Urteil des OLG Celle vom 22.03.2001

OLG Celle: gegen die guten sitten, vertragsstrafe, bauarbeiten, sicherheitsleistung, verwirkung, ausführung, gewährleistung, mieter, käufer, bankbürgschaft

Gericht:
OLG Celle, 13. Zivilsenat
Typ, AZ:
Urteil, 13 U 213/00
Datum:
22.03.2001
Sachgebiet:
Normen:
BGB § 138, BGB § 339
Leitsatz:
1. Eine Vertragsstrafenklausel ist dann sittenwidrig, wenn sie eine unangemessene und völlig
übersetzte Bevorzugung der Interessen eines Vertragspartner darstellt.
2. Eine Vertragsstrafenklausel kann auch dann sittenwidrig sein, wenn die Vertragserfüllung nahezu
ausgeschlossen ist und das Strafversprechen faktisch zu einer Kaufpreisreduzierung von in Höhe der
Vertragsstrafe führt.
Volltext:
Oberlandesgericht Celle
Im Namen des Volkes
Urteil
13 U 213/00
19 O 223/98 LG Hannover Verkündet am
22. März 2001
#######,
Justizsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
In dem Rechtsstreit
pp.
hat der 13. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle durch die Richter #######, ####### und ####### auf die
mündliche Verhandlung vom 20. Februar 2001 für Recht erkannt:
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil der 19. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 6. Juli 2000
geändert:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung der Sicherheitsleistung in Höhe von 20.000 DM abwenden, wenn nicht der
Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Sicherheit kann durch eine schriftliche, selbstschuldnerische,
unbedingte, unbefristete und unwiderrufliche Bürgschaft einer deutschen Großbank, öffentlichen Sparkasse oder
Volksbank erbracht werden.
Streitwert und Beschwer 150.000 DM
Tatbestand
Der Kläger nimmt den Beklagten als Bürgen in Anspruch.
Der Kläger erwarb mit notariellem Vertrag vom 25. September 1995 von der ############## GmbH das Grundstück
############## in #######, in dem sich die ########### GmbH weiter verpflichtete, auf diesem Grundstück bis
zum 30. Juni 1996 2 Wohnhäuser mit 5 bzw. 3 Wohnungen entsprechend der Bau und Leistungsbeschreibung zu
errichten. In § 2 des Vertrages heißt es u. a.: „Der Verkäufer sichert eine zügige Abwicklung der Bauarbeiten zu. Die
Fertigstellung wird bis zum 30. Juni 1996 garantiert. Das Bauvorhaben ist fertiggestellt, wenn die vertraglich
vereinbarten Bauarbeiten erbracht und etwa vorhandene Mängel beseitigt sind.“
Die ####### GmbH versprach dem Kläger eine Vertragsstrafe. Die Abrede in § 10 des Vertrages dazu lautet: „Hat
der Verkäufer das Bauvorhaben nicht bis zum 30. Juni 1996 fertiggestellt, gerät er ohne weitere Mahnung in Verzug.
Im Falle des Verzuges schuldet der Verkäufer dem Käufer ungeachtet etwaiger Schadensersatzansprüche eine
Vertragsstrafe (§ 339 BGB) in Höhe von 150.000 DM.
Zur Sicherung der Vertragsstrafe kann der Käufer den benannten Betrag von den fälligen Kaufpreisraten in Abzug
bringen, bis die Einhaltung des Termins zum 30. Juni 1996 durch Zeitablauf sichergestellt ist“.
Zu den weiteren Einzelheiten des Vertrages wird auf Bl. 5 ff d. A. verwiesen.
Am 6. Dezember 1995 verbürgte sich die Beklagte bis zu einem Betrag von 150.000 DM für die vertragsgemäße
Ausführung und Gewährleistung des Bauvorhabens, das Gegenstand des notariellen Vertrages vom 25. September
1995 war.
Die ####### GmbH wurde insolvent. Der Antrag auf Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens wurde am 12.
Juni 1996 abgelehnt. Das Bauvorhaben war nicht fertiggestellt.
