Urteil des OLG Celle vom 17.07.2009

OLG Celle: aufschiebende wirkung, drohender schaden, offenes verfahren, ausschreibung, zustellung, vergabeverfahren, verfahrensart, fristbeginn, bestätigung, bekanntmachung

Gericht:
OLG Celle, Vergabesenat
Typ, AZ:
Beschluss, 13 Verg 3/09
Datum:
17.07.2009
Sachgebiet:
Normen:
GWB § 107 Abs 2, GWB § 117 Abs 1, GWB § 118 Abs 1, GWB § 124 Abs 2
Leitsatz:
1) Zur Frage, ob die Beschwerdefrist des § 117 Abs. 1 GWB dadurch in Lauf gesetzt wird, dass die
Vergabekammer eine Beschlussabschrift „vorab“ per Telefax übersendet.
2) Einem Bieter droht regelmäßig auch dann im Sinne von § 107 Abs. 2 S. 2 GWB ein Schaden durch
eine Verletzung von Vergabevorschriften, wenn das eingeleitete Vergabeverfahren nicht ohne weiteres
durch Zuschlag beendet werden darf und zur Bedarfsdeckung eine Neuausschreibung in Betracht
kommt.
3) Zur Zulässigkeit eines Verhandlungsverfahrens nach § 3 a Nr. 1
Abs. 5 lit. b VOL/A
Volltext:
13 Verg 3/09
VgK59/2008
B e s c h l u s s
In dem Vergabenachprüfungsverfahren
F. (E.) GmbH, vertreten durch den Geschäftsführer H. K., H., N. W.,
Antragstellerin und Beschwerdeführerin,
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte h. b. & partner, M., D.,
Geschäftszeichen: #######
gegen
Städtisches Klinikum L. gemeinnützige GmbH, vertreten durch den
Geschäftsführer J. C., B., L.,
Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin,
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte T. W., Am S., H.,
Geschäftszeichen: #######
O. D. GmbH, W., H.
Beigeladene,
Prozessbevollmächtigte:
F. F. W. (FFW) Rechtsanwälte, Am S., H.,
hat der Vergabesenat des Oberlandesgerichts Celle durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. K.,
den Richter am Oberlandesgericht B. und die Richterin am Oberlandesgericht Z. nach mündlicher Verhandlung vom
26. Mai 2009 und Schriftsatzfrist bis zum 9. Juli 2009 im Einverständnis mit den Parteien ohne erneute mündliche
Verhandlung am 17. Juli 2009 beschlossen:
Die Sache wird dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt (§ 124 Abs. 2 S. 1 GWB).
Gründe
I.
Die Antragstellerin vertreibt medizinische Produkte aus unterschiedlichen optischen Bereichen. Die Antragsgegnerin
ist Betreiberin des Städtischen Klinikums L..
Unter dem 23. Juli 2008 schrieb die Antragsgegnerin die Neubeschaffung von
Endoskopiesystemen für Diagnose und Therapie im Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem
Teilnahmewettbewerb europaweit aus. Ein bereits vorangegangenes offenes Verfahren hatte sie im Hinblick auf
Rügen und ein Nachprüfungsverfahren aufgehoben.
Bereits während der Frist zur Teilnahme am Wettbewerb rügte die Antragstellerin verschiedene Punkte der
Ausschreibung. Sie bemängelte insbesondere die Absicht der Antragsgegnerin, den Auftrag im
Verhandlungsverfahren zu vergeben.
Die Antragsgegnerin half den Rügen im Wesentlichen nicht ab, sondern informierte die Antragstellerin mit Schriftsatz
vom 16. Dezember 2008 gemäß § 13 VgV, dass die Beigeladene die höchste Punktzahl erhalten habe und ihr der
Zuschlag erteilt werden solle. Daraufhin leitete die Antragstellerin das Nachprüfungsverfahren ein.
