreffend bezeichnet), konnte zwar möglicherweise Anlaß zu Zweifeln an dem wirklichen Angriffsziel der
Beschwerde geben. diese Bezeichnung war aber - schon aufgrund der sehr häufig vorkommenden und für sich
grundsätzlich unschädlichen Falschbezeichnung von eingelegten Rechtsmitteln - jedenfalls nicht geeignet, eine
zweifelsfreie Zuordnung des Rechtsmittels als gegen die VKHEntscheidung gerichtet zu tragen. Entgegen der von
der Kindesmutter pauschal geäußerten Auffassung ergab sich schließlich auch nicht etwa aus der Sache heraus,
daß eine gegen die Hauptsacheentscheidung gerichtete Beschwerde von vornherein ausgeschlossen gewesen wäre.
2. Der Kindesmutter kann auch nicht von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die
Versäumung der Beschwerdefrist gewährt werden, weil die Fristversäumung jedenfalls auf einem - ihr
zuzurechnenden - Verschulden ihrer Verfahrensbevollmächtigten beruht. Dies ergibt sich bereits daraus, daß die
Verfahrensbevollmächtigte nicht durch organisatorische Maßnahmen verhindert hatte, daß bei in mehreren Verfahren
gleicher Parteien für Rechtsmittel zu notierenden Fristen eine Verwechslung entstehen konnte - dazu war sie aber
nach jüngster und im Vorfallszeitpunkt auch bereits hinreichend veröffentlichter Rechtsprechung des Bundesgerichts
verpflichtet (vgl. BGH - Beschlüsse vom 6. Oktober 2010 - XII ZB 66/10 und 67/10 - NJW 2010, 3585 = MDR 2010,
1480).
W. H. C.