Urteil des OLG Celle vom 26.08.2002

OLG Celle: ärztliche behandlung, familie, vertretungsmacht, deckung, leistungsfähigkeit, vertreter, vollmacht, behandlungsvertrag, berechtigung, krankenversicherung

Gericht:
OLG Celle, 01. Zivilsenat
Typ, AZ:
Urteil, 1 U 13/00
Datum:
26.08.2002
Sachgebiet:
Normen:
BGB § 1357 Abs. 1
Leitsatz:
Zur Bindungswirkung von Krankenhausverträgen, die ein Ehegatte im Namen des anderen, die
Krankenhausleistungen in Anspruch nehmenden, Ehegatten abschließt.
Volltext:
1 U 15/02 11 O 4820/01 Landgericht Hannover Verkündet am 26. August 2002 ####### Justizobersekretärin als
Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle In dem Rechtsstreit pp. hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die mündliche Verhandlung vom 5. August 2002 durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts #######
sowie die Richter am Oberlandesgericht ####### und ####### für Recht erkannt: Auf die Berufung des Klägers wird
das am 30. Januar 2002 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts ####### geändert. Die Beklagte
wird verurteilt, an den Kläger 7.069,17 € nebst Zinsen in Höhe von 5% über dem Basis-Zinssatz nach § 1 Abs. 1 des
Diskontsatz-Überleitungsgesetzes seit dem 15. November 2000 zu zahlen. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die
Beklagte. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Revision wird nicht zugelassen. Gründe I. Der Kläger verlangt
von der Beklagten, einer Sozialhilfeempfängerin, Krankenhauskosten für ihre Behandlung. Die Beklagte wurde am 1.
Juni 2000 im ####### als Notfall (Darmdurchbruch) in nicht ansprechbarem Zustand aufgenommen und bis zum 20.
Juli 2000 behandelt, u. a. auch operiert. Ihr Ehemann unterzeichnete unter Vorlage der ####### den
‘Behandlungsvertrag’ am 1. Juni 2000 als ‘Vertreter mit Vertretungsmacht i. S. v. § 164 BGB’. Die
Behandlungskosten – laut Rechnung vom 6. Juli 2000 13.826,10 DM – wurden weder von der Beklagten, noch der
####### (Prämien waren nicht gezahlt; außerdem Vertragsrücktritt wegen Täuschung über Vorerkrankungen) noch
vom Sozialamt ####### beglichen. Die Beklagte hat eine persönliche Zahlungspflicht bestritten. Die Krankenhaus-
Einweisung sei aus Anlass eines Notfalles von ihrem Ehemann veranlasst worden. Vollmacht habe er dazu nicht
gehabt. Als klar gewesen sei, dass die ####### nicht zahlen werde und auch das Sozialamt Einwendungen gegen
den abgerechneten Leistungskatalog und die Sätze erhoben habe, habe der Kläger in einem Telefonat mit ihr erklärt,
er werde sich selbst um die Kostenübernahme durch das Sozialamt kümmern. Danach habe sie bis zur
Klageerhebung von der Sache nichts mehr gehört. Der Kläger müsse sich weiterhin an das Sozialamt #######
halten. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen: Ein Vertragsschluss mit der Beklagten sei nicht erfolgt. Deren
Ehemann habe zwar als Vertreter unterschrieben, er habe aber keine entsprechende (rechtsgeschäftlich erteilte)
Vollmacht gehabt. Mit seiner Berufung macht der Kläger geltend, die Vertretungsmacht des Ehemannes der
Beklagten folge aus § 1357 Abs. 1 BGB. Eine medizinisch gebotene ärztliche Behandlung ohne Inanspruchnahme
von Sonderleistungen sei stets eine Maßnahme zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs der Familie. Mit der
Selbstzahlerrechnung von 6. Juli 2000 sei ausschließlich nach den Sätzen der gesetzlichen Krankenversicherung
abgerechnet worden, Wahlleistungen habe die Beklagte nicht in Anspruch genommen, solche seien auch nicht
berechnet. Die Beklagte verweist den Kläger nach wie vor auf das Sozialamt ####### und meint, über § 1357 Abs. 1
BGB sei es wegen Satz 2 dieser Vorschrift deshalb nicht zu ihrer Haftung gekommen, weil die Höhe der
voraussichtlichen Behandlungskosten zu der schlechten wirtschaftlichen Lage der Familie außer Verhältnis
gestanden habe. Außerdem bestreitet sie mit Nichtwissen, dass der Kläger ausschließlich auf der Basis der
gesetzlichen Krankenversicherung abgerechnet habe. II. Die Berufung ist begründet. Das Landgericht hat die
Zahlungsklage zu Unrecht abgewiesen. Zwischen der Beklagten und dem Kläger ist ein Krankenhausvertrag
zustande gekommen, aufgrund dessen die Beklagte verpflichtet ist, den streitgegenständlichen Betrag zu zahlen.