Die Antragsgegnerin macht geltend, sie habe nicht von vorneherein festlegen können, welche Systemkomponenten
die Leistung beinhalten solle, ohne ein Unternehmen zu diskriminieren. Insoweit sei es nicht möglich gewesen, eine
feste, unveränderbare Leistungsbeschreibung zu erstellen, die eine vergleichende Wertung der Angebote im Rahmen
eines offenen Verfahrens ermöglicht hätte. Sie habe sich daher für ein Verhandlungsverfahren entschieden.
Die Vergabekammer hat in dem angefochtenen Beschluss festgestellt, dass die Antragstellerin in ihren Rechten
verletzt sei, soweit die Antragsgegnerin bei der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes auch das von der
Beigeladenen angebotene Skonto berücksichtigt hat. Im Übrigen hat die Vergabekammer den Nachprüfungsantrag
zurückgewiesen. Insbesondere sei die Antragstellerin durch die Wahl des Verhandlungsverfahrens nicht in ihren
Rechten verletzt.
Gegen diese Zurückweisung wendet sich die Antragstellerin mit ihrer sofortigen Beschwerde. Sie rügt weiterhin die
Unzulässigkeit eines Verhandlungsverfahrens und hält auch ihre weiteren Rügen aufrecht, soweit die
Vergabekammer ihnen nicht stattgegeben hat. Sie macht in erster Linie geltend, dass das Verfahren aufgehoben
werden müsse.
Der Senat hat mit Beschluss vom 8. April 2009 die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde der
Antragstellerin antragsgemäß verlängert (Bl. 79 f d. A.).
Die Antragsgegnerin hat mit Schreiben vom 7. April 2009 den Zuschlag an die Beigeladene erteilt. Sie ist der
Ansicht, für den Fristbeginn sei die am 9. März 2009 erfolgte Faxübermittlung der Vergabekammer maßgebend und
nicht die nachfolgende Zustellung vom 11. März 2009. Die Antragstellerin stellt hilfsweise für den Fall, dass der
Senat dem folgen solle, einen Fortsetzungsfeststellungsantrag gem. § 114 Abs. 2 S. 2 GWB.
II.
Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist nach Auffassung des Senats auch erfolgversprechend, weil der
Nachprüfungsantrag zulässig (1.) und in seinem Hauptantrag auch begründet ist (2.). Der Senat kann allerdings nicht
entscheiden, ohne von dem Beschluss des OLG Koblenz vom 4. Februar 2009 - 1 Verg 4/08 abzuweichen (3.). Er
legt deshalb die Sache gem. § 124 Abs. 2 GWB dem Bundesgerichtshof vor.
Am 21. April 2009 ist das Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts in Kraft getreten. Nach dem durch dieses
Gesetz neu angefügten § 131 Abs. 8 GWB ist für das vorliegende Verfahren das GWB in der bis zum 20. April 2009
geltenden Fassung maßgeblich.
1. Der in der Hauptsache gestellte Nachprüfungsantrag ist zulässig
a) Das Nachprüfungsverfahren nicht durch den der Beigeladenen erteilten Zuschlag erledigt. Dieser Zuschlag ist
gem. § 134 BGB i. V. m. § 115 Abs. 1 GWB
nichtig. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin ist die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde der
Antragstellerin durch den Beschluss des Senats vom 8. April 2009 bis zur Entscheidung über die sofortige
Beschwerde verlängert worden (§ 118 Abs. 1 Satz 3 GWB).
Zu Unrecht meint die Antragsgegnerin, die Beschwerdefrist sei schon durch die
Übersendung der angegriffenen Entscheidung per Telefax am 9. März 2009 in Lauf gesetzt worden, weshalb die
aufschiebende Wirkung der Beschwerde bereits zum Zeitpunkt des Zuschlags und vor Erlass des
Senatsbeschlusses vom 8. April 2009 beendet gewesen sei. Zwar kann eine Zustellung gemäß § 114 Abs. 3 GWB i.