Der Kläger hat vorgetragen, die Beklagte sei auf Grund der übernommenen Bürgschaft zur Zahlung der verwirkten
Vertragsstrafe in Höhe von 150.000 DM verpflichtet, weil die Gebäude nicht rechtzeitig fertiggestellt worden seien.
Er hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 150.000 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 9. August 1996 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat vorgetragen, eine Bürgschaftsverpflichtung ergebe sich nicht, weil der Kläger die Vertragsstrafe bereits von
den von ihn zu zahlenden Raten nach Baufortschritt in Abzug gebracht habe und weil die Vertragsstrafe
unangemessen sei.
Das Landgericht hat der Klage nach Beweisaufnahme zum Umfang des Bautenstandes stattgegeben.
Zur Begründung seiner Berufung wiederholt der Beklagte im Wesentlichen sein erstinstanzliches Vorbringen, in dem
er darauf hinweist, das Vertragsstrafeversprechen sei gemäß § 138 BGB unwirksam und im Übrigen auf Grund eines
Vergleichs des tatsächlich geleisteten Bauumfangs mit den von dem Kläger gezahlten Raten bereits erfüllt.
Der Beklagte beantragt,
unter Abänderung des am 6. Juli 2000 verkündeten Urteils des Landgerichts Hannover (19 O 223/98) die Klage
abzuweisen,
Sicherheitsleistung durch Bankbürgschaft zuzulassen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
Sicherheitsleistung durch Bankbürgschaft zuzulassen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil und wiederholt im Wesentlichen sein erstinstanz
liches Vorbringen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des Beklagten hat Erfolg.
I.
Die Inanspruchnahme des Beklagten aus dem Bürgschaftsversprechen vom 6. Dezember 1995 für die
Sicherstellung der vertragsgemäßen Ausführung des Bauvorhabens ############## in ####### wegen des
Verfalles der dem Kläger durch die Hauptschuldnerin mit Vertrag vom 25. September 1995 versprochenen
Vertragsstrafe scheitert an der Unwirksamkeit zumindest dieser Vertragsstrafenvereinbarung.
Die Vereinbarung der Strafe in Höhe von 150.000 DM für den Fall der Nichtfertigstellung bis zum 30. Juni 1996
verstößt gegen die guten Sitten und ist daher gemäß § 138 BGB nichtig.
Bei der Beurteilung der Frage der Sittenwidrigkeit ist nicht allein die Höhe des Strafversprechens, welche hier 15 %
des für Grund und Boden sowie die Bauwerke vereinbarten Gesamtpreises erreicht, maßgeblich. Denn bei allein
unverhältnismäßiger Höhe besteht die Möglichkeit der Herabsetzung gemäß § 343 BGB (vgl. Münchener Kommentar
- Gottwald, § 343 Rdn. 7 m. w. N.). Maßgeblich ist zunächst, ob die doppelte Zielrichtung der Vertragsstrafe durch
die Vereinbarung erreicht werden kann, die darin besteht, als Druckmittel den Schuldner zur ordnungsgemäßen
Erfüllung der versprochenen Leistung anzuhalten und weiter dem Gläubiger die Möglichkeit der erleichterten
Schadloshaltung ohne besondere Nachweise zu ermöglichen (vgl. BGH NJW 1993, 245, 247, PalandtHeinrichs § 343
Rdn. 3 m. w. N).
Der Druckmittelfunktion wird die Abrede dem Wortlaut nach zwar grundsätzlich gerecht. Sie erfüllt diese Funktion
jedoch genau so wenig wie eine angemessene Ausgleichsfunk
tion.
Unangemessen ist die Vereinbarung im Hinblick auf den Ausgleich der dem Kläger für den Fall der nicht
rechtzeitigen Erstellung der Häuser mit insgesamt 8 Wohnungen treffenden Nachteile. Für den Fall der fehlenden
Bezugsfertigkeit der Wohnungen zu dem vereinbarten Termin hätte der Kläger im Falle der vollständigen Vermietung
grundsätzlich Schadenersatz oder Minderungsansprüche seiner Mieter zu erwarten. Diese würden jedoch
voraussichtlich erst Monate nach dem 30. Juni 1996 die Höhe der Vertragsstrafe von 150.000 DM erreichen können.
