Urteil des OLG Celle vom 18.01.2001

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Gericht:
OLG Celle, 09. Zivilsenat
Typ, AZ:
Beschluss, 9 W 134/00
Datum:
18.01.2001
Sachgebiet:
Normen:
ZPO § 116 Nr. 1, GMBHG § 9, GmbHG § 11
Leitsatz:
Zur Aufbringung der Prozesskosten durch die Insolvenzgläubiger (§ 116 Nr. 1 ZPO) und zur
Vorbelastungshaftung der Gesellschafter einer GmbH
Volltext:
9 W 134/00
1 0 298/00 LG Lüneburg
B e s c h l u s s
In dem Rechtsstreit
pp.
hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die Beschwerde des Antragstellers vom 11. Dezember 2000
gegen den Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg vom 20. November 2000 in der Sitzung vom
18. Januar 2001 beschlossen:
Der angefochtene Beschluss wird abgeändert.
Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe bewilligt.
Ihm wird Rechtsanwalt ####### zur Vertretung beigeordnet.
G r ü n d e
Die Beschwerde ist begründet.
Dem Antragsteller ist Prozesskostenhilfe zu bewilligen.
1. Die Kosten können (a) aus der verwalteten Vermögensmasse nicht aufgebracht werden und es ist (b) den am
Gegenstand des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten nicht zuzumuten, diese aufzubringen (§ 116 Nr. 1 ZPO).
a) Der Antragsteller hat eine “freie Masse” nicht ermitteln können. Die Kosten können daher aus der verwalteten
Vermögensmasse nicht aufgebracht werden.
b) Nach der Einführung des § 116 ZPO durch das Gesetz über die Prozesskostenhilfe vom 13. Juli 1980, mit dem
der Gesetzgeber die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für den Konkursverwalter zur Regel und die Versagung zur
Ausnahme machen wollte, sind Vorschüsse solchen Beteiligten zuzumuten, welche die erforderlichen Mittel
unschwer aufbringen können und deren zu erwartender Nutzen bei vernünftiger, auch das Eigeninteresse und
Prozessrisiko angemessen berücksichtigender Betrachtungsweise bei einem Erfolg der Rechtsverfolgung
voraussichtlich deutlich größer sein wird.
Dies wird verneint, wenn die zu erwartende Quote so gering ist, dass den Gläubigern ein Kostenrisiko nicht
zugemutet werden kann (OLG Köln JurBüro 1994, 480). So liegt der Fall hier:
Von einer bei einem Erfolg der Klage zu erwartenden Masse von 50.000, DM ist zunächst die Vergütung des
Antragstellers, dem es nicht zuzumuten ist, die Prozesskosten aufzubringen (ZöllerPhilippi, ZPO, 22. Aufl., § 116
Rdnr. 10 a), abzuziehen. Der Regelsatz der Vergütung für die Geschäftsführung (§ 85 Abs. 1 KO) beträgt 6.300, DM
(§ 3 Abs. 1 hier noch anzuwendenden Verordnung über die Vergütung des Konkursverwalters usw., § 19 InsVV). Die
Vergütungssätze des § 3 VergütVO sind jedoch nach allgemeiner Meinung ungenügend, weil sie keine angemessene
Vergütung mehr gewährleisten. Demgemäß gewährt die Rechtsprechung überwiegend nicht mehr die Regelsätze,
sondern auch für durchschnittliche Verfahren einen mehrfachen Regelzuschlag auf die Vergütung gemäß § 3
VergütVO (Kilger, Insolvenzgesetze, 17. Aufl., § 85 Anm. 1 a) m.w.N.). Unter Zugrundelegung eines vierfachen
Regelsatzes ergibt sich einschließlich Umsatzsteuer ein Betrag von rund 30.000, DM, sodass noch rund 20.000, DM
verbleiben.
Dann aber ist es dem am Rechtsstreit wirtschaftlich Beteiligten nicht zumutbar, die Kosten des Rechtsstreits
aufzubringen, weil sie nur mit einer relativ geringen Quote rechnen können (vgl. zu diesem Maßstab ZöllerPhilippi,
a.a.O., Rdnr. 7 m.w.N.). Die sogenannten “Großgläubiger”, für die sich die Frage der Aufbringung der Prozesskosten
nur stellt, gehören alle der Rangklasse des § 61 Abs. 1 Nr. 6 KO an.
Von den rund 20.000, DM sind zunächst aber noch die rund 3.000, DM für die Gläubiger der Rangklassen des § 61
Abs. 1 Nr. 2 und 3 KO abzuziehen, sodass noch rund 17.000, DM für die Gläubiger der Rangklasse 6 verbleiben.
Der Gläubiger mit der höchsten Forderung in dieser Klasse, für den sich letztlich nur die Frage der Aufbringung der
Kosten stellt, hat rund 70.000, DM zu beanspruchen. Bei Konkursforderungen in Höhe von rund 160.000, DM
bekäme er rund 44 % von rund 17.000, DM, also rund 6.500, DM, wenn der Antragsteller den Rechtsstreit gewinnen
würde und eine etwaige Zwangsvollstreckung Erfolg hätte. Er ginge dann aber mit seiner Vorschussleistung auch ein
Prozessrisiko für die anderen Konkursgläubiger ein, was bei der Frage der Zumutbarkeit ebenfalls zu berücksichtigen
ist (OLG Köln, a.a.O.).