V. m. § 61 Abs. 1 Satz 1 GWB, § 1 Abs. 1 NVwZG i. V. m. § 5 Abs. 4 VwZG auch per Telefax erfolgen. Es muss
dann allerdings eindeutig sein, dass die Übermittlung per Telefax zum Zwecke der Zustellung erfolgt (Reidt, in: Reidt/
Stickler/Glahs, VergR, 2. Aufl., § 114 Rz. 70 c). Diese Voraussetzung ist hier nicht gegeben:
Ist es bei einer Vergabekammer - wie hier - üblich, dass nach Übersendung der Entscheidung an die
Verfahrensbeteiligten eine förmliche Zustellung folgt, kommt der für den Fristbeginn erforderliche Zustellungswille
erst mit der förmlichen Zustellung, die vorliegend am 11. März 2009 erfolgte, zum Ausdruck (Hunger, in:
Kulartz/Kus/Portz (Hrsg.), GWBVergR § 117 Rz. 4). Diese Zustellungspraxis war der Antragsgegnerin auch aus dem
vorangegangenen Nachprüfungsverfahren bekannt.
Darüber hinaus war dem Telefax zwar ein Anschreiben, nicht aber das nach § 5
Abs. 4 VwZG erforderliche Empfangsbekenntnis beigefügt (§ 5 Abs. 4 VwZG: „... kann auch auf andere Weise (...)
gegen Empfangsbekenntnis zugestellt werden.“. vgl. hierzu BayObLG, Beschl. v. 10. Oktober 2000 – Verg 5/00,
VergabeR 2001,
55 ff. zit. n. Juris Rz. 24. OLG Stuttgart, Beschl. v. 11. Juli 2000 - 2 Verg 5/00, NZBau 2000, 462, 463.).
Insbesondere war die Bitte um sofortige Bestätigung des Eingangs des Telefax auch nicht als Bitte um
Rücksendung eines Empfangsbekenntnisses zu verstehen. Ein solches setzt nicht nur den Eingang einer Sendung,
sondern auch die bewusste und gewollte Kenntnisnahme durch den Adressaten voraus. Bei der gewünschten
„sofortigen“ Bestätigung konnte es daher nur um den Erhalt des Schreibens als solchen gehen. Nicht zuletzt enthielt
das Telefax vom 6. März 2009 den ausdrücklichen, fett gedruckten und unterstrichenen Zusatz „vorab“. Dieser
machte nach dem objektiven Empfängerhorizont nur dann Sinn, wenn der Übermittlung per Fax noch etwas
nachfolgen sollte. Dies wiederum konnte ersichtlich nur die formelle Zustellung sein. Etwaige letzte Zweifel wurden
dann dadurch beseitigt, dass der Beschluss am 11. März 2009 nochmals übersandt wurde mit dem Zusatz:
„Empfangsbekenntnis nach § 5 Abs. 2 VwZG – Zustellung an Rechtsanwältinnen, Rechtsanwälte, Körperschaften,
Behörden usw. - “.
b) Die Rüge der Antragstellerin, die Antragsgegnerin habe die falsche Verfahrensart gewählt, ist zulässig.
aa) Die Antragstellerin ist antragsbefugt gem. § 107 Abs. 2 BGB.
(1) Sie hat ein Interesse an dem Auftrag. Dies ergibt sich ohne Weiteres daraus, dass sie im Vergabeverfahren ein
Angebot abgegeben hat und ihre Rechte als Bieterin im Nachprüfungsverfahren verfolgt.
(2) Mit ihrem Vortrag, die Antragsgegnerin habe keine vergaberechtskonforme
Verfahrensart gewählt, macht sie eine Verletzung in ihren Rechten nach § 97 Abs. 7 GWB geltend.
