Urteil des OLG Celle vom 08.05.2002

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Gericht:
OLG Celle, Vergabesenat
Typ, AZ:
Beschluss, 13 Verg 5/02
Datum:
08.05.2002
Sachgebiet:
Normen:
GWB § 97
Leitsatz:
Kriterium der fachlichen Eignung für neu auf dem Markt auftretende Unternehmen ist nicht die aus der
Natur der Sache folgende Notwendigkeit intensiverer Überwachung des Unternehmens durch die
Vergabestelle.
Volltext:
13 Verg 5/02
VK 04/01 Vergabekammer bei dem
Nds. Landesamt für Straßenbau
Verkündet am 8. Mai 2002
#######, Justizsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
B e s c h l u s s
In der Vergabesache
#######, vertreten durch die Geschäftsführer,
Antragstellerin und Beschwerdeführerin,
Prozessbevollmächtigter:
Rechtsanwalt #######,
gegen
#######, vertreten durch den Leiter,
Vergabestelle und Beschwerdegegnerin,
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte #######,
hat der Vergabesenat des Oberlandesgerichts in Celle auf die mündliche Verhandlung vom 30. April 2002 unter
Mitwirkung der Richter #######, ####### und ####### beschlossen:
Auf die Vergabebeschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der Vergabekammer bei dem Niedersächsischen
Landesamt für Straßenbau vom 11. Februar 2002 aufgehoben.
Die Vergabestelle wird angewiesen, das Angebot der Beschwerdeführerin vom 15. November 2001 über die
Bauleistung ####### bei der Vergabe zu berücksichtigen, weil begründete Zweifel an der Fachkunde der
Antragstellerin nicht bestehen.
Die Vergabestelle trägt die Kosten des Nachprüfungsverfahrens einschließlich der Kosten des
Beschwerdeverfahrens.
Für die Antragstellerin war es notwendig, einen Rechtsanwalt hinzuzuziehen.
Gegenstandswert: bis zu 90.000 EUR.
G r ü n d e :
I.
Die Antragstellerin beteiligte sich an der offenen Ausschreibung über drei Unterführungsbauwerke und zwei
Brückenbauwerke, letztere im SpannbetonVerfahren zu errichten. Entsprechend den Ausschreibungsbedingungen
forderte die Vergabestelle von ihr einen Nachweis der Fachkunde. Die Antragstellerin legte dar, dass sie große
Bauwerke mit „schlaffer“ Bewehrung bereits errichtet, jedoch bisher keine Spannbetonarbeiten ausgeführt habe.
Erfahrung damit hat ihr geschäftsführender Gesellschafter #######, der die Bauaufsicht für das in Rede stehende
Gewerk führen will. Die Antragstellerin verfügt über einen weiteren geschäftsführenden Gesellschafter. Außerdem
legte die Antragstellerin den Ablauf zur Herstellung der Brückenbauwerke dar und bezeichnete einzusetzende Geräte
und Personal.
Mit der Bieterverständigung vom 17. Dezember 2001 schloss die Vergabestelle die Antragstellerin aus, „weil
begründete Zweifel an Ihrer Eignung bestehen im Hinblick auf Fachkunde. Sie haben bislang nur
HochbauBaumaßnahmen durchgeführt. In Anbetracht dessen, dass die ausgeschriebenen Arbeiten auch
Spannbetonbrücken beinhalten, ist eine entsprechende Qualifikation der Firma und des Personals erforderlich.“
Dagegen wandte sich die Antragstellerin erfolglos mit ihrem Nachprüfungsantrag. Gegenüber dem zurückweisenden
Beschluss der Vergabekammer verfolgt sie ihr Begehren mit der sofortigen Beschwerde weiter.
Beschwerdeführend beantragt sie,
1. den angefochtenen Beschluss aufzuheben,
2. der Vergabestelle die Vergabe zu untersagen,
3. die Vergabestelle zu verpflichten, ihr den Zuschlag zu erteilen.
Die Vergabestelle beantragt,
die Vergabebeschwerde zurückzuweisen.
Sie verteidigt ihre Entscheidung, die Antragstellerin sei fachlich nicht geeignet.
II.
Die zulässige Vergabebeschwerde der Antragstellerin hat Erfolg.
Der Senat hat Beweis durch das in der mündlichen Verhandlung vom 30. April 2002 erstattete Gutachten des
Sachverständigen #######, dessen Fachkunde außer Frage steht, erhoben. Dieser hat zur Überzeugung des
Senates ausgeführt, dass das Unternehmen der Antragstellerin den Anforderungen an die Fachkunde für die
Errichtung der hier in Rede stehenden Gewerke genüge. Schließlich handele es sich lediglich um drei
Unterführungen, die sowieso im normalen BetonIngenieurbau zu errichten seien, und lediglich um zwei nicht
besonders große Überführungen, von denen auch nur die Platten in Spannbetonbauweise zu errichten seien. Die
Spannbetonbauweise werde heute nicht mehr so kritisch wie früher betrachtet. Vielmehr sei sie eine gängige
Arbeitsweise. Dieses Verständnis werde dadurch bestärkt, dass entgegen früheren Regelungen heute nur noch eine
DINNorm (DIN 1045) für beide Arten von Stahlbetonarbeiten einschlägig sei. Zwar bestehe kein Zweifel, dass mehr
Kenntnisse für Spannbetonarbeiten erforderlich seien, jedoch fehle es an diesen nicht. Der geschäftsführende
Gesellschafter ####### der Antragstellerin stehe für die Bauleitung hinreichend zur Verfügung. Ob ein Teil des
anderen Personals bereits früher Spannbeton verarbeitete, ist nicht von besonderer Bedeutung. Denn die
Erfahrungen im Ingenieurbau sind durch die Kenntnisse und das Miterleben der Entwicklung der Betontechnologie in
dieser Zeit geprägt. Sie genügen für die Anforderungen an Mitarbeiter, die eine durchschnittliche Brücke in
Spannbetonbauweise errichten sollen.