Verwirkt ist die Vertragsstrafe jedoch bereits in voller Höhe für den Fall nur eintägiger Überschreitung des
Fertigstellungstermins, so dass eine unangemessene und völlig übersetzte Bevorzugung die Interessen des Klägers
gegeben ist. Selbst für den Fall geringfügiger Terminüberschreitung soll er eine nicht im Verhältnis zu tatsächlich zu
erwartenden Nachteilen stehende Strafe erlangen können.
Verstärkt wird in die Unangemessenheit der Regelung durch weitere Umstände. Anknüpfungspunkt für die
Verwirkung ist nicht etwa fehlende Bezugsfertigkeit, die den Kläger gegebenenfalls zum Schuldner seiner
potenziellen Mieter machen würde, sondern die fehlende Fertigstellung. Was die Parteien unter Fertigstellung
verstanden wissen wollen, ist in § 2 des Vertrages deffiniert, wenn es darin heißt, das Bauvorhaben sei fertiggestellt,
wenn die vertraglich vereinbarten Bauarbeiten erbracht und etwa vorhandene Mängel beseitigt sind. Dieses bedeutet,
dass sich der vereinbarte Kaufpreis von 1 Million zwangsläufig um den Betrag der Vertragsstrafe von 150.000 DM
reduziert, wenn am 30. Juni auch nur ein noch so geringfügiger Mangel des Bauvorhabens, der die Nutzbarkeit
überhaupt nicht beeinträchtigen muss, feststellbar ist. Da regelmäßig nicht zu erwarten sondern nahezu
ausgeschlossen ist, dass ein Bauvorhaben mit dem Ziel der Errichtung von 2 Häusern nebst vollständigen
Außenanlagen über die Winterzeit in 9 Monaten vollständig mangelfrei erstellt werden kann, führt dieses
Strafversprechen faktisch zu einer Kaufpreisreduzierung von 15 %. Dann verliert diese Vertragsstrafe auch den
Charakter des Druckmittels für den Auftragnehmer, der bei diesem Vertragsinhalt mit großer Sicherheit voraussehen
kann, dass er die Vertragsstrafe wird zahlen müssen, selbst wenn er sich bemüht, seine Leistungen rechtzeitig zu
erbringen.
Das dieses den Parteien bereits nach Abschluss des Vertrages bewußt gewesen sein wird, ergibt sich aus der
weiteren Regelung in § 10 des Vertrages, nach der der Kläger berechtigt war, die Vertragsstrafe bereits vor deren
Verfall von den von ihm zu zahlenden Raten abzusetzen und das in Bezug auf diese Regelung nicht etwa eine
Ablösung durch Bürgschaft in Betracht kam, wie sie in § 8 des Vertrages in Höhe von 5 % für die Gewährleistung
oder für den Fall der Fälligkeit der Raten ohne vorherige Sicherung des Klägers vereinbart wurde. Diese
Vorwegabzugregelung faktisch allein auf Grund Dafürhaltens des Klägers, der Termin werde nicht eingehalten, führt
im Ergebnis zu einer weiteren unangemessenen Benachteiligung der Hauptschuldnerin, weil ihr dadurch bereits
erbrachte Bauleistungen nicht bezahlt und damit Liquidität im Wesentlichen Umfang entzogen werden kann, ohne
insoweit eine Abwendungsmöglichkeit zu haben.
Zusammenfassend ist mithin festzustellen, dass die vereinbarte Strafe von 15 % der Vertragssumme sittenwidrig
ist, weil auf Grund der konkreten vertraglichen Ausgestaltung mit einer Verwirkung zwangsläufig gerechnet werden
musste, weil diese Strafe bereits am Tag der Terminabsprache fällig war, ohne das dieses durch Interessen des
Auftraggebers veranlasst ist, und weil der Kläger als Auftraggeber die Vertragsstrafe bereits von den von ihm zu
zahlenden Kaufpreisraten absetzen durfte.
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeht nach § 708
Nr. 10, 711 ZPO. Die Festsetzung der Beschwer ergibt sich nach § 546 Abs. 2 ZPO.
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