(3) Die Antragstellerin hat auch ausreichend dargelegt, dass ihr aus der geltend gemachten Verletzung der
Vergabevorschriften ein Schaden zu entstehen droht. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin ist dies nicht
etwa im Hinblick darauf zu verneinen, dass die Antragstellerin an dem Verhandlungsverfahren teilgenommen hat und
sie dementsprechend ein Angebot abgeben konnte. Ein (drohender) Schaden im Sinn des § 107 Abs. 2 Satz 2 GWB
ist bereits dann zu bejahen, wenn durch den beanstandeten Vergaberechtsverstoß die Aussichten des
antragstellenden Bieters auf den Zuschlag zumindest verschlechtert worden sein können. An die Darlegung sind
keine überzogenen Anforderungen zu stellen. Es genügt, dass ein Schadenseintritt nicht offensichtlich
ausgeschlossen ist (BVerfG, Beschl. v. 29. Juli 2004 - 2 BvR 2248/03, zit. n. Juris Rz. 28). Nicht erforderlich ist,
dass der behauptete Verstoß gegen vergaberechtliche Vorschriften tatsächlich vorliegt und den behaupteten
Schaden auslöst oder auszulösen droht (BGH, Beschl. v. 18. Mai 2004 - X ZB 7/04, zit. n. Juris Rz. 21). Kommt
nach der Darstellung der Antragstellerin die Aufhebung des eingeleiteten Vergabeverfahrens in Betracht, so liegt es
ohne weitere Darlegung auf der Hand, dass als Folge der anstatt der Aufhebung gewählten Vorgehensweise
des Auftraggebers dem Bieter ein Schaden zu entstehen droht (BGH, Beschl. v. 26. September 2006 - X ZB 14/06,
zit. n. Juris, Rz. 30).
So liegt der Fall hier. Die Antragstellerin rügt, dass die Antragsgegnerin statt des Verhandlungsverfahrens das offene
Verfahren habe wählen müssen. Sie macht geltend, in ihren Rechten dadurch verletzt zu sein, dass die
Antragsgegnerin auf ihre Rügen hin das Vergabeverfahren nicht aufgehoben habe. Dieser Vortrag genügt den
Anforderungen des § 107 Abs. 2 S. 2 GWB. Das Unterlassen einer zwingend gebotenen Aufhebung des
Vergabeverfahrens stellt eine Verletzung der Bieterrechte im Sinn des § 107 Abs. 2 GWB i. V. m. § 97 Abs. 7 GWB
dar. Liegen die behaupteten Verstöße vor und besteht der Bedarf bei der Antragsgegnerin fort, so ist die
Neuausschreibung Folge der Aufhebung. Die Antragstellerin hätte die Chance, sich an der erneuten Ausschreibung
mit einem dieser Ausschreibung entsprechenden Angebot zu beteiligen (vgl. BGH, Beschl. v. 26. September 2006 -
X ZB 14/06, zit. n. Juris Rz. 30. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 9. April 2008 - VII Verg 2/08, zit. n. Juris Rz. 31). So ist
es zum Beispiel durchaus möglich, dass die Antragstellerin ein erneutes Angebot im offenen Verfahren (nochmals)
preislich überarbeitet oder ihr Angebot aus anderen (Preis oder Wertungs)Gründen besser abschneidet als das der
Mitbietenden. Daher ist es zumindest nicht ausgeschlossen, dass ihr durch das Absehen von einer Aufhebung der
Ausschreibung ein Schaden zu entstehen droht. Auf die Frage, ob die Antragstellerin den Zuschlag auch bei
vergaberechtskonformer Ausschreibung erhalten hätte, kommt es dagegen nicht an.
Der dagegen gerichteten Argumentation der Antragsgegnerin vermag der Senat nicht zu folgen. Die Antragsgegnerin
will darauf abstellen, dass die Wahl der falschen Verfahrensart dafür kausal geworden sein müsse, dass sich die
Zuschlagschancen der Antragstellerin verschlechtert hätten. Sie meint, dies lasse sich dem Vorbringen der
Antragstellerin schon deshalb nicht entnehmen, weil diese sich an dem Verfahren beteiligt habe und nicht erkennbar
sei, dass sie bei einem offenen Verfahren besser abgeschnitten hätte. Dies verkennt die Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs. Der von der Antragstellerin gerügte Verstoß gegen Vergabevorschriften besteht darin, dass die
Antragsgegnerin beabsichtigt, der Beigeladenen den Zuschlag auf der Grundlage eines unzulässigen
Verhandlungsverfahrens zu erteilen. Würde sie - wie es bei dem gegebenen Sachstand geboten wäre - stattdessen
das Verfahren aufheben, hätte die Antragstellerin die Chance, in einem neuen Verfahren den Zuschlag zu erhalten.