Zwar hat die Beklagte den Behandlungsvertrag nicht persönlich abgeschlossen, jedoch wurde sie durch ihren
Ehemann nach § 1357 Abs. 1 BGB wirksam verpflichtet. Nach § 1357 Abs. 1 BGB ist jeder Ehegatte berechtigt,
Geschäfte zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs der Familie mit Wirkung auch für den anderen Ehegatten
zu besorgen. Der Anwendung des § 1357 BGB steht zunächst nicht im Wege, dass der Ehemann der Beklagten
ausdrücklich erklärt hat, er schließe als Vertreter im Sinne von § 164 BGB den Behandlungsvertrag ab. Bereits
bezogen auf die frühere Fassung des § 1357 BGB von 1957 (BGBl. S. 610) wurde vertreten, dass die Ehefrau den
Ehemann sowohl bei denjenigen Geschäften, die sie im eigenen Namen abschloss, mitverpflichten konnte, als auch
den Ehemann rechtlich binden konnte, wenn sie als dessen Vertreterin auftrat, wobei sich in diesem Fall die
Vertretungsmacht aus § 1357 BGB ergeben sollte (gesetzliche Vertretungsmacht; vgl. hierzu Büdenbänder, FamRZ
1976, S. 662, 666). Mit der Neugestaltung des § 1357 BGB durch das 1. Gesetz zur Reform des Ehe- und
Familienrechts (BGBl. 1976, S. 1422) wurde lediglich die in § 1357 BGB der Ehefrau eingeräumte Rechtsstellung
auch auf den Ehemann ausgedehnt, die Wirkung von § 1357 BGB sollte ansonsten aber nicht eingeschränkt werden
(vgl. Büdenbänder, aaO; Holzhauer JZ 1985, S. 684). Folglich ist davon auszugehen, dass § 1357 BGB nicht nur die
Mitverpflichtung und Berechtigung des nicht handelnden Ehegatten aus solchen Verträgen beinhaltet, die der andere
Ehegatte im eigenen Namen abgeschlossen hat, sondern auch ein gesetzliches Vertretungsrecht enthält, im
Anwendungsbereich von § 1357 BGB Verträge im Namen des jeweils anderen Ehegatten abschließen zu können (in
diesem Sinne auch BGH JZ 1985, 680; Käppler AcP 179 (1979), S. 244, 276). Die notwendige Begrenzung der
gesetzlichen Vertretungsmacht ergibt sich dabei aus dem Umstand, dass nur für solche Geschäfte eine
Vertretungsmacht besteht, die zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs der Familie notwendig sind. Bei dem
hier streitbefangenen Krankenhausvertrag handelt es sich um ein solches Geschäft zur angemessenen Deckung des
Lebensbedarfs der Familie. Wie der BGH (NJW 1972, S. 910) entschieden hat, ist eine medizinisch gebotene
ärztliche Behandlung ohne Inanspruchnahme von Sonderleistungen unabhängig von den sonstigen bei der
Anwendung des § 1357 BGB zu beachtenden einschränkenden Kriterien grundsätzlich eine Maßnahme zur
angemessenen Deckung des Bedarfs der Familie. Hierbei kommt es auch nicht darauf an, ob die mit der Behandlung
verbundenen erheblichen Kosten die finanziellen Möglichkeiten der Eheleute sichtlich übersteigen, was ansonsten
ein Begrenzungskriterium für § 1357 Abs. 1 BGB wäre (Palandt-Brudermöller, BGB, 61. Auflage, § 1357 RdNr. 17).