Schließlich müssen auch die zu verauslagenden Kosten in einem angemessenen Verhältnis zu dem im Erfolgsfall
zu erzielenden Gewinn stehen. Auch das ist hier nicht der Fall. Die Gerichtskosten betragen bei einem Streitwert von
50.000, DM rund 2.000, DM und die Gebühren für einen Anwalt mindestens rund 3.400, DM, zusammen also schon
mindestens rund 5.400, DM.
Es ist dem Antragsteller nicht zumutbar, von den zahlreichen Gläubigern der Rangklasse 6 einen anteiligen
Prozesskostenvorschuss zu verlangen. Außerdem müsste er damit rechnen, dass jedenfalls einige von diesen nicht
bereit sein werden, ein Prozesskostenrisiko einzugehen. Da er keinen Anspruch gegen den Konkursgläubiger auf
Beteiligung an den Prozesskosten besitzt, müsste er von den verbleibenden Gläubigern eine erhöhte Quote
beanspruchen usw.
2. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung hat auch hinreichende Aussicht auf Erfolg
(§ 116 Satz 2 i.V.m. § 114 letzter Halbsatz ZPO).
Da die Gesellschaft ihren Geschäftsbetrieb vor ihrer Eintragung in das Handelsregister aufgenommen hat, kommt in
analoger Anwendung des § 9 GmbHG ein Anspruch in Betracht, wenn sich durch Verbindlichkeiten der
Vorgesellschaft im Zeitpunkt der Entstehung der GmbH eine Differenz zwischen dem Stammkapital und dem Wert
des Gesellschaftsvermögens ergibt (sog. Vorbelastungshaftung; vgl. dazu Baumbach/Hueck/
Fastrich, GmbHG, 17. Aufl., § 11 Rdnr. 56). Darlegungs und gegebenenfalls beweispflichtig für diesen Anspruch ist
zwar regelmäßig der Geschäftsführer der Gesellschaft bzw. der Konkursverwalter als Anspruchsteller. Für
(besonders gelagerte) Fälle, in denen sich der Anspruchsteller Darlegungsschwierigkeiten gegenübersieht, ist jedoch
anerkannt, dass der auch für das Prozessrecht geltende Grundsatz von Treu und Glauben die Darlegungslast
beeinflussen kann. In Anwendung dieses Grundsatzes ist der Antragsgegner verpflichtet, darzulegen, dass eine
Unterdeckung nicht vorgelegen hat, denn der Antragsteller als Konkursverwalter kann sich bei seinen Bemühungen
um Aufklärung und Darlegung nicht auf vollständige und ordnungsgemäß geführte Geschäftsunterlagen stützen, weil
er solche bei der Gesellschaft nicht vorgefunden hat (vgl. zu diesem Gesichtspunkt BGH NJW 1988, 233, 234; OLG
Düsseldorf WM 1993, 1961). Für die Tatsache, dass dem Antragsgegner am 9. März 1998 aus seinem PKW
praktisch alle für die Aufstellung einer Vorbelastungsbilanz erforderlichen Geschäftsunterlagen gestohlen worden
sind, sprechen bisher nur dessen Angaben.
Im übrigen spricht auch vieles dafür, dass der Antragsgegner seine Einlageverpflichtung (§ 19 GmbHG) jedenfalls in
Höhe von 25.000, DM nicht (ordnungsgemäß) erfüllt hat, d.h. die Gesellschaft über die ihr am 27. Dezember 1996
überwiesenen 50.000, DM nicht in vollem Umfang frei verfügen konnte, die Einzahlung also insoweit nur eine bloße
Scheinoperation war oder es sich in Wirklichkeit um eine Sacheinlage handelte (vgl. zur freien Verfügbarkeit
Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 15. Aufl., § 7 Rdnr. 13 ff.).
Der Antragsgegner hat die Vereins und Westbank bereits unter dem Datum des
30. Dezember 1996 angewiesen, 42.000, DM auf ein Konto eines Herrn ####### in ####### zu überweisen und hat
als Verwendungszweck “Treuhänd. Herrn #######, Warenlieferung” angegeben. Da der Antragsgegner für Herrn
####### einen Geschäftsanteil von 25.000, DM treuhänderisch hielt, spricht aufgrund der Angabe der
Verwendungszwecks vieles dafür, dass der Antragsgegner Herrn ####### letztlich die von diesem aufgrund des
Treuhandverhältnisses aufzubringenden 25.000, DM zurückgezahlt hat. Ferner ergibt sich aus dem Auftrag an die
####### und #######; dass die “Waren” in ####### gekauft worden sind bzw. werden sollten und eine
“Wareneinfuhr” nach Deutschland beabsichtigt war. Es spricht wenig dafür, dass mit den “Waren” beispielsweise ein
in ####### gekaufter, von Herrn ####### vorfinanzierter und später nach Deutschland überführter Pkw gemeint
gewesen ist (vgl. aber Seite 2 der Stellungnahme des Antragsgegners vom 5. Oktober 2000 zu dem
Prozesskostenhilfegesuch).
Diesbezügliche Unterlagen sind auch nicht zu den Akten gekommen.
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