Es ist die tatsächliche Erteilung des Auftrags, welche die Vermögenslage von Bietern beeinflusst, nicht der
Umstand, in welchem Vergabeverfahren sie erfolgt. § 107 Abs. 2 GWB lässt auch nicht erkennen, dass für die
Antragsbefugnis allein auf die Möglichkeit abzustellen sein könnte, den ausgeschriebenen Auftrag gerade in dem
eingeleiteten und zur Nachprüfung gestellten Vergabeverfahren zu erhalten. Nach seinem Wortlaut muss vielmehr
ganz allgemein ein (drohender) Schaden dargelegt werden, für den die behauptete Verletzung von
Vergabevorschriften kausal ist. Es genügt deshalb, wenn nach dem Vorbringen des das Nachprüfungsverfahren
betreibenden Bieters möglich erscheint, dass er ohne den behaupteten Vergaberechtsverstoß den Bedarf,
dessentwegen die Ausschreibung erfolgt ist, gegen Entgelt befriedigen kann. Das ist regelmäßig auch der Fall, wenn
das eingeleitete Vergabeverfahren nicht ohne weiteres durch Zuschlag beendet werden darf und zur Bedarfsdeckung
eine Neuausschreibung in Betracht kommt. Dass im Voraus nicht abzusehen ist, ob die darin liegende Chance eine
realistische Aussicht darstellt, den Auftrag zu erhalten, und sich eine solche Chance keinesfalls zwangsläufig für
den betreffenden Bieter auftun muss, ist angesichts der zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
unerheblich. Vielmehr reicht schon die Möglichkeit einer Verschlechterung der Aussichten des den
Nachprüfungsantrag stellenden Bieters infolge der Nichtbeachtung von Vergabevorschriften aus (BGH, Beschl. v.
26. September 2006 - X ZB 14/06 – zit. n. Juris, Rz. 31, unter Hinweis auf die soeben angeführte Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts).
bb) Ihrer Rügepflicht nach § 107 Abs. 3 GWB ist die Antragstellerin nachgekommen.
Die Bekanntmachung der Ausschreibung erfolgte am 25. Juli 2008. Teilnahmeanträge waren bis zum 1. September
2008 einzureichen. Bereits mit Schreiben vom 8. August 2008 (Anl. Bf 4) rügte die Antragstellerin die gewählte
Verfahrensart. Mit Schreiben vom 5. September 2008, bei der Antragstellerin eingegangen am 9. September 2008,
übersandte die Antragsgegnerin die Aufforderung zur Angebotsabgabe mit den dazu gehörigen Unterlagen. Nach
Prüfung des Leistungsverzeichnisses und der übrigen Vergabeunterlagen wiederholte die Antragstellerin die Rüge in
ihrem Schreiben vom 15. September 2008 (Anl. Bf 8), eingegangen bei der Antragsgegnerin am 18. September 2008.
Gegen die Rechtzeitigkeit der Rüge bestehen vor diesem Hintergrund keine Bedenken.
2. Die Rüge ist nach Auffassung des Senats auch begründet.
Die Antragstellerin beanstandet zu Recht, dass die Antragsgegnerin bei der Wahl des Verhandlungsverfahrens gegen
§ 101 Abs. 6 Satz 1 GWB verstoßen habe.