Zwar hat der Sachverständige eingeräumt, dass die Beauftragung eines Unternehmens mit dem ersten
SpannbetonBauwerk, das von diesem Unternehmen errichtet wird, immer Risiken berge. Der verständliche Wunsch
einer Vergabestelle, mit solchen Unternehmen zusammen zu arbeiten, die bereits bewiesen hätten, dass sie
problemlos und ohne weiteren Arbeitsaufwand der Vergabestelle Bauwerke errichten könnten, sei auch verständlich.
Er rechtfertige es jedoch nicht, neue Unternehmen deshalb für fachlich nicht geeignet anzusehen. Auch wenn es der
Üblichkeit entspreche, dass neue Unternehmen in einer Arbeitsgemeinschaft mitarbeiteten und so praktische
Erfahrungen sammelten, sei dies‘ jedoch nicht Voraussetzung für die Feststellung der fachlichen Eignung für die
Herstellung von SpannbetonBauwerken. Vielmehr sei es ebenso gut, wenn ein Unternehmen fachliche Kompetenz
hinzu kaufe, wie es bei der Antragstellerin durch den geschäftsführenden Gesellschafter ####### geschehen sei und
wie es üblicherweise durch die Beauftragung von Subunternehmen - die mit der Beauftragung der Firma ####### für
wesentliche Teile der Spannbetonarbeiten auch hier geplant ist - geschehe.
Zusammenfassend hat der Sachverständige die Situation so bewertet, dass die Antragstellerin fachlich geeignet sei.
Die Bedenken wegen der in der Natur der Sache bei einem Erstauftrag liegenden Risiken seien berechtigt, die
Risiken jedoch unvermeidbar. Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung der fachlichen Eignung ergäben sich daraus
nicht.
Der Senat hat keinen Anlass, an der Bewertung des Sachverständigen, der nicht nur Bauingenieur und
Hochschullehrer, sondern auch der Leiter des Prüfungsamtes ####### sowie geschäftsführender Leiter des Instituts
für Baustoffe, Massivbau und Brandschutz ####### ist, zu zweifeln. Die von der Vergabestelle in der mündlichen
Verhandlung vorgetragenen Bedenken betreffen Erschwernisse der Überwachung eines solchen Unternehmens, mit
dem die Vergabestelle naturgemäß noch keine Erfahrungen hat. Das kann aber nicht dazu führen, ein neu auf den
Markt tretendes Unternehmen deshalb auszuschließen und den Wettbewerb um die Bauleistungen auf die der
Vergabestelle vertrauten Unternehmen zu beschränken.
§ 97 GWB fordert eine Vergabe von Bauleistungen im Wettbewerb. Maßstab für die Vergabe von Aufträgen ist
gemäß § 97 Abs. 4 GWB die Fachkunde, die Leistungsfähigkeit und die Zuverlässigkeit der Unternehmen. Die
Leistungsfähigkeit und die Zuverlässigkeit der Antragstellerin hat die Vergabestelle nicht beanstandet. Die
Beanstandungen der Fachkunde haben sich als nicht gerechtfertigt erwiesen. Andere und weiter gehende
Anforderungen dürfen an die Antragstellerin nicht gestellt werden, weil dies‘ weder durch Bundes noch Landesgesetz
vorgesehen ist. Deshalb ist die Antragstellerin wieder am Vergabeverfahren zu beteiligen. Entsprechend ist die
Vergabestelle durch diesen Beschluss angewiesen worden.
Mit diesem Beschluss trägt der Senat dem wohlverstandenen Begehren der Antragstellerin insgesamt Rechnung.
Zwar hat diese nach dem Wortlaut ihrer Anträge zugleich begehrt, festzustellen, dass die Vergabestelle verpflichtet
sei, den Zuschlag an die Antragstellerin zu erteilen. Aus der Begründung ist jedoch ersichtlich, dass das Begehren
der Antragstellerin so zu verstehen ist, dass sie die Bedenken der Vergabestelle wegen der fehlenden Fachkunde
beseitigt wissen will. Offensichtlich dient der Beschwerdeantrag zu 3. auch nur diesem Ziel und ist so zu verstehen,
dass festgestellt wird, dass die Vergabestelle den Zuschlag nicht deshalb verweigern dürfe, weil es an der
Fachkunde fehle.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die rechtliche Schwierigkeit des Verfahrens rechtfertigte die
Beauftragung eines Rechtsanwaltes in diesem Vergabeverfahren.
Der Gegenstandswert für die Vergabebeschwerde wurde gemäß § 12 a Abs. 2 GKG festgesetzt.
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