Werden hingegen kostspielige Wahlleistungen vereinbart, sind diese von § 1357 BGB nur erfasst, wenn sie auch den
wirtschaftlichen Lebensverhältnissen der Familie entsprechen. Im vorliegenden Fall sind jedoch keinerlei
Wahlleistungen vereinbart worden. Zutreffend hat der Kläger ausschließlich entsprechend der
Bundespflegesatzverordnung (BPflVO) 95 i. d. F. vom 1. Januar 2000 abgerechnet. Dem steht - anders als dies die
Beklagte meint – nicht entgegen, dass die Selbstzahlerrechnung vom 6. Juli 2000 gesondert die Leistungsposition
‘Teilresektion des Kolons’ abrechnet. Nach § 14 Abs. 3 BPflVO können neben dem Basispflegesatz und dem
Fachabteilungspflegesatz auch Sonderentgelte berechnet werden, soweit diese vom Sonderentgeltkatalog für
Krankenhäuser erfasst sind. Nach Anlage 2 SG Nr. 12.6 konnte zum Zeitpunkt der hier fraglichen
Krankenhausbehandlung bei einer Teilresektion des Kolons ein Sonderentgelt in Höhe von 4.066,57 DM geltend
gemacht werden, was der Rechnung des Klägers vom 6. Juli 2000 exakt entspricht. Mithin hat der Kläger lediglich
den Basispflegesatz und den Fachabteilungspflegesatz sowie das vorgesehene Sonderentgelt nach der
Bundespflegesatzverordnung mit der Klage geltend gemacht und mithin keinerlei Wahlleistungen abgerechnet. Für
derart medizinisch notwendige Ausgaben kommt es mithin, wie bereits ausgeführt, nicht auf die wirtschaftlichen
Verhältnisse der Familie an. Eine Einschränkung für die rechtsgeschäftliche Haftung der Beklagten ergibt sich auch
nicht aus §1357 Abs.1 Satz 2 BGB, wonach durch die Geschäfte zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs
der Familie eine Berechtigung und Verpflichtung beider Ehegatten ausnahmsweise dann nicht eintritt, wenn sich aus
den Umständen etwas anderes ergibt. Zwar ist richtig, dass der BGH aus dem unterhaltsrechtlichen Gepräge von §
1357 BGB abgeleitet hat, dass eine Mitverpflichtung selbst bei medizinisch indizierten unaufschiebbaren ärztlichen
Behandlungen nicht gegeben sei, wenn die hierdurch verursachten Kosten die finanzielle Leistungsfähigkeit des in
Anspruch genommenen mitverpflichteten Ehegatten überschreiten; die finanzielle Leistungsfähigkeit des
mitverpflichteten Ehegatten gehöre zu den Umständen im Sinne von § 1357 Abs. 1 Satz 2 BGB (BGH NJW 92, 909,
910). Das durch das unterhaltsrechtliche Gepräge von 1357 BGB gebotene und in § 1357 Abs. 1 Satz 2 BGB
verortete Merkmal der Leistungsfähigkeit des mitverpflichteten Ehegatten kann allerdings nur eingreifen, wenn es um
die Mitverpflichtung desjenigen Ehegatten geht, der selbst nicht der Begünstigte und der Leistungsempfänger des
Vertrages (Patient) ist. Verpflichtet hingegen der Ehegatte aufgrund der gesetzlichen Vertretungsmacht, welche §
1357 Abs. 1 Satz 1 BGB ihm einräumt, nur den anderen Ehegatten als Patienten, können die zusätzlichen vom
Unterhaltsrecht her bestimmten Einschränkungen nicht eingreifen. Vielmehr hat es in diesen Fällen bei der
Begrenzung der Vertretungsmacht allein durch die zu § 1357 Abs. 1 Satz 1 BGB entwickelten Kriterien zu
verbleiben. Medizinisch dringend notwendige Maßnahmen sind daher in jedem Fall ein Geschäft zur angemessenen
Deckung des Lebensunterhalts der Familie, zu deren Abschluss der andere Ehegatte gesetzliche Vollmacht hat, und
zwar unabhängig von der Leistungsfähigkeit der Familie. Folglich ist der Klage mit den Nebenentscheidungen zu den
Kosten und zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus den §§ 91, 708 Nr. 10, 713 ZPO stattzugeben. Die Revision ist
nicht zuzulassen, weil die rechtlichen Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen, § 543 Abs. 2 ZPO. ####### #######
#######f