Diese Vorschrift schreibt öffentlichen Auftraggebern grundsätzlich das offene Verfahren vor, „es sei denn, aufgrund
dieses Gesetzes ist etwas anderes gestattet.“ Die Wahl zwischen den Verfahrensarten steht gemäß § 101 Abs. 6
Satz 2 GWB nur Auftraggebern zu, die „unter § 98 Nr. 4 fallen “ (Tätigkeit im Bereich der Trinkwasser oder
Energieversorgung, des Verkehrs, der Telekommunikation). Zu diesen gehört die Antragsgegnerin nicht. Maßgeblich
ist daher der Grundsatz in Satz 1. Die Voraussetzungen, unter denen in den Fällen des Satzes 1 ausnahmsweise
das Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb zulässig ist, sind in § 3 a Nr. 1 Abs. 5 VOL/A
geregelt, worauf § 97 Abs. 6 GWB und § 4 Abs. 1 VGV verweisen.
a) Die Voraussetzungen des § 3 a Nr. 1 Abs. 5 Buchst. b VOL/A, auf die sich die Antragsgegnerin stützt, liegen
nicht vor. Die Vorschrift setzt voraus, dass „es sich um Liefer oder Dienstleistungsaufträge handelt, die ihrer Natur
nach oder wegen der damit verbundenen Risiken eine vorherige Festlegung eines Gesamtpreises nicht zulassen“.
Derartiges ist indes bisher in der Rechtsprechung - soweit ersichtlich - nur bei hochkomplexen ITLeistungen,
schwierigen Entsorgungsleistungen, komplizierten Dienstleistungen aus dem Finanzwesen bzw. der
Unternehmensberatung angenommen worden, insbesondere in den Fällen, in denen bestimmte Leistungen erst im
Laufe des Verfahrens entwickelt werden können/sollen (vgl. VK BadenWürttemberg, Beschl. v. 12. Juli 2001, 1 VK
12/01, zit. n. Juris, Rz. 49/50. Kulartz in Kulartz/Marx/ Portz/Prieß, VOL/A, § 3 a, Rz. 80 m. w. N.). Ein
vergleichbarer Fall liegt hier nicht vor.
Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin ist es im vorliegenden Fall möglich, im offenen Verfahren Angebote
mit Preisen abzugeben, die vergleichbar sind. Die Antragsgegnerin hat sich in der Lage gesehen, von vornherein ein
differenziertes Leistungsverzeichnis zu erstellen, in dem die nachgefragten Leistungen im einzelnen beschrieben
sind. Dabei hat sie - wie in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat im Einzelnen erörtert - die Eigenschaften
eines jeden ihr bekannten marktgängigen Systems in allen Einzelheiten abgebildet und zusätzlich Raum für
gleichwertige Alternativen gelassen. Dadurch ergab sich zwar zwangsläufig bei den einzelnen Positionen eine
Vielzahl von unterschiedlichen Eintragungsmöglichkeiten. Deshalb handelte es sich aber noch nicht um
Alternativpositionen, die es dem Bieter unmöglich machten, vergleichbare bepreiste Angebote zu machen. Für die
mit der Situation des - ohnehin begrenzten - Marktes ebenfalls vertrauten Bieter war vielmehr offensichtlich, was
genau die Antragsgegnerin beschaffen wollte, nämlich eines der beschriebenen auf dem Markt befindlichen
Systeme. Die unterschiedlichen Funktionsparameter in den Einzelpositionen dienten lediglich der produktneutralen
Beschreibung und gleichzeitig der Vorbereitung einer ausdifferenzierten Bewertungsmatrix. Dass die verschiedenen
Bieter - insbesondere die Antragstellerin und die Beigeladene - unterschiedliche Endoskopiesysteme vertreiben,
kann die Antragsgegnerin nicht dazu verpflichten, sich vor einer Ausschreibung bereits für ein System zu
entscheiden. Dieser Umstand kann auch nicht ausreichen, um ein Verhandlungsverfahren zuzulassen. Denn
anderenfalls könnte wegen der Produktvielfalt in den meisten Bereichen nahezu in jeder Ausschreibung von
Lieferungen vom Grundsatz des offenen Verfahrens abgewichen werden und würde die Ausnahme zur Regel. Hier ist
auch nicht ersichtlich, dass es der Antragsgegnerin in irgendeiner Weise auf die Entwicklung einer Leistung im Laufe
des Verfahrens angekommen wäre. Sie wusste vielmehr sehr genau, welche Anforderungen die Endoskopiesysteme
erfüllen sollten und war daher auch in der Lage, die gewünschte Leistung von Beginn des Verfahrens an konkret zu
beschreiben. Dementsprechend ist den Ausschreibungsunterlagen der Antragsgegnerin genauso wie den
Angebotsunterlagen der Antragstellerin zu entnehmen, dass Einzel und Gesamtpreise angeboten wurden. Keiner der
Beteiligten hat im Übrigen erklärt, dass dies nicht möglich sei. Die Antragsgegnerin hat sich sogar in der Lage
gesehen, auf der Basis des von ihr erstellten Leistungsverzeichnisses eine für alle Angebote gültige
Bewertungsmatrix zu erstellen, was sachlich vergleichbare und preislich eindeutig zu bewertende Angebote
voraussetzt.
Unbestritten haben auch keine Verhandlungen über die Leistung im Sinne einer „Entwicklung“ stattgefunden, sondern
nur Nachbesserungen im Preis - auch dies ein Indiz für das Vorliegen einer beschreibbaren Leistung und der
Möglichkeit einer vorherigen Festlegung des Gesamtpreises.
Nicht zuletzt folgt die Möglichkeit der Wahl des offenen Verfahrens auch daraus, dass die Antragsgegnerin die
Neubeschaffung der streitgegenständlichen Endoskopiesysteme bereits ein Jahr zuvor im offenen Verfahren
ausgeschrieben hatte und sie dieses Verfahren nicht etwa wegen der Unmöglichkeit der Bildung eines
Gesamtpreises, der Komplexität der Produkte oder wegen des Eingangs ausschließlich unwertbarer Angebote
aufgehoben hat, sondern nur wegen eines erfolgreich gerügten anderweitigen Vergaberechtsverstoßes.
b) Lediglich vorsorglich ist festzustellen, dass auch die Voraussetzungen des § 3 a Nr. 1 Abs. 5 Buchst. c VOL/A
nicht vorliegen, wonach das Verhandlungsverfahren zulässig ist, wenn im Rahmen der Vorschriften über das offene
(und nicht offene) Verfahren „vertragliche Spezifikationen nicht hinreichend genau festgelegt werden können“. Das
von der Antragsgegnerin erstellte Leistungsverzeichnis zeigt im Gegenteil, dass eine solche Festlegung hier ohne
Weiteres möglich ist. Das zieht auch die Antragsgegnerin nicht in Zweifel.
c) Da die zulässige Beschwerde begründet ist, müssten die Entscheidung der Vergabekammer (§ 123 Satz 1 GWB)
und die Ausschreibung aufgehoben werden. Denn die vergaberechtswidrige Verfahrenswahl stellt einen
schwerwiegenden Verstoß dar, der nur auf diese Weise beseitigt werden kann. Das Ermessen der Antragsgegnerin
wäre bei der gemäß § 26 Nr. 1 Buchst. d VOL/A zu treffenden Entscheidung über die Aufhebung der Ausschreibung
vorliegend auf Null reduziert (vgl. Prieß in: Kulartz/Marx/Portz/Prieß, VOL/A, § 8 Rz. 143. Lischka, in Müller/Wrede,
VOL/A, 2. Aufl., § 26 Rz. 84).
3. Der danach begründeten Beschwerde kann der Senat nicht stattgeben, weil er damit jedenfalls von der
Entscheidung des OLG Koblenz vom 4. Februar 2009
1 Verg 4/08 - abwiche. Die Sache ist deshalb gem. § 124 Abs. 2 GWB dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung
vorzulegen.
a) Die Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 GWB liegen vor, wenn das vorlegende Oberlandesgericht als tragende
Begründung seiner Entscheidung einen Rechtssatz zu Grunde legen will, der mit einem die Entscheidung eines
anderen Oberlandesgericht tragenden Rechtssatz nicht übereinstimmt (BGHZ 154, 32, 35).
In der genannten Entscheidung hatte das OLG Koblenz darüber zu befinden, ob die dortige Antragstellerin dadurch in
ihren Rechten verletzt worden war, dass die Auftraggeberin anstatt in einem offenen Verfahrens mit europaweiter
Bekanntmachung nur national öffentlich ausgeschrieben hatte. Das OLG Koblenz hat die Beschwerde auch deshalb
zurückgewiesen, weil der Nachprüfungsantrag unzulässig gewesen sei. Dazu führt es aus: „Es ist aber nicht
ersichtlich und schon gar nicht vorgetragen, dass dieser - für die Zulässigkeitsprüfung als gegeben unterstellte -
Vergaberechtsverstoß irgendeine nachteilige Folge für sie (Anm. des Senats: die seinerzeitige Antragstellerin)
gehabt haben könnte. … Die Weigerung der Vergabestelle, die Ausschreibung aufzuheben, ist kein selbständiger
Vergabeverstoß, der zum Gegenstand eines Nachprüfungsverfahrens gemacht werden könnte (zit. nach Juris Rn 39,
44).
Würde der Senat dem folgen, könnte er der Beschwerde nicht stattgeben, sondern müsste sie zurückweisen, weil
der Nachprüfungsantrag entgegen den Ausführungen zu 1. b) aa) (3) unzulässig wäre. Denn auch im vorliegenden
Fall ist nicht erkennbar, dass die Antragstellerin, die sich als Bieterin an dem Verfahren beteiligt hat, in diesem
Verfahren allein dadurch Nachteile erlitten hat, dass anstelle des Offenen Verfahrens das Verhandlungsverfahren
gewählt wurde.
b) Die weiteren von der Antragstellerin erhobenen und im Beschwerdeverfahren noch geltend gemachten Rügen
können nicht in Frage stellen, dass ein entscheidungserheblicher Dissens in tragenden Gründen vorliegt. Das mit
dem Hauptantrag verfolgte weitestgehende Ziel der Antragstellerin lässt sich nämlich nur durchsetzen, wenn die
Rüge der falschen Verfahrensart durchgreift. Soweit die Rügen einzelne Wertungen betreffen, wäre die
Ausschreibung nicht aufzuheben, sondern ggf. nur neu zu werten. Soweit die übrigen Rügen dazu führen können,
dass die Ausschreibung aufzuheben ist, bliebe für ein erneutes Vergabeverfahren offen, ob ein
Verhandlungsverfahren oder ein Offenes Verfahren durchzuführen ist. Nur wenn der Senat über diese Frage
entscheidet, steht mit Bindungswirkung auch für eine erneute Vergabe fest, dass diese im Offenen Verfahren
durchzuführen ist. Dementsprechend ist es auch die nach § 114 Abs. 1 S. 1 GWB „geeignete Maßnahme“, vorrangig
über die Verfahrensart zu entscheiden.
c) Mit seiner beabsichtigten Entscheidung setzt sich der Senat auch in Widerspruch zu den Beschlüssen des OLG
Düsseldorf vom 16. Februar 2006 - Verg 6/06 - und des Thüringer OLG vom 8. Mai 2008 - 9 Verg 2/08. Ob auch
deswegen nach
§ 124 Abs. 2 GWB vorzulegen wäre, erscheint zweifelhaft. Die Entscheidung des OLG Düsseldorf ist gem. § 118
Abs. 1 S. 3 GWB ergangen und deshalb gem. § 124 Abs. 2 S. 3 GWB möglicherweise ungeeignet, eine
Vorlagepflicht auszulösen. Der Beschluss des Thüringer Oberlandesgerichts ist ein Vorlagebeschluss an den EuGH
und damit möglicherweise keine „Entscheidung“ im Sinne von § 124 Abs. 2 S. 1 GWB. Das alles kann indessen
dahin stehen, weil nach der hier maßgeblichen Fassung des GWB (s. o. II a. A.) der Bundesgerichtshof auch dann
vollständig in der Sache entscheidet, wenn ihm die Sache nur wegen der Differenz zur Entscheidung des OLG
Koblenz vorgelegt wird.
Dr. K. B